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Ausgabe: | 1923 |
Spalte: | 478 |
Autor/Hrsg.: | Pesch, Christian |
Titel/Untertitel: | Die selige Jungfrau Maria, die Vermittlerin aller Gnaden 1923 |
Rezensent: | Hoensbroech, Paul |
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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. '22.
478
viduellen urteilenden Subjekt zu einem „urteilenden
Bewußtsein überhaupt" als dem Endglied
in der Reihe der Subjekte fortschreiten; auch
dieses irreale urteilende Bewußtsein überhaupt anerkennt
notwendig ein von ihm unabhängiges Sollen als Gegenstand
; dies Sollen ist mithin die logische Bedingung
realer Existenz überhaupt; es ist begrifflich früher als
die immanente Realität. Vielleicht läßt sich die Geltung
des negativen Sollens (im verneinenden Urteil) auf die
Geltung des positiven Sollens irgendwie zurückführen.
Damit käme man gemäß der Tendenz der reinen Logik
auf ein übergegensätzliches Zusammengehören von Form
und Inhalt und auf einen übergegensätzlichen Wert,
aber klar ist auf alle Fälle, daß der Begriff des wahr
urteilenden Bewußtseins überhaupt das notwendige Subjektkorrelat
des immanenten realen Seins bildet (S. 297);
man wird dies als das „fraglos bejahende" Bewußtsein
überhaupt bestimmen können und so ergibt sich ein
theoretisches Ideal des Subjekts, das die Wahrheit nicht
erst sucht, sondern sie ebenso zeitlos wie fraglos besitzt
sowie ein Ideal völlig urteilsjenseitiger Zusammengehörigkeit
von Form und Inhalt im Objekt. Diese Aussagen
haben natürlich nicht metaphysisch-ontologischen
Sinn, womit sie erneut dem Zweifel ausgeliefert würden
, sondern sind als Begriffe von logischen Voraussetzungen
gemeint, die in jeder Erkenntnis des Wirklichen
stecken. Von diesem Höhepunkt des transzendentalen
Idealismus aus werden im Schlußkapitel die Verbindungslinien
zum empirischen Realismus der Ein/cl-
wissenschaften gezogen. Besonders wichtig ist der Nachweis
, daß schon das „Tatsächliche" oder „Wahrgenommene
" eine Verbindung inhaltlicher Bestimmtheit mit
kategorialer Form, also das Ergebnis eines Urteilsaktes
darstellt, ferner die sorgfältige Scheidung zwischen Ursächlichkeit
und Gesetzmäßigkeit, endlich die Trennung
der die Existenz konstituierenden Kategorien von den
methodologischen Formen der wissenschaftlichen Bearbeitung
. Auch das Problem der Freiheit wird gestreift.
Dieser bedeutende Entwurf imponiert durch seinen
Gedankenreichtum und seine innere Geschlossenheit. Insbesondre
muß der strengen Begrenzung des Gedankenganges
auf die logischen Voraussetzungen Lob gezollt
werden. Daß die Logik ohne den transzendentalen
Realismus auskommen kann, scheint mir R. in der Tat erwiesen
zu haben. Daß sie ihn aber als in sich widerspruchsvoll
erwiesen habe, ist eine verhängnisvolle und
R.'s Grundtendenz zuwiderlaufende Behauptung, weil
damit die Logik selbst zur (negativen) Ontologie werden
müßte, also die von R. perhorreszierte Grenziiber-
schreitung unvermeidlich wäre. Gewiß kann, wenn
Wirklichkeit nur eine Form ist, die ein urteilendes Bewußtsein
u. U. seinem Inhalt beilegt, ein „bewußtseinsjenseitiges
Wirkliches" nicht ohne Widerspruch gedacht
werden; aber nichts hindert, ein für ein (empirisches
) „Bewußtsein" nie direkt zugängliches, sondern
nur gedankenmäßig zu erschließendes Wesen der
Dinge anzunehmen. Der Streit würde sich dann darauf
zuspitzen müssen, ob Wirklichkeit eine bloße logische
Form ist, der im materialen Inhalt des Gegenstandes
nichts entspricht. Aber das lehnt nun R. selbst ab, da
für ihn Form und Inhalt zusammengehören, dieser die
Form verlangt. Der ganze Unterschied reduziert sich
also darauf, daß der transzentale Idealismus die Wirklichkeitsbejahung
auf ein „Sollen" zurückführt, das gewissen
psychischen Inhalten als Ausdruck des Erkenntnismaterials
anhaftet, während der transzendentale Realismus
einen Schritt weiter gehend und damit von der
Logik zur Metaphysik fortschreitend, jenes Sollen als
Ankündigung einer für jedes empirische Bewußtsein
transzendenten, eben im Sollen sich verlautbarenden Wesenheit
(die er „Wirklichkeit" nennt) versteht. Mindestens
für das religiöse Bewußtsein wird dieser Schritt
unvermeidlich, da wie R. selbst hervorhebt, sich der
Gottesglaube mit der Geltung bloß „irrealer" Werte nicht
begnügen kann (S. 388). Aber auch die Logik führt von
der Erwägung aus, daß ein bloßes irreales Sollen „keine
Macht" über das wirkliche irrationale Geschehen hat, im
Blick auf das Ziel des Erkennens zum Glauben an eine
„transzendente Wirklichkeit" oder, besser gesagt, zum
Überwirklichen (S. 393). Unter diesem Gesichtspunkt
ist es als ein Fortschritt zu begrüßen, daß R. in der vorliegenden
Auflage sich entschlossen hat, auch auf die
„irrealen" Größen den allgemeinen Begriff des Seins
anzuwenden (S. 190 f. XII).
