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Ausgabe:

1923 Nr. 19

Spalte:

403-404

Titel/Untertitel:

Rundschreiben Unseres Heiligsten Vaters Benedikt XV 1923

Rezensent:

Mulert, Hermann

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Seite 1

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403

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 19.

404

seits, daß ich das „Book of Mormon" nicht gelesen habe,
davon nicht mehr weiß als man aus Linn, The history
of the Mormons (1902, 637 Seiten), Meyer, van der
Valk ersehen kann.

So enthalte ich mich eines Urteils, ob Meyer oder
van der Valk das Richtige trifft. Grundlegend für die
psychologische Bewertung des Smith ist das Buch von
Riley (The founder of Mormonism, a psychological
study, 1903), das ich nicht zur Hand habe. Mir
scheint, daß Meyer zu weit gehe in seiner — man
kann es kaum anders nennen — Ehrenrettung des
Mannes. Er versetzt sich, was ja dem „Historiker"
gewiß Pflicht ist, auf den „Standpunkt der Mormonen",
aber fast enthusiastisch. Umgekehrt ist van der Valk
wohl allzu „rationalistisch". Peinlich wirkt bei Meyer
der Exkurs über das Urchristentum. Wenn er sich doch
auch auf dessen „Standpunkt" etwas versetzt hätte! Er
hätte dann die sittliche Seite des Mormonen-„Pro-
blems" wohl deutlicher ins Auge gefaßt. Ein Forscher
wirklich großen Gepräges, wie er es ist, hätte auch
dabei die „Parteilichkeit" überwinden können. Das Buch
von v. d. V. bewährt richtigen Takt, indem es alle „Parallelen
", die Smith haben möge, bei Seite läßt.
Halle a. S. F. Kattenbusch.

Rundschreiben Unseres Heiligsten Vaters Benedikt XV. Über
die Wiederherstellung des Friedens unter den Völkern (23. Mai
1920: „Racem, Dei munus") 1921. (25 S.) — Zur Fünfzehnjahrhundertfeier
des Heimgangs des hl. Hieronymus (15. Sept. 1920:
„Spiritus Paraclitus") 1921. (85 S.) - Zum 700jährigen Jubiläum
der Gründung des Dritten Ordens des hl. Franziskus von Assisi.
(6. Jan. 1921: „Sacra prope diem") 1921. (21 S.) — Zum 600.
Todestag von Dante Alighieri. (30. April 1921: „In praeclara
summorum copia") 1921. (21 S.) — Über den Frieden Christi im
Reiche Christi (23. Dez. 1922: „Ubi arcano dei consilio") 1923.
(59 S.) Freiburg i.Br.: Herder & Co. gr. 8° je Gz. 1,50.

In den päpstlichen Enzykliken spiegelt sich ein
Stück der Geschichte der katholischen Kirche und der
Welt wieder. Vieles darin ist auch dem Nichtkatholiken
von Interesse. Die Herderschen Ausgaben sind bequem,
die Übersetzung erscheint durchweg zuverlässig, liest
sich glatt, stellenweise modern, so wenn S. 15 die
dei cum homine communitas laboris ad opus perjicien-
dum (nämlich bei Abfassung der hl. Schrift) als „Arbeitsgemeinschaft
Gottes mit dem Menschen" bezeichnet
wird. Dem Inhalt nach gehören, als wesentlich politischen
Dingen zugewandt, die erste und die letzte dieser
Kundgebungen zusammen; nicht nur Benedikt hat in
pacem, dei munus 1920 den offiziellen Frieden für wertlos
erklärt, wenn die Völkerfeindschaft fortbestehe, sondern
Pius XL hat in seiner ersten Enzyklika diesen Gedanken
nachdrücklich wiederholt; hat Benedikt universalem
quandam inter populos conciliationem nach dem
Kriege für nötig gehalten (der deutsche Text sagt hier:
eine Gesamtverbindung der Völker untereinander), so
verweist Pius auf den wahren Völkerbund, vera illa
naticnum societas, der im Mittelalter bestanden habe. Im
übrigen geht Benedikt auf konkrete politische Fragen
ein, empfiehlt Verminderung der Rüstungen, kündigt an,
daß künftig Besuchen katholischer Staatshäupter in Rom
der Vatikan nicht mehr so bedenklich gegenüberstehen
werde, wie er es bisher wegen der ungelösten „römischen
Frage" tat. Pius behandelt zunächst mehr überhaupt die
Bedeutung, die der Friede Christi für die Völkerwelt
haben werde. Der neue Papst will die Bemühungen
seiner beiden Vorgänger, alles in Christus zu erneuern
und Frieden zu schaffen, verbinden; dieses Programm
wird nach verschiedenen Seiten hin dargelegt, dabei der
aus den Verhältnissen der Nachkriegszeit erwachsene,
unter katholischen Laien wie Priestern um sich greifende
modernismus moralis juridicus ac socialis ebenso wie der
dogmatische verworfen. Zuletzt wünscht der Papst, der
ausdrücklich daran erinnert, wie er (im Unterschied von
seinen Vorgängern) bei seinem Amtsantritt ex edito
basilicae vaticanae loco die Welt gesegnet habe, Aussöhnung
mit Italien, aber nicht ohne die Rechtsverwahrung
seiner Vorgänger gegen den jetzigen, die Unabhängigkeit
des Papstes nicht sichernden Zustand wieder
aufgenommen zu haben.

