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Ausgabe:

1923 Nr. 23

Spalte:

489

Autor/Hrsg.:

Erkes, Eduard

Titel/Untertitel:

Chinesische Literatur 1923

Rezensent:

Haas, Hans

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489

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 23.

490

seiner Abhandlung ist. Er warnt vor einer Überschätzung
des in den Konfessionen so überstark betonten Sünden-
gefühls bei ihm. S. 11 drückt er das so aus: Reue,
Scham über Einzelnes, was er begangen hat, spielt bei
der Bekehrung Augustins keine Rolle. Es ist das Weltleben
an sich, mit dem er in der Bekehrung bricht, und
dazu gehört die Ehe so gut wie die Unzucht. Hier ist
unbestreitbar, was jeder Satzteil für sich sagt. Und doch
wird darin die ganze Wahrheit nur finden, wer bereit
ist, eigentlich Gleiches auch für Paulus zuzugestehen.
Die vorklingenden Töne werden zu allein klingenden erhoben
: in einer komplizierten Natur, wie die Augustins
war, hat aber Viel neben einander Platz, und statt
mit dem Nicht-sondern dürften wir wohl mit einem
menschlichen Sowohl-als auch manchmal der Wahrheit
näher kommen.

Was Holl überall mit solchen uns einseitig erscheinenden Schärfen
erreichen will, liegt auf der Hand, im Gegensatz zu den einander
übrigens stark widersprechenden Modernisierungen Augustins den
echten Augustin in sein Recht wieder einsetzen. Nicht etwa nur
gegen Troeltsch und Scholz, die er am häufigsten erwähnt. Sie wollen
von Augustin nur ein Stück, an dem sie gerade Wohlgefallen finden
— ihre katholischen Widersacher halten es nicht anders! —; Holl spürt
die Einseitigkeit und verficht leidenschaftlich das Recht des großen
Mannes, als Ganzes in seiner Ganzheit gewürdigt zu werden. Dabei
hebt er zu stark heraus, daß er selber nirgends das ihn an Augustin
Wohlgefällige bevorzugt, gebraucht darum öfter als nötig wäre,
Ausdrücke des Mißfallens, und gerät durch übergroße Unparteilichkeit
in Gefahr, zu schwarz zu sehn oder doch zu malen.

Ein opus ingens bleibt dieser Grundriß eines Augustinus
in seinem Werden und Wesen doch, sogar gerade
weil es nur eine Skizze darstellt und den Leser reizt,
sich auf Retractationes und Ausbau zu freuen.
Marburg. Ad. Jülicher.

Erkes, Eduard: Chinesische Literatur. Breslau: Ferd. Hirt 1922.
(88 S. und 16 S. Abb.) 8° = Jedermanns Bücherei. Abt. Literaturgeschichte
. Qz. 3 60.
Die wenigen bereits vorhandenen auf selbständigem Quellenstudium
beruhenden Arbeiten zur chinesischen Literaturgeschichte
(Schott, Giles, Grube), denen seine eigene als neue sich anreiht, auf
S. 82 aufführend, vergißt Erkes eine solche, die schöne von W.
Grube dem Sammelbande „Die Orientalischen Literaturen" in Hinnebergs
K.d.G. gelieferte, die es doch ganz gewiß auch neben seinem
voraufgegangenen unschätzbaren großen Werke verdient rühmend genannt
zu werden. Eben ihr kommt die vorliegende flott geschriebene
Skizze an Umfang etwa gleich. Grube hat sich seinerzeit bemüht, die
Literatur so viel als möglich in ihrem Zusammenhange mit der Geschichte
und dem geistigen Entwicklungsgange der Nation darzustellen
. Mehr noch als er ist Erkes beflissen, einem größeren Leserkreise
, der von China im allgemeinen nicht viel weiß, den Zusammenhang
zwischen literarischer und allgemein kultureller Entwicklung
deutlich zu machen. Das ist ihm auch durch die ganzen 82 Seiten
seines durch keine Kapitelteilung zerrissenen Textes hin ausgezeichnet
gelungen. Spricht Grube von einem senilen Zuge, der, seit einem
Jahrtausend durch das ganze chinesische Geistesleben gehend, auch
in der Literatur zutage trete, die nach ihm schon längst den Todeskeim
in sich trägt, so ist das Urteil von Erkes dem direkt konträr: China
steht ihm wieder am Beginn einer neuen Epoche seiner literarischen
Geschichte, die nicht weniger produktiv, nicht weniger bedeutungsvoll
für die Geistesentwicklung der chinesischen Nation und schließlich
auch der gesamten Menschheit werden dürfte, als es die Zeitalter der
Tschou und Han, der T'ang und Sung gewesen sind. Ich weiß nicht,
ob sein Meister Conrady, dessen Positionen man im ganzen vom
Verf. vertreten findet, das gleich getrost zu behaupten wagte. Aber
auch der Mut zur eigenen Meinung, der Erkes auszeichnet, ist zu
schätzen.

Leipzig. H. Haas.

