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Ausgabe:

1923

Spalte:

300-301

Autor/Hrsg.:

Lehmann, Paul

Titel/Untertitel:

Mittellateinische Verse in Distinctiones monasticae et morales vom Anfang des 13. Jahrhunderts 1923

Rezensent:

Lerche, Otto

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300

alters ist. Übrigens ist die Darstellung der alten Kirche
einschließlich des Urchristentums nicht nur der längste,
sondern auch der wertvollste Teil, in dem am meisten
eigene Arbeit und besonderes Gedankengut steckt.

Die Darstellung Jesu hält sich ganz im Rahmen
der deutschen historischen Theologie, wenn sie
sich auch durch eine konservative Milde in der Kritik
und durch eine ausgleichende praktische Haltung charakterisiert
, wie man sie besonders häufig in englischer.
Büchern findet. Über Schwierigkeiten, an denen wir
deutschen Mitarbeiter uns immer wieder abmühen, kommt
man so mit einer gefälligen Leichtigkeit hinweg. So
wird z. B. die Gleichsetzung des Reiches Gottes mit
der Kirche, an der sich viele von uns so hart stoßen,
daß sie nicht nur die Worte von der Ekklesia, zumal
Matth. 16, 16 ff., sondern auch manche Himmelreichsgleichnisse
aus dem echten Überlieferungsgut ausscheiden
, mit einem ganz selbstverständlich erscheinenden
Übergang vom Reich Gottes zu dem Jüngerkreis und
von da zur Kirche glatt vollzogen, und die angefochtenen
Stellen werden so ohne weiteres gehalten. So ist es
fast überall, wo wir Schwierigkeiten empfinden. Anders
freilich ist es hier und da bei chronologischen Dingen
wie beim Abendmahl, dem übrigens ein kleiner Exkurs
mit besonderen Ansichten gewidmet ist. Dabei ist das
Jesusbild im ganzen durchaus nicht ungeschichtlich verzeichnet
.

Immerhin ergibt sich auch von da aus, daß das Buch
dort am wertvollsten ist, wo es über diese kritisch angefochtenen
Örter hinaus in die gesicherte Gegend der
nachapostolischen und altkirchlichen Zeit führt. Neues
wird man hier nicht in großem Umfang erwarten, wohl
aber gibt hier ein reiches Quellenmaterial und eine starke
Betonung des Lebens und der Einrichtungen, zumal des
sozialen Lebens, dem Buch auch einen wissenschaftlichen
Eigenwert.

Jena. H. Weinet.

Cavallera, Prof. Ferd.. Saint Jerome sa vie et son ceuvre.

Paris: Honor£ Champion 1922. Tomel. (X.334S.) Tome II. (228S.)
gr. 8° = Spicilegium sacrum Lovaniense. Etudes et documents,
fasc. 1 u. 2.