Die drei anderen Enzykliken sind Jubiläumskundgebungen
. Die „Spiritus paraclitus" ehrt das Andenken
des hl. Hieronymus; daß von den unerfreulichen Eigenschaften
dieses Kirchenvaters geschwiegen wird, ist begreiflich
; nur daß er allzu große Vorliebe für die allegorische
Auslegung gehabt habe, wird zugestanden,
dabei aber diese Art der Auslegung an sich ausdrücklich
als berechtigt anerkannt. Daß die sancta rusticitas abgelehnt
wird, die Hieronymus bei einigen frommen, aber
bildungsfeindlichen Brüdern wahrnahm, muß dem modernen
Menschen recht sein, und daß die ursprünglich
von der Kurie begünstigte, dann sehr zurückgetretene
Hieronymusgesellschaft und ihr Zweck, die Verbreitung
der Bibel, besonders der Evangelien unter dem katholischen
Volke aufs neue warm empfohlen wird, das wird
viele evangelische Christen freuen. Freilich hat Benedikt
dabei ausführlich die völlige Irrtumslosigkeit der hl.
Schrift behauptet und scharf alle zur Bibelkritik neigenden
Bestrebungen verworfen; die insana opinandi liber-
tas, vor der die Väter diligentissime flohen, sollen auch
heute die Söhne der Kirche ebenso sorgsam meiden und
sich den Entscheidungen der päpstlichen Bibelkommission
unterwerfen. Wie sehr man in Rom noch gegen
den Modernismus auf der Wacht ist, zeigt auch eine
Bemerkung der Enzyklika zum Jubiläum der Franzis-
kaner-Tertiarier, wo das modernistische Bild vom hl.
Franz abgelehnt wird; im übrigen wird der Kampf der
Tertiarier gegen die sittlichen Schäden unserer Zeit gewürdigt
und ihren Kirchen reicherer Ablaß gegeben.
Die Kundgebung Benedikts zu Dantes 600. Todestag
läuft aus in einen Preis des Bundes von Christentum
und Bildung; das antike Weltbild der divina commedia
wird offen preisgegeben; daß Dante gegen Päpste seiner
Zeit acerbe et contumeliose geschrieben habe, wird nicht
verschwiegen. Der Eindruck einer ganzen Reihe solcher
päpstlicher Kundgebungen wird auf Protestanten immer
der doppelte sein: die Tradition ist für den römischen
Katholizismus beides, Reichtum wie Last.
Kiel. H. Mulert.

Krön er, Richard: Von Kant bis Hegel. 1. Bd.: Von d. Vernunftkritik
z. Naturphilosophie. Tübingen: J. C. B. Mohr 1921. (XIX.
612 S.) 8° = Grundriß d. philosoph. Wissenschaften. Gz. 16,—.

Es ist nicht leicht, eine Anzeige dieses bedeutsamen
Buchs zu schreiben, die eine wirkliche Vorstellung von
der in ihm vollzogenen ernsten Denkarbeit gibt. Eben
um der Schwierigkeit willen habe ich so lange gezögert.
Eine geschichtliche Darstellung im gewöhnlichen Sinne
liefert K. nicht. Wer die erwartet, wird viel an ihm
zu kritisieren haben. Sein Ziel ist, die dialektische Bewegung
darzustellen, die das Denken von Kant's Kritik
der reinen Vernunft zum ausgereiften Systeme Hegel's
führt. Alles, was nicht notwendig Glied in dieser Bewegung
ist, läßt er beiseite. Kein Denker, kein Werk,
ist ihm selbstzwecklicher Gegenstand, sondern alle miteinander
nur Momente im Werden einer bestimmten
philosophischen Erkenntnis. Ganz wird man das Werk
darum auch erst nach der Vollendung beurteilen können:
wie es Hegel auffassen und beurteilen wird, das ist das
nach der Gesamtanlage Entscheidende. Der vorliegende
erste Band führt von der Kritik der reinen Vernunft über
Kant's Hauptschriften, Jacobi, Reinhold, den früheren
Maimon zu Fichte's Wissenschaftslehre von 1794 und
Schelling's Anfängen bis hin zur Naturphilosophie.

Nach ähnlicher Methode ist die Geschichte Kant's
und der idealistischen Philosophie schon manchmal dargestellt
worden, wenn auch kaum mit einer so ausschließenden
Folgerichtigkeit. Ich hätte aber nicht gedacht
, daß sich auf diesem Wege noch neue und schöne
Erkenntnisse gewinnen ließen, wie sie von K. tatsächlich
gewonnen werden. K. verbindet einen unbeirrt auf
die wesentliche Grundeinsicht sich richtenden Blick mit
der Fähigkeit, scharf und klar die Gedanken andrer nach-