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Ausgabe:

1923 Nr. 18

Spalte:

383-384

Autor/Hrsg.:

Keen, William W.

Titel/Untertitel:

I Believe in God an in Evolution 1923

Rezensent:

Wobbermin, Georg

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383

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 18.

384

Niederschlag gefunden hat. Dieser 3. Teil ist mit Bewußtsein für einen
weiteren Leserkreis, als die Schule ihn darstellt, bestimmt, weil dem
Verf. von vielen Lesern der ersten beiden Teile diese erweiterte
Zweckbestimmung nahe gelegt war. Wie Teil 1, verfolgen auch die
beiden dem Neuen Testament gewidmeten Teile das Ziel, mit Hülfe
historischer Phantasie eine anschauliche, auch in der seelischen
Motivierung anschauliche, Darstellung des Gegenstandes zu bieten.
Der farbigen Erzählung der einzelnen Geschichten sind öfter in
Kleindruck weiterführende Reflexionen angefügt. Anhänge bieten
zu jedem Einzelstück die kritischen Andeutungen seiner wissenschaftlichen
Begründung, Literaturangaben und verschiedene Register.

Das Leben Jesu ist in 5 Abschnitte eingeteilt: Im Werden der
Kraft, der Meister von Kapernaum, der Kampf beginnt, Auf nach
Jerusalem, Untergang und Sieg. Die Darstellung schließt sich im
wesentlichen an Mk. an, mit weitgehendem Zutrauen zu seiner geschichtlichen
Zuverlässigkeit. Die Apostelgeschichte betrachtet T. mit
Harnack als Werk des Lukas, ohne ihm doch in der frühen Ansetzung
beider Lukasschriften zu folgen. Dieser 3. Teil, des Tögel'schen Gesamtwerkes
beginnt sachgemäß mit den Erscheinungen des Auferstandenen
und endet mit einer geschickten Schilderung der Entstehung
der wichtigsten neutestamentlichen Schriften und dem Werden
der Heidenkirche.

Wie bei dem alttestamentlichen Teil bewundere ich auch hier die
einzigartige Gabe des Verfassers äußerer und innerer geschichtlicher
Anschaulichkeit und dichterisch schöner Erzählungskunst. Wenn man
berücksichtigt, daß vom methodischen Standpunkte aus bestimmte
räumliche und zeitliche Angaben, an denen das Gedächtnis des Hörers
haftet und seine Empfindung sich entzündet, ein Erfordernis sind, wird
man trotz mancher Fragezeichen kaum ernsthafte Einwendungen
gegen die Erzählung an sich erheben können. Dagegen bedaure ich noch
mehr als bei Teil 1, daß T. oft unnötiger Weise die biblischen Worte
paraphrasiert. Wenn uns Jesu Worte im Ohre klingen, erscheinen
alle unnötigen Umschreibungen matt. Deshalb gebe ich Teil 3 vor 2
den Vorzug, weil hier dies Bedenken fast wegfällt.

Das Werk als Ganzes ist wirklich eine geniale methodische
Leistung. Möchte der schöne Same auf gutes Land fallen und viel
Frucht tragen.

Hannover-Kleefeld. Schuster.

Keen, William W.: J Believe in God and in Evolution. Philadelphia
and London: J. B. Lippincott Company 1922. (100 S.) kl. 8°.

Der Verfasser ist ein emiritierter hochbetagter Professor
der Medizin. Anatomie und Chirurgie sind die
Arbeitsgebiete seiner Fachwissenschaft.

Der vorliegenden kleinen Schrift liegt eine Ansprache
des Verfassers an die Studierenden des Crozer
Theological Seminary zu Grunde. Gewidmet ist sie allen
„aufrichtigen Wahrheitsuchern, die die Bibel als Wort
Gottes und die Natur als Werk Gottes verehren". Ihre
Absicht ist, die Vereinbarkeit der naturwissenschaftlichen
Entwicklungslehre — speziell ihres biologischen Teils:
der Abstammungslehre — mit dem christlichen Gottesglauben
zu vertreten. Dabei wird vor der Gleichsetzung
der Abstammungslehre als solcher mit der besonderen
Theorie Darwins nachdrücklichst gewarnt. Ebenso nachdrücklich
wird aber auch betont, daß die Geltung der
Abstammungslehre selbst durch die Bedenken gegen
die Selektionstheorie Darwins in keiner Weise erschüttert
werden könne.

Unwillkürlich denkt der deutsche Leser bei der
Lektüre dieser Darlegungen an die Streitschriften
Haeckels. Hat doch Haeckel noch in seinen letzten Veröffentlichungen
(„Ewigkeit; Weltkriegsgedanken usw.")
behauptet, die Frage nach der Abstammung des Menschen
sei das eigentliche Kardinalproblem aller Weltanschauung
, und die Erkenntnis der Primaten-Abstammung
des Menschen sei die Lösung dieses Kardinal-
problerns, durch die jede religiöse, am allermeisten gerade
die christliche Weltanschauung ausgeschlossen
werde. Es läßt sich kein Urteil denken, das unbegründeter
und verkehrter wäre, als dieses. Der christliche

Gottesglaube ist von jener naturwissenschaftlichen Einzelfrage
nach der (physisch-naturhaften) Abstammung
des Menschen schlechterdings und bedingungslos unabhängig
.

