Recherche – Detailansicht
Ausgabe: | 1923 Nr. 9 |
Spalte: | 211-212 |
Autor/Hrsg.: | Althaus, Paul |
Titel/Untertitel: | Staatsgedanke und Reich Gottes 1923 |
Rezensent: | Hirsch, Emanuel |
Ansicht Scan: | |
Download Scan: |
211
Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 9.
212
heimnisschleiers, den Eindruck göttlicher Offenbarung
macht, ein Eindruck, der genauer als Einladung zu bezeichnen
ist, die der Annahme durch menschliche Vertrauenstat
bedarf. Aber damit ist die entscheidendq
Frage erst vorbereitet: Gibt bei diesem Vertrauensakt
Wollen den Ausschlag oder liegt ein Schauen zu Grunde?
Und wenn letzteres — weil sonst Glaube stets gezwungen
, krampfig und von Zweifel umlauert bliebe — wie
kann man sich der Wahrheit des Dichterwortes: „War
nicht das Auge sonnenhaft" etc., wie sich der Zustimmung
zu der These des Kirchenvaters: „Anima naturaliter
christiana" und damit der Anerkennung eines wenn auch
mit kritischer Vorsicht näher zu bestimmenden Rationalismus
entziehen?
Iburg. W. Thimme.
Alt haus, Prof. D. Paul: Staatsgedanke und Reich Gottes.
Langensalza: Beyer und Söhne 1923. (52 S.) 8° == Schriften zur
politischen Bildung. Hrsg. v. d. Gesellschaft „Deutscher Staat",
Heft 4. Gz. 1,6.
Die kleine Schrift geht von der radikalen religiösen
Kultur- und Staatskritik aus, die heut laut um das junge
Geschlecht wirbt. Ihr zu begegnen, setzt sie bei dem
ethischen Zweifel am Staatsgedanken ein. Der Staat
ist Rechtsordnung und Wille zur Macht; in beiden Stük-
ken scheint er im Gegensatz zum Reich Gottes zu stehen.
So führt A. die Untersuchung nach zwei Gesichtspunkten:
1. Recht und Reich Gottes; 2. Politisches Wollen einer
Nation und Reich Gottes. Zu 1.: die Rechtsordnung
steht in teleologischer Beziehung zum Reiche Gottes; sie
bedarf aber auch ihrerseits des Reiches Gottes. Und der
Dienst an der Rechtsordnung ist zwar nicht immer Dienst
an dem von Recht- und Gewaltübung Betroffenen, aber
Dienst an dem uns anbefohlenen Lebenskreise, jedenfalls
Dienst und darum kein Gegensatz zur Liebe. Zur zweiten
Frage widerspricht A. der Behauptung des wesentlichen
Dualismus zwischen Politik und Reich Gottes, aber ebenso
der Lehre von der fortschreitenden Synthese beider.
Er selbst findet, indem er das politische Wollen in der
Tiefe prüft, den Berufsgedanken als leitendes Motiv desselben
. Es handelt sich letztlich um die Erkenntnis des
Berufs einer Nation und um den Gehorsam gegen diese
Erkenntnis. Die Durchführbarkeit dieses sittlichen Berufsgedankens
in der lebendigen Geschichte bietet gewaltige
ethische Probleme, aber er führt doch auf ein dienendes
Handeln, das alle Merkmale des Lebens im Reich
Gottes aufweist. Das wird zum Schluß näher ausgeführt.
Daß A. den Kampf mit den Religiös-Sozialen und verwandten
Bestrebungen in einem zentralen Punkt aufnimmt,
ist erfreulich; daß er ihn in sachlich gründlicher Weise,
unter Vermeidung aller Einseitigkeit führt, ist besonders
wertvoll. Er stellt mit vollem Recht auch die Politik
unter sittliche Gesichtspunkte, aber er greift tiefer als
die Pazifisten und Kulturkritiker und kommt so zu sehr
ernst zu nehmenden Gegenargumenten. Ob man dabei dem
Moment des „Berufs", zumal des Berufs eines Volks,
so entscheidende Bedeutung zumessen soll, wie A. tut,
bleibt mir zweifelhaft. Aber jener Gedanke hängt mit
dem anderen, weiteren der sittlichen Verantwortung ganz
eng zusammen; in dieser Verbindung hat er zweifellos
sein großes Recht. Richtig wäre es vielleicht gewesen,
das Problem nicht (was freilich der knappe Raum nahelegte
) für sich zu behandeln, sondern auf dem breiten
Hintergrund des in allem, auch dem rein persönlichen,
Handeln immer wiederkehrenden Konflikts zwischen Ordnung
und Liebe, also in gewissem Sinn: Recht und Reich
Gottes. Im letzten Grunu ist die Lage des Politikers keine
andere als die des Bürgermeisters, des Anstaltsleiters, des
Lehrers, des Pfarrers, des Familienoberhauptes. Auf
diese Situation wird S. 48 einmal hingewiesen; aber nur
kurz. Gerade diese Erkenntnis aber nimmt dem Problem
seine beunruhigende Schärfe. Die klar geordnete, gut
lesbare förderliche Schrift mit ihrem hohen ethischen
Ernst und ihrer ruhigen Gerechtigkeit wird dem schwärmerischen
Radikalismus hoffentlich kräftig Abbruch tun.
Gießen. M. Schi an.
Wa c h t e r, Oberst a. D. Karl von : Zum Verständnis der Weltlage.
