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Ausgabe:

1923 Nr. 15

Spalte:

328-330

Autor/Hrsg.:

Schrenk, Gottlob

Titel/Untertitel:

Gottesreich und Bund im älteren Protestantismus vornehmlich bei Johannes Coccejus 1923

Rezensent:

Koepp, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 15.

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Denselben Stil wenden in derartigen Fällen aber auch
die andern Bischöfe an. Eine Ausnahme und einen Einschnitt
macht der bekannte Brief des Siricius (384—399)
an Himerius von Tarragona, worin plötzlich der kaiserliche
Stil auftritt. Diesen Stil hatte ursprünglich der
Senat, die höchste gesetzgebende Gewalt des römischen
Reichs, und zwar noch unter dem Prinzipat gebraucht,
seit dem 4. Jahrhundert aber war er der Stil der kaiserlichen
Erlasse geworden. Auf kirchlicher Seite hatten
ihn die Synoden von Anfang an übernommen. Den Grund,
warum er nun bei Siricius auftaucht, erblickt G. ansprechend
in dem Erlaß der Kaiser Gratian und Valen-
tinian v. J. 380, wodurch der Papst zum einzigen Richter
über die Metropoliten und neben dem Synodalgericht
zur Berufungsstelle für sämtliche Geistliche des weströmischen
Reiches erhoben wurde. Über diesen Rahmen
ging aber Siricius in seiner ersten Dekretale gleich hinaus
, indem er hier nicht bloß rechtsprechend, sondern
auch rechtschöpfend und gesetzgebend auftrat. In seinen
späteren Briefen hält er sich aber streng innerhalb der
Grenzen seiner staatsrechtlichen Zuständigkeit, und ebenso
seine Nachfolger. Seit Innocenz I. ist der Stil des
Responsum, des Gutachtens über das geltende Recht, der
gebräuchlichste Amtsstil. Seit Zosimus werden daneben
auch Dekretalen üblich, aber nur für richterliche Urteile
und für Verordnungen zum Schutze und zur Durchführung
des geltenden Rechts. In der Form (Aufbau und
Zeitangabe) stimmen die Gutachten mit den weltlichen
Amtsschreiben überein. Auch die dogmatischen Schreiben
der Päpste, so das berühmte Schreiben Leos I. ad Fla-
vianum, halten durchaus die Form des Gutachtens ein.
In zwei Punkten weichen die kirchlichen Amtsschreiben
von den weltlichen ab: in der Anschrift und in der Rangbezeichnung
im Verlauf des Schreibens. Hier ist auch
fernerhin der Brauch des christlichen Eigenbriefs maßgebend
geblieben. G. liefert mit seiner Untersuchung
einen hübschen und brauchbaren Beitrag zur Geschichte
des römischen Primats. Er ist in seinen Folgerungen
und Urteilen natürlich sehr vorsichtig und betont nur die
staatsrechtlichen Grenzen der päpstlichen Machtbefugnisse
(S. 44. 92). Dennoch ist die Entwicklung, die
den römischen Bischof aus einem gleichgestellten Bruder
zum Richter und Vorgesetzten der Bischöfe werden ließ,
auch aus dieser stil- und formgeschichtlichen Untersuchung
deutlich zu ersehen. Und auch das ist nicht zu verkennen
, daß das Papsttum noch lange keine fertige und
feste Größe war, sondern in seiner Betätigung, viel
mehr als später, vom persönlichen Machtbewußtsein des
einzelnen Trägers abhing.

