Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1923 Nr. 21 |
Spalte: | 447 |
Autor/Hrsg.: | Eckardt, Hans von (Hrsg.) |
Titel/Untertitel: | Friedrich von Gentz’ Staatsschriften und Briefe. Auswahl in zwei Bänden 1923 |
Rezensent: | Mulert, Hermann |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
447
Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 21.
448
Friedrich von Gentz' Staatsschriften und Briefe. Auswahl in
zwei Bänden. Hrsgeg. v. Hans von Eckardt. Mit je 8 Ab-
bildgn. u. mit 2 Faksimile-Beigaben im 2. Band. Erster Band:
Friedrich von Gentz in der Zeit deutscher Not. 1799—1813. Zweiter
Band: Friedrich von Gentz und die deutsche Freiheit. 1815—1S32.
München: Drei Masken Verlag 1921. (LV, 362 S. u. XXXIX,
334 S.) 8° Gz. 20—; geb. 25—.
Gentz ist in letzter Zeit namentlich infolge Wittichens reichhaltiger
Ausgabe von Briefen von und an G. (1909—1913) wieder lebhafter
studiert worden. Wir können den Mann unbefangener würdigeil,
der vor hundert Jahren als einer der wenigen beredten politischen
Schriftsteller, die Deutschland damals hatte, und als der Protokollführer
des Wiener Kongresses und ähnlicher Tagungen sehr angesehen, bald
aber als Helfer Metternichs und Wortführer der Reaktion auch sehr
verhaßt war. Daß er, ein Kind des Staates Friedrichs des Großen
und in Deutschland zuerst bekannt als Übersetzer der Schrift Burkes
über die französische Revolution, mehr und mehr zum Anwalt der
Autoritäten wurde, könnte folgerichtig gewesen sein; wie er um 1790
nicht wirklich revolutionär gewesen war, so braucht er ein Menschenalter
später nicht blind reaktionär gewesen zu sein. Aber so gewiß er
mit starkem Ernst reden und schreiben konnte (z. B. als er mit Joh.
v. Müller brach, weil dieser Preußens Sache preisgab und in den Dienst
Napoleons trat), es wird doch durch die Lüderlichkeit seiner Lebensführung
das Gewicht seiner Oberzeugungen vermindert. Nur mit Bedauern
kann man ein großes Talent wie G. so von allem Glauben an
den Geist verlassen sehen, wie in seiner Verteidigung der Karlsbader
Beschlüsse. Der Herausgeber ist nicht blind gegen G.'s Schwächen.
An einer Stelle, wo er G. immerhin recht gibt, kann ich es nicht,
nämlich darin, daß es für das europäische Gleichgewicht besser
gewesen wäre, Elsaß-Lothringen bei Frankreich zu lassen (II, 315).
Äußerungen über religiöse Fragen finden sich wenig
; Q., der Protestant war und nicht wie sein Freund
Adam Müller katholisch wurde, hat doch der Reformation
früh sehr kühl gegenübergestanden (1,45). In
der Zeit der Erweckung, 1819, schreibt er an Metternich:
„Sehr merkwürdig ist unstreitig der Übergang vieler, besonders
junger Leute vom politischen Fanatismus zum
religösen Mystizismus. Ich halte dies für einen Gewinn."
Freilich nur insofern, als eine Verrücktheit durch eine
andere minder gefährliche ersetzt werde: „Der Hang zu
mystischen Spekulationen, der sich so vieler junger Gemüter
bemächtigt hat, ist mit jeder wissenschaftlichen
und moralischen Disziplin im Widerspruche" (II, 154,
185).
Das Buch ist mit guten Bildern ausgestattet (außer denen G.'s
solche von A. Müller, Talleyrand, Metternich, Kotzebue, Sand u.a.).
Einiges aus G.'s Feder liest man heute noch mit Gewinn; bei andern
Stücken fragt man sich allerdings, ob sie nicht vielmehr als abschreckendes
Beispiel wirken werden, z.B. wenn er (II, 187) fragt,
„nach welchen Grundsätzen... ein mit unbeschränkter Macht bekleideter
... Ausschuß einsichtsvoller Männer verfahren müßte, um den
Verirrungen des Geistes ein Ziel zu setzen und die echten und guten
Lehren unter den Völkern überhaupt und besonders unter der studierenden
Jugend wieder zu ausschließendem Ansehen zu bringen." I S. XI
ist „Vornamen" Druckfehler; I, 309 st. Arnsfeldt 1. Arndt; 358 Briefe
an Böttiger enthält das Buch nicht; II, 19 Mitte st. jedem 1. jenem;
160 st. Knape 1. Knapp. Bei Neudruck wäre ein Register erwünscht.
Kiel. H. Mulert.
Schwer, Prof. Dr. Wilhelm: Papst Leo XIII. Mit einem Titelbild
. Freiburg i.Br.: Herder 8: Co. 1923. (III, 64 S.) 8° = Klassiker
Katholischer Sozialphilosophie I. Gz. 2.2.
Da Pius IX. und der X. wesentlich mit Bekämpfung
des modernen Zeitgeists und mit kirchlichen Reformen
beschäftigt waren, Benedikt XV. mit dem Weltkrieg,
wird Leo XIII. als der soziale Papst im Gedächtnis der
Katholiken fortleben. Einschlägige Äußerungen von ihm
liegen nicht erst in seinen Enzykliken vor, von denen die
rerum novarum (1891) die bekannteste ist, sondern schon
in den Hirtenbriefen des Erzbischofs Pecci von Perugia.
