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Ausgabe:

1923 Nr. 22

Spalte:

473-475

Autor/Hrsg.:

Fischer, Albert

Titel/Untertitel:

Das deutsche evangelische Kirchenlied des siebzehnten Jahrhunderts. Nach dessen Tode vollendet u. hrsg. v. W. Tümpel. 1. - 6. Band 1923

Rezensent:

Cohrs, Ferdinand

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 22.

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hier dafür ein, daß die jungen Ordensgeistlichen auch
die weltliche Wissenschaft kennen lernen und auf einer
öffentlichen Universität studieren müßten) schlägt die
Herausgeberin zu viel Kapital. Solche Titelepigramme
sind konventionell, und ebenso gewöhnlich ist die Nichterwähnung
von Widmungsvorreden im Titel von Sammeldrucken
. Die Überschrift zu dem Gedichte des Spera-
tus S. 73: ,Blandius Paulus Speratus Elephangius, Salc-
purgi concionator et doctor, in Joannis Eckii theologi
landein' deutet G. Bossert, Blätter für württembergische
Kirchengesch. 1,38 unter Ergänzung von ,cantat': Noch
schmeichelhafter (als das vorhergehende Gedicht des
Joh. Aventin) klingt das des P. Sp. ans Ellwangen. Vgl.
aber auch Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte
N. F. 30, 195.
Zwickau i.S. O. C lernen.

Fischer, weil. Oberpfarrer und Superint. a. D. D. Albert, f: Das
deutsche evangelische Kirchenlied des siebzehnten Jahrhunderts
. Nach dessen Tode vollendet und herausgegeben von
Pfr. W. Tümpel. Gütersloh: C. Bertelsmann. 1. Bd. 1904 (VIII,
517 S.). 2. Bd. '05 (VII, 528 S.). 3. Bd. '06 (IV, 507 S.).
4. Bd. '08 (VI, 550 S.). 5. Bd. *11 (IV, 588 S.). 6. Bd. '10 (VIII,
278 S.).

In Nr. 7 des 29. Jahrgangs (S. 211 f.) und Nr. 1
des 31. Jahrgangs dieser Zeitschrift (S. 25 ff.) ist über
den 1. Teil dieses Werkes berichtet; jedoch nach der Erscheinungsweise
in Heften, weshalb trotz der schon geschehenen
Besprechung vorstehend doch alle Bände des
Werkes noch einmal aufgeführt sind. Es teilt seinen
Stoff nach den Zeiten des Bekenntnisliedes (1570—1648)
und des Erbauungsliedes. Die Zeit des Bekenntnisliedes
mit Joh. Heermann im Mittelpunkt ist an den genannten
Stellen besprochen. Jetzt liegt das Werk vollständig vor;
unter seltsamen Schicksalen ist es vollendet; D. Albert
Fischer, der einst den Stoff schon fast vollständig gesammelt
und zum Abschluß vorbereitet hatte, starb, gerade
als dieser Abschluß und die Drucklegung erfolgen
sollten; an seine Stelle trat D. W. Tümpel; er hat das
Werk zu Ende geführt, aber gerade bevor der letzte
Bogen die Presse verlassen sollte, starb auch er am
III. Adv. 1915, unter den Klängen des Liedes: „Gott sei
Dank durch alle Welt", während des Gottesdienstes in
der Sakristei vom Schlage getroffen: sein Bruder hat
dann das Ende der Drucklegung geleitet. Der erste Teil
des Werkes ist durch das Jahr 1618 in zwei Unterteile
geschieden; die Dichter des 30jährigen Krieges bilden
also eine Abteilung für sich. So wird auch für die Zeit
des Erbauungsliedes eine Unterteilung angekündigt;
die Überschrift, bevor der Chorführer Paul Gerhardt den
2. Teil eröffnet, lautet (Bd. III, S. 295): „Die Periode
des Erbauungsliedes eine Unterteilung angekündigt;
bis 1680." Es folgen dann die weiteren Unterteile:
I. Der Gerhardtsche Dichterkreis, a. die Berliner Dichter
(III, 294 ff.), b. die sächsischen Dichter (IV, 1 ff.), c. die
thüringischen Dichter (IV, 198 ff.), d. die norddeutschen
Dichter (IV, 406 ff.). II. Der Nürnberger Dichterkreis,
a. der Pegnesische Blumenorden (V, 1 ff.), b. Dichter
außerhalb des Ordens (V, 164 ff.). HL Der jüngere
schlesische Dichterkreis, a. die Dichter in Schlesien
(V, 369ff.), b. sonstige Dichter (V, 458 ff.); ein Anhang
(reformierte Dichter und Sektierer) macht den Schluß.
Wo bleibt aber „B", die auch in der Inhaltsangabe des
V. Bandes (S. III) noch wieder angekündigte Zeit von
1680—1750? das Rätsel wird nicht gelöst. Ist W.Tümpel
von seinem Plan, der ursprünglich bestanden hat, bis
1750 hinaufzugehn, später abgekommen? dann wäre es
doch gut gewesen, darüber etwas zu sagen und die
Überschriften, wo es noch anging, zu ändern oder berichtigen
zu lassen. Daß die Zeit von 1680 an nun
einer Sammlung der Kirchenlieder des 18. Jahrhunderts,
die allerdings vorläufig ein sehr frommer Wunsch bleiben
muß, vorbehalten bleibt, ist vielleicht eben so richtig
; es ist die Zeit, da sich schon das pietistische Lied
vorbereitet. Überhaupt hat es von Anfang an wohl manchen
befremdet, daß das Kirchenlied des 17. Jahrhunderts
glatt bis 1750 reichen sollte, und mindestens
wünschte man die Grenze für Ausklänge enger gezogen
zu sehen — höchstens etwa bis 1710—20; aber nicht
minder befremdet ist der, der nun nach der Ausgangszeit
sucht und sie nicht findet.

