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Ausgabe:

1923 Nr. 2

Spalte:

538-539

Autor/Hrsg.:

Knöll, Pius (Ed.)

Titel/Untertitel:

Sancti Aureli Augustini contra academicos libri tres, de beata vita liber unus, de ordine libri duo 1923

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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537 Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 25/26. 538

im Gebirge gelebt hat und nach 680 gestorben ist, hat
P. Bedjan 1909 die Schriften Isaacs in der syrischen Ursprache
herausgegeben, insbesondre die fast 600 Seiten
umfassenden 82 Kapitel einer Art Anweisung zum seligen
Leben. Trotzdem 1s. wie die meisten Syrer sich oft wiederholt
und manchmal sehr viel Worte macht, ist er, zumal
wenn er über die höchsten Geheimnisse redet,
nicht leicht zu verstehen, und nach Bedjan mußte eine
Übersetzung in anderer Sprache und womöglich eine
gründliche Auslegung der mystischen Traktate kommen.
Der erste Wunsch ist nunmehr erfüllt. Über die Güte
der Übersetzung Wensincks zu urteilen, steht mir nicht
zu, aber es spricht schon nicht wenig zu ihren Gunsten,
daß sie einem meistens nicht nur für den einzelnen Satz,
sondern auch für größere Gedankenzusammenhänge
ein befriedigendes Verständnis liefert. Einzelne Abhandlungen
wird man ohne Anstoß, ohne Überdruß, ja mit
Ergriffenheit lesen. Gern würde man sich Herrn Wen-
sinck als Führer anvertrauen zu tieferem Eindringen in
die Ideenwelt dieses kühnen Mystikers und in die sich
dabei ergebenden entwicklungsgeschichtlichen Probleme:
da aber beschränkt sich W. zu unserm Bedauern auf ein
Mindestmaß.

Eine Einleitung von 56 Seiten informiert uns U.A.
über den Text und die griechische Übersetzung sowie
über Isaaks Zeitalter und Person; es folgt eine Skizze
der mystischen Gedanken Isaaks und eine Begründung
der These, daß Isaak an dem Wendepunkt steht, wo die
Ideen der christlichen Mystik des Ostens herüberfließen
in den Islam; die Abhängigkeit AI-Ghazalis von Isaak
in einigen Hauptgedanken stehe außer Frage. Das meiste
zweifellos richtig, nichts ohne Wert, aber nirgends genug
für den Historiker, jedenfalls zu wenig für den
Nichteingeweihten. Auf die Bedürfnisse des durchschnittlichen
Lesers wird kaum Rücksicht genommen; ehe sich
dieser Stil einbürgert — man denke an Frankenbergs
sonst so glänzenden Euagrius Ponticus! — muß man
dringend vor ihm warnen. Die Kolumnentitel bieten keine
Zahl; statt cap. 8 oder 82 nur immer die Anfangsworte
der Kapitelüberschriften, bei cp. 1—6 sogar — S. 1—67!
— immer das gleiche: Six treatises on the behaviour of
excellence (= de monastica institutione beihabot). Das
Literaturverzeichnis p. XI besteht aus 7 Nummern; nicht
etwa über Hilfsliteratur wie das öfters nachher erwähnte
Book of the dove empfängt man Aufschluß, sondern nur
über die von W. benutzten Ausgaben, z. B. von Ghazali,
Bar-Sudaili, Philo, und zwar wird Dionysius Areop.
nach der ed. Parisina von 1615, Epictet nach der Londoner
Ausgabe von 1711 zitiert. Wer Chabots Publikationen
nicht kennt, wird mit der Skizze von Isaaks
Leben nicht auskommen; überall setzt der Verf. als bekannt
voraus, was e r wußte, als er sein Buch zu schreiben
begann. Der Apparat unter dem Text, anfangs noch mit
einigen erwünschten Hinweisen auf ältere Parallelen ausgestattet
, schrumpft mehr und mehr ein. Bibelstellen,
Textverbesserungen, lapidare Verweisungen auf „Intro-
duction" ohne Seiten- oder Kapitelzahl. Das Register
ist wahrlich nützlich, z. B. die Artikel Contemplation,
Gladness, Tears. Aber wie wenig vollständig es ist, zeigt
sich, wenn bei Theory nur eine Stelle angeführt wird,
und bei Trust ihrer zwei. Die Bibelstellen sind, übrigens
bemerkenswert sparsam von Isaak angezogen, längst
nicht alle erkannt, daher auch der Index S. 399 f. nicht
ausreicht. Übler ist, daß die Namen andrer Autoren,
Mönche usw. im Hauptregister nicht vollständig auftreten
(z. B. fehlen der Abt Theodor, Pachomius, Patriarch
Theophilus), noch weniger sind, wie z. B. bei
Macarius, alle Fundstellen notiert. Wie seltsam, daß S.
393 a Ephraim Syrus 437 bietet, S. 391 a Afrem (Mar)
63, 437 ohne daß an einem Orte auf den andern hinge-
zeigt würde! Die große Zahl an Worten der „heiligen
Väter", die Is. wörtlich zitiert, würdigt sein
Übersetzer gar keiner Beachtung. Die vielfache Benutzung
des Ketzers Euagrius hätte wenigstens in diesem
Fall die Pflicht vollständiger Sammlung auferlegt, oft

