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Ausgabe:

1923 Nr. 2

Spalte:

539-541

Autor/Hrsg.:

Hessen, Johannes

Titel/Untertitel:

Augustinus‘ Vom seligen Leben 1923

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 25/26.

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toren abgewichen war, den Älteren Recht zu geben, ich
glaube, er hätte in dieser Nachgiebigkeit noch weiter
gehn dürfen. S. 29, 20 z. B. hat Kn. gegen edd der anderen
Gruppe zulieb einen mir unverständlichen Wortlaut aufgenommen
: Aut te ipse promereor? Tantum scis, quia
debes. R. bringt ebenfalls diese Lesart seiner Gruppe
(PMH), aber die zweite Hand hat dafür den Text von
Tedd eingesetzt: Tu te ipse pro me roga, quamtum scis,
quia debes! Was ist an dieser Lesart zu beanstanden?
Daß umgekehrt 134,3 HMPR mit relisit se strato gegen
Tedd resilit a strato im Recht sind, hat Kn. ebenso, zutreffend
erkannt, wie er 170,4 laudare gegen dicere der
edd. einsetzt. Aber sein vitandos 143,28 an Stelle des
evitandos hat an dem einzigen fehlerhaften Codex P eine
schlechte Stütze, vero amat würde ich auch mit HP1 gegen
vere amatAMP2TR nicht vorzuziehen wagen; noch kühner
ist hocgenus disputationes mit P1 (gegen-onis) 142,24.
Sollte R wirklich wie man nach Praef p. 30 anzunehmen
hätte, 178, 16 mit Knöll magna labe emergentem (ohne
a vor magna) bieten? Hier und in ähnlichen Fällen wäre
eine ausdrückliche Bestätigung am Platze gewesen. —
Zur Entscheidung der Frage, ob der nur in de b. vita S.
93,24; 99,3 genannte Landsmann Augustins Lartidia-
nus hieß, wie Kn. will, trägt der Remensija nichts bei,
aber im Apparat zu beiden Stellen vermißt man eine in
diesem Fall wirklich nötige Aufzählung sämtlicher
Zeugen: liefert wirklich keine Handschrift den Namen
mit st? Zu ähnlichen Desiderien gibt der Apparat auch
sonst Anlaß. Zu 31, 2 lesen wir, eine Zeile von animum
an sei bei HMP ausgelassen: dagegen Praef p. 21: „quae
Parisinus habet"! 31,3 gibt Kn. zu einer schwierigen
Lesart einen rätselhaften Apparat, demgegenüber der
der Mauriner wie ein Paradies anmutet. Warum , hören
wir zu 70,5 nichts über den Text von punda? Wer die
Gewissenhaftigkeit so weit treibt, daß er 170,28 sich
berühmt chorda der edd in corda verbessert zu haben,
dürfte wichtigere sachliche Varianten nie unvermerkt
lassen.

Die Indices sind wie im Wiener Corpus üblich eingerichtet
, bei diesen Jugendschriften Augustins am lehrreichsten
das Verzeichnis der Zitate (oder Parallelen)
aus Profanautoren. In den Indices nominum und ver-
borum ist nicht alles gleich zuverlässig und vollständig.
S. 191 bei Antiochus ist zu 78, 17 hinzuzufügen 19. 28
und hinter 78, verbessere 19 in 16. S. 210 bei numquid-
nam schreibe 108,24 st. 14 und füge ein 131,10.
142,23. Daß der Artikel quire mit 2 Nummern eine
falsche Vorstellung erweckt, liegt auf der Hand. Über
Auslassung von „Wörtern" wie indocilis, usque quaque,
conari ad se darf man sich nicht beklagen; aber wenn
doch Augustin später seine Unzufriedenheit äußert über
das allzuhäufige Reden von fortuna in seinen ersten
Schriften, gehörte dann nicht in das Register der Artikel
fortuna-fortunae, vielleicht auch die von Aug. entschuldigten
forsitan, forsan, fortasse, fortuito und, wie ich
hinzufüge, auch casu? Ich meine, je weiter der Thesaurus
latinae linguae fortschreitet, um so dünner dürften die
„Wort"-Register auch bei den kirchlichen Schriftstellern
werden — wenigstens wäre eine Berücksichtigung des
Thes. angemessen —, hingegen sollten sie ihren Eigenwert
vermehren durch sachverständiges Eingehen auf die Lieblingswendungen
, Provinzialismen, technischen Ausdruck
und theologische Formeln jedes Kirchenvaters. So nahe
Hieronymus und Augustinus einander stehen: das Wortregister
beim Einen muß ganz anders aussehen als das
beim Andern; die heutigen Register zeigen meist das
Gesicht ihrer modernen Verfasser.

Marburg. Ad. Jülich er.