Aus eben diesem Grunde ist nun freilich auch die
Titel-Fassung unserer Schrift zu beanstanden. Im übrigen
ist aber diese Schrift ein sehr erfreuliches Zeichen
für die endlich beginnende gegenseitige Verständigung
zwischen Naturwissenschaft und Theologie. Auch darin
hat der Verfasser m. E. recht, daß die einseitig schroffe
Stellungnahme der meisten Vertreter von Theologie und
Kirche gegen die Abstammungslehre das religiöse und
kirchliche Leben selbst außerordentlich geschädigt hat.

Göttingen. G. Wo bb er min.

Hessen, Johannes: Patristische und scholastische Philosophie.

Breslau: Ferd. Hirt 1922. (125 S.) kl. 8° = Jedermanns Bücherei
Abt.: Philosophie. Hrsg. von Ernst Bergmann. Gz. 3,6.

Vorliegendes Bändchen ist eine anziehend geschriebene
und wohl verständliche Einführung in die pa-
tristische und scholastische Philosophie. Sie entspricht
durchweg dem neuesten Stand der Forschung, in die der
Verf. selber durch mehrere Untersuchungen, namentlich
zur Philosophie Augustins, eingegriffen hat. Vergleiche
mit Gedanken und Bestrebungen der neueren und neuesten
Philosophie geben der Darstellung Farbe und Leben.
In kurzen Strichen wird die Philosophie der Apologeten,
der Antignostiker, der griechischen Systematiker (Alexandriner
, Kappadozier), der lateinischen Systematiker (d.
h. in der Flauptsache Augustins) und der letzten Schriftsteller
dieser Zeit (Ps.-Dionysius, Johannes Damascenus,
Boethius) umrissen. Boethius, ,der letzte Römer', kann
zugleich als ,der erste Scholastiker' angesprochen werden
(S. 42). Die scholastische Zeit wird naturgemäß in
Frühscholastik (9.—12. Jahrh.), Hochscholastik (13.
Jahrh.) und Spätscholostik (14.—15. Jahrh.) gegliedert.
Das Urteil des kath. Theologen ist wohl abgewogen und
frei von Übertreibungen. Daß der patristischen wie
der scholastischen Philosophie Ursprünglichkeit und
Schöpferkraft abgeht und dafür das Gepräge des
Aufnehmens und Verarbeitens eignet, wird unumwunden
zugestanden und begründet. Ebenso teilt er
auch nicht die Ansicht, daß die Scholastik für jeden
gläubigen Denker d i e Philosophie schlechtweg, das
Geistesleben der Neuzeit aber nur Abfall und Irrtum bedeuten
müsse. Auch die Mystik ist nicht übersehen.
Gegenüber der Ansicht Grabmanns, daß auch sie ,in-
tellektualistisch' gestimmt sei, betont H. mit Recht, daß
in ihr die ,emotionalen Funktionen' im Vordergrund
stehen (S. 75). Besondere Aufmerksamkeit ist ferner der
durch das ganze M. A. sich hindurchziehenden augusti-
nischen Richtung geschenkt mit der treffenden Erklärung
, daß sie neben der aristotelisch-thomistischen als der
wissenschaftlichen die mehr religiös gefärbte Weltanschauung
verkörpert (S. 99).

Bei der patristischen Philosophie wäre wohl ein Wort über die
verschiedene Ausprägung des christlichen Geistes im Morgenland und
im Abendland am Platze gewesen, ebenso bei Tertullian ein kurzer
Hinweis darauf, daß er der Schöpfer der wichtigsten Begriffe und
Fachausdrücke und damit der Vater der lateinischen Theologie geworden
ist. Zum .Prinzip der Ökonomie' bei Occam (S. 115) vgl. das
Wort Nietzsches von der .Prinzipiensparsamkeit' als erstem Erfordernis
einer richtigen Methode. Zu S. 121: das .Seelenfünklein' (.scintilla
animae') bei Eckhart ist das tV oder ifialim der Seele bei Proklus
und Ps.-Dionysius. Bemerken möchte ich noch, daß in einem Bändchen
von Jedermanns Bücherei' Fremdwörter möglichst vermieden werden
sollten.

München. Hugo Koch.

Die nächste Nummer der ThLZ erscheint am 22. September 1923.
Beiliegend Nr. 21 des Bibliographischen Beiblattes.

Verantwortlich: Prof. D. E. Hirsch in Göttingen, Nikolausberger Weg 31.
Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig, Blumengasse 2. — Druckerei Bauer in Marburg.