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Ausgabe:

1923 Nr. 14

Spalte:

312

Autor/Hrsg.:

Rust, J. A.

Titel/Untertitel:

Carl Stange, seine Religionsphilosophie und Dogmatik 1923

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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311

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 14.

312

aber geordnete Welt ist noch nicht Weltordnung. Ohne
Es kann der Mensch nicht leben, aber wer mit ihm
allein lebt, ist nicht der Mensch. Der Eswelt mit ihrer uneingeschränkten
Ursächlichkeit kann ebensowenig das
Gemeinleben des Menschen wie er selbst entraten —
alles Du auch wandelt sich, sobald die Unmittelbarkeit
der Beziehung aufhört, in Es —, aber jede große völkerumfassende
Kultur ruht auf einem ursprünglichen Begegnungsereignis
, auf einer einmal in ihrem Quellpunkt
erfolgten Antwort an das Du, auf einem freien Wesensakt
des Geistes, der ihr Schicksal bestimmt. Freiheit
und Schicksal gehören zusammen; etwas andres ist Willkür
und Verhängnis. Eine Welt „ohne Opfer und ohne
Gnade, ohne Begegnung und ohne Gegenwart, eine verzweckte
und vermittelte Welt", das ist Verhängnis, und
Verzweiflung darüber wäre der Anfang der Umkehr.

Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden
sich im ewigen Du; jedes geeinzelte Du ist ein Durchblick
zu ihm. Die Tätigkeit dem Du gegenüber kann
man ein „Nichtstun" nennen, weil nichts Einzelnes mehr
im Menschen sich regt; der falsche Selbstbehauptungstrieb
wird aufgegeben, nicht das Ich. Auch gilt es nicht,
von Allem abzusehn, sondern alles im Du zu sehen. Gewiß
ist Gott „das ganz Andere", aber auch das ganz
Selbe, gewiß das Mysterium tremendum, aber auch das

Liebe (bezw. Gnade) gebrauchen willst, hält die Linie
biblischer Frömmigkeit inne und auch er ist nicht unbeschränkt
anwendbar. Beanstanden muß ich die Terminologie
. Die Kategorie der Beziehung (Relation) hat
nichts, das ihre Anwendung auf das Reich des Es verwehrte
. Erst die Beziehung des Ich als Person auf ein
Du, wie sie S. 75 angewendet wird, sagt das Entscheidende
. Dann aber muß und kann auch das Wesen persönlicher
im Unterschiede von sachlicher Beziehung viel
schärfer herausgearbeitet werden als es geschehen ist und
man wird auf den Versuch, im Mana oder Orenda etwas
davon aufspüren zu wollen, gern verzichten.

Berlin. Titius.

Ru st, Dr. J. A.: Carl Stange, seine Religionsphilosophie und
Dogmatik. Gütersloh : C. Bertelsmann 1020. (60 S.) 8° Gz. 1.
Das Büchlein erweist sich als die Obersetzung einer holländischen
Schrift des evangelisch-lutherischen Pastors in Utrecht, Rust. Das
Thema ist, wie der Titel besagt, eine Darstellung der Religionsphilosophie
und Dogmatik Carl Stanges. Innerhalb letzterer werden
besonders in Betracht gezogen die „Theologie" und „Anthropologie",
die „Christologie" und „Soteriologie". Zugleich wird der Versuch gemacht
, Verbindungslinien zwischen ihr und der 'Religionsphilosophie
zu ziehen. Als Quellen sind zahlreiche Schriften des Oöttinger Theologen
genannt. Eine kurze Inhaltsangabe von „Die Religion als Erfahrung
" und „Luther und das sittliche Ideal" ist eingeschoben.
Man wird getrost behaupten dürfen, daß es dem Verfasser gelungen
Geheimnis des Selbstverständlichen, das „uns unmittel- w eine r^]ativ anschauliche und gemeinverständliche der, an sich
bar und zunächst und dauernd gegenüber Wesende". | nicht ganz leicht in knapper Form wiederzugebenden, Stangeschen
Die Rede vom „werdenden Gott" ist Überheblich; die ; Gedankenwelt zu entwerfen, der er übrigens fast durchweg rückhaltlos

