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Ausgabe:

1923 Nr. 1

Spalte:

231-232

Autor/Hrsg.:

Ludwig, August Friedrich

Titel/Untertitel:

Geschichte der okkultistischen (metapsychischen) Forschung von der Antike bis zur Gegenwart. 1. Teil 1923

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

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231

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 10/11.

232

tun gen zu den beiden Bändchen, die William von Schröder
gibt, sie sind wohl überhaupt das Beste an der ganzen Sammlung.
Bedenklich dagegen ist die systematische Anordnung der Stoffe. Gewiß
, dem Herausgeber ist es nur um die Sache zu tun. Aber man
könnte sie eben nur dann recht erkennen, wenn die Gewährsleute ein unmittelbareres
Verhältnis zu ihr hätten. Wie ist doch selbst bei
Böhme das Magische und Mystische schon verdünnt und rationalisiert!
Von Swedenborg ganz zu schweigen! Und selbst Teresa a Jesu wirkt
doch reflektiert neben der Unmittelbarkeit der hlg. Hildegard. All
diese Leute haben für uns doch nur noch ein historisches Interesse.
Aber gerade das wird nicht befriedigt, denn was für den Einzelnen
von ihnen charakteristisch ist, wird durch die Stoffanordnung unterdrückt
.

Mit den drei anderen Bänden der Sammlung steht es womöglich
noch schlimmer, weil sie überholte wissenschaftliche Theorien
geben. So fesselnd auch heute noch die Schrift Schopenhauers aus
den'Parerga und Paralipomena zu lesen ist, so bedürfte sie doch, um
wissenschaftlich haltbar zu sein, eben der Berücksichtigung all der Ergebnisse
der neueren Physiologie und Psychologie des Traumes und der
Psychologie der „übernatürlichen Erlebnisse". Eine offensichtliche
Mißdeutung Sch.s ist es, wenn der Herausgeber aus dem phänomenalen
Dualismus von Ding an sich und Vorstellung einen realen von
natürlicher und übernatürlicher Wirklichkeit macht.

Als Ganzes am erfreulichsten ist die Auswahl aus Fechner, die
V. von Weizsäcker besorgt hat, weil hier durch das Werk der
Mensch geschildert werden soll. Sie enthält das Beste aus der „Tagesansicht
gegenüber der Nachtansicht", dem Zend-Avesta, und dem
„Büchlein vom Leben nach dem Tode". Einleuchtend scheint mir
W.s Vermutung, daß das Ursprüngliche an Fechners philosophischem
Schaffen nicht der wissenschaftliche Antrieb gewesen sei, sondern
seine religiösen Erfahrungen; von hier und nicht aus der Zeitphilosophie
stamme sein Optimismus und sein Teleologismus.

Das letzte Bändchen enthält Schellings „Clara". Die schöne
Einleitung von Hans Ehrenberg bringt einem die kleine Schrift
menschlich näher, aber sie kann über ihre philosophische Schwäche
auch nicht hinweghelfen.

Die Herausgabe der ganzen Sammlung durch einen so ernsten
Verlag deutet darauf hin, daß hier tatsächlich eine geistige Not
unserer Zeit vorliege. Theosophie, Spiritismus und Okkultismus erfreuen
sich deshalb eines so großen Interesses, weil sie die Verbindung
herzustellen scheinen zwischen der modernen Natur- und Geschichtsbetrachtung
und dem Glauben an ewige Werte, eine Verbindung, die
weder von der heutigen Schulphilosophie noch von der Theologie hergestellt
wird. Nur eben, die alte christliche Theosophie kann hier auch
nicht helfen, weil sie Natur und Geschichte mit anderen Augen ansieht
als der moderne Mensch, nämlich als das in sich Gleichbleibende,
das deshalb keine unmittelbare Beziehung zu dem innersten Streben des
Individuums hat. Hier liegen Problemstellungen vor, denen sich auf
die Dauer die Dogmatik nicht wird entziehen dürfen.

Göttingen. Piper.

Ludwig, Prof. Dr. jur. et rer. polit. August Friedr.: Geschichte der
okkultistischen (metapsychischen) Forschung von der Antike
bis zur Gegenwart. 1. Teil. Von der Antike bis zur Mitte des
19. Jahrhunderts. Pfullingen: Johannes Baum 1922. (152 S.) gr. 8°

Eine Geschichte des Okkultismus innerhalb des vom
vorliegenden Bande in Betracht gezogenen Zeitraums
heißt nach des Verfassers eigener Aussage so viel wie
eine „Darstellung der theoretischen Versuche, die rätselhaften
Phänomene, deren Dasein man nicht leugnen
konnte, zu deuten, zu erklären". Da nun freilich der
Ausdruck „rätselhafte Phänomene" ziemlich vielsinnig
ist, sei zu genauerer Charakteristik des Buchs und seines
Inhalts sofort noch hinzugefügt: es handelt sich wesentlich
um psychische Vorgänge wie „Wahrträume", Visionen
, Hellsehen, verwirklichte Ahnungen, ein Vernehmen
von Stimmen oder Worten, dem keine nachweisbaren
äußeren Reize entsprechen, Telepathie und Fernwirkung
, Somnambulismus, wunderbare Heilungen, Ekstasen
, das Tun der Wünschelrutengänger und Aehn-
liches. Ausgeschieden sind aus der Darstellung der
„Hypnotismus, da dieser längst sich in der Medizin,
wenn auch nach langem Mißtrauen, Heimatrecht erworben
hat"; aber auch — wenigstens grundsätzlich —
„Theosophie und Astrologie, die mit wissenschaftlichem
Okkultismus nichts zu tun haben".