S. 7 ff. kommt G. naturgemäß auch auf die cyprianischen Briefe
zu sprechen. Wenn er dabei meine in Tübingen nicht unbekannte
Schrift über Cyprian unberücksichtigt läßt, so wird er seine Gründe
dazu gehabt haben. Sachlich wären so gut wie alle Wendungen, die er
im Verlaufe seiner Ausführungen als für die Amtssprache bezeichnend
hervorhebt, schon aus Cyprian zu belegen: z. B. zu ,si tarnen' (S. 26
und 32) vgl. ep. 2,2 (468,13 Härtel) 4,4 (476,2). 12,2 (504,3)
u. a.; zu ,sciat se etc.' (S. 21) vgl. ep. 4,4 (476,10). 16,3 (520,12).
41,2 (589,1 und 10) u. a.; zu ,hactenus erratum in hac parte sufficiat'
vgl. ep. 43,6 (595,8). 63,17 (715,5). 68,3 (745,23); zu ,quae a
nobis non inconsulte, sed provide sub nemia cautela et deliberatione
sunt salubriter constituta' vgl. ep. 1,2 (466,16) 55,2 (625,17) 55,6
(627,17). S. 44 erblickt G. in ep. 4 des Siricius (ad Anysium) in
den Wendungen ,sollicite agere te oportet . . . vigilare debet instantia
tua' eine .Bestimmtheit und Schroffheit, mit der der Adressat an seine
Pflicht erinnert wird'. In ep. 59,2 (667, 22) schreibt aber Cyprian
an Papst Kornelius: manere apud nos debet etc., c. 7 (674,3): nec
quemquam . . . movere debet, c. 8 (675, 15): nec movere nos debent
etc., c. 15 (684,11): scire enim debes, wie er auch in ep. 11,3 (497,9)
an seinen Klerus schreibt: scire debetis (vgl. auch ep. 42. 590,6),
in ep. 13,3 (506,4) an die Bekenner: oportet... debeat. Und doch
entdeckt G. in den Briefen Cyprians an Kornelius eine besondere
.Höflichkeit und Förmlichkeit' (S. 11). S. 14 ff. ist auf die neuesten
Erörterungen über das .Edikt' Kallists nicht mehr Bezug genommen.
S. 72ff. kennt G. weder H. Peter, Der Brief in der röm. Literatur
1901, noch J. Babl, De epistularum latinarum formulis 1893, noch
A. Engelbrecht, Das Titelwesen bei den spätlateinischen Epistolo-
graphen 1893. Über die Herübernahme des Senatsstils in die Sprache
der Konzilien verbreitete sich neuestens P. Batiffol, Etudes de
liturgie et d'archeologie chretienne 1919, 84—153 (Nr. III: Origine

du reglement des conciles). In einem Anhang weist G. die Aufstellung
von Babut — die auch auf Bardenhewer (Gesch. d. altkirchl.
Lit. III, 590) Eindruck gemacht hat —, daß die .älteste Dekretale'
(.nacones ad Gallos episcopos') nicht von Siricius, sondern von
Damasus stamme, mit Recht als unbegründet ab.

München. Hugo Koch.

Schrenk, Gottlob. Gottesreich und Bund im älteren Protestantismus
vornehmlich bei Johannes Coccejus. Zugleich
ein Beitrag zur Geschichte des Pietismus und der heilsgeschichtlichen
Theologie. Gütersloh: C. Bertelsmann 1923. (XVI, 366 S.)
gr. 8° = Beitr. zur Förderung Christi. Theologie 11,5.

Gz. 10, geb. 12

Die Themastellung läßt einen Beitrag insbesondere
zum Problem der Wurzeln des Pietismus erwarten. Die
moderne westliche Orientierung betrachtet den deutschen
Pietismus als Einströmen kalvinischen Geistes in das
Gebiet des Luthertums. Der Cocceianismus ist geradezu
ein Musterbeispiel zur Nachprüfung dieser These.