Identifikation des Ich mit dem Du geht bestenfalls
auf eine „randhafte Übersteigerung des Beziehungsakts",
auf die vehemente Empfindung der Beziehung selbst
zurück; in Wirklichkeit sind beide Träger der Urbezieh-
ung unaufhebbar. In der vollkommenen Beziehung umfaßt
mein Du mein Selbst, ohne es zu sein; mein eingeschränktes
Erkennen geht in einem schrankenlosen Erkanntwerden
auf. Grundverschieden ist das Verhältnis
des Menschen zu Gott und zum Götzen; wo immer sich
etwas den höchsten Wertthron des Lebens anmaßt und
die Ewigkeit verdrängt, da handelt es sich um ein Gebrauchsding
, um ein Genußobjekt, das der Mensch besitzen
will, aber Gott, die ewige Gegenwart, läßt sich
nicht „haben". Irrig ist auch die Annahme, daß der religiöse
Mensch über die Stufe des Sittlichen hinauskomme;
der Verantwortung wird er nicht ledig, fühlt vielmehr die
Gewalt der Liebesverantwortung für das ganze unauf-
spürbare Weltgeschehen. Im Wesensakt der reinen Beziehung
empfängt der Mensch etwas, das er noch nicht
hatte, empfängt ein ihm Gegebenes, jene ganze Fülle des
Verbundenseins und in ihr die unaussprechliche Bestätigung
des Sinnes — nicht eines andern Lebens, sondern
dieser unsrer Welt, und diesen empfangenen Sinn hat er
mit der Einzigkeit seines Wesens und in der Einzigkeit
seines Lebens zu bewähren. Das ist die ewige Offenbarung
und jede einzelne ist im Urphänomen die gleiche.
Im Weg der Geschichte wird immer neuer Bezirk der
Welt und des Geistes zur göttlichen Gestalt berufen.
Immer neue Sphären werden zum Ort der Theophanie.
Jede Spirale des Wegs der Geschichte führt uns in
tieferes Verderben und in grundhaftere Umkehr zugleich.
Das Ereignis aber, dessen Weltseite Umkehr heißt,
dessen Gottesseite heißt Erlösung.

Der tiefgehenden Auseinandersetzung mit der „Sachlichkeit
" und der Mystik, die hier vorliegt, stimme ich
zu. Nur kann ich nicht mitgehn, wenn B. das religiöse
Kreaturgefühl durch ein kreatorisches Freiheitsgefühl ergänzen
will. Es kommt doch ein fremder Zug hinein,
wenn die Gebetsworte „dein Wille geschehe" erläutert
werden durch den Zusatz „durch mich, den du brauchst"
95—98. Nur der Zusatz „durch mich, den du, in deiner

zustimmt. Nur ganz selten wird ein schüchternes Bedenken geltend
gemacht, wie beispielsweise mit der Frage, ob Stange sich selbst getreu
geblieben sei, wenn er die bestehenden Religionen kurzweg als
wahre und nicht wahre kontradiktorisch unterscheidet statt ihr Verhältnis
zu einander nach dem Schema einer Stufenfolge oder einer
aufwärts gerichteten Entwicklung zu denken: einer Frage, deren Berechtigung
hier auf sich beruhen möge.

Gießen. E. W. Mayer (Straßburg).

Verzeichnis neuester Besprechungen.

Loofs, Fr: Die „Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher."

2. A. (Fr. Trauh: DtLZ 43, '22, 1; MPctcrs.ThLBl 43, '22, 5; Carl
Mirbt: ThLZ 47, '22, 26).

Meyer, E: Ursprung und Anfänge des Christentums I (EvDobschütz:
ThStudKrit '22, 1/2; Johannes Behm: OLZ 25, '22, 5; Hans Lietz-
mann: HiZ 137, 31, '22, 1; Adjülicher: ThLZ 47, '22, 24).

— Dass. II. (Roland Schütz: ThBlätter 32, '22, 4; EvDobschütz:
ThStudKrit '22, 1/2; ASt: LtZtbl 74, '23, 4; Martin Dibelius: DtLZ
43, '22, 45; Hans Lietzmann: HiZ 127, 31, '22, 1; Adjülicher
ThLZ 47, '22, 24).

Müller, AV: Papst und Kurie (Sägmüller: ThQs 103, '22, 1/2; KA
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Nie bergall, F: Wie predigen wir dem modernen Menschen?

3. Teil. (Aug Hardeland: ThLBl 43, '22, 4; Sn: LtZtbl 73, '22, 26;
WBornemann: ThLZ 47, '22, 26).

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The Oxyrynchus Papyri Bd XV. (Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff:

DtLZ 43, '22, 16; WKrönert: LtZtbl 73, '22, 21—23; HvSoden:

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Perathoner, A: Das kirchl. Gesetzbuch (Sägmüller: ThQs 103,

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Leisegang, H: Pneuma Hagion (Bultmann: ThLZ 47, '22; 20;

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Die nächste Nummer der ThLZ erscheint am 4. August 1923.
Beiliegend Nr. 16 des Bibliographischen Beiblattes.

Verantwortlich: Prof. D. E.Hirsch in Göttingen, Nikolausberger Weg 31.
Verlag der J. C. Hinrichs'schen Buchhandlung in Leipzig, Blumengasse 2. — Druckerei Bauer in Marburg.