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Ausgabe:

1923 Nr. 15

Spalte:

324

Autor/Hrsg.:

Heim, Karl

Titel/Untertitel:

Die Weltanschauung der Bibel. 3., erw. Aufl 1923

Rezensent:

Klostermann, Erich

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323

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 15.

324

salem doch bringt, daraus, daß ein Esel (allerdings „nicht als Friedenstier
, sondern seiner priapeischen Eigenschaften wegen") „nicht selten
die Ehre hat, den Gott Dionysos zu tragen", und den andern Umstand,
daß von dem Esel wohl das junge Alter, aber nicht, wie bei Markus
und Lukas, die Unentweihtheit hervorgehoben wird, daraus, „daß das
fragliche Eselsfüllen Symbol der von dem messianischen König Israels
nunmehr in Dienst zu nehmenden und dem alten Gottesvolke zuzuführenden
hoffnungsreichen hellenischen Völkerwelt ist, die — bezeichnend
genug — unmittelbar nach seinem Einzug in Jerusalem in
den .Griechen, welche den Jesus sehen wollen', sich heilsbegierig
bei ihm einfinden." Diese „tiefere Wahrheit" konnte doch wohl,
selbst wenn sonst im Johannesevangelium auf Dionysos angespielt
würde, kein Leser in dieser Geschichte finden; denn auch auf „die
alttestamentlich beliebte Verwendung des Tierbildes überhaupt zur
Darstellung des Verhältnisses zwischen Jahve und Israel" deutet ja hier
nichts hin.

Nicht besser steht es mit den Beziehungen zum
Avesta, Veda und Buddhismus, die Gr. nebenher im
vierten Abschnitt behandelt. Auf ersteren wird die Bezeichnung
Jesu als des guten Hirten, des Königs der
Wahrheit, des für die Wahrheit seines Selbstzeugnisses
eintretenden (8,25), die des heiligen Geistes als des
Geistes der Wahrheit und Rechtsbeistands, die des Teufels
als des avd-QWTtoxrövog und ipevoTrjg zurückgeführt, aber
nirgends sind die Beweise dafür zwingend. Einen Einfluß
des Mithrakults nimmt Gr. selbst nicht an, ebensowenig
wie einen solchen der indischen Avatären-
lehre; wenn er statt dessen das Wort Joh. 3, 8: der Wind
weht, wo er will — mit der Rigvedastelle X, 168,3 f.
und die sieben Jünger, die abgesehen vom Iskarioten
bei Johannes mit Namen angeführt werden, mit den
Äditya und das Wort 8,32: die Wahrheit wird euch
frei machen — mit dem Buddhismus zusammenbringt,
so liegt das doch wohl erst recht fern. Lehnt doch Gr,
selbst bei der Geschichte von der wunderbaren Speisung
und der Heilung des Blindgeborenen die Erklärung
aus diesem ab.

Statt dessen sucht er in einem fünften Anhangsabschnitt
im Matthäusevangelium und namentlich in
dessen Fassung des Vaterunsers parsistische Einflüsse
nachzuweisen. Die sieben Bitten, von denen die vierte
und fünfte zusammengefaßt werden, sollen nämlich den
Amesä spenta entsprechen und die Zurückführung des
ganzen Gebets auf Jesus der Bezeichnung Zarathuströs
als des Herrn im Ahuna Vairya-Gebet Ys. 27,13. Aber
die Voraussetzung für all dies wäre mindestens, daß das
Vaterunser „wegen der dort besonders starken, auch die
Volkskreise heranziehenden Auseinandersetzung und
Mischung jüdischer, hellenischer und iranisch-persischer
Religion" in Kleinasien, genauer Kappadozien entstanden
sei — und das ist doch wohl von vornherein unmöglich
.

Ja man kann mit absoluter Sicherheit behaupten,
daß Gr. selbst alle diese von ihm neu aufgestellten
Theorien verworfen hätte, wenn er sie bei einem andern
zu beurteilen gehabt hätte. Denn so verfährt er nicht
nur mit der bereits erwähnten Hypothese sonstiger
buddhistischer Einflüsse auf das Johannesevangelium,
sondern namentlich auch mit der Annahme eines größeren
Einflusses der Mysterien schon auf die ältere Entwicklung
des Christentums, von der im dritten Abschnitt
die Rede ist. Gr. zeigt hier durchaus zutreffend, daß zunächst
nvairjQiov jm T. nirgends eine geheim zu
haltende kultische Lehre oder Handlung bedeutet, wenngleich
auf eine solche Mk. 4, 11 und Par., sowie I. Kor.
2,7 angespielt werde; er bestreitet jenen Einfluß auch
bei dem fivelo&ai pnil. 4, 12 und erklärt ihn bei
dem Bild von der Milch der Unmündigen I. Kor. 3,2
für unsicher, ja unwahrscheinlich, während er ihn bei
dem rÜeiog 2, 6, oyQuyl^eoü-ai II, l, 22 (warum dann
nicht auch bei dem xqletv im Verse vorher?), fiera-
HOQ(povo&(u 3, 18 für möglich und den agguyta ^/.ima
12,4 für sicher hält. Ja er bringt auch die Selbstbezeichnung
des Paulus als dia/iog Xqmstov Irjoov Philem.
1, 9 mit den ■x.axoyoi des Serapis und der Isis zusammen
, worin ich ihm nach wie vor nicht folgen kann
— ebensowenig wie in der Erklärung des Gleichnisses