auch den Versuch gerechtfertigt, wenigstens einige der
Zitate aus den noch erhaltenen Schriften des Euagrius
zu identifizieren. Das geschieht aber hier so wenig wie
bei Rufinus' historia monachorum oder bei Diodor- und
Theodorus-Kommentaren. Sonach bleibt Späteren überlassen
die große, allerdings auch lohnende Arbeit, festzustellen
, was Isaak nachweislich von seinen Vorgängern
entlehnt hat, inwieweit er nur älteres Anekdoten- und
Formelmaterial verwendet. Ein wenig weiter war in
diesem Punkte doch schon G. Bickell dem Bedürfnis des
Publikums entgegengekommen, als er 1874 in der Kemptener
Bibliothek der Kirchenväter aus den englischen
Handschriften eine deutsche Übersetzung der 6 ersten
Abhandlungen über „Das tugendhafte Leben" bekannt
gab. Wenn W. von diesem Vorgänger überhaupt Notiz
genommen hätte, würde er doch wohl zu unser aller Vorteil
einige Anmerkungen mehr auf S. 1 bis 67 beigegeben
haben, vielleicht auch sich entschlossen haben, bei technischen
Ausdrücken neben dem englischen Wort das
entsprechende griechische, das ihm meist ja der Nice-
phorus-Text ohne Weiteres bot, hinzugefügt haben. Und
die völlige Gleichgültigkeit gegen die, meinetwegen absichtlichen
, Mißverständnisse des Griechen und die Deutungen
des Arabers wird gerade der, der an Isaak nicht
blos mit dem Interesse des Philologen herantritt, sondern
den Isaaks Gedanken als Elemente in einem großen geschichtlichen
Prozeß beschäftigen, beklagen. Der Literarhistoriker
hat die Arbeit neu aufzunehmen; die Religionsgeschichte
ist um eine wichtige Urkunde reicher. Aber
ihre Wichtigkeit beschränkt sich nicht auf ihre Bedeutung
für das Verständnis des Sufismus; es erweckt sogar als
einfaches Denkmal dessen, was der Menschengeist an
Widersprüchen verträgt, unser Staunen: der radikalste
Mystiker überbietet sich in Verherrlichungen der Autorität
eines Buchstabenauslegers wie Theodor, stramm orthodoxer
Nestorianer und den Origenes weit hinter sich
zurücklassender Allegorist gegenüber allem Sinnlichen,
anscheinend gar nicht mehr von den Streitigkeiten, die
den Babhai so aufregten, berührt. Und zu den Füßen
dieses Nestorianers sitzen mit gleicher Ehrfurcht Orthodoxe
von Rom und Byzanz, Monophysiten, Mohammedaner
. Die Mystik überkonfessionell, jenseits der Schulen,
jenseits aller geschichtlichen Religion.

Marburg. Ad. Jülich er.

Sancti Aurel! Augustini contra acadeinicos libri tres, de beata vita
über unus, de ordine libri duo. Recensuit Pius Knöll. Vindobonae.
Lipsiae: Hölder-Pichlcr-Tempsky A.O. MCMXXII. (219 S.) -
Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum editum consilio et
impensis Acadeniiae litterarum Vindobonensis, Vol. LXIII. Gz. (>.4().

Gerade in einer Zeit, wo die Augustin-Forschung
sich so intensiv mit dem Problem der Bekehrung Augu-
stins beschäftigt, erscheint die Ausgabe der 3 ältesten
Schriften des Kirchenvaters, die noch aus der Periode von
Cassiciacum 386 n. Chr. herrühren. Der philologischen
Akribie des Herausgebers darf man Vertrauen entgegenbringen
; soweit die handschriftliche Überlieferung für die
Textkonstitution Wert hat, scheint sie hier vollständig
ausgenutzt zu sein, und in der Hauptsache wird sich der
von P. Knöll vorgelegte Text mit dem ursprünglichen
decken, namentlich in der Orthographie und Wortstellung
merklich mehr als bei den Maurinern. Bei de beata vita
ist das Ergebnis minder befriedigend als bei den beiden
größeren Werken: hier scheiden sich die Manuskripte in
2 Gruppen, deren gemeinsame Grundlage dem Urtext
recht nahe stehen dürfte; Fehler und Lücken des einen
Zweiges vermeidet meist der andre. Leider hat Kn. erst
1914, als sein Werk druckfertig war, von einem Rheimser
Codex, ehemals Besitz Hinkmars, — den übrigens die
Mauriner bereits herangezogen hatten — erfahren, und
weil eine Einarbeitung des neuen Stoffes untunlich war,
auf S. 20—30 des Vorworts darüber Bericht erstattet, sowie
alle Abweichungen dieser Handschrift von seinem
gedruckten Text registriert. Die neue Autorität zwingt
ihn, an mehreren Stellen, wo er von den bisherigen Edi-