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Ausgabe:

1923

Spalte:

62

Autor/Hrsg.:

Preisigke, Friedrich

Titel/Untertitel:

Die Gotteskraft der frühchristlichen Zeit 1923

Rezensent:

Koch, Hugo

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Thcologifche Literaturzeitung 1923 Nr. 3.

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klaffifches Werk auch dadurch ehren, daß fie fich nicht
ebenfo .befchränken'.

Nur weil die Gelegenheit günftig ift, habe ich oben
noch einen Auffatz ad vocem .Märtyrer', den D. verfaßt
hat, mit vermerkt. Der Titel [laQrvg für ,blos' diejenigen,
die für den Glauben fich haben töten laffen, ift, wie auch
D. empfindet, eine crux der kirchlichen Terminologie.
Er erörtert die Hauptlöfungen des Rätfels, die neuerdings
dargeboten find, findet fie alle belaftet mit gleich großen
Schwierigkeiten und hat dabei zweifellos recht. Er meint
zuletzt, das Wort habe fich auf den .Blutzeugen' in einer
Art von zufälliger, bald konventionell gewordenen Hinwendung
des Sprachgebrauchs fixiert. Jede Sprache
kenne folche geläufige Ausdrücke. Sehr gefchickt exemplifiziert
D., auf .Operation': Der Finanzier und der Chirurg
fpreche davon, gar jeder .technifch', und es fei doch dem
unmittelbaren Sinne nach ein fchlechthin farblofes Wort.
Ich möchte es wenigftens ausfprechen, daß mir felbft,
der ich ja vielleicht zuerft auf das Änigmatifche an dem
Wort Märtyrer d. i. .Zeuge' aufmerkfam wurde, im Zu-
fammenhang mit der Idee, die Holl geäußert, die Frage
entftanden ift, ob man nicht zu denken habe, die für den
Glauben .Getöteten' feien zu dem Titel uaQrvQag {rov
TQtXSrov oder rov ö-eoü!) um deßwillen in fpezififchem
Sinne gekommen, weil man unter den .Chriften' (zum
minderten bis in die Zeiten Tertullians) nur diejenigen
als unmittelbar im Tode in den Himmel (das .Paradies
') aufgenommen und demnach als jetzt, in der
Periode des gegenwärtigen Äon, bereits zur ftetigen
Chriftus- und Gottesfchau zugelaffen anfah, die für
Chriftus und Gott fich hatten töten laffen. Diefe Chriften
waren für den Glauben fchon .Zeugen', d. h. Miterleber
(Gegenwartsgenießer) alles deffen, was die andern erft
.hoffen'. (Der .gewöhnliche' Chrift ging im Tode ja noch
zu den inferi, bis die Polaune des Gerichts erfchalle!
Der .Märtyrer' war vor dem Hades gefichert, gelangte
fofort ,zu Chrifto'l). Vielleicht belächelt D. auch diefe
Idee als einen Einfall. Ich geftehe umgekehrt, daß ich
feine Deutung nicht lächelnd zur Seite fchiebe, fondern
als ultima ratio mit in Betracht ziehe. Nur bei der
Emphafe, die dem Worte martyr überall in der Rede
Glanz gibt, kann ich mich nicht fo leicht, wie er, bei
feiner Deutung, die daß Wort ja fall: banal macht, beruhigen.
— Leider gewährt die Studie von Peeters, die auf diejenige
von D. folgt, wie der Verfaffer felbft bemerkt,
kein weiteres Licht; fie ift trotzdem durchaus dankenswert.

Der fasc. 6. der Note Agiografiche bringt von
Franchi de' Cavalieri u. a. drei Textausgaben mit ent-
fprechenden Einleitungen, eine lateinifche Überfetzung
des Martyriums des Theodoret von Antiochia (unter
Julian), eine neue griechifche Redaktion desjenigen des
Theodot von Ancyra (unter Maximinus Daza? Vgl. von
Franchi fchon die frühere Studie, Studi e Testi Nr. 6,
19OI, dazu die fehr wertvolle Anzeige von Harnack,
Theol. Litz. 1902, Nr. 12), und, was bei weitem am be-
langreichften ift, einen lateinifchen Text der Akten
des Karpus etc. Der letztere hat viele bedeutfame
Eigentümlichkeiten gegenüber dem bisher allein bekannten
.echten' griechifchen. Franchi glaubt darauihin das
Gefchehnis, von dem berichtet wird, aus der Zeit Marc
Aurels (in welche v. Harnack, der als erfter das Dokument
kritifch unterfuchte, es faft ohne Widerfpruch zu
finden verlegte) unter Decius anfetzen zu follen (wie die
Überfchrift im lateinifchen Text angibt: der fog. authen-
tifche griechifche hat keine Zeitangabe).

Lietzmann hat in einem Auffatze, den er zur ,Feft-
gabe für Karl Müller', 1922, beigefteuert (S. 46—57), die
Entdeckung Franchis gewürdigt; er druckt den lateinifchen
Text fo ab, daß alsbald in die Augen fpringt,
wie ftark er vom griechifchen abweicht. Sein Refultat
ift, daß der letztere, wie Aube ihn publiziert und v. Harnack
ihn (1888) kommentiert hat, allerdings viele fekundäre
Merkmale habe, daß aber der lateinifche folcher doch

auch nicht entbehre, und v. Harnacks Gefamturteil
fchließlich wohl beftehen bleibe. Delehaye hat (S. 136ff)
manche Bedenken fcharffinnig wider v. Harnack bzw.
konkrete Züge im griechifchen Text geltend gemacht
(letztlich doch auch feinerfeits bei v. H.'s Anfatz flehen
bleibend), die durch die lateinifche Verfion befeitigt
werden. — Die Stücke IV und V bei Franchi (,Un
recente studio sul luogo del martirio di s. Sisto II' und
,La persecuzione di Gallo in Roma') übergehe ich hier.
Halle a. S. F. Kattenbufch.

