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Ausgabe:

1923 Nr. 1

Spalte:

347-348

Autor/Hrsg.:

Steffes, Johann Peter

Titel/Untertitel:

Das Wesen des Gnostizismus und sein Verhältnis zum katholischen Dogma 1923

Rezensent:

Koch, Hugo

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 16/17.

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kirchengeschichtlichen Wert hin untersucht. Ich erwähne
, daß die Grabschrift einer Christin ZxertTiavri
(IG VII 1686—88) ihr, der (pdoigeivog und rpdöxQiorog
lohnende Vergeltung ev IlaQadioy verheißt; ferner daß der
Ortsname Platää sich im Lauf der Jahrhunderte so verändert
hat, daß man später ö nlariag und o nlardvwv
zu den Personennamen setzte.

Heidelberg. Martin Dibelius.

Steffes, Dr. J. P.: Das Wesen des Qnostizismus und sein
Verhältnis zum katholischen Dogma. Eine dogmengeschichtliche
Untersuchung. Paderborn: Ferd. Schöningh 1922. (XX,
359 S.) gr. 8° = Forschgn. z. Christi. Liter, u. Dogmengeschichte
hrsg. v A. Ehrhardt u. P. Kirsch XIV, 4. Oz. 15,—.

Während die protestantische Forschung dem Gnosti-
zismus immer große Aufmerksamkeit geschenkt hat, ist
dieser auf katholischer Seite in Deutschland seit Möhler
nicht mehr eingehender behandelt worden. (Das Buch
des italienischen Modernisten E. Buonaiuti, Lo Gnosti-
cismo. Storia di antiche lotte religiöse. Roma 1907 ist
Steffes offenbar unbekannt geblieben.) St. wendet sich
gegen die Harnack'sche Aufstellung, daß der Gnostizis-
mus eine akute Verweltlichung bezw. Hellenisierung des
Christentums und damit eine stürmische Vorwegnahme
dessen darstelle, was sich die kath. Kirche nachher mühsam
und allmählich verschafft habe. Zu diesem Zwecke
stellt er zunächst die dogmatischen Vorstellungen und
Begriffe des Gnostizismus unter sachlichen Gesichtspunkten
dar, wobei jedoch, um die Eigenheit der einzelnen
Schulen zu schonen, Einzeldarstellungen gegeben
werden, wo Zusammenfassungen die Eigenart und Gedankenfolge
einer Lehre verwischt hätten. So wird im
I. Kapitel der naturalistische, vorchristliche Gnostizismus
und seine Ausbildung zur christlichen Häresie, im II. Kapitel
die Dogmatik der christlich-gnostischen Systeme
behandelt. Im III. Kapitel wird dann der gnostischen
Dogmatik die Lehre der kath. Kirche, wie sie amtlich,
zuletzt im Tridentinum und Vaticanum ausgesprochen ist,
gegenübergestellt. Das Ergebnis ist das: zwischen Gnostizismus
und Katholizismus besteht zwar eine Fülle von
Ähnlichkeiten, aber trotzdem sind beide von einander
wesentlich verschieden. Schon der Umstand, daß es einen
vorchristlichen Gnostizismus als umfassende und überweltliche
Erlösungsreligion gab, zeigt, daß der Gnostizismus
als geschlossenes System außerhalb des Christentums
bestehen kann. Aber auch in der christlichen Gnosis
sind, wie in der vorchristlichen, die religiösen Vorgänge
wesentlich naturhafter Art; außerchristliche und christliche
Gnosis sind also wesensgleich und der christliche
Einschlag blieb bei dieser am Rande hängen und führte
keine Wesensänderung herbei. Im Unterschied hiervon, ja
im Gegensatz hierzu sind die kath. Dogmen über Gott,
Welt und Mensch, Sünde und Übel, Offenbarung, Erlösung
und Erlöser, Sakramente und sittliches Leben,
letzte Dinge Ausprägungen der übernatürlichen Offenbarung
, worin das Naturhafte überwunden und ins Übernatürliche
und Sittliche gehoben ist. Von diesen drei
Aufstellungen ist die erste einwandfrei bewiesen. Die
zweite und die dritte aber werden nur dadurch gewonnen,
daß einerseits der Gnostizismus mit seiner bunten
Mannigfaltigkeit trotz allen Einzeldarstellungen' schließlich
doch als einheitliche Größe gefaßt, anderseits das
kath. Dogma mit starkem Druck aus dem Sachlich-Sakramentalen
ins Persönlich-Sittliche umgebogen wird. Zu
jener Verallgemeinerung ist St. um so weniger berechtigt,
als er selbst beispielsweise Marcions Schule, die sicher
nicht im Naturhaften stecken bleibt, ganz in den Gnostizismus
hereinzieht (S. 104 ff.). (Von Harnacks Werk über
Marcion konnte St., dessen Buch schon 1917 abgeschlossen
war, nur nachträglich Kenntnis nehmen.)

