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Ausgabe:

1923 Nr. 20

Spalte:

420

Autor/Hrsg.:

Grupe, Eduard

Titel/Untertitel:

Kaiser Justinian. Aus seinem Leben und seiner Zeit 1923

Rezensent:

Ficker, Gerhard

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Seite 1

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419

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 20.

420

Soppa, Wilhelm: Die diversa capita unter den Schriften des
hl Maximus Confessor in deutscher Bearbeitung u. quellenkrit.
Beleuchtung. (Diss. Breslau). Dresden 1922. (132 S.) gr. 8°

Der Verfasser führt den überzeugenden Nachweis,
daß die KeydXaia ö-eoloyixcl, die unter den Werken des
Maximus Confessor gedruckt sind, nicht diesem, sondern
vermutlich dem Antonius Melissa (sanc. XI) auf Rechnung
zu setzen sind. Der Beweis fußt in erster Linie auf
der Tatsache, daß ein großer Teil der Capita mit den
zu den Quaestiones ad Thalassium gehörigen Scholien
übereinstimmen. Da diese Scholien nachweislich erst
gegen Ende des ll.Jahrh. entstanden sind, so müssen
die Capita noch später zusammengestellt sein, und ihre
große Ähnlichkeit mit der Melissa des Antonius berechtigt
zu dem Schluß, in ihm, dessen Name ohnehin in der
Überlieferung öfter den des Maximus verdrängt hat, den
Kompilator zu sehen. Den Hauptteil von Soppas umfänglicher
Arbeit bildet aber nicht diese löbliche Untersuchung
, sondern eine Übersetzung der 500 Capita,
durchsetzt mit kurzen Inhaltsangaben derjenigen Teile
der Quaestiones mit ihren Scholien, der Scholien des
Maximus zum Areopagiten und der Ambigua, die inhaltlich
mit den Capita übereinstimmen. Über die Notwendigkeit
dieser Übersetzung im Zeitalter der Drucknot läßt
sich um so mehr streiten, als man für wissenschaftliche
Zwecke des Urtextes doch nicht entraten kann. Für den
vom Verf. verfolgten Zweck hätte es genügt, wenn er zur
Erhärtung seiner Thesen einzelne Beispiele angeführt
und im übrigen das Verhältnis der Capita zu ihren
Quellen einfach registriert hätte. Übrigens mag auch
hier noch notiert werden, daß die ersten 49 Capita keine
Parallelen in den Werken des Maximus haben.
Gießen. O- Krüger.

B1 aken ey, E.H., M. A.: The Tome of Pope Leo the Great. Latin Text
with translation, introduction, and notes. London: S. P.C.K. 1923.
(46 S.) kl. 8° = Texts for Students. Nr. 29. 1 sh.

Wegen einer Zeile auf der letzten Seite, die mir
eine freudige Überraschung gebracht hat, verdient dies
Büchlein den Dank der Kirchenhistoriker, mindestens
aller Patristiker. Sonst gibt es nur einen Abdruck des
weit verbreiteten und bequem zugänglichen Textes von
Leos I. „Tomus" aus dem Jahre 449, mit englischer
Übersetzung, knapper Einleitung und einigen erklärenden
Anmerkungen. Die letzteren befremden nicht mehr, nachdem
man am Schluß der Introductory Note auf S. XII
die Liste der 4 öcumenischen Synoden mit Jahreszahlen
gelesen hat; wer überhaupt lateinische Texte versteht,
bedarf bei einem so einfachen und klaren, wie Leos
Brief, keiner Übersetzung, und die Treue im Abdruck des
Textes treibt der Herausgeber so weit, daß er veraltete
Wortformen wie caussa stehen läßt und uns mit einer
geradezu störenden Interpunktion quält. Nicht einmal
was er als Interpolatum anerkennt, die Worte Tituli s.
Clementis S. 42 streicht er; daß er überhaupt Varianten
notiert, haben wir dem Umstand zu verdanken, daß
ihm C.H. Turr zu einem codex Monacensis lat. 14540
saec. VIII) den Zugang verschafft hat, der eine Rezension
der Leo-Briefe von c. 550 zu repräsentieren scheine.-
Die Lesarten dieser bisher nicht verwerteten Handschrift
von Leos ep. 28 teilt Bl. an Stelle eines kritischen
Apparats mit; eine Bedeutung mißt er ihnen nicht weiter
bei. Aber S. 46 liefert er das Fragment eines anderen
Briefes, das im Monac. unmittelbar hinter dem „Tomus"
steht, mit der Überschrift: Leo episc Juvenali episc
Hieosol. Die durch Abkürzung entstandenen Lücken
habe er conjecturally ausgefüllt. Es hätte aber gar keiner
Konjekturen bedurft; denn der neue Brief ist identisch
mit dem von den Ballerini als Nr. 35 gegebenen, der die
Adresse „an Julianus B. von Cos" trug! Das Rätsel, wie
Leo an denselben Bischof Julian an einem Tage 2 Briefe
— nämlich 34 und 35 — gleichen Inhalts hat schreiben
können, mit dem sich die bisherigen Herausgeber abquälen
, ist nun gelöst. Der Monac. hat uns die richtige
Adresse allein aufbewahrt, was stark zu Gunsten von

Turners Einschätzung ins Gewicht fällt. Sein Text ist
in diesem Fragment, vom Titel abgesehn, schlechter als
der anderweit bekannte, und ein cu bei ihm hat Bl.
statt zu cum unglücklich zu cui oder cuius ergänzt, aber
wie in Fehlern so steht der Monacensis auch in Vorzügen
allein und verlangt darum schnelle kritische Ausnutzung.
Am liebsten durch den Entdecker, Prof. Turner.
Marburg. Ad. Jülicher.