Die Geschichte setzt ein mit Sokrates, dessen, den
okkultistischen Erscheinungen zugerechnetes, Daimonion
schon früh zu mannigfachen Erklärungsversuchen Anlaß
gegeben hat, und wird fortgeführt bis zur Mitte des

19. Jahrhunderts. Die Orientierung über die von letzterem
Termin bis zur Gegenwart reichende Periode, in
der „seit dem Auftreten des Spiritismus mehr die experimentelle
Forschung in den Vordergrund tritt", wird einem
weiteren von Dr. Tischner in München zu liefernden
Bande vorbehalten. Hintereinander werden folgende Themata
besprochen: 1. Die griechische Philosophie, Pla-
toniker und Stoiker. Aristoteles. 2. Neuplatoniker und
Neupythagoreer. 3. Die altchristlichen Schriftsteller.
4. Arabische Philosophen und christliche Scholastiker
des Mittelalters. 5. Mittelalterliche Mystiker. 6. Humanisten
und Theosophen. 7. Die okkultistische Forschung
im Zeitalter der konfessionellen Polemik und des Hexeii-
wesens. 8. Die okkultistische Forschung in Kampfstellung
gegen Rationalismus und Aufklärung. 9. Die
okkultistische Forschung unter dem Gesichtswinkel des
Magnetismus und Somnambulismus. 10. Die deutschen
Philosophen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
(Baader, Schelling, Hegel, Schopenhauer). — Alle Literatur
, die in den betreffenden Zeitraum fällt, zu berücksichtigen
, wird vom Autor nicht erstrebt, da doch auf
dem betreffenden Gebiet „viel Wertloses produziert worden
" ist; aber über sehr zahlreiche und verschiedenartige
Schriften wird ausführlicher berichtet, oft in etwas
schwerfälliger und ermüdender Form, weil in langen
Abschnitten indirekter Rede.

Die Lektüre des Buchs wird zweifelsohne solchen,
die für den Okkultismus überhaupt etwas übrig haben
— und sie sind bekanntlich • in unseren aufgeregten
Zeiten wieder einmal nicht ganz selten — manche, sie
interessierende und ihnen wichtige, Kenntnisse erschließen
; doch auch weiteren Kreisen kann das Werk etwas
bieten. Lehrreicher noch allerdings wäre es vielleicht
ausgefallen, wenn der Stoff mehr systematisch geordnet,
die verschiedenen Auffassungen und Deutungsversuche
auf bestimmte Typen zurückgeführt und danach gruppiert
worden wären. In dieser Beziehung wird nicht sehr
viel geleistet; indessen doch das eine, daß gegen Ende
konstatiert wird: schon früh hätte sich eine doppelte Art
der Deutung bemerkbar gemacht: eine „supranaturalistische
" und „pneumatologische" einerseits, die sämtliche
okkultistische Vorgänge aus dem „Eingreifen einer
Geisteswelt" abzuleiten geneigt war, und eine „naturalistische
" oder „animistische", die zum Zweck der Erklärung
gern geheimnisvolle, der menschlichen Seele angeborene
Kräfte voraussetzte. Der Verfasser selbst redet
nur ganz im allgemeinen einer möglichst exakten, experimentellen
Fofschungsmethode das Wort, deren Zeit allmählich
herangekommen sei. Gegen ein derartiges Programm
ist an sich kaum etwas zu erinnern, vorausgesetzt,
daß zunächst die Realität der zu untersuchenden Erscheinungen
jedesmal unwiderleglich festgestellt und für
deren Erklärung keine Begriffe verwandt würden, die,
lediglich ad hoc gebildet, keinerlei Wurzel in der Erfahrung
haben und selbst nur wieder neue Rätsel bedeuten.
Sympathisch berührt selbstverständlich auch des katholischen
Autors wiederholter Protest gegen den Materialismus
. Im übrigen tritt die Deutung des Okkultismus,
zu der er neigt, bei freilich unverkennbarer Eingenommenheit
für das Okkulte, nicht so deutlich zu Tage, daß es
sich rechtfertigen ließe, seine persönliche Stellungnahme
hier etwas eingehender charakterisieren zu wollen. Wohl
aber kann Unterzeichneter sich es nicht versagen, ein
Wort eines seinerseits für okkultistische Vorgänge einigermaßen
interessierten Forschers anzuführen, das in
dem vorliegenden Buch als „ganz mit den Grundsätzen
der katholischen Mystik übereinstimmend" auch zitiert
wird, das Wort des Bonner Mediziners Ennemoser:

Da nicht das Schauen und die tatlose Abgezogenheit, nicht der
passive Glaube, nicht bloß das fromme Gebet in der Zurückgezogenheit
von häuslichen Geschäften und Arbeit, sondern der Glaube mit den
Liebeswerken die Lebensaufgabe des Menschen ist, so sind Visionen und
Ekstasen, an sich schon Abnormitäten, immer mit Behutsamkeit hinzunehmen
, und dies um so mehr, wo die Gesundheit fehlt.

Gießen. E. W. Mayer (Straßburg).