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Ausgabe:

1923 Nr. 13

Spalte:

286-287

Autor/Hrsg.:

Schian, Martin

Titel/Untertitel:

Grundriß der Praktischen Theologie. 2. Hälfte 1923

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 13.

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ländisch-Indien, Neu-Guinea, Südwestafrika und Südafrika
geprüft, kurz auch auf die Missionshandelsgesellschaft
eingegangen, die nach 12jährigem Bestand liquidieren
mußte. Für das Thema der Grenzbeziehungen
zwischen Mission und Volkswirtschaft liefert die Schrift
einen beachtenswerten Beitrag, der freilich darunter
leidet, daß der Verf. die von ihm benutzte, übrigens
weder vollständige noch bibliographisch genau angegebene
, Literatur nur am Ende zusammenstellt, so daß
die Nachprüfung im einzelnen erschwert wird.

Güttingen. Carl Mirbt.

Mayer, Prof. D. Dr. Emil Walter: Ethik, Christliche Sittenlehre
. Giefien: Alfred Tüpelmann 1922. (XI, 329 S.) 8° = Die
Theologie im Abrili. I, 4. Gz. 6 ; geb. 7,8.

M.s Buch zerfällt in drei Teile: auf die Prinzipienlehre
( Moralphilosophie, S. 14—70) folgt „Geschichtliches
zur Phänomenologie des sittlichen Bewußtseins
und zur Geschichte der Ethik" (71 — 172), erst dann
die „spezielle Ethik" Morallehre; 173—314); und
zwar beginnt diese wieder mit „Grundsätzlichem"
(—194), spricht dann „von der sittlichen Willensbeschaffenheit
" (Tugendlehre, —245), „von der Art des
sittlichen Handelns innerhalb der verschiedenen Formen
menschlicher Gemeinschaften" (Pflichtenlehre, —313),
und „von dem Ergebnis des sittlichen Handelns" (Lehre
vom höchsten Gut, 313 f.). Ausführliche Sach- und
Personenverzeichnisse erleichtern die Benutzung.

Schon dieser Aufriß deutet an, daß M. seine Aufgabe
eigenartig anfaßt, unbekümmert um das übliche
Schema wie um die modernsten Stimmungen; ein starker
prinzipieller und ein starker geschichtlicher Zug beherrschen
das Ganze; sie hemmen sich nicht gegenseitig
wie sonst so oft, sondern verbinden sich und
drängen die „spezielle Ethik" in den Hintergrund. Daraus
ergibt sich eine Eigentümlichkeit der Gesamthaltung
, die manche Erwartung täuscht. Wenn nämlich
von der Ethik heute eine Führung nach der Seite der
„objektiven üüterlehre" oder der „materialen Wertethik
", d. h. einer ethischen Durcharbeitung der großen
Kulturgebiete (auch des wirtschaftlichen und politischen)
ersehnt wird, so hilft uns M. wenig. Er verzichtet bewußt
darauf, die wilden Blöcke der ethischen Objekte
gleichsam zu behauen, ehe er sie vor das sittliche Urteil
des Einzelnen stellt, und bleibt wesentlich auf der Bahn
der reinen üesinnungsethik, insofern der protestantischen
und kritisch-philosophischen Ueberlieferung. Deshalb
wird ihm auch eine zweite Problemreihe nicht akut:
mit dem Interesse an der „angewandten Ethik" tritt ihm
das an der scharfen Spannung in den Hintergrund, die
wir heute zwischen Kultur und Christentum empfinden.
Wer in diesen modernen Bestrebungen steht, kann gegen
M.s Buch nicht gerecht sein; er versteht auch den tiefen
christlichen Sinn nicht mehr, den Ritsehl (und mit ihm
M.) in die Betonung der Liebe und des Gottvertrauens
für die Ethik legt, und kommt so zu den seltsamsten Vorwürfen
(vgl. die trotz guten Willens verzerrende Kritik
des Buches durch G. Wünsch in der Christlichen Welt
Nr. 18/19). Hier stoßen zwei ganz verschieden empfindende
Welten auf einander, die sich gegenseitig
mißverstehen.

M. will gar nicht die Führung ergreifen bei dem
Versuche, neue Problemgebiete zu erschließen oder die
neuen Einstellungen der Gegenwart auf die Ethik anzuwenden
; sondern er will den besten Erwerb der bisherigen
Theologie zusammenfassen und der theologischen
Jugend vermitteln; er vertraut darauf, daß dieser
Erwerb noch weiter zu fruchtbarem Dienst berufen ist.
Er sieht offenbar gerade darin eine überaus notwendige
Aufgabe und den Sinn der „Sammlung Töpelmann".
Und wirklich, auch wer die neuen Tendenzen, die heute
in der Ethik wie in der religiösen Gesamthaltung aufbrechen
, höher oder fruchtbarer einschätzt als M., auch
wer auf ihre Fragen ernstlicher zu antworten versucht,
wird zugeben, daß sie noch längst nicht klar oder reif
oder sieghaft genug sind, um ein System der Ethik

i durchwalten zu können; die Vorlesung hat hier andere
Aufgaben als das gedruckte Buch.