Zugleich eine Auseinandersetzung mit Fr. W. Foerster. München:
C. H. Beck 1922. (VIII, 324 S.) 8» Gz. 4,5; geb. 6.
Das Buch eines alten frommen Obersten, lehrreich durch zahlreiche
Auszüge aus zeitgenössischer Literatur, achtungswert durch den Denkernst
, der die Bildung einer christlichen Geschichtsphilosophie als notwendige
Krönung der Auseinandersetzung empfindet und sich an dieser
Aufgabe, so gut es eben gehen will, versucht. Für den Theologen sind
wichtig die Mitteilungen aus der Predigt des englischen Bischofs Molony
in Schanghai 1919 (S. 281f.) und aus dem Buch des englischen Theologen
D.P.T. Forsith, The Christian Ethic of War (S. 296ff.). Molony
stellt den englischen Sieg als zweiten Tag der Ueberwindung des
Uebels durch Opfer neben den Tag von Golgatha, Forsith versteht Englands
Krieg und Sieg als historischen Vollzug des Weltgerichts des
Friedefürsten durch die englischen Soldaten als Diener Jesu Christi, und
hält es für eine Aufgabe christlicher Barmherzigkeit an einem beginnenden
Todsünder, ihn totzuschlagen, auf daß dem Ausbruch seiner
Sünde vorgebeugt werde.
Göttingen. E.Hirsch.
Kohl, Ludwig: Das Ziel des Lebens im Lichte der obersten
physikalischen und biologischen Grundsätze. München:
Georg Müller 1921. (188 S.) 8"
Das Werk stellt nichts Geringeres dar als den Versuch eines
neuen Weltbildes, aufgebaut nach den Prinzipien und Methoden der
Mathematik und Naturwissenschaft, allerdings stark ins philosophische
Gebiet übergreifend, mehr als der Verf. zugeben will (vgl. S. 14). Die
Ergebnisse, obwohl auf entgegengesetztem Weg gewonnen, berühren
sich derart mit unserer Welt- und Lebensanschauung, daß wir uns ernstlich
mit dem Werk beschäftigen müssen. Daß es sich um einen kühnen
Versuch und ersten Entwurf handelt, erklärt manches Unfertige, u. a.
die mangelhafte Erkenntnistheorie (S. 28 ff.).
Die Grundposition ist folgende: Alle Dinge erscheinen 1. in einer
durch die Zahl festlegbaren Form (in Raum und Zeit), 2. in einer Form,
für die die Zahl keinen Sinn mehr hat: „das außerzeitliche Sein".
Beide Gebiete sind Natur. Das außerzeitliche Sein wirkt zuweilen
(öfter, als wir es beobachten) in die unserer Vorstellung zugängliche
Welt hinein: also das physische Wunder als Erscheinung, die in den
uns zugänglichen Naturzusammenhang nicht paßt. Beispiele sind das
Fernsehen der Zeit und dem Ort nach (das bisher wissenschaftlich
nicht ernst genommen wurde, obwohl seine Tatsächlichkeit feststeht)
und der freie Eintritt absolut neuer Gedanken.
Das Grundgesetz der Weltordnung ist das „ordnende Prinzip",
das alle einzelnen Naturgesetze mit Rücksicht auf das Zustandekommen
einer wohlgeordneten Welt regelt (hier liegt jedenfalls ein
Problem vor, das vielfach übersehen wurde). Für die Lebewesen wirkt
es sich aus als Kausalität und Zweckmäßigkeit, die beide gleiche
Geltung und Bedeutung haben und stets gleichmäßig zu berücksichtigen
sind (ein guter Rat!). Im moralischen Leben erscheint es
als Gesetz der „Aequivalenz zwischen Tat und Folge" (besser:
Wirkung), die stets bestehe, auch wo die Wirkung nicht beobachtet
wird, sei es, daß die Wirkung erst später eintritt, sei es, daß sie sich
auf das außerzeitliche Sein bezieht.
Die Natur besteht aus den drei Reichen des Physikalischen, des
Lebens und des Moralischen, die sich durch die ihnen zugrunde
liegende Energie unterscheiden: physikalische Energie, Formenenergie
, moralische Energie. Die höhere Energie dominiert über die
niedere. Das Ziel der Menschheitsentwicklung liegt in der Steigerung
der moralischen Energie (bzw. der Verwandlung der negativen moralischen
Energien in positive). Jede Aenderung der moralischen Energie
bedeutet eine Aenderung der Qualität des außerzeitlichen Seins; u. da
dies nach dem Stand unseres Wissens nur im Erdenleben möglich*
ist, gewinnt dieses einen unheimlichen Ernst. Beispiel höchstgesteigerter
moralischer Energie ist das Leben Christi, dessen besondere
Kräfte aus dem Dominieren der moralischen Energie hervorgehen (was
sogar — mit Unrecht — als Beweis der „Echtheit" des Lebens Jesu
gewertet wird).
Eine religiöse Stimmung liegt über dem Ganzen, umso beachtenswerter
, als der Verf. nicht durch Anlage und Erziehung das Religiöse
mitgebracht zu haben scheint (Auf die Lektüre des Lebens Jesu kam
er, wie er bemerkt, durch das „Zusammentreffen günstiger Umstände")-
Ehrfurcht (S. 49 u. a.: des Staunens wird kein Ende); Geborgenheitsgefühl
(S. 159); Erlebnis der Gnade (S. 115 u. S. 161 f.), letzteres
leider zu einem „vernünftigen Glauben" erweitert, der als Annahme
dort eintreten soll, wohin das Wissen nicht reicht.
Heidelberg. W. Knevels.
Zum Kampf um den Religionsunterricht.
Dibclius, Otto: Der Kampf um die evangelische Schule in
Preußen. Ein Merkbuch. Hersg- v. D. Berlin-Steglitz: Ev. Preßverband
f. Deutschland (1920). (39 S.) gr. 8° (1)