Seit der in den Jahren 1901—1908 vom Referenten
veröffentlichten Hieronymusbiographie ist das vorliegen-*
de Buch das erste umfassende Werk über den Kirchenvater
. C. hat in seinem Buch die neu aufgefundenen
sicher echten Briefe des Hieronymus aus seiner letzten
Lebenszeit und die wertvollen Einzeluntersuchungen über
Hieronymus aus den letzten Jahrzehnten benutzen können
, von neuerer Literatur ist nur die Jubiläumsschrift
des Beuroner Benediktiner, in der sich ein besonders
wichtiger Aufsatz über das Hieronymusbild in seiner
geschichtlichen Entwicklung findet, unverwertet geblieben
. Der erste Band des Buches von C. enthält die Biographie
, der zweite umfassende Untersuchungen zur
Chronologie des Hieronymus und zu einzelnen Ereignissen
seines Lebens und zu seinen Werken. Wenn wir
zunächst die Arbeit C.s als Ganzes würdigen, so bietet
seine Biographie nicht wesentlich Neues und konnte es
auch kaum bieten, da die Haupttatsachen des Lebens
des Kirchenvaters feststehen und wir auf Grund seines
umfassenden Nachlasses über ihn besser wie über die
meisten Kirchenväter unterrichtet sind. Auch das Charakterbild
wird von dem katholischen Autor wesentlich
mit denselben Zügen gezeichnet, wie in meiner Biographie
. Die unsympathischen Züge, seine starke Sinnlichkeit
, seine Eitelkeit und Reizbarkeit, seine boshafte
Polemik gegen seine Gegner auch z. B. gegen eine so
edle Persönlichkeit wie Ambrosius sind vielleicht etwas
retouchiert, aber im Ganzen bekommt man doch dasselbe
Bild einer leidenschaftlichen, aber trotz aller
Charakterschwächen hervorragenden Persönlichkeit. So
wird die Arbeit C.s vielfach zu einer Nachprüfung der
von mir gewonnenen Resultate. Ich gehe deshalb vor
allem auf die Partien seines Buches ein, in denen C. von
mir abweicht. Die Gliederung der Biographie deckt sich
fast mit der meinigen: die Jugend bis zum ersten Aufenthalt
im Orient 347—82, der römische Aufenthalt 382
bis 85, die ersten Jahre zu Bethlehem 365—402, der
Origenistische Streit 393—402, die letzten Jahre 403 bis
419. Im zweiten Teil, dem wertvollsten seiner Arbeit,
werden die kontroversen Fragen in dem Leben des H.
mit eingehender Gründlichkeit und Scharfsinn behandelt.
Aeltere Aufstellungen werden hier entweder neu begründet
oder C. gelangt zu neuen Resultaten. Das Geburtsjahr
des H. setzt C. wie der Referent auf 347, indem
er die Datierung des Prosper auf 331 als zu trüh
abweist. Das Todesjahr datiert er mit guten Gründen
nicht auf 420, sondern 419. Die stark umstrittene Lage
seines Geburtsortes, Stridon, lokalisiert er, wie mir
scheint ebenfalls mit Recht, in der Nähe von Aquileja,
auch wird Hieronymus nicht, wie vielfach behauptet
wurde, seiner Rasse nach als Slave, sondern als Römer
erwiesen. Dagegen vermag ich C. nicht zu folgen, wenn
er die desordres de jeunesse des H. so mild beurteilt und
sie nur in seinem Leben vor der Taufe stattgefunden
haben läßt. Trotz mancher Ähnlichkeit in diesem Punkt
läßt er sich seiner ganzen Natur nach nicht mit Au-
gustin vergleichen. Die Frage nach dem von Amelli 1901
veröffentlichten Traktat des H. über die Vision Jes. 6
scheint mir C. definitiv beanwortet zu haben. Es ist sehr
wahrscheinlich, daß dieser Traktat eine Übersetzung aus
dem Griechischen ist, die Hieronymus für seine Freunde
im Orient verfertigte. Sein Verfasser ist vielleicht der
Bischof Theophilus von Alexandria. Zu den besten Abschnitten
seiner Biographie gehört bei C. die eingehende
Darstellung des Origenistischen Streites. Er tritt mit
Energie gegen Brochet und den Referenten dafür ein,
daß Rufin in keinem Stück der bewußten Unwahrhaftig-
keit, der ihn H. verdächtigte, überführt werden kann.
C. hat mich davon überzeugt, aber ich möchte daraus
die Konsequenzen über die Unzuverlässigkeit des H.
noch schärfer ziehen, als C. tut. Zum Schluß muß ich
noch auf einen Mangel der Arbeit C.s hinweisen, es ist
die wenig in die Tiefe gehende Behandlung der exegetischen
Arbeiten des H. Die Kommentare und seine biblischen
Arbeiten werden nur erwähnt, es wird aber kein
Versuch gemacht, sie in irgend einer Hinsicht auszuschöpfen
. Trotz dieser Ausstellungen ist das neue Buch
C.s die umfassendste und gründlichste wissenschaftliche
Leistung, — Brochets 1905 erschienene Arbeit behandelt
nur einen Teil des Lebens des H. — die in den
letzten Jahrzehnten von katholischer Seite veröffentlicht
ist.

Münster i.W. G. Grützmacher.

Lehmann, Paul: Mittellateinische Verse in Distinctiones
monasticae et morales vom Anfang des 13. Jahrhunderts.

München: G. Franz i. Komm. 1922. (28 S.) 8° = Sitz.-Ber. d.
Bayer. Akad. d. Wissensch. Philos.-philolog. u. hist. Kl. Jahrg.
1922, 2. Abh.

Das aus den Carmina burana bekannte Gedicht, Suscipe, flos,
florem..., hat L. in den * Distinctiones monasticae et morales wenigstens
in dem zweiten Verse ,quia flos designat amorem' wiedergefunden.
L. untersucht die Distinctiones, die von Dom. J. B. Pitra 1855 herausgegeben
sind, eingehend und kommt zu vielfach neuen, interessanten
Ergebnissen, die wir seiner erstaunlichen Belesenheit auf diesem Gebiete
zu danken haben. L. stellt Pitra gegenüber manche neue, bisher
weniger bekannte, aber auch schon anerkannte Dichter in der Sammlung
fest, von der er nachweist, daß sie etwa 1212—1225 in einem englischen
Zisterz.ienserkloster entstanden ist.
Wolfenbüttel. Otto Lerche.

Baer, Fritz: Das Protokollbuch der Landjudenschaft des
Herzogtums Kleve, f. Teil. Die Geschichte der Undjuden-
schaft des Herzogtums Kleve. Berlin: Schwetschke & Sohn 1922.
(IX, 161 S.) gr. 8° = Veröffentl. d. Akademie f. d. Wissenschaft
d. Judentums. Hist. Sektion I. Bd.
Das Buch behandelt die wirtschaftlichen, sozialen
und religiösen Verhältnisse der etwa 150 bis 175 jüdischen
Familien im Herzogtum Kleve vom ausgehenden
Mittelalter bis zur Emanzipation auf Grund des Protokollbuches
der Landjudenschaft des Herzogtums Kleve,
das sich im Gesamtarchiv der deutschen Juden zu Berlin
befindet und das B. herauszugeben beabsichtigt. Besonders
wesentlich sind die Erlasse des großen Kur-