Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1923 Nr. 24

Spalte:

521-522

Autor/Hrsg.:

Hollweg, Walter

Titel/Untertitel:

Geschichte der evangelischen Gesangbücher vom Niederrhein im 16.-18. Jahrhundert 1923

Rezensent:

Zillessen, Alfred

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

521 Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 24. 522

kenntnis Heilbronns für den Kaiser auf dem Reichstag
in Augsburg, das sicher von Lachmann verfaßt ist, und
das Duncker in der Z. KG. herausgegeben hat, ist eine
gediegene Rechtfertigung der Heilbronner Reformation.
Ebenso ist die Kirchenordnung von 1532 eine gute Arbeit
und ein Beweis seines großen Einflusses auf den
Rat, wie wir dann überall seinem leitenden Geist in Heilbronn
begegnen, aber auch dem Einfluß von Brenz auf
Lachmann. Leider bleibt noch manches dunkel, so die
genauen Daten seiner Geburt und seines Todes und die
Zeit, wann er sich der Reformation zuwandte. Schmerzlich
vermißt man seinen Briefwechsel. S. 12 bezieht sich
die Warnung von Druckschriften nicht auf Luthers Bibelübersetzung
, sondern auf die zahlreichen Flugschriften
seiner Zeit.

Stuttgart. O. Bossen.

Holl weg, Lic. Dr. Walter: Geschichte der evangelischen Gesangbücher
vom Niederrhein im 16. 18. Jahrhundert. Gütersloh:
C. Bertelsmann 1923 (VIII, 404 S. DL 5 Abb.) gr. 8° = Publikationen
der Gesellschaft für Rhein. Geschichtskunde XL. Qz. 15—.
Den von W. Nelle vor 33 Jahren angekündigten
Plan einer Geschichte der evangelischen Gesangbücher
von Rheinland und Westfalen hat d. Verf. für die nieder-
rheinischen Gesangbücher vom 16.—18. Jahrhundert ausgeführt
und trotz der Not der Zeit, mit Hülfe dankenswertester
Unterstützung, u. a. der Gesellschaft zur Förderung
der theologischen Wissenschaft, der theologischen
Fakultät in Bonn und der Rheinischen Provinzial-
synode, nicht zuletzt des Verlegers, zum Druck gebracht
als Nr. 40 der Publikationen der Gesellschaft für Rheinische
Geschichtskunde. Der über 400 S. starke Band,
ein Werk unermüdlichen und mühsamsten Fleißes, dem
ein glücklicher Spürsinn oft genug zur Seite geht, bedeutet
eine höchst willkommene Bereicherung unsrer
rheinisch-kirchengeschichtlichen, wie der hymnologischen
Literatur, in beiden eine lang empfundene Lücke ausfüllend
und eine Menge neuer Tatsachen erschließend.
— Das Buch zerfällt in einen untersuchenden Teil (1 bis
282) und einen mehr beschreibenden (285—403).

H. geht im 1. Kapitel der Geschichte des Bonner
G. B. (ca. 1544), des „umfangreichsten und wertvollsten
der Reformationszeit" nach. Die Anlage: 1. Psalmen,
dann 2. Lieder, Hymnen und Gebete schließt sich an
J. Zwicks G. B. an. Für den Psalmen-Teil ist das auf
deutsche Psalmen-Bereimungen aus täuferischen Kreisen
zurückgehende Straßburger Psalmbuch von 1539 die
Vorlage. Hier wird das Ringen zwischen Psalmen und
„Liedern" um das Recht im Gottesdienst besprochen.
Auf das Bonner G. B. gehen fünf der ältesten niederländischen
lutherischen G. B. zurück, darunter
das verbreitetste und längstgebrauchte von Willem van
Haecht. Wiederum ist das alte kurpfälzische reformierte
G. B. ein Auszug aus dem Bonner. Dann
war es Graf Johann d. Ä. von Nassau-Dillenburg, auf
dessen Veranlassung der Buchdrucker Matthäus Harnisch
den in der reformierten Pfalz bereits beliebten deutschen
Psalter des Lutheraners Lobwasser mit einem
Auszug von Liedern aus dem alten Pfälzer G. B. zu dem
Neustädter G. B. von 1583 zusammenfügte, der
Mutter fast der gesamten reformierten G. B. Deutschlands
am Ende des 16. und im 17. Jahrhundert. Mit
diesem fast identisch ist das Herborner von 1586
(von dem H. 39 Ausgaben feststellt). So hat das älteste
rheinische evangelische G. B. die weitestgehende Wirkung
auf die reformierte und lutherische Kirche Deutschlands
und die lutherische der Niederlande ausgeübt.

Kap. 2 behandelt die ältesten reformierten
G.B. vom Niederrhein, vom Kölner 1592 an, Kap. 3
die ältesten lutherischen vom Weseler 1554 (niederdeutsch
; Fund von Boskoop) an; Kap. 4 die pietistischen
Privatgesangbücher: das „Pietisten-G.
B." (1686—92) des unruhigen Geistes Andreas Luppius,
auf dessen Leben zum ersten Mal deutlicheres Licht Fällt,
und seine „Geistlichen Lieder und Lobgesänge" 1695,

