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Ausgabe:

1923 Nr. 1

Spalte:

358-359

Autor/Hrsg.:

Hessen, Johannes

Titel/Untertitel:

Die philosophischen Strömungen der Gegenwart 1923

Rezensent:

Jordan, Bruno

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 16/17.

358

auf deutsches Kirchentum. In dem Abschnitt über die
Verkündigung und Wirksamkeit der Pfarrer heißt es:
„Der gesegnete demokratische Zug unserer Zeit hat sich
großartig auch auf kirchlichem Gebiet zu erkennen gegeben
. Gleichzeitig zeigt das deutsche Kirchenleben mit
seiner Hochkirchlichkeit ein Bild, welches ruft: vestigia
terrent." (S. 178). Wer deutsches Kirchenleben kennt,
kann doch nur erstaunt aufhorchen, wenn er dergleichen
vernimmt. Einem solchen Urteil mit Tatsachen entgegen
zu treten, wird er sich kaum versucht fühlen. Nicht minder
befremdet ein Satz über die unierte Kirche, von der
Hansteen wie von der deutschen lutherischen Kirche
mit ihren „Schwächen und Krankheiten" nur in der
Einzahl redet. „Dazu kommt die unglückliche unierte
Kirche, die, wenn auch nicht in Sünde empfangen und
in Missetat geboren, doch Millionen zählt, und zwar zum
großen Teil aus den höheren Schichten" (S. 200). Über
die Logik dieses Satzes will ich nicht mit dem Verfasser
rechten. Aber fragen darf ich wohl, woher denn diese
Kenntnis von „der unierten Kirche" stammt. Ich lasse
dem Verfasser gern die Überzeugung, daß das norwegische
Luthertum jedem anderen überlegen ist. Ich
besitze keine so intime Kenntnis der norwegischen Kirche,
daß ich ein abschließendes Urteil zu fällen wage, wenn
ich mir auch denken könnte, daß ein Historiker nicht
alles als lutherisch anspricht, was innerhalb der nor-

Pädagogik das Ziel setzen und die Richtung geben
kann. Die Philosophie erörtert die Frage, was als Wert
unser Leben beherrschen soll. Aber an dem, was als
Tatsächlichkeit des Lebens ist, darf man nicht vorübergehen
. Denn alles Seiende enthält als zeitgeschichtliche
Offenbarung des Geistes einen Vernunft- oder Wahrheitsgehalt
. Daraus werden alle weiteren Folgerungen
abgeleitet: die Verbindung der Pädagogik mit der geschichtlichen
(nationalen) Kultur und höheren Psychologie
; die Loslösung von der Politik, welche Zerklüftung
in die Erziehung bringt; der Kampf gegen die entschiedenen
Schulreformer; die Charakteristik aller Versuche
, die Religion aus der Bildung zu streichen, als
Kulturbarbarei; die Forderung, mit allem Nachdruck
und allen gesetzlichen Mitteln die religionslose Schule
zu bekämpfen, der aus Gründen der Kultur überhaupt
keine Zugeständnisse gemacht werden sollten; das Eintreten
für die paritätische Simultanschule. Der durchschlagende
Grund für sie ist der Wunsch nach Einheitlichkeit
unseres Volkes. Diese Einheit ist im deutschen
Idealismus gegeben. Deutschlands geschichtlicher Werdegang
verwehrt es, in der Religion die Einheit zu
suchen. Gesucht und gefunden kann sie nur in dem
werden, was allen Deutschen gemeinsam ist: im deutschen
Idealismus. Mittelbar nimmt von hier jeder irgendwie
christlicher Geist in sich auf. Von diesem Ziel sind

Doch ich enthalte mich wir in Deutschland wohl weiter entfernt denn je. Ob
wegischen Kirche w^sam ist. u ^ ^ errekhbar ^ werden vie]e den Verfasser fragen.

ÄÄ^tuSÄS der Geg nwart einige, | Tübingen,
maßen bekannt sind, mit so summarischen Urteilen, wie
C;Q i-i..„„wn fällt mich nicht hervorwagen wurde. Spinoza: Kurze Abhandlung v. Gott, dem Menschen und

Sie nansieen i«un, Q Schee, seinem Glück. Übertr. und hrsg. v. Carl Gebhardt. Leipzig:

Tübingen. Felix Meiner 1922. (XXVIII, 156 S.) 8° = Philosophische Bibliothek
. 91. Bd. Oz. 4,10; geb. 5,10.

