Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1923

Spalte:

334-335

Autor/Hrsg.:

Kindermann, Carl

Titel/Untertitel:

Die soziale Schöpferkraft im Aufbau Deutschlands und des Völkerlebens. 3. Aufl 1923

Rezensent:

Titius, Arthur

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

383

834

Erklärung der Elegie „Archipelagus", daß H.s Griechenbegeisterung
nichts weniger bedeutet als eine archäologische
Spielerei oder einen lendenlahmen Klassizismus.
Die griechischen Lebensenergien empfindet er als unmittelbar
seinem Innersten verwandt. Die Götter Griechenlands
sind ihm lebendige Gestalten, mag er sie auch
als Äther und Sonne feiern. Die Naturnähe ist ihm an
der griechischen Religion so sympathisch, daß er darüber
zunächst das innere Verhältnis zum Christentum zu verlieren
scheint. Aber mit wachsender Reife sucht er sich
die Gestalt Christi auf seine Weise wiederzuerobern und
verkündet in „Brot und Wein" eine Verschmelzung
dionysischer und christlicher kultischer Mysterien, etwa

gesetzlichem Gefüge, auf ein wirkliches Ganze mit charakteristischer
Gliederung führt. Die Kultur kann aber,
wie in geistvoller Auseinandersetzung mit Nietzsche gezeigt
wird, erst dann wirklich als Einheit begriffen
werden, wenn (statt Einheit des künstlerischen Stils) ein
wirklicher Träger der Einheit aufgewiesen wird, ein
individueller gegenständlicher Sinngehalt, der mit dem
Formensystem der Kultur durch die Relation verbunden
ist, daß dieses ihn bedeutet. Die Untersuchung schließt
mit einer Prüfung der Frage, ob die Einheit der Kultur
ein inneres notwendiges Prinzip der Gliederung in sich
trage. Gegenüber den Deduktionen Hegels und Diltheys
versucht der Verfasser eine dritte Lösung dieses Proin
dem Sinne der alten Lehre vom dritten Reich, die ja j blems: „In dem Leben selbst, gleichviel mit welchem
den Zeitgenossen so nahe lag. Auch seine nach langer ' Geist es geladen ist, liegt eine bestimmte Struktur; und
Verbitterung wieder stark durchbrechende Vaterlands- ' unsre methodische These ist, daß in dieser Struktur des
begeisterung hat, wie V. scharf betont, schließlich wieder , Lebens das Prinzip der Objektivationsrichtungen voreinen
Ranz religiösen Zug. Die besondere Abstimmung i gezeichnet ist, die notwendig sind und die es geben kann."

des religiösen Erlebnisses H.s bietet wohl noch Stoff für
eindringende Sonderuntersuchungen. Soviel aber steht
uns heut schon fest, daß Friedrich H. in der Entwick
lungsgeschichte des religiösen Gedankens in Deutsch
land nicht mehr übersehen werden darf.
Hamburg. R- Pctsch.

Freyer, Prof. Dr. Hans: Theorie des objektiven Geistes.

Eine Einleitnnß in die Kulturphilosophic. Leipzig: B. G. Teubner
1023. (120 S.) 8°

Diese offenbar an Hegel und Simmel orientierte,
aber sehr bald weit über beide hinausgreifende, bahn- i
brechende „Einleitung in die Kulturphilosophie" ist '
ebensowohl methodologisch als inhaltlich von überragender
Bedeutung. Freyer versucht die große Tatsache
des objektiven Geistes begrifflich zu erfassen. Von der
Kategorie des „Sinnes" aus gewinnt er durch Unterscheidung
von zwei verschiedenen Sinngehalten (psy>

Die tiefgründigen Analysen, die hier nur ganz oberflächlich
angedeutet sind, bearbeiten aufs neue ein bisher
wenig bebautes Feld der Forschung und eröffnen in
vielen Einzelheiten und im Ganzen neue, aufschlußreiche
Wege. Das Werk ist der Beginn einer wirklichen Kulturphilosophie
großen Stils. Eine Auseinandersetzung vor
allem mit der eingesprengten „Metaphysik" und der
immanenten „erkenntnistheoretischen" Grundlage ist erst
nach Abschluß des ganzen Systems förderlich und aussichtsreich
.

Bremen. Bruno Jordan.

Kindermann, Carl: Die soziale Schöpferkraft im Aufbau
Deutschlands und des Völkerlebens. 3. Aufl. München- G. D W
Callwey. (360 S.) gr. 8° Gz. l,5; geb. 2 25

In größtem Oktav auf 360 Seiten Kleindruck wird
nicht ohne Wiederholungen, ein Bild vom Gesamtbau
( des deutschen Volkes, seiner natürlichen und sozialen
chische Erlebnisse und gegenstandliche Sachverhalte) i Grundkräfte, seiner wirtschaftlichen Arbeit seiner lei-

oir. Cnliom. tftr rlio Qtrnlrfnr (tpc nhiplrtivpn Gpistps Dip l ron.lor." xar;^.pQ;r„„ /D„i:— _____i ph ., " .