Wie St. im III. Kapitel den Dingen Gewalt antut, ist fast auf
jeder Seite zu merken. Die Dämonen beherrschen nicht den Menschen
, auch nicht nach seiner leiblichen Seite, wie in der Gnosis, wohl
aber stellen sie ihm nach, seine Seele zu verderben' (S. 293). Und
die Besessenheit? ,Das kath. Dogma kennt keine willkürliche Kritik
und Allegorie des A.T.' (S. 289). Also doch eine Kritik und Allegorie
. S. 276 wird aus dem reinen Geistwesen Gottes gefolgert, daß
ihm außer den zwei Arten der geistigen Tätigkeit des Erkennens
und Wollens keine andere zugeschrieben werden könne, und daraus
wird der Schluß gezogen, daß es in Gott nur drei Personen geben
könne. Gleich darauf aber heißt es, daß es sich hier um Vorgänge
einziger Art handle, die ,nur durch die Offenbarung erkannt werden
können.' Der Logos, der Erstgeborene der Schöpfung durch den
alles geschaffen worden ist (Col. 1,15ff., Hebr. 1,2), ist nach
S. 297 kein ,kosmisches Prinzip'. Nach S. 299 sind die Gedanken
der kath. Christologie .voller Geheimnis' — lies: voller Widersprüche
. Die Sakramente werden S. 299 ff. dargestellt, wie wenn es
nirgends einen character indelebitis gäbe auch ohne .sittliche
Bereitschaft' (S. 304). Sie sind ,nie magisch d. h. Effekte ohne zureichende
Ursache' (S. 307). Doch heißt es dann: ,Eine eigenartige
Stellung nimmt die Taufe der Unmündigen ein, insofern bei ihr jede
Mitwirkung des Empfängers ausgeschlossen ist.' Und zur Erklärung:
,Bei ihr handelt es sich auch nur um Behebung der Natursünde und
ihrer Folgen.' Also Natursünde! S. 317 nimmt St. für die kath. Endlehre
sogar ,in etwa einen objektiven monistischen Ausgang' in Anspruch
, weil ,die Widergöttlichen wegen ihres freien Abfalls von Gott
ewig gestraft werden und in ihrer Strafe Gottes Absolutheit, Gerechtigkeit
und Heiligkeit anerkennen, sodaß Gott doch schließlich alles in
allem wird'! Solcher Deutungskunst weichen freilich alle Schwierigkeiten
.

Trotz dieser Willkürlichkeiten hat aber die fleißige
und entsagungsvolle Arbeit des Verf. ihren Wert, namentlich
durch die planmäßige Darstellung der gnostischen
Gedankenwelt unter sachlichen Gesichtspunkten. Gewiß
ist auch die Harnacksche Auffassung vom Gnostizismus
nicht ganz zutreffend, schon weil in ihr der weitgehende
Einschlag aus den östlichen Religionen nicht genügend
zur Geltung kommt. Neuestens hat er übrigens als vorbildliche
Kraft für die Entstehung der kath. Kirche an
die Stelle des Gnostizismus die Kirche Marcions gesetzt.

