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Ausgabe:

1923 Nr. 18

Spalte:

372-373

Autor/Hrsg.:

Apelt, Otto (Übers.)

Titel/Untertitel:

Libanius: Apologie des Sokrates 1923

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 18.

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etwa nur als Nehmender, sondern um ihre Angaben zu
kontrollieren, daß auch ein Testamentum Salomonis die
Aufmerksamkeit dessen verdient, der den Geist einer bestimmten
Kulturperiode vollständig, bis in seine ver-
kümmertsten Gestalten hinein, erfassen will. Und er hat
schon Recht: in solchen Fällen soll einer gar nicht erst
anfangen, oder ganze Arbeit tun. Diese scheint mir in
dem Sinn denn hier getan, daß das Material mit ausreichender
Vollständigkeit gesammelt und so weit literar-
und ideengeschichtlich verarbeitet vorliegt, wie man es
bei solch trüben Stoffen irgend wünschen kann, um
bei ihrer Einordnung in größere Zusammenhänge auf
festem Boden zu bleiben.

Mc Cown sieht das Test, als ein schon ursprünglich
griechisch geschriebenes Werk eines Christen aus
Ägypten oder Kleinasien an, der im 4. Jahrhundert auf
Grund eines vielleicht schon um Christi Geburt verfaßten
jüdischen Salomon-Büchleins sein Apokryphon
fabrizierte. Es stammt aus den niederen Regionen der
Gesellschaft und ist in diesen fortgepflanzt worden, hat
darum nur selten das Interesse der Führenden erweckt;
erst im späten Mittelalter wurde es für die Liebhaber
der Zauberkunst eine Delikatesse. Nichts berechtigt uns,
in dem Verf. einen Gnostiker zu sehn; es ist Vulgärchristentum
, bereit auch den größten Aberglauben von
Juden und Heiden zu übernehmen, wenn nur die christliche
Form gewahrt wurde. Die verschiedenen Rezensionen
, die das Werk erlebte, und erst recht die willkürliche
Gestaltung des Textes bei den einzelnen Zeugen
einer und derselben Rezension sind bezeichnend für die
Vorgänge bei Fortpflanzung solcher Tiefen-Literatur, wie
es eine Zeitlang auch die synoptischen Evangelien waren
. Das speziell magische Interesse wächst im Laufe
der Entwicklung; fremde Stoffe werden unbedenklich
ein- und herangeschoben, die Rezepte vermehrt. In der
Abgrenzung der verschiednen Textrezensionen scheint
mir der Verf. besonders glücklich; eine Sicherheit freilich
, daß der Text vor den Zeiten des Cyrill von Alexandrien
geschrieben sein müsse, kann ich trotz Conybeare
nicht erkennen; nur um äußerer Zeugnisse willen dürfte
c. 400 eine angemessene Bestimmung sein, und bei so
heimatlosem Gut wie es hier aufgesucht ist, auch so
zeitlosem, ist eine Vermutung über die Herkunft fast
wertlos. Wenn Mc C. mehrmals auf die theologische
Entwicklung reflektiert, so muß ich das ablehnen, von
Religion enthält das Werk nichts, für Folklore und
Aber- zumal Dämonenglauben mag es eine Schatzgrube
bilden.

Die schwierige Aufgabe, den Text herzustellen und
zugleich alle seine Abwandlungen übersichtlich vorzuführen
, hat der Verf. im Ganzen wohl so weit gelöst wie
es hier ohne geniale Intuition erreicht werden kann.
Sein Apparat ist beinahe zu reichlich; eine Menge rein
orthographischer Fehler wird überflüssigerweise mitgeschleppt
, sogar bis in die Register. Daß ich dabei
die „fremden" Namen ausnehme, betone ich nicht ausdrücklich
; aber vermutlich kommen sogar viele von den
scheinbaren Druckfehlern des Textes, aoyayyelhov 14* u.
dgl. auf Rechnung der Handschriften. Allerdings hat die
lange Beschäftigung mit etwas so Unbedeutendem dem
Verf. ein wenig den Sinn für Geringschätzung der
minima geraubt. Seine Register füllen 44 Seiten, für
Grammatik und Syntax allein 7: nur in wenigen Fällen
zeigen sie auf eigentlich Neues, oft das gewöhnliche
Hellenistisch. In dem Personenindex V stoßen wir auf
Jean Baptiste Colbert, de Mesmes, Jaques (!) August (!)
de Thou — berühmte Handschriftensammler, denen doch
höchstens in VI 4 unter „Manuscripts" ein Platz gebührte.
Aber während Mc Cown so peinlich korrekt sein möchte,
daß er in einem harmlosen Zitat einen Druckfehler n
statt u, den jedes Kind als solchen erkennt, mit „!"
versehen wiedergibt, hat er, vielleicht durch die Entfernung
zwischen seinem Wohnort und der Druckerei
entschuldigt, doch ziemlich viel Fehler, auch gerade
im ersten Teil stehn gelassen. Die fast erschreckend