Innerhalb der frei gewählten Schranke bietet M.
außerordentlich viel. Er bringt eine reiche Fülle von
Stoff, gibt durch häufige Zitate Berührung mit der
wichtigsten (auch ausländischen) Literatur, sucht mit
einem gewissen Eklektizismus verschiedenen Auffassungen
gerecht zu werden, vermittelt dem Leser ein
ethisch-geschichtliches Bewußtsein. Um durch solche
Fülle nicht zu erdrücken oder doch zu langweilen, wählt
er einen leichten und anregenden, beinahe plaudernden
Ton, geht nicht dem Ideal der Vollständigkeit oder systematischen
Strenge nach, sondern bemüht sich mehr um
praktische Durchgliederimg und anschauliche Beispiele.
Mit pädagogischer Weisheit verbindet das Buch eine
hohe Reife der Betrachtung; durch abgewogenes, möglichst
vielseitig orientiertes Urteil sucht es die nach einer
bestimmten Richtung vorwärts reißende Schwungkraft zu
ersetzen, die es bei seiner ganzen Art nicht haben kann.
Demgegenüber hat es wenig Sinn, über einzelnes zu
rechten. Alles in allem: eine treffliche Einführung, ein
vorläufiger umfassender Überblick für das Studium der
Ethik; ein Buch, über das man unwillkürlich hinausgedrängt
wird, durch die Schwerkraft der darin berührten
Probleme selbst wie durch die Forderungen des
heutigen Lebens, dessen gründliche Beachtung aber ausgezeichnet
für dies neue Ringen vorbereitet.

Halle a. S. H. Stephan.

Schi an, Prof. D. Dr. Maitin: Grundriß der praktischen

Theologie. Gießen: A. Töpelmann 1922. (S. 177 395 S.) 8° =
Die Theologie im Abriß, Bd. ö. Gz. 5,6; geb. 7,8.

Der Schiansche Grundriß hat sich so schnell überall
eingeführt, daß diese leider etwas verspätete Anzeige
des zweiten Teils nur diesem allgemein günstigen Urteil
Ausdruck geben kann. Es ist ja müßig, im Einzelnen
darüber zu richten, ob nicht dieser Abschnitt etwas
breiter, der andere kürzer hätte gestaltet werden können.
Überall ist eine sehr reiche Stoffmenge verarbeitet und
das für ein Studentenbuch Notwendige ist gesagt.
Die ausgezeichneten Literaturübersichten sind auch dem
Fachmann ein willkommener Wegweiser.

Die Gestaltung des altkirchlichen Katechumenats
hätte als Grundlage aller weiteren Entwicklung des
Taufrituals übersichtlicher in Erscheinung treten können.
Bei der Taufhandlung der Gegenwart ist mir der Charakter
als Gemeinde handlung zu scharf betont. Das
kleine Kind wächst doch zunächst in die christliche
Familie hinein. Die Familienfeier ist seelsorgerlich
zweckmäßiger — alles andere ist graue Theorie. Der
Pfarrer im Talar und die Taufzeugen vertreten die Gemeinde
. Bei § 47 (Einführung in andere kirchliche

[ Ämter) fehlt die Erwähnung der Einführung einer Ge-

I meindediakonissin.

Im dritten Abschnitt „die gottesdienstliche Rede"

| ist die Predigt mustergültig behandelt. Es fehlen

j aber die sogenannten Kasualreden und andere amtliche
Ansprachen. Sie sind wohl in früheren Abschnitten kurz
berührt, würden aber besser hier noch in einem kurzen
Kapitel behandelt. Der § 56 über besondere Arten der
Predigt wäre eher entbehrlich, denn seine Ausführungen
müssen sich naturgemäß auf sehr allgemein gehaltene
Bemerkungen beschränken.

Am Meisten erregt aber meinen Widerspruch der
vierte Abschnitt über die außergottesdienstliche Gemeindepflege
. So sehr ich es mit lebhafter Zustimmung begrüße
, daß der Gemeindegedanke nach den verschiedensten
Seiten hier kräftig zur Geltung kommt, so ist es
doch gewaltsam, geschichtlich und praktisch, auch die
verschiedensten Formen der Liebestätigkeit und der
Innern Mission mit in diesen Abschnitt zu zwängen.
Mittelalterliche Liebesarbeit, reformatorische Kirchenordnungen
, Gemeinden unter dem Kreuz, dann wieder
A. H. Franke usw. stehen in bunter Abwechslung und
die eigentliche „Innere Mission" ist S. 263 doch viel zu
summarisch behandelt. Einige Seiten später kommt