Wer die eben besprochene Schrift und ihre methodologische
Ergänzung in des Autors „Grenzen der naturwissenschaftlichen
Begriffsbildung" kennt, wird in der
oben an zweiter Stelle genannten Schrift zwar wesentlich
Neues nicht finden. Doch habe ich bei der Lektüre der
flott und anregend geschriebenen Untersuchung den
Eindruck gehabt (den ich im Einzelnen nicht nachgeprüft
habe), daß er die Grundgedanken der großen
methodologischen Arbeit noch deutlicher und einwandfreier
hervortreten läßt als diese selbst. Insbesondre
schließt die Gedankenführung von vornherein die Annahme
aus, als könnte polemische Tendenz statt logischmethodologischer
Selbstbesinnung die Absicht des Verfassers
sein. Daß „durch die Begriffe der generalisierenden
und der individualisierenden Wissenschaften zwei
Haupttendenzen der empirisch wissenschaftlichen
Arbeit sowohl logisch als auch sachlich" (S. 154)
gut charakterisiert sind, scheint mir unzweifelhaft; ihre
Identifizierung mit den Natur- bezw. Kulturwissenschaften
kann ich allerdings nicht für richtig erachten.
Berlin. Titius.
Pesch, Christian, S. J.: Die selige Jungfrau Maria, die
Vermittlerin aller Gnaden. Eine theologische Untersuchung. Freiburg
, Br.: Herder & Co. 1Q23. (VIII, 183 S.) 8° Gz. 6—.
Wer ohne Voreingenommenheit die wenigen und nüchternen Worte
der Evangelien über die Mutter Jesu liest, der wird, ohne dem Charakter
Mariens Abbruch tun zu wollen, es schwer begreiflich finden, wie
sich auf diesem spärlichen Unterbau das Ricsengebäude der römisch-
kathol. Marienverehrung erheben konnte. Es verkörpert, wie mir
scheint, das Bestreben, die Herabsetzung, die das Weib im allgemeinen
innerhalb der kathol. Theologie erfährt, wett zu machen, durch die
alles Maß überschreitende Verherrlichung des einen Weibes, das durch
seine enge Beziehung zu Jesus jedem, auch dem geringsten Verdacht
nach irgendwelcher Seite hin, entzogen ist. Mit der gefühlsmäßigen
Ausgestaltung des Marieukultus, der sich kaum mehr vom Fetischismus
unterscheidet (wundertätige, blut- od. tränenschwitzende, sprechende
Marienbilder, Rosenkränze, weiße, blaue, braune, rote Skapuliere und
Medaillen), hat es schon längst nicht mehr sein Bewenden: Maria ist
ins Dogma erhoben und dem Bereiche der Menschlichkeit entrückt
worden: im eigenen Entstehen: „unbefleckt", d.h. ohne Erbsünde
empfangen, und im Entstehen ihres Sohnes: Zeugung ohne Mann, nur
durch den „hl. Geist". Jetzt wird ein Schritt, und zwar ein gewaltiger,
weiter gemacht. Einer der führenden Theologen des Jesuitenordens
veröffentlicht vorliegendes Buch, zum Zwecke: der „unfehlbare"
Papst möge es als „Glaubenssatz" erklären, „es sei eine von
Gott geoffenbarte Wahrheit, daß Maria die Vermittlerin aller
Gnaden ist, die den Menschen geschenkt werden". (Vorrede, geschrieben
am 26. Januar 16231). Also alle und jede „Gnade", die irgend ein
Mensch jemals von Gott erhält, erhält er durch Maria. Damit ist
Christus tatsächlich ausgeschaltet. Es besteht ernsthaft die
Möglichkeit, daß das auf 1925 angekündigte Konzil diese marianischc
Ungeheuerlichkeit zum Dogma erheben wird, das jeder Katholik, bei
Vermeidung der Höllenstrafen, glauben muß. Irgendwelchen wissenschaftlich
-theologischen Wert hat die Schrift nicht. Denn die Aneinanderreihung
überspannter Aussprüche von „Heiligen" hat nichts
mit Wissenschaft zu tun. Und was Verfasser aus Eigenem hinzutut,
ist übelste scholastische Rabulistik oder rabulistische Scholastik. (Es
gibt nämlich auch gute Scholastik). Sehr beachtenswert ist die
Schrift aber als Zeichen für die Richtung, in welche die römische
Theologie durch den wieder zu entscheidender Macht gelangten
Jesuitenorden geleitet wird. Die Schrift trägt die Druckerlaubnis der
Ordenszensur (Köln 10. Oktober 1922, Bernh. Bley, Provinzial der
niederdeutschen Ordensprovinz) und des Erzbischofs von Freiburg i B.
(24. Jan. 1923).
Berlin-Lichterfelde. Graf Hoensbroechf-