ferner den „großen Neander", von der 2. A. an von
Tersteegen herausgegeben. Kap. 5 bespricht die „Singenden
und klingenden Berge" 1617 (Redaktor
Pfr. Franz Vogt-Lennep; antipietistisch) und ihren
Anhang 1762 (Red. Pfr. J. P. Mähler-Remscheid, der
erste rheinische Hymnologe; pietistisch beeinflußt, noch
ablehnend gegen reformierte Lieder, Front gegen die
Aufklärung), dann das Clever lutherische G. B.: Aller
Gott liebenden Seelen Gott lobendes Engel
-Süß und dessen Erweiterung 1728 (noch 1781
nicht vollständig eingeführt!), das Reformierte G.
B. für Jülich, Cleve, Berg u. Mark 1738 (Red.
Pfr. Ovenius-Cronenberg; Lobwasser und 150 Lieder),
das den Anlaß gab zur Einführung der vielerorts noch
heute gebrauchten Liedertafeln (oben Psalm, unten Lied),
endlich Peter Wülffings „Ronsdorfs Silberne
Trompeten" (ein „gesäuberter" Lobwasser und 50
„Psalmen-Lieder im Höheren Chor", in welche die
Theologumena der Ellerschen Sekte aufgenommen sind,
einige Lieder bis zu 116 Strophen!).

Kap. 6 endlich stellt die niederrheinischen Q.B. unter dem
Einfluß der Aufklärung dar. Der „Neue Liederanhang" von
1772 zum reformierten O.B. und der Streit um ihn wird behandelt
(und viel Neues geboten über Urkunden-B. f. Rhein. K. O.
11,2 und Monatsh. f. Rh. K. Q. VIII, 257 ff. hinaus), Jorissens
Psalter wird gewürdigt (besonders auch die Folgen des Anschlusses
an den Urtext, nicht an die Lutherbibel) und die Geschichte des nun
diesen Psalter, die Lieder von 1738 und von 1772 enthaltenden Q. B.
bis in sein letztes heutiges Refugium Nordhorn (Of. Bentheim) skizziert.
Es folgt die ehenfalls höchst kampfreiche Geschichte des Clever
lutherischen G. B. 1788 (= d. rationalistische Myliussche Berlin
1780 4- Anhang). Dann wird die Verdrängung der „Singenden und
klingenden Berge" dargestellt, zuerst in Mülheim (Rhein) durch das
völlig neumodische G. B. des bedeutenden rheinischen Rationalisten
Jon. Wilh. Reche (1800; darin zum ersten Mal ein Lied von
Tersteegen), dem schließlich nach heftigstem Streit zwischen der
Bergischen Synode und der Miseloher Klasse das Bergische G.B.
von 1808 folgt (*/„ alte Lieder, '/s aus Reche a/5 neu aufgenommen;
hier auch die „Verbesserung": Nun ruhet in den Wäldern, in Häusern
und auf Feldern ein Teil der müden Welt). Endlich das — nächst dem
Mainzer — älteste (rationalistische) Unions-G. B., das der lutherischen
und reformierten Gemeinde zu Stolberg von M. Johann Reisig
und Pred. H. S. van Alpen, dessen Hauptquelle das Rechesche
G.B. ist, das aber nicht so radikal wie R. mit der Überlieferung bricht

Der 2. Teil bringt neben vier Abbildungen aus Ausgaben des
Bonner G.B. von 1550 und 1551 und einem Bild des Andreas Luppius
die genaue Bibliographie der besprochenen G. B. samt einer Reihe zugehöriger
Dokumente (besonders originell die Vorrede zu den „Singenden
und klingenden Bergen"), und eine knappe Übersicht der Geschichte
des rh. G. B. (seit E. M. Arndts „Von dem Wort und dem
Kirchenlied", Bonn 1819) bis zum Ev. G. B. für Rheinland und Westfalen
1890.

Einzelheiten: Interessant ist der Nachweis, daß viele der wertvollsten
Lieder unsrer bekannten Kirchenliederdichter, die uns längst
zum eisernen Bestand gehören, sich erst allmählich durchgesetzt
haben, während vorher ihr Mittelgut herrschte. Bei allem treffend
über Jorissen Gesagten wird schließlich doch Nelles Urteil: Übersetzer,
nicht Dichter, recht behalten. S. 178: O Tod, wo ist dein Stachel nun
ist nicht von Rist, sondern auf Grund eines Weisselschen Liedes von
Gcsenius verfaßt. P. Gerhardts Bereimung von Jes. 53: Siehe, mein
geliebter Knecht ist doch nicht so völlig „vergessen" (S. 354. 370):
vgl. Württemb. O. B. Nr. 180. Der Ausdruck „gebraten" (vom Lamm
Gottes) wird S. 370 als „unwürdig" bezeichnet: sicher ist er für
uns unmöglich, aber er stand doch auch in Luthers: Christ lag in
Todesbanden. Der S. 196 f. genannte Fürst von Nassau-Saarbrücken
heißt genauer Wilhelm Heinrich. S. 373: Nun lasset uns den Leib
begraben ist auf Anregung der Bergischen Synode durch die Oeneral-
synode zu Duisburg 1671 als Begräbnislied abgeschafft worden.
Aachen. Alfred Zillessen.

Fittbogen, Gottfried: Die Religion Lessings. Leipzig: Mayer &
Müller 1923. (VIII, 325S.) gr.8° Palaestra 144. Untersuchungen
u. Texte a. d. dtsch. u. engl. Philologie. Oz. 12—.

Wie notwendig eine unbefangene kritische Nachprüfung
des gesamten einschlägigen Materials auch heute
noch ist, zeigt die allgemeine Unsicherheit über die Art
und selbst über die Tatsache von Lessings bewußter Stellungnahme
in religiösen Dingen. Während die einen
vom „Nathan" und von der „Erziehung des Menschengeschlechtes
" her mit der Überzeugung kommen: „Dieser
ist ein frommer Mensch gewesen", leugnet ein so ernst