j umfängliche Bibliographie enthält z. B. auf S. 132 wenigstens
5 Nummern mit falschen oder unvollständigen Angaben
; das Gannurini . . perigrinatio st. Gamurrini . .
peregrinatio wiederholt der Fehler von S. 78 n. 1; geradezu
rätselhaft ist der Fehler von S. 78 n. 1; ge-
phicus Vis Ti der Zusatz „(Bibl. III 1)", womit diese
Zeile ja lediglich auf sich selbst verweist! Hamburg 1713
sollte statt dessen da stehen, ev. noch 2. Aufl. 1722 f.
Aber schon S. 28 n. 1 und noch S. 162'b Z. 4 beschattet
dies Bibliography III 1 eine Lücke im Wissen des Verfassers
, der auch das noch größere Werk des Fabricius,
die Bibliotheca graeca, nicht selber eingesehen zu haben
scheint. Eine große Beschwerung des Gebrauchs der
Register schafft er dadurch, daß er beim Text statt der
Seiten- und Zeilenzahlen seiner Ausgabe, die doch hoffentlich
für hundert Jahre „d i e Ausgabe" bleiben wird,
die Kapitel- und Paragraphen-Zahlen mit Unterscheidung
der verschiednen Rezensionen bzw. Manuskripte liefert.
Bei aller Dankbarkeit also etwas Bitte: Ne nimis!

Marburg. Ad. Jülicher.

Libanius, Apologie des Sokrates. Übersetzt und erläutert von
Otto Apelt. Leipzig: F. Meiner 1922. (XVIII, 100 S.) 8° = Philos.
Bibliothek Bd. 101. Gz. 3; geb. 4.

Auch wenn man den Libanius nicht gerade des Prädikates
„geistvoller Rhetor" würdig erachtet, wird man
es dankbar begrüßen, daß der bewährte Übersetzer
philosophischer Werke des Altertums Apelt weiteren
Kreisen den Zugang zu diesem letzten einflußreichen
Vorkämpfer des Heidentums gegenüber der
Kirche eröffnet hat. Mit der um 362 geschriebenen
Apologie des Sokrates ist wohl die den Libanius nach
allen Seiten am besten charakterisierende Schrift getroffen
; an'den Kampf der Religionen im 4. Jahrh. werde
ich zwar beim Anhören dieser Rede weit weniger erinnert
als A. wünscht.

Die Hauptsache an dem Buch ist natürlich die
Übersetzung; Einleitung und Register sind willkommene
Zugaben wie auch auf S. 1—4 ein Überblick über die
Gliederung des Dialogs. Die gelehrten Anmerkungen S.
88—96 haben etwas Ungleichmäßiges; durch Nr. 42
z. B. wird man über den Tatbestand nicht klüger. Einige
störende Druckfehler sind geblieben, so S. XVI
493 st. 394/3, S. 90 &»7 st. fern, S. 19 Z. 16 euch
st. auch. Nachlässigkeiten des Stils wie S. 1 „zu denen
ehedem auch Anytos gehört und ihm seinen Sohn als
Schüler zugeführt habe", werden in der Übersetzung
wohl vermieden. Doch übt A. die erweiternde Umschreibung
m. E. viel zu ausgiebig; der Umfang seines
Textes ist sicher doppelt so groß wie der der Vorlage.
„Den reichen, aber nichts weniger als zu trefflichem
Rate innerlich ausgerüsteten Leuten" S. 45 für nlovaioig
peV; r'jXiara 6h tb diov evoloxovGiv? oder S. 46:
denn wenn er die amtlich Hochstehenden auch für die
ihrem Wesen nach Besseren hielt in Vergleich mit der
großen Menge, so war dies eine Unterscheidung, die
nicht der Gerechtigkeit entsprach, da diese sich auf den
tugendhaften Charakter als auf das entscheidende Moment
bezieht". Warum nicht wörtlich: denn wenn er
die Würdenträger für von Natur Edlere als die Masse
erachtete, so hat er solche Unterscheidung nicht, wie es
die Gerechtigkeit verlangt, nach der Güte des Charakters
vorgenommen. — Störend empfinde ich häufig die
Wiedergabe eines Aorists durch deutsches Imperfektum
, wo in der Rede ein Perfekt erwartet wird, oder
die Beibehaltung des griechischen Komparativs (z. B.
S. 87 „sich nach einem schlimmeren Leben der Philosophie
zuwendend . S. 56 wird ein fb (iiy — tb 6h
unverständlich wiedergegeben. „Das erstere — das letztere
dagegen"; auf die Frage, warum sich die
nicht ähnlicher Fürsorge wie die Namen der Volksbefreier
zu erfreuen haben, erwidert der Redner: dort d. h. in
dem Fall des Harmodius und Aristogiton drohte eine
Erniedrigung, hier dagegen — d. h. bei Homer und
Theognis — würden durch gleiche Fürsorge die Dichter