Hessen, Priv.-Doz. Dr. theol. et phil. Johannes: Augustinus' Vom
seligen Leben. Übersetzt U. erläutert, sowie mit einer Einführung
in Augustins Philosophie versehen. Leipzig: Felix Meiner 1923.
(XXX, 43 S.) 8° = Philosophische Bibliothek 183. Oz.2—; geb. 3—.
Ein Heft, das bei auffällig hohem Preis fast nur
Enttäuschungen bietet. Gewiß ist das Thema von Augustins
Jugendschrift „Vom seligen Leben" so allgemein
menschlicher Art, daß es auch für einen weiteren Leserkreis
von Interesse sein wird. Aber ob auch die Art,
wie Augustin im Jahre 386 dies Thema behandelt hat,
ihm noch Ansprüche auf das Interesse des modernen
Lesers verschafft? Gibt es etwas Veralteteres, als die
These, für Augustin dort das A und O, daß es nur entweder
ein seliges oder ein elendes Leben gibt, nichts
Mittleres zwischen, nichts Drittes neben ihnen? Oder
l als die Methode, durch logische Folgerungen aus will-
j kürlich definierten Begriffen den Inhalt der Seligkeit und
des Elends festzustellen? Nein, einen besonderen Reiz
besitzt das Büchlein nur als Dokument für die innere
Entwicklung Augustins und etwa noch für die Kultur
des Abendlandes um 400 n. Chr.: menschlich und ästhetisch
vermag es wohl, wenn mit allen Feinheiten der
Form aufgefaßt, zu gewinnen und zu fesseln. Eine künstlerisch
vollendete Übersetzung mit ein wenig Kommentar
würde dies beweisen.

Was Hessen hier vorlegt, ist fast durchweg Schülerarbeit
. Am ehesten lohnt sich noch S. VII—XXIII die
„Einführung in Augustins Philosophie", obwohl sie
sich auf die allgemeinsten Grundlinien beschränkt und
zu wenig kritisch gehalten ist; S. XI hören wir übrigens,
daß „sechs Welten und eine Welt neun Welten" ausmachen
. Die Einleitung in Augustins Schrift: De beata
vita S. XXIV—XXX verrät deutlicher, warum der Verf.
keine lebendigen Anschauungen von seinem Gegenstande
vermitteln kann. Er bildet sich ein, die Schrift sei
am 13. November 386 begonnen und an den beiden
folgenden Tagen zu Ende geführt worden, verwechselt
also die von Aug. verordneten Aufzeichnungen und die
von ihm später vorgenommene Ausgestaltung. „Die
mannigfachen Unebenheiten und Unausgeglichenheiten,
die der Dialog aufweist", erklären sich für H. daraus,
daß Aug. nach dem Zeugnis seiner Retraktationen 1, 2
später das Buch nicht mehr vollständig habe auffinden
können. Eine Lücke im Text aber ist mindestens etwas
ganz Anderes als jene — nur eingebildeten — Unausgeglichenheiten
des Dialogs; die Lücke ist inzwischen
von P. Knoell in der Textausgabe des Wiener CSEL
innerhalb c III, 22 zweifellos richtig festgestellt worden,
und es ist ein Unglücksfall, keine Schuld Hessens, daß
er seinen Druck vor dem Erscheinen des Knoell'schen
Textes begonnen hat. Nur hätte schon vorher etwas Aufmerksamkeit
dazu führen müssen, daß man die übermäßige
Kürze der Verhandlung des 2. Tages verglichen
mit der des ersten und dritten wahrnahm, wie auch daß
am 3. Tag auf ein Wort der Mutter Bezug genommen
wird, von dem wir vorher nichts gehört haben. Unsern
Übersetzer hat jedenfalls die wahrlich nicht geringe
Unebenheit des Übergangs an jener verdorbenen Stelle,
vor dem Zitat aus Cicero, nicht beunruhigt.

Die Anmerkungen S. 38—43 bringen keine seltenen
Schätze. Ob der Honig vom Hymettusberg z. B.
p. 34 diese liebevolle Beachtung nötig hatte? Andererseits
reicht was n. 33 über Alypius mitteilt, nicht aus,
um die Berufung des Licentius auf die Autorität des
Alypius aufzuklären. Bei dem Satz S. 6 (b. v. II, 5): „und,
nichts anderes darf, soweit ich sehe, eher ein Geschenk
Gottes genannt werden", unterläßt: es H. anzumerken,
daß ein Wortspiel mit dem Namen des Theodorus vorliegt
; er hat es selber freilich nicht bemerkt wie auch
in III, 16 nicht die Anspielung auf das Vorbild des großen
Gönners. Geradezu verderblich können die Anmerkungen
5—7 heißen, wo H. dem Verständnis des hochpoetischen
— in Wahrheit recht geschraubten — Gleichnisses
von dem Hafen der Philosophie nachhelfen
möchte. Den Typ des Philisters und die beiden Typen
der Faustnaturen hat er dem Aug. aufoktroyiert und
nichts paßt übler zu Augustins Vorstellung von seiner
zweiten Klasse als das von H. deklamierte Goethewort
: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir
erlösen!