Stummer, Priv.-Doz. D. Dr. Friedrich: Sumerisch-akkadische
Parallelen zum Aufbau alttestamentlicher Psalmen. Paderborn
: Ferd. Schöningh 1922. (XIV, 190 S.) 8° = Studien zur
Geschichte und Kultur des Altertums, XI, 1/2. Heft. Gz. 4—.
Der schon lange erhobenen Forderung, einmal das
Verwandte und Unterschiedliche in der religiösen Psalmendichtung
der Babylonier und Hebräer exakt herauszustellen
, will St. in seiner vorliegenden Studie zunächst

einmal nach der formalen Seite des Problems hin nachkommen
. Zu diesem Zweck scheidet er sein Material in
zwei große Gruppen: Individualpsalmen und öffentliche
Liturgien. Um dann in der 1. Gruppe beide Faktoren
in ihrem Verhältnis zu einander überhaupt bestimmen
zu können, sucht er für beide einen Generalnenner. Beispiel
für den Normaltypus eines kunstgerecht gebauten
Hymnus ist ihm der samas-Hymnus VAT 5 (Schollmeyer
Nr. 9). Danach muß jeder Hymnus eigentlich bestehen
aus den 6 Teilen: Anrede, Herrlichkeitsschilderung,
Selbsteinführung des Beters, Elendschilderung bezw.
Klage, Bitte und Schlußformel. Diese Einteilung hat
als Disposition der Untersuchung natürlich Wert. Ob
sie in praxi je von Bedeutung war, wollen mir St.'s
eigene Feststellungen nicht einmal für die schematische
babyl. Hymnenpoesie recht wahrscheinlich machen. Für
die hebr. kommt er fast stets zu dem Ergebnis, daß
die Psalmisten „mit künstlerischer Freiheit" „die starre
Form gesprengt haben" (vgl. S. 18, 22, 24, 34, 36, 55,
56 usw.). Wenig haltbar scheint mit auch St.'s These
zu sein, daß sich durch Verkürzung dieses Schemas alle
übrigen Psalmengattungen gebildet hätten. Wie wenig
man mit obigem Schema überall durchkommt, dürfte
bes. aus Abschnitt 4 der Darstellung der Anrede hervorgehen
: „Umbildung der Anrede durch Gebrauch von
Bitt- und Frageformeln im Eingang der Hymnen", die
im Babyl. selten, in den Ps. dagegen häufig sind. Gerade
Ps. 13 zeigt doch, daß es sich hier um ein gänzlich
anderes „Schema" handelt, welches man wohl kaum
mehr als eine „Umbildung" verstehen kann.

Das besagt natürlich nichts über den Wert der bei
dieser Untersuchung herausgekommenen Einzelbeobachtungen
, und hier liegt wohl auch das Verdienst dieser
Studie; St. hat auf manches in glücklicher Weise aufmerksam
gemacht. Zwei Punkte, auf die er selbst am
Schluß zusammenfassend hinweist, seien auch hier herausgestellt
. Bei dem Schema „Gottesname — temporale
Bestimmung — Hauptsatz" in der Besprechung der
Herrlichkeitsschilderung ist die formale Parallele zwischen
dem samas-Hymnus V. R. 50—51, dem Hymnus an
Sin CT. XV. 17 einerseits und dem Deboralied Jud.
5, 4 f. und Ps. 68, 8—9 andrerseits so auffallend, daß
man St. mit seinem Vorschlag präsentischer Übersetzung
letzterer Stellen (wie es schon Winkler tat) wohl zustimmen
muß. (Für mich ist das übrigens ein Beweis
mehr dafür, daß auch diese Verse dem ursprl. Debora-
liede nicht angehörten). Das andere Ergebnis St.'s ist,
daß ^flD und TID IJ7 bezw. mäti, adi mäti entsprechend dem
sumerischen Äquivalent bisweilen die Bedeutung „endlich
" haben, die sich aus semit. Sprachgeist heraus nicht
erklären läßt, wohl dagegen als akkad. Übersetzung aus
dem Sumer. her verstanden werden kann.

Der 2. Teil der Arbeit, der die öffentlichen Liturgien
untersucht, behandelt zunächst die Litaneien. Mir ist
dabei die durchgängige Dreizahl der Zeilen in der hebr.
Literatur auffällig, die wohl eine bes. Erklärung fordert
(wonach man dann aber m. E. sich zu der Annahme
unvollständiger Überlieferung etwa von Ps. 118 nicht
gezwungen zu sehen braucht — zu v. 15 b. 16 dort sind
auch die angeführten babyl. Stellen, wenigstens nach
meinem Empfinden, keine ausreichende Parallele). Die
gleiche Dreizahl herrscht auch im Hebr. bei den sodann
behandelten „motivabwandelnden Gruppen". Wenn diese
Stilform sich aus dem semit. parellelismus membrorum
nicht erklären lasse, sondern nur auf sumerische Vorbilder
zurückgehen könne (auf dem Wege über das Akkad.),
so würde gerade hier die Beschränkung auf die wenigen
Zeilen (3 bezw. auch nur 2) die Semitisierung dieser
fremden Stilform trefflich aufzeigen. Ein weiterer Abschnitt
bespricht die Einführung direkter Gottesrede in
die Dichtungen. Ob Ps. 60, 8—10 und 81, 7 hierfür so
ganz einwandfrei sind, möchte ich immerhin bezweifeln.
Zuletzt wird noch über „die Verwendung älteren religiösen
Gutes in der rel. Dichtung Babels und Israels",