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Ausgabe:

1923 Nr. 20

Spalte:

422

Autor/Hrsg.:

Ruysbroeck, Jan van

Titel/Untertitel:

Die Zierde der geistlichen Hochzeit 1923

Rezensent:

Clemen, Otto

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 20.

422

daß das intuitive Verständnis der Geschichte die Idee
gegeben hat. Das Verständnis ist gewonnen durch die
eiuuringendste Kleinarbeit an den Quellen und durch die
Fähigkeit, das Wichtige zu erfassen und die großen
Zusammenhänge bloßzulegen. Er suchte, wie es Lagarde
einmal ausgedrückt hat, der „Geschichte Nerven-Blut-
Seelen-Geistesleben" zu verstehen. Und so hängen denn
auch alle seine Ausführungen zusammen mit dem, was
ihm als ursprünglicher Kirchenbegriff aus den Quellen
aufgegangen ist. Er kommt hier wesentlich überein
mit Luther, oder besser mit der Grundidee der Luther-
schen Reformation, die dadurch über den urchristlichen
Kirchenbegriff hinausgegangen ist, daß sie zu der Erkenntnis
gelangte, die Kirche sei ihrem Wesen nach unsichtbar
. Und wie Luther antikatholisch, so war auch
das Urchristentum nicht katholisch. Allerdings hat der
Katholizismus an das Urchristentum angeknüpft; das
Urchristentum wurde katholisch, als das Sakrament geschaffen
wurde; es blieb der Gedanke, daß die Kirche
das Volk Gottes sei und Gott in ihr handele. Das wurde
anders, als am Ende des 12. Jhs. mit dem römischen
Recht der Körperschaftsgedanke in den Kirchenbegriff
einzog und sich zwischen Gott und die Christenheit die
Kirche als Körperschaft schob, damit die wirkliche Verweltlichung
der Kirche und die Loslösung von der Vergangenheit
eintraten und die entscheidende Wandlung
in der katholischen Kirche vollzogen wurde. So scheidet
Sohm altkatholisch (2. bis 12. Jh.) und neukatholisch.
Die entscheidende Wandlung hat bisher nicht bemerkt
werden können, weil im Neukatholizismus (in der Papst-
kirche) das Bestreben vorhanden ist, nachzuweisen, daß
das, was heute gelte, zu allen Zeiten gegolten habe. Sie!
wird deutlich an dem veränderten Sakramentsbegriff;
denn erst jetzt erhalten Augustinische Gedanken, die
bisher nur in Hinsicht auf die Taufe Geltung gehabt
hatten, für alle Sakramente offizielle Geltung. Erst jetzt
wird das Kirchenrecht römisches Kirchenrecht, dadurch
verliert es aber seinen göttlichen Charakter und wird
weltliches Recht. Es wird also das, was wir frühes
Mittelalter nennen, auf das Engste zusammengeschlossen
mit dem christlichen Altertum; es wird auch gezeigt, wie
wenig sich von einer Romanisierung bis dahin und von
einer Germanisierung reden lasse; alles, was dafür angeführt
werde, berühre nur die Außenseite, nicht den
Kern.

Sohm hat von seiner Darstellung des Kirchenrechts j
(3. Kapitel: Die Wandlungen des Kirchenrechts) nur
einen Teil des ersten Abschnittes über das geistliche
Kirchenrecht des Katholizismus behandeln können, näm- |
lieh das Altkatholische Kirchenrecht mit seinen Voraussetzungen
, den urchristlichen Grundlagen, denen er ja
wie bekannt besonders anregende Untersuchungen gewidmet
hat. Zur Ergänzung dient sein großer Beitrag
in der Festschrift für Wach 1915 (München und Leipzig,
1918): Das altkatholische Kirchenrecht und das Dekret
Gratians, und auch der zweite durch ein inhaltreiches
Vorwort vermehrte Abdruck aus den Abhandlungen der
philosophisch-historischen Klasse der Kgl. Sächs. Gesellschaft
der Wissenschaften Bd. 27, Nr. 10, 1909: Wesen
und Ursprung des Katholizismus (Leipzig und Berlin
19i2). Manche Andeutungen lassen erkennen, wie er
sich den Fortgang seiner Darstellung gedacht hat. Es
ist lebhaft zu bedauern, daß sie nicht vollendet worden
ist. Lebten wir in ruhigeren Zeiten, so würde ich meinen,
daß unter allen Umständen versucht werden müßte, für
das Fehlende einen Ersatz aus seinen Vorlesungen über
Kirchenrecht zu schaffen, wenn das möglich ist. Denn
es dürfte von der mächtig eindringenden, originellen Gedankenarbeit
dieses Forschers nichts verloren gehen.
Er würde uns noch manches Licht aufzustecken gehabt
haben, wie er denn auch am Schluß des vorliegenden
Bandes es ausspricht: So unbekannt ist das Wesen der
altkatholischen Kirche. Ungefähr geradeso unbekannt
wie das Wesen der urchristlichen Ekklesia.