Und wenn der neuere Katholizismus überhaupt stark
sozial interessiert ist — man denke an Lamennais, Ketteier
, Manning —, so mag Leo um seiner vielbeachteten,
vorsichtigen und doch charakteristischen sozialen Kundgebungen
willen in der Tat als ein Klassiker katholischer
Sozialphilosophie gelten. Gewiß band er sich eng an
die Tradition, namentlich an Thomas; auch kannte er
die sozialen Probleme nicht so wie etwa Manning, von
dem er beeinflußt zu sein scheint. Er hat, zunächst
wenigstens, Sozialismus, Kommunismus, Anarchismus in
einer Linie gesehen, aber dann fleißig gelernt. Dem Sozialismus
gegenüber betont er die Rechte des Individuums
stärker, als mancher heutige katholische Sozialpolitiker
, dem die Gemeinschaft wichtiger ist. Immerhin
war er für stärkeres Eingreifen des Staates, als manche
ältere katholische Sozialtheoretiker namentlich in Frankreich
es wollten. Durch persönliches Eingreifen soll er
verhindert haben, daß die Indexkongregation Henry
Georges Schriften verbot. Beachtenswert bleibt, daß
Schwer, der im übrigen nicht ohne Kritik schreibt, kein
Wort des Papstes zur Frauenfrage mitzuteilen weiß.
S. 50 st. 1848 1. 1847.
Kiel. H. Mulert.
Koeniger, Prof. Dr. A. M.: Ein Inquisitionsprozeß in Sachen
der täglichen Kommunion. Bonn: Kurt Schroeder 1923. (58 S.) 8f
Gz. 0.5.
Die Schrift zeigt, daß auch Päpste in wichtigsten Fragen schroff
entgegengesetzter Meinung sein können. Sixtus IV. am Ende des
15. Jahrh. verbietet die tägliche L a i e n - Kom m u n io n und
tadelt schwer ihre Befürworter; Pius X, am Anfang des 20. Jahrh.
befördert sie und lobt ihre Befürworter. Wenn in der kathol.
Dogmatik der Spruch gilt — und er gilt! —: lex orandi lex cre-
dendi, so gilt auch der Spruch lex „sacramentandi" (man verzeihe
die Wortbildung) lex credendi. Es handelt sich also beim päpstl.
Widerstreit um eine hochwichtige religiöse, das Glaubensgebiet berührende
Frage. Wer von den päpstlichen Widersachern hat nun
Recht? Interessant ist, daß einer der Verfasser des greulichen
„Hexenhammers", der Dominikaner Heinrich Institoris, den
Inquisitionsprozeß gegen den Augsburger Domherrn Johann Molitoris,
den Beförderer der täglichen Laienkommunion, führte; ein Mann,
der nicht nur blutgieriger Hexenverfolger war, und blödesten, unflätigen
Teufelsglauben verbreitete, sondern auch eigenartige „Geldgeschäfte
" machte, indem er „als päpstl. Kollektor Geld und Pretiosen
unterschlug, und sie bei einer ehrsamen Witwe in Augsburg
Reponierte' (36)".
Berlin-Lichterfelde. Graf Hoensbroechf-
Sutter, Pfarrer P.: Satans Macht und Wirken in zwei besessenen
Kindern. Nach authentischen Dokumenten bearbeitet.
Mit bischöflicher (Sfraßburg i. E.) Druckerlaubnis: 14. Januar 1921.
Kehl a. Rh.: Wilh. Eckmann.
Die Schrift ist ein Beweis dafür, daß auch heute
noch krassester Aberglaube, der in nichts dem Inhalte
des schändlichen „Hexenhammers" und ähnlicher Ausgeburten
„religiösen" Wahnsinns nachsteht, in der römischen
Kirche sein Unwesen treibt und zwar mit oberster
kirchl. Genehmigung. An der Austreibung der drei
Teufel, die sich selbst Orobas, Yper und Solalethiel
nennen, aus zwei Brüdern, Theobald und Josef Burner,
Knaben von 19 u. 17 Jahren zu Illfurt i. El., beteiligten
sich der Ortspfarrer Brey, der Bürgermeister Tresch, der
damalige Zentrumsabgeordnete des deutschen Reichstags
Spies, die Priester Martinot, Lachemann, der spätere Bischof
von Straßburg, Stumpf, die Pfarrer von Ensisheim
u. Mülhausen i. E„ später auch noch Abbe Schwantzer,
Generalvikar Freyburger und der Jesuit Souquat; alle
mit Genehmigung und auf Befehl des Bischofs
von Straßburg. Amtl. kirchl. Exorzismen,
Beschwörungen im Namen Gottes und Christi blieben
wirkungslos; erst als den Teufeln im Namen Mariens
befohlen wird, auszufahren, weichen sie „mit großem
Gestank und unter furchtbarem Getöse". Als Erinnerung
an die „Teufelsaustreibung" ist in Illfurt ein 10 Meter
hohes Denkmal „zu Ehren der Unbefleckten
Empfängniß" errichtet worden. Hervorzuheben ist,
daß die Berliner „Oermani a", das Hauptorgan der
Zentrumspartei, die Schrift sehr anpreist (6. und 30. August
1922): „Das Buch gehört unbedingt in die Hand der
Eltern, Geistlichen, Lehrer und Erzieher, da die Aussagen
Satans von solcher Wichtigkeit und Bedeutung
für die Belehrung der Jugend sind, daß der Religionsunterricht
durch die Benützung des Buches außerordentlich
an Interesse gewinnt". Welch eine „Welt", welche
Vorstellungen, welche „Religion" umgeben nicht unsere
Welt, unsere Vorstellungen, unsere Religion und ragen in