vom Samenkorn 1. Kor. 15, 36 ff. aus den eleusinischen
Mysterien. Dagegen in der Beurteilung des Verhältnisses
der nachpaulinischen Literatur zum Mysterienwesen trifft
er fast durchweg mit mir zusammen, vor allem aber
freue ich mich, daß er mir in der Auffassung der Taufe
bei Paulus zustimmt, wenngleich er mir in der Ablehnung
eines Einflusses der Mysterienreligion auf den Ausdruck
wieder zu weit geht. Und überhaupt nicht folgen
kann ich ihm in seiner Konstruktion der Entwicklung des
Abendmahls, namentlich in der Behauptung, der Genuß
von Brot und Wein habe später auch an die gleiche
Bewirtung Abrahams durch Melchisedek als den Herrscher
im Jenseits erinnern sollen, die Worte: dies ist
mein Leib, mein Blut seien von Anfang an im eigentlichen
Sinn zu verstehen gewesen und Paulus vertrete
auch sonst eine sakramentale Auffassung des Abendmahls
. Aber in der Beurteilung der johanneischen Aussagen
über Taufe und Abendmahl trifft Gr. m. M. n.
durchaus das Richtige; nur kann ich hier wieder keinen
Einfluß gerade der Dionysosreligion entdecken. Das
vierte Evangelium ist nur im allgemeinen „das Mysterienevangelium
des hellenisierten kleinasiatischen Christentums
"; diesen Untertitel seines Buchs hat Gr. zweifellos
gerechtfertigt.

Bonn. Carl^ Clemen.

Heim, Karl: Die Weltanschauung der Bibel. Dritte, erveeiterte
Auflage. Leipzig: A. Deichert 1921. (93 S.) 8° Gz. 2.

Die vier von Heim 1919 in Münster gehaltenen
üemeindevorträge über die zentralen Grundgedanken der
Schrift, Schöpfung und Sündenfall, Erlösung und Neugestaltung
von Himmel und Erde, sind hier bereits angezeigt
worden (ThLZ. 1920, 258). In der dritten, durchgesehenen
Auflage hat Heim kritischen Aeußerungen
gegenüber an einigen Punkten seine Anschauung näher
begründet.

Münster i. V. Erich Kloster mann.

M i c k I e m, E. R.: Miracles and the New Psychology. A study in
the Healing Miracles of the N.T. London: Humphrey Milford 1922.
(143 S.)

Die sorgfältige Studie ist aus dem Mansfield College
zu Oxford hervorgegangen. Sie untersucht die
Frage, wieweit die heutige Psychotherapie Parallelen zu
den neutestamentlichen Heilungsberichten zu bieten vermag
. Von den hypnotischen, autosuggestiven und
psychoanalytischen Methoden wird S. 6—22 eine knappe
übersichtliche Skizze entworfen, wobei die neuere Schule
von Nancy (Baudouin, Suggestion a. Autosuggestion)
und die Freudsche Schule besonders hervortreten. Unbekannt
geblieben ist dem Autor anscheinend die verdienstvolle
Schrift von Wilh. Ebstein über die neutestamentlichen
Heilungen, die interessante Parallelen aus
älterer Zeit beibringt. Nach einigen vorsichtig gehaltenen
Bemerkungen über die neutestamentlichen Quellen (natürlich
auch die Acta) behandelt M. weiter die Grundvoraussetzungen
, von denen aus Krankheit und Heilung
in urchristlicher Zeit betrachtet wurden, insbesondre die
Beziehung zwischen Sünde und Leiden und dem Dämonenglauben
, wobei auch jüdische und sonstige Quellen
herangezogen werden. Diesen einleitenden Ausführungen
folgt S.»43—129 die eingehende Beleuchtung der einzelnen
Krankheiten und ihrer Heilung unter Heranziehung
passend gewählter u. frappanter Parallelen: Aussatz, Besessenheit
, Fieber, Paralyse, Lahmheit, Blindheit, der „taube
Stotterer", das Weib mit Blutfluß sowie das andre mit
dem „Krankheitsgeist", Wassersucht, die Heilung des
abgeschlagenen Ohres bei dem Knecht des Hohenpriesters
, die Totenerweckungen. Immer wieder wird
hervorgehoben, wie unzulänglich die Berichte sind, um
daraus ein genaues Krankheitsbild zu gewinnen, was
namentlich für den Aussatz gilt, aber auch für Fieber,
Paralyse, Blindheit und Lamheit, Wassersucht, während
dagegen bei dem „tauben Stotterer" und dem Blutfluß
sich ein genaueres, mit heutigen Erfahrungen gut zusammenstimmendes
Bild gewinnen läßt. Eingehend behandelt
sind die Besessenenheilungen. Die Erschei-