Der bekannte, hochverdiente Spinozaforscher Carl
Gebhardt hat jetzt auch diese durch die Geschichte
ihrer Entdeckung berühmt gewordene Schrift Spinozas
neu übertragen und mit einer über alles Wesentliche
trefflich orientierenden Einleitung versehen. Sein Hauptverdienst
ist, daß er ihren Text auf eine sichere Grundlage
gestellt hat. Auf Grund einer erneuten Vergleichung
der beiden Handschriftentexte hat er im höchsten Grade
wahrscheinlich gemacht, daß Monnikloff, der Schreiber
der Handschrift B (van der Linde) keine andere Vorlage
als A hatte. B hat also als der Versuch eines sachkundigen
und verständigen Mannes zu gelten, den Text von
A in eine lesbare Form zu bringen. Freilich auch A ist
keine primäre Quelle (darauf weist G. nachdrücklichst
hin); immerhin hat A und nur A für uns durch das
Fehlen einer primären Quelle grundlegende Bedeutung.
Die Anmerkungen gestatten eine Nachprüfung dieser für
die Textgestaltung entscheidenden These. Darüber hinaus
haben sie gelegentlich die Bedeutung eines sachlichen
Kommentars; ihre Erweiterung wäre sehr er-

Kesseler, Lic. Dr. Kurt. Pädagogik auf philosophischer

Grundlage. Leipzig: J. Klinkhardt 1921. (180 S.) 8°

Ein Buch, das in knapper Form einen reichen Inhalt
birgt, dessen Verfasser die stark verzweigten pädagogischen
Bewegungen der Gegenwart sicher überblickt,
stets mit wohl begründetem Urteil Stellung nimmt, also
weder vor Modeschlagwörtern sich verbeugt noch sich
in die Abhängigkeit der Parteidoktrinen begibt, dem
heute ins Kraut schießenden Radikalismus gelegentlich
unverblümte Wahrheiten sagt, jedoch einem besonnenen
Fortschritt das Wort redet, auch früher von ihm verteidigte
Einrichtungen preisgibt, wenn er sieht, daß sie
— wie z. B. die „Vorschule" — heute nicht mehr durchzusetzen
sind und, was an die Stelle getreten ist, pädagogisch
ertragen werden kann. Ob das in diesem Buch
bis in die Einzelheiten ausgearbeitete Programm in
Deutschland verwirklicht werden kann, bleibt mir freilich
zweifelhaft. Dazu will ich mich jedoch nicht äußern.
In einer Reihe von Aufsätzen zum Kampf um die Einheitsschule
in Deutschland habe ich meine eigene Auffassung
niedergelegt, auch zur jüngsten Schulgesetz-

eb"ünf und zu den"Verfügungen der Landeszentrafstellen wünscht Nach alledem hat die Ausgabe neben dem

Stellung lomm n Auch äff die Vorschläge des Ver- i Original selbständige Bedeutung. Es wäre dringend

fassersgZfr HochschuReform will ich mich nicht ein- , erwünscht, wenn sie Ausgangspunkt für erneute For-

»ussers zui , , .... , , «rhnno-pn nhpr rhp Opnpcie icr DUilr^^^u- o .

lassen. Im Schulausschuß des Hochschulverbandes
haben wir alle wesentlichen Fragen der Schulreform von
der Volksschule bis zur Hochschule, wie ich glaube, mit
bereitwilliger Aufgeschlossenheit erwogen. Auf dessen
Verhandlungen und Beschlüsse darf ich wohl hier verweisen
. Denn auf die Einzelheiten des reichen und an
vielen Punkten zutreffenden oder erwägenswerten, aber
auch dort, wo ich glaube mich zurückhalten oder andere
Wege gehen zu müssen, doch anregenden Programms
Kesselers kann in dieser Zeitschrift nicht eingegangen
werden. Hier muß es genügen, die Grundlage zu zeichnen
. Pädagogik ist angewandte Philosophie, die ihre
Analogie in der Erkenntnistheorie findet. Sie hat es
nicht mit Gesetzen, sondern mit Ideen zu tun. Ihr
Wissenschaftscharakter ist erwiesen, wenn das Verhältnis
von Pädagogik und Philosophie einerseits, von Pädagogik
und Leben andererseits bestimmt ist. Nur der
deutsche Idealismus ist die Weltanschauung, die der

schungen über die Genesis der Philosophie Spinozas
würde.

Bremen- • Bruno Jordan.

Hessen, Priv.-Doz. Dr. theol. et phil. Johannes: Die philosophischen
Strömungen der Gegenwart. Kempten: J. Kösel und Fr. Pustet
1923. (118 S.) kl. 8° = Sammlung Kösel Bd. 95. Oz. 1,60.

Zu den zahlreichen Versuchen, die Philosophie der
Gegenwart darzustellen, gesellt sich hier eine kurze
Skizze von katholischer Seite, deren Verfasser sich zu
den Vertretern der platonisch-augusfinischen Richtung
zählt. Die Darlegung der Lehren beschränkt sich auf
Reproduktion der Behauptungen und Argumente der behandelten
Denker; die Kritik läßt den Standpunkt des
Verfassers deutlich erkennen, ist aber von aufdringlicher
Apologetik frei. Die Auswahl hält sich an das
überlieferte Schema (Haeckel! wird ausführlich behandelt
, Spranger, Simmel, Troeltsch u. A. werden nur kurz