Zu S. XIII u. S. 40: Die bekannte altchristliche Schrift über die
Wiedertaufe hat den Titel ,de rebaptismate', nicht ,de rebaptismo', und
sie stammt nicht von Cyprian, sondern ist gegen ihn gerichtet. Zum
Schluß wäre noch an den Verf., wie an andere junge Gelehrten, die
Mahnung zu richten, dem häßlichen Fremdwörterschwall zu entsagen.
Ungeheuern wie .Diskrcganz' und .Divergenz' sollte man in einer deutschen
Untersuchung wirklich nicht mehr begegnen.

München. Hugo Koch.

Kors, J. B., O. P.: La justice primitive et le pech6 originel
d'apres S. Thomas. Kain (Belgique): Revue des sciences philo-
sophiques et theologiques 1922. (XII, 176 S.) 8° = Bibliotheque
thomiste II.

Die theologische Zeitschrift der französ. Dominikaner, Revue des
sciences philosophiques et theologiques, die bei Ausbruch des Kriegs
in ihrem 8. Jahrgang stand, während des ganzen Kriegs aber nicht
weiter erscheinen konnte, da der Sitz ihrer Schriftleitung (Kloster Le
Saulchoir bei Kain in Flandern, zwischen dem Mt. St. Aubert und
Tournai) vom Druckort (Paris) abgeschnitten war, hat Ende 1919 wieder
zu erscheinen begonnen und 1922 lebenskräftig eine Bibliotheque
thomiste als Nebenzweig hervorgebracht, deren 1. Band eine von Pierre
Mandonnet, dem hervorragenden Thomaskenner, zusammengestellte
„Bibliographie thomiste", deren 2. Band vorliegende Studie über des
Aquinaten Urstands- und Erbsündenlehre ist. Methodisch und schriftstellerisch
betrachtet, ist es eine treffliche Arbeit. Die 1. Hälfte stellt
kurz und sachkundig die entsprechenden Lehren der Haupttheologen vor
Thomas (Augustinus, Anselm, Abälard, Honorius v. Autun, Hugo
v. St. Viktor, Summa sententiarum, Bernhard v. Clairvaux, Petrus
Lombardus, Präpositinus, Wilhelm v. Auxerre, Alexander v. Haies,
Albert d. Gr., Bonaventura, Peter von Tarentaise) dar. Bezüglich
weiterer Theologen des 12. Jahrhunderts (Robert v. Melun und Gilbert
de la Porree kann Verf. auf die Monographien seines Ordensgenossen
Martin in der Revue des sciences philos. et theol. 1913, 1914, 1920 und
in der Revue d'histoire ecclesiastique 1912 verweisen. Hinsichtlich
weiterer Theologen des 13. Jahrh. kündigt er eine baldige Untersuchung
durch denselben P. Martin an, deren Einleitung in der spanischen
Zeitschrift Ciencia tomista 1915 bereits erschienen ist. Die 2. Hälfte
entwickelt dann die Lehre des Aquinaten selbst, und zwar zuerst nacb
seinen jüngeren Werken und dann nach seiner Summa theologica. Die
Anmerkungen bringen stets die wörtlichen Belege. Von einer sachlichen
Kritik sieht Kors fast immer ab, und wo er rasch seine Ansicht
äußert (z. B. S. 153 über des Thomas Erklärung der Schuldhaftigkeit
der Ursünde für uns — worin ich ihm freilich nicht zustimmen kann;
vgl. auch Espenberger in der Theol. Revue 1923, Nr. 5, Sp. 91), da ist
sie zustimmend. Das ist bei einem Dominikaner nicht anders möglich.
Ausführlicher ist seine Kritik der geschichtlichen Stellung des Aquinaten
in der Entwicklung der Urstands- und Erbsündenlehre. M. E.
hätte Kors hier stärker die wieder durchaus kombinierende, vermittelnde
Art der Theologie des hl. Thomas herausstellen sollen. Die