G r u p e , Prof. Dr. Eduard : Kaiser Justinian. Aus seinem Leben und
aus seiner Zeit. Leipzig: Quelle & Meyer 1923. (114 S.) kl. 8° =
Wissenschaft und Bildung 184.
Dieses anziehende, gut und lebendig geschriebene kleine Buch
will dem Kaiser Justinian eine gerechtere Würdigung verschaffen als
sie im Allgemeinen bei uns üblich ist. Dazu dienen besonders die
Selbstzeugnisse des Kaisers in seinen Erlassen, die merkwürdigerweise
noch nirgends genügend zu seiner Charakterisierung verwertet worden
sind. Der Verf. verkennt keineswegs die Schwächen seiner Regierung,
seiner Maßnahmen und seiner Pläne; aber er weiß doch sachkundig
und belesen, ohne sich allzusehr mit dem Einzelnen zu befassen, das
Bedeutende herauszustellen und klar erkennbar zu machen, was ihn
bleibende Kulturwerte zu schaffen befähigte. Wie auf den Kaiser, so
fällt auch auf die Kaiserin Theodora helles Licht. Eine in dem Sinne
des Verf. geschriebene große, reich illustrierte Monographie über
Justinian und seine Zeit müßte ein vorzügliches Werk sein.

Kiel. G. F ick er.

Sohm, Rudolph: Kirchenrecht. 2. Bd.: Katholisches Kirchenrecht.
Mit 1 Namen- und Sachverzeichnis über Bd. 1 u. 2. München:
Duncker & Humblot 1923. (VII, 385 S.) gr. 8° = System. Handb.
d. Deutschen Rechtswissenschaft begr. v. Karl Binding, hrscr. v.
Friedrich Oetker, VIII, 2.

Dieses nachgelassene Werk Sohms ist neben Har-
nacks Abhandlung über die Reformation (Internationale
Monatsschrift für Wissenschaft, Kunst und Technik,
11. Jahrgang, 11. Heft vom 1. Aug. 1917) und Overbecks
Vorlesungen über die Scholastik hrsg. von C. A. Ber-
noulli, Basel 1917, wenn nicht das bedeutendste, so
jedenfalls das anziehendste und anregendste Werk zum
Verständnis des Mittelalters, das in den letzten Jahren
erschienen ist. Es enthält dieser 2. Band, der Katholisches
Kirchenrecht überschrieben ist, freilich sehr viel
mehr als nur Mittelalterliches, trotzdem er nur Fragment
geblieben ist; gleichwohl glaube ich, daß seine Ergebnisse
am meisten der Erforschung des Mittelalters, wie
sie jetzt so eifrig betrieben wird, zugute kommen werden'.,

In den einleitenden 2 Kapiteln (1. Der Stand unserer
Kirchenrechtswissenschaft; 2. Weltliches und geistliches
Recht, dazu die 2 ersten Paragraphen von Kapitel 3. Die
Wandlungen des Kirchenrechts) werden allgemeinere
Fragen erörtert, die Begriffe bestimmt: Kirche, Recht,
geistliches Recht, weltliches Recht usw., die Aufgabe der
Kirchenrechtsgeschichtsschreibung dargelegt, das Programm
für die Darstellung gegeben. Es wird die Vorstellung
zerstört, als gebe es nur einerlei Kirchenrecht,
als wäre katholisches und protestantisches Kirchenrecht
im Grunde dasselbe, das protestantische nur etwa ein
Ableger des katholischen, nur wie eine gereinigte Neuauflage
. Es wird gezeigt, wie diese Auffassung sich
herleitet von dem Naturrecht der Aufklärung des 18.
Jahrhunderts, als wäre Kirchenrecht nur Religionsge-
nossenschaftsrecht und zu allen Zeiten dasselbe gewesen.
Demgegenüber werden die Wandlungen des Kirchenbegriffs
aufgezeigt und vor allen Dingen die Forderung
erhoben und ihre Notwendigkeit bewiesen, daß die Hauptsache
am Kirchenrecht nicht das Äußere, sondern die ihm
zugrunde liegende religiöse Idee sei. Und hieraus wird
dann Sohms berühmte These von dem Widerspruche
des Kirchenrechts mit dem Wesen der Kirche neu begründet
, allseitig verständlich gemacht und siegreich
behauptet. Er ist keineswegs der Meinung, daß seine
These widerlegt sei, im Gegenteil, er beweist aus der
Geschichte, daß er richtig gesehen hat. Es ist, wie mir
scheinen will, das Große und Bewundernswerte an
Sohms Arbeit, daß hier eine schöpferische Idee nicht dazu
geführt hat, die Geschichte zu vergewaltigen, sondern