Einige Dichter dieser Übergangszeit hätte man nun aber auch
bei dieser irgendwie eingetretenen Beschränkung vielleicht noch berücksichtigen
können. So fällt Joh. Jak. Schütz (geb. 1640, gest. 1690)
doch noch in die behandelte Zeit; das Lied, das seinen Namen vor
allem lebendig hält: „Sei Lob und Ehr dem höchsten Out", ist 1675
in seinem „Christlichen Gedenkbüchlein" erschienen. Ebenso hätte
der Sänger von „Alle Menschen müssen sterben", mag es nun Joh.
Rosenmüller (gest. 1686) oder J. G. Albinus (gest. 1679) sein,
Berücksichtigung verdient; das Lied ist zuerst 1671 gedruckt. Auch
V. L. von Seckendorf (geb. 1626, gest. 1692), dessen Bedeutung ja freilich
auf anderem Gebiete liegt, dessen Lied: „Liebster Vater, soll es
sein" aber doch in manchen Gesangbüchern Aufnahme gefunden hat,
vermißt man unter den Dichtern des 17. Jahrhunderts. Vor allem
aber sucht man vergeblich Joachim Neandcr, geb. 1650, gest. 1680;
seine Lieder, „Lobe den Herrn, den mächtigen König.." und „Wunderbarer
König.." sind beide 1680 zuerst gedruckt. Was ich schon
in meiner ersten Anzeige als störend vermerkt habe, macht sich am
Ende des Werkes besonders geltend, daß die Lieder der Reformierten
abgetrennt stehen; infolge dieses Teilungsprinzips sind die Lieder
der Luise Henriette, darunter „Jesus, meine Zuversicht" nun in einen
Anhang verbannt. Mit ähnlichem Rechte hätte man die Lieder von
Konvertiten, von Anton Ulrich und von Angelus Silesius, auch in
eine Nebenabteilung bringen können. Auch Ph. Wackernagel, obwohl
ein ausgesprochener Gegner jeder Union, hat sich gegen die Abtrennung
reformierter Liederdichter ausdrücklich ausgesprochen, weil
dabei „viel Irrtümer und viel Versuchungen nahe lägen, Unrecht zu
tun" (Kirchenlied III, 491). Der Streit über die Verfasserschaft von
„Jesus meine Zuversicht" ist nur anmerkungsweise erwähnt; die edle
Fürstin ist also als Verfasserin anerkannt; ebenso steht „Wer weiß,
wie nahe mir mein Ende" unter dem Namen der Amilie Juliane, und
auch hier deutet nur eine Anmerkung die gehegten Zweifel an.
Übrigens wird man wohl kein gesungenes Lied und keinen in den
Gesangbüchern vertretenen Dichter vermissen. Von Joh. Heermanns
Liedern (I, 254—33S) fehlt, so weit ich habe sehen können, keins
der irgendwie zu Bedeutung gelangten; von Joh. Scheffler (V, 369
bis 411) fehlen allerdings etwa 140 Lieder, doch rechtfertigt sich
das aus der Eigenart seiner Poesie, die mit 60 Liedern genügend
vertreten ist; die Lieder, die die evangelische Gemeinde sich zu
eigen gemacht hat: allen voran „Ich will dich lieben, meine Stärke..",
„Liebe, die du mich zum Bilde..", sind selbstversändlich darunter
und noch genug andere, um in seine Weise sich einzulesen und zu
leben. Von Paul Gerhardt fehlen nach Vergleichung mit Wackernagels
Ausgabe nur drei Lieder.

So gebührt den Herausgebern, die an dem Werke
tätig gewesen sind, für das Gebotene, für die langjährige
mühsame Arbeit, für den treuen Sammeleifer herzlicher
Dank. Die getroffene Auswahl ist jedenfalls geeignet
und hinreichend, von der frommen Liederdichtung, namentlich
auch während der schweren Zeit des 30jährigen
Krieges — und nicht nur bei den namhaften Vertretern,
sondern auch bei den Sängern, die im Chor mitsingen
— einen lebendigen Eindruck zu erwecken. Möchte für
die seltsame Zeit des 18. Jahrhunderts, für die überfließende
Frömmigkeit des Pietismus und für die viel
geschmähte Zeit des Gott wohlgefälligen Wandels, wenn
die Zeiten erst wieder besser sind, der evangelisch-deutschen
Gemeinde noch einmal ein ähnliches Sammelwerk
beschieden sein! Wir werden es ja nicht mehr erleben.—
Der VI. Bd. bietet die Register: zuerst eine sorgfälige Bibliographie
aller „in den fünf Bänden des Werks zur Mitteilung von Liedertexten,
Lesarten, u. dgl. benutzten Druckschriften aus dem 16.—18. Jahrhundert
; dann alphabetische Verzeichnisse der Liederdichter und der
Lieder, endlich ein Glossar. Letzteres neben dem Herausgeher W.
Trümpcl von dem Germanisten Dr. A. Martius bearbeitet, kann bis
zu einem gewissen Grade auch als Konkordanz dienen. Der Bibliographie
hätte man gerne eine Einleitung voraufgeschickt gesehen, die
nach der Weise der Einführungen von Ph. Wackernagel in die einzelnen
Bde. seines „Deutschen Kirchenliedes" auf die wichtigsten
Quellenwerke aufmerksam gemacht hätte; es wäre das eine Gesang-
buchkundc und zugleich eine kirchliche Literaturgeschichte des 17
Jahrhunderts geworden: die „Threnodiae" des Christ. Demantius