Preirigke, Prof. Dr. Friedrich: Die Gotteskraft der frühchriftlichen

Zeit. (Papyrusinftitut Heidelberg, Schrift 6) (40 S.) gr. 8°. Berlin,
Vereinigg. wiff. Verleger 1922. Gz. 1,6.

Diefe Studie bildet eine Ergänzung zu des Verf. früherer
TJnterfuchung ,Vom göttlichen Fluidum nach ägyptifcher
Anfchauung' (1920). Hatte er fchon dort auch die früh-
chriftliche Zeit berührt, fo macht er fie hier zum Mittelpunkt
der Unterfuchung. Ausgehend von der biblifchen
Erzählung von der Heilung des blutflüffigen Weibes (Lk.
8, 43 ff. u. Par.) zeigt er an zahlreichen Stellen aus der
chriftlichen Literatur und den Papyri, daß man fich im
frühen Chriftentum ebenfo wie im Heidentum die Gotteskraft
als eine ftoffliche Kraft dachte, die zur Betätigung
irdifcher Gefäße lebender oder leblofer Art bedarf und
durch Berührung, Ausfprechen des Namens, Anhauchen,
Salbung und dergl. von einem Träger zum andern übergeleitet
wird. Für diefe Vorftellung findet Pr. die Hauptquelle
, wenn auch nicht die einzige, in Ägypten. Daß nun
derartige Vorftellungen im älteften Chriftentum zum Ausdruck
kommen, hat Pr. in feiner ausgezeichneten Studie
ganz überzeugend dargetan. Die Frage ift nur, wie groß
| ihr Bereich war und wieweit ihnen andere, reinere Vorftellungen
gegenüberftanden. Pr. hat wohl zu fehr verallgemeinert
, wie auch z. B. leine Deutung der erften
Bitte des Vaterunfers S. 23 (.Dein Name foll recht oft
ausgefprochen werden ufw.') mehr als fraglich ift. Dagegen
verdient die Bedeutung von ocpgayiCtiv und ötpnayig
in der Sprache der Papyri auch für die Bezeichnung der
chriftlichen Taufe Beachtung (S. 25 f.), weil fich mit folchen
Benennungen nicht feiten mehrere Vorftellungen verbinden
(vgl. übrigens dazu F. J. Dölger, Sphragis 1911).

Zu S. 6 wäre an den neuplatonifchen Gedanken von den göttlichen
r/VTj oder anif/imaxa. zu erinnern (vgl. mein Buch über Pf.-Dionyfius
1900, 195 fr.). Über die Schwäche des Tacitus dem Aberglauben gegenüber
(S. 16 f.) vgl. R. v. Pöhlmann, Die Weltanfchauung des Tacitus5
i 1913, 52fr. Zu S. 15: noch jetzt werden die Pallien, nachdem fie vom
Papft geweiht find, eine Nacht auf das Grab des hl. Petrus gelegt, ebenfo
wie Medaillen mit Gnadcnbildern oder Reliquien in Berührung gebracht
werden. Zu S. l8ff.: am Gründonnerstag wird das vom Bifchof
geweihte Öl mit Kniebeugung begrüßt und dem Ruf: ave sanetum
oleum. Zu S. 21 A. 4: bei der Taufwaflerweihe am Karfamstag wird
die geweihte Ofterkerze dreimal, jedesmal tiefer, in das Waffer eingefenkt
mit den, jedesmal in erhöhtem Tone gefungenen, Worten: descendat in
haue plenitudinem fontis virtus Spiritus saneti. So ließen fich in der
rümifchen Liturgie noch zahlreiche Nachwirkungen der von Pr. behandelten
Vorftellungen aufzeigen.

München. Hugo Koch.

Wynen, Dr. Arthur: Die päpftliche Diplomatie. Gefchichllich und
rechtlich dargeftellt. (Das Völkerrecht, hrsg. von Prof. Dr. S. J.
Ebers, 10. Heft. (XVI, 156 S.) 8». Freiburg i. Br., Herder & Co.
1922. Gz. 3.

Bei der großen Bedeutung des behandelten Gegen-
ftandes für Kirchengefchichte, Kirchenrecht und Kirchenpolitik
wird es der inhaltreichen und alle einfehlägigen
Fragen erörternden Schrift (Die kirchliche Diplomatie;
Das päpftliche Gefandtfchaftsrecht; Die Ausübung des
aktiven päpftlichen Gefandtfchaftsrechts im Laufe der
Jahrhunderte; Das Perfonal der päpftlichen Diplomatie;
Das beim Hl. Stuhl beglaubigte diplomatifche Korps;
Aufgabe und Grundfätze der päpftlichen Diplomatie; Der
kirchliche diplomatifche Stil und das Zeremoniell der päpftlichen
Diplomatie; Nutzen und Erfolge der päpftlichen
Diplomatie.) an einem größeren Leferkreis kaum fehlen.
Daß der Verf. als Advokat am Tribunal der römifchen
t Rota vom Standpunkt der Kurie aus feiner Aufgabe ge-