ein Schema für die Struktur des objektiven Geistes. Die j tenden" Tätigkeiten (Religion, Staat und Selbstvervval-

gegenständlichen Sachverhalte bedeuten eine objektive : tung, Finanzen, Kunst, Wissenschaft) sowie der lugend

Wendung, mit ihnen eröffnet sich der Prozeß der Objek- | und Volksbildung, endlich auch seines Anteils am welt-

tivation. Auf diese erste Stufe der Objektivation, in i bürgerlichen Leben gegeben. Voran Rehen diesem Huint-

A ... o.'r-h ^lcn -nie Hpr Fr I phn itt ntn I i t:i i Hip <TPfrpn<t:inrl- u„t.„„i,i..____ni___-i-„ _.r_ , ... ». . !

der sich also aus der Erlebnistotalität die gegenständ
liehe Welt abspaltet und zu einem Zusammenhang verdichtet
, folgt eine zweite, in der das Zeichen, deren
Sinn ein gegenständlicher Sachverhalt ist, sich von seinem
Erzeugungsprozeß loslöst, zum objektiven Träger
eines objektiven Sinnes wird, und eine dritte, in der das
sinnvolle Zeichen durch Umbildung der stofflichen Umwelt
hergestellt wird. Zu diesem von einem Punkte aus
gezogenen Längsschnitt durch das ganze Reich der objektivierten
Geister gesellt sich sodann der Versuch eines
Aufbaus der ganzen Wirklichkeitssphäre „objektiver
Geist" überhaupt, (Wendung zur Idee, gegenständliche
Deutung, Formwerdung) und eine Analyse der fünf
Hauntformen des objektiven Geistes (Gebilde, Gerät,
Zeichen, Sozialform und Bildung). Ein zweiter Hauptteil
, der die im ersten notwendig angewandte Abstraktion
von den Energien der subjektiven Welt wieder aufhebt,
versucht den lebendigen Prozeß, der durch allen objektiven
Geist hindurchgeht, begrifflich zu erfassen. Die
statische Aufrißformel wird aber durch einen dynamischen
Faktor „ergänzt" (!). Nacheinander wird der
seelische Kreislauf als Verstehen von der Seite des aufnehmenden
Bewußtseins her betrachtet und als Schaffen
von der Seite des tätigen Subjekts her. Es ergibt sich,
daß im zweiten Fall das Seele-Werk dann erst gegeben
'st, wenn ein Zusammenhang von Inhalten gleichsam
selbsttätig zusammenschießt (Bündigkeit des Werks).
Als zweites, im Subjekt liegendes Kraftzentrum wird
sodann das Phänomen der opterhaften Spannungs-
°bjektivation, das Opfern von Lebensspannung an die
objektive Welt erschlossen. Ein letzter, leider etwas kurz
geratener Hauptteil behandelt den objektiven Geist als
System. Es ergibt sich, daß die Zusammenfassung aller
Objektivationen einer Gesamtkultur kein Summenbe-
griff ist, sondern auf eine konkrete Einheit von eigenstück
Betrachtungen"über den erforderlichen Neuhau; der
Schlußteil bietet eine „Verstärkung der Hauptpfeiler
des Gesamtbaues". Auf die Fülle des Stoffes soll hier
nicht eingegangen werden. Als leitender Gedanke
schwebt R. die Idee von der Notwendigkeit einer „wohlgegliederten
Gesamtüberzeugung" vor und diese wollte
er durch ein Gesamtbild vom neuen Deutschland veranschaulichen
. Drei große Kulturrichtungen lassen sich,
wie er ausführt, im Völkerleben unterscheiden: in der
jugendlich-strengen wird eine unbedingte Ursache —
Gott — alles Sein und Werden in der Welt beherrschend
gedacht; die Einzelursachen haben daneben nur untergeordnete
Bedeutung. Als Wahrheit gilt die Ausgestaltung
der sozialen Tätigkeiten gemäß dem göttlichen Willen,
sie ist eine einzige und nur wenigen Auserwählten offenbart
. Der freiheitlichen Brausezeit dagegen scheinen
Einzelursachen in großer Zahl und lockerer Verbindung
alles Sein und Werden in der Welt zu bestimmen; die
Allgemeinursachen haben daneben eine untergeordnete
Bedeutung. Wahrheit ist hier die Übereinstimmung der
sozialen Tätigkeiten mit der Menge der Einzelursachen;
die große Summe der Einzelwahrheiten kann von jedem
vermehrt werden. Nach der Auffassung der Reifezeit bewirken
Allgemein- und Einzelkräfte das Sein und Werden
in der Welt und empfangen Wirkungen von einander
; jene haben ein bedingtes Übergewicht. Die Wahrheit
ist die Übereinstimmung der sozialen Tätigkeiten
mit den Allgemein- und Einzelkräften; die Gesamtwahrheit
besteht aus einer abgewogenen Verbindung größerer
und kleinerer Wahrheiten, welche je nachdem von Führern
und weitern Kreisen gebildet werden. Der Ausdruck
dieser wörtlich wiedergegebenen Sätze ist zweifellos
unzulänglich, aber man erkennt, daß für den Verfasser
das Streben nach der Gleichgewichtslage überall
entscheidend ist; Gott ist ihm „das Urbild des Gleich-