Eine Nachprüfung dieser ganzen Orientierung wäre
sehr wünschenswert. Sie ist bekanntlich erst 1879, und
zwar sogleich in schärfster Form, eingeführt durch
Heppe, nach, dem die letzte Ursprungsstätte des Pietismus
in England liegt. Die modernere Einstellung bleibt
hinter dieser scharfen Form auf halbem Wege zurück
und findet die Wurzeln des Pietismus wenigstens in der
reformierten Kirche der Niederlande. So vor allem
Troeltsch, vgl. auch bes. Wilhelm Goeters 1911: Die
Vorbereitung des Pietismus in der reformierten Kirche.
Für den nordwest-deutschen reformierten Pietismus
hat Goeters ohne Zweifel durchaus Recht. Aber die Frage
ist, ob diese Abhängigkeit so ohne weiteres auch auf das
lutherische mitteldeutsche und ostdeutsche Gebiet ausgedehnt
werden darf, oder ob dort nicht eigenläufige
Entwicklungen zu einem Pietismus lutherischer Prägung
vorliegen. Sofern Schrenk auf einen Beitrag zu einem
„umfassenden Verständnis" „für die Geschichte des Pietismus
" abzielt, möchte man erwartet haben, daß eine
Bekanntschaft mit den eben dargestellten großen Problemkomplexen
miteingearbeitet ist. Aber das geschieht
nirgends. Diese Probleme werden überhaupt nicht gesehen
oder doch nirgends angerührt. Vielmehr liegt das
„umfassende Verständnis" der Geschichte des Pietismus
von vornherein fest im Sinn der westlichen Orientierung.
Schrenk bietet nur zu ihr einen Beitrag, wie er denn
auch sein Buch Goeters gewidmet hat.

In diesem Rahmen ist die Darstellung der cocce-
ianischen Theologie umsichtig, gründlich und wertvoll.
Besonders hervorzuheben ist der Aufweis der Beziehungen
der Föderaltheologie auch zur juristischen Sphäre.

Nach einer sympathischen Zeichnung des Charakterbildes des
Cocceius, bes. auch des Geistes seiner Bildungsstätten Bremen (Martini
) und Franecker, und einer exacten Darlegung der „Fundamente"
der cocceianischen Schrifttheologie [übliche, wenn auch zurückhaltende
Unterordnung der Ratio unter die Schrift als eigentliches Prinzip der
„cognitio veritatis secundum pietatem"; entschiedene Ablehnung des
Cartesianismus von biblisch-theologischem Denken aus trotz der gemeinsamen
Polemik gegen die dogmatische Tradition der bisherigen scholastischen
„Modeorthodoxie"; Fassung der Schrift, dieses einzigen Erkenntnisprinzips
, als eines harmonischen Systems heilsgeschichtlicher
Entwicklung, als eines lebendigen Organismus] folgt in ausführlicher
Breite die cocceianische Theologie selbst. Sie ist ganz und gar gruppiert
um die beiden Kerngedanken des organischen Leibes der Schrift:
das foedus und das regnum. Falsch ist die ältere einseitige Würdigung
des Cocceius nur als Föderaltheologen. Ritschis Hinweis auf den Rcichs-
gedanken bei Cocceius ist dahin auszubauen, daß dieser das zweite,
noch wesentlichere Hauptmotiv ist. Von beiden Hauptmotiven aus läßt
sich die gesamte Theologie des Cocc. aufreißen. Das erfolgt denn
auch in den 2 ersten, großen parallelen Teilen des Buchs, einmal unter
dem Titel des Bundes, dann unter dem des Reichs. Die barocke, auf
die Rhythmik der Heilsgeschichte gerichtete, stark eschatologisch-
apokalyptisch-rechnerisch gewendete Typologie des bes. orientalistiscb
interessierten Biblicisten ist dabei immer wieder erwähnt, aber abgestreift
. Die Einzelheiten der Lehre vom Werkbund (—Status integri-
tatis) und seinen Abschaffungen durch die Sünde, durch den auf vorzeitlichem
innergöttlichem Urvertrag ruhenden Gnadenbund, durch
dessen Verwirklichung erst in der A.T.lichen Ökonomie, dann im
N.T. selbst usw., ferner vom Verhältnis von „Bund" und „Testament
", endlich die Analysen vom Sabbathstreit und dem Streit um
Wpzovc und tapsatt, können hier nicht geboten werden, ebensowenig
die Einzelheiten der Reichssystematik, die der Bund-Systematik