Wenn dies richtig ist — und Sohms Äußerungen
haben überzeugende Beweiskraft, — so bekenne ich vor
einem Rätsel zu stehen. Ich kann mir wohl vorstellen,
daß nicht überall mit der nötigen Sicherheit erkannt worden
ist, daß aus dem Christentum in seiner Wendung
zum Katholizismus eine Religion neben, nicht über den
anderen Religionen, daß aus der Reformation in ihrer
Wendung zum Luthertum und Calvinismus Konfessionen
neben anderen Konfessionen geworden sind, aber sowohl
die Kirchengeschichts- wie die Kirchenrechtsgeschichtsschreibung
sollte das Wichtigste, was es in ihren Gebieten
gibt, bisher nicht erkannt haben? Wie dem auch
sei, Sohms Thesen fordern zu eingehender Prüfung auf;
sie verlangen aber auch erneute Durchforschung der Geschichte
, und es ist dringend zu wünschen, daß auch
evangelische Theologen sich dem dankbaren Studium
der Kirchenrechtsgeschichte zuwenden. Denn wir haben
allen Anlaß, die — selbstverständlich durchaus richtigen
— Sätze begründen zu können, mit denen Sohm S. 151
die Bedeutung der Reformation für das Recht darlegt:
„Eine größere Umwälzung des gesamten Rechtswesens
ist nie wieder dagewesen. Die Welt war von
geistlicher Zwangsgewalt befreit. Die Selbständigkeit
des weltlichen Rechts, die Souveränität der weltlichen
Obrigkeit, die Zuständigkeit aller öffentlichen
Gewaltan den Staat, alle diese Gedanken, in denen
das neuzeitliche Staatswesen wurzelt, sind durch die
lutherische Reformation religiös gerechtfertigt
und nur dadurch zu voller Wirkungskraft befähigt worden
. Die Reformation Luthers war eine Erneuerung
nicht bloß des Glaubens, sondern der W e 11."

Kiel. Q. F ick er.

Ruysbroeck, Jan van: Die Zierde der geistlichen Hochzeit.

Aus dem Fläm. von Willibrord Verkade. (1.—5. Tsd.) Wiesbaden:

H. Rauch 1923. (VIII, 199 S.) kl. 8°.

Treuherzig berichtet der Beuroner Benediktiner, wie
ihm zuerst 1891 das Hauptwerk Ruysbroecks in der französischen
Übersetzung Maeterlincks in die Hände fiel,
wie er dann 1917 in seiner Heimat den 1. Bd. der hol-
länd. Ausgabe von M. Moller zu Gesicht bekam und,
in sein Beuroner Kloster zurückgekehrt, danach „Die
Zierde der geistlichen Hochzeit" zu übersetzen begann,
wie er weiterhin die Übersetzung dreier Schriften R.'s von
Franz A. Lambert (v. J., 1903) und die Übersetzung in
der 1701 von Gottfried Arnold veranstalteten Ausgabe,
die im Inselverlag erschienene Übersetzung der „Zierde"
von Frdr. Markus Huebner, die Gesamtausgabe der
Werke R.'s im Urtext von der Maotschappij der Vtaen-
sche Bibliophilen, die holländische Übersetzung von
Franz Erens kennen lernte und wie seine eigene Übersetzung
allmählich unter Benutzung dieser Vorarbeiten
heranreifte. Man vermißt in dieser Entstehungsgeschichte
natürlich die rechte wissenschaftliche Methode (sonst
hätte V. gleich von der Ausgabe der Maotschappij ausgehen
müssen), aber was er In dieser Beziehung vielleicht
gefehlt hat, das ersetzt er durch Kongenialität und
Gleichgestimmtheit, durch liebe- und ruhmvolle Versenkung
und durch Vertrautheit mit der katholischen
Dogmatik und der Sprache der Mystiker, und so ist doch
eine klare und anmutende Übersetzung zustandegekommen
. Mit Recht urteilt V., daß die — übrigens ja glänzende
— französische Übersetzung von Maeterlinck' und
die in der französischen Gesamtausgabe der Benediktiner
von Wisques-Oosterhout, die er bei der Korrektur noch
berücksichtigen konnte, „die Wärme und Innigkeit R.'s
etwas vermissen" lassen. Das „dietsch" R.'s läßt sich
etwa nur deutsch wiedergeben. — Zu S. 3: Die lateinische
Übersetzung des Lorenz Surius, der 1522 nicht
gestorben, sondern geboren ist, ist durchaus nicht „vorzüglich
", sondern oft unrichtig.
Zwickau LS: O. Giemen.