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Ausgabe:

1923 Nr. 9

Spalte:

210-211

Autor/Hrsg.:

Haering d. Ae., Theodor

Titel/Untertitel:

Von ewigen Dingen 1923

Rezensent:

Thimme, Wilhelm

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209

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 9.

210

eben durchaus auf das in Gegensätzen sich offenbarende
Leben ein, das aber immer wieder zu Harmonien hinstrebt
, um sich immer wieder aufs neue zu dissoziieren
und wieder zu vereinigen, bis zur Rückkehr zu dem Ursprung
alles Lebens, zur Gottheit.

Somit gipfelt B.s Darstellung, nach sorgfältiger, wenn auch von
Wiederholungen und gelegentlichen Dogmatismen nicht freier Darstellung
von Goethes Erkenntnistheorie, Methodologie und Naturphilosophie
(Polarität und Resonanz, Entwicklung, Optik) ganz folgerecht in einem
Abschnitt über seine .Metaphysik', wobei freilich von dinglich-sub-
stantialistischer Auffassung, von realer Transzendenz und dergl. nicht
die Rede sein kann. In Goethes Aeußerungen über ,Gott', .Freiheit'
und .Unsterblichkeit' entfalten sich in allem wesentlichen immer dieselben
Grundvorstellungen, die wieder mit dem früher entwickelten eng
zusammenhängen. Auch Goethes Gottesbegriff enthält den Gedanken
der dissoziativen Polarität, andrerseits aber ist Gott das Prinzip der
Einheit, der Harmonie in aller Trennung, er ist der Logos, er waltet
in allem Geschehen und offenbart sich am stärksten in der „rein"-be-
trachtenden, d. h. von aller engen Kausalität, von aller platten Nützlichkeit
u. a. Anthropomorphismen freien Vernunft des Menschen.
Seine eigene, besondere und einzigartige Stellung innerhalb des ungeheuren
, auch das .Unorganische' organisierenden Ganzen rein zu erfassen
und danach sein Handeln zu bestimmen, ist die eigentliche .Freiheit
' des Menschen, ist die höchste, denkbare Ausprägung des .persönlichen
' Lebens. Ich weiß nicht, ob man diese Anschauung Goethes mit
Recht .pantheistisch' nennt (S. 105 f.). Von Spinoza unterscheidet ihn
doch gerade seine Bewertung des individuellen Lebensgesetzes, des
Daimon'. Auch der von B. vorgeschlagene Ausdruck .Panlogismus'
Könnte zu Mißverständnissen führen. Aber wenn B. mit vollem Recht
Gott, wie ihn G. glaubt, als .Kantische Idee dessen bezeichnet, was in
der Erfahrung, die uns nur Symbole des Höchsten bietet, als Persönlichkeit
angetroffen wird', dann haben wir hier einen höchst gesteigerten
, Personalismus'. Die engen Berührungen der Weltanschauung
William Sterns mit Goethe und mit der Gedankenwelt des Deutschen
Idealismus überhaupt können niemand entgehen (vergl. Stern, Person
und Sache, System der philosophischen Weltanschauung, bisher 2 Bände,
Leipzig, A. Barth, 1919). Noch näher steht vielleicht die Auffassung
Gottes als unbedingter Persönlichkeit' bei Fr. Brunstäd(Die Idee
der Religion. Halle, Niemeyer, 1922).

Praktische Zwecke, aber nicht theoretisch-wissenschaftlicher,
sondern mehr ethischer Art verfolgt das umfängliche Buch von P.
Fischer, das aus Vorträgen an der Stuttgarter Volkshochschule hervorgegangen
ist, und das zur Einführung weiterer, gebildeter Kreise
in Goethes Gedankenwelt auch neben Otto Harnacks ,Goethe in
der Epoche seiner Vollendung' seinen Platz behaupten wird. Zwar
kommt es F. weit mehr auf Darstellung als auf Beurteilung oder geschichtliche
Entwicklung an, doch bringt er eine Fülle von erklärenden
, nicht immer in die Tiefe bohrenden, aber durchweg umsichtigen
Bemerkungen und gibt damit auch dem Forscher wertvolle Winke.
Dieser wird sich auch der sorgfältigen, reichen und wohlgeordneten
Zitate und Quellennachweise erfreuen, die das Buch zu einer sehr erwünschten
Ergänzung der Darstellungen von Barthel und von Obenauer
machen.

Hamburg. Robert P e t sc h.

Scholz, Prof. D. Dr. Heinrich: Die Religionsphilosophie des

Als-Ob. Eine Nachprüfung Kants und des idealistischen Positivisinus.
Leipzig, F. Meiner 1921. (160 S.) gr. 8°. Oz. geb. 8,5.

Wie der Verfasser selbst im Vorwort hervorhebt,
steht diese seine religionsphilosophische Monographie —
ein Sonderdruck aus dem 1. und 3. Band der „Annalen
der Philosophie" — in engem Zusammenhang mit seinem
religionsphilosophischen Hauptwerk. Ein „bestimmtes
Problemgebiet", das in der Tat „von besonderem historischem
und systematischem Interesse" ist, findet hier
von der Position des Hauptwerkes aus seine besondre
Behandlung. Und mit Recht redet der Verf. von einem
ganzen Problemgebiet. Denn seine Arbeit bietet weit
mehr als lediglich eine kritische Auseinandersetzung mit
der Religionsphilosophie des Vaihingerschen Als-Ob-
Standpunktes. Sie überblickt weitere Zusammenhänge des
modernen religions-philosophischen Denkens, innerhalb
deren dem Versuch Vaihingers sein besonderer Ort zugewiesen
wird. Und grade dadurch bedeutet die Arbeit
mehr als in einem „Ueberf luß von Erörterungen, in denen
lediglich gezeigt wird, wie es nicht gemacht werden
darf", eine weitere Vermehrung dieses Ueberflusses. Als
umfassendere historische Leistung vermittelt sie uns die
Anregung und Klärung unseres eigenen Denkens, die wir

fassung aufs innigste zusammenhängt. Goethe stellt sich allemal einer klar durchgearbeiteten Gegenüberstellung

je in ihrer Eigentümlichkeit deutlich erfaßter philosophischer
Entwürfe verdanken. Allein schon, wie hier in den
beiden mehr historischen Teilen die charakteristischen
religionsphilosophischen Pysiognomien Kants, sodann
Forbergs und Vaihingers, des Pragmatismus von James
und F. C. S. Schiller deutlich als verschiedene Typen
neben einander treten, das ist nicht nur eine Bereicherung
unserer geschichtlichen Einsicht, sondern für den aufmerksamen
und nachdenksamen Leser ganz unmittelbar selber
ein immer erneuter Hinweis auf die eigentlich entscheidenden
Problemstellungen der Religionsphilosophie. Von
besonderem Interesse ist die trefflich begründete Herausarbeitung
der Kantauffassung des Verf. gegen die positivistische
Umdeutung Kants bei Vaihinger.

Ein letzter abschließender Teil unterwirft die eigentliche
Religionsphilosophie des Als-Ob in der erweiterten
Fassung des Begriffs bei Scholz, der den Pragmatismus
mit einbegreift, nicht aber seine eigenen und die kantische
Stellungnahme, in ihren beiden von einander differierenden
Typen (Vaihinger und der Pragmatismus) einer gesonderten
kritischen Prüfung. Dabei handelt es sich einmal
um die Kritik der erkenntnistheoretischen Voraussetzungen
; sodann um die Frage nach dem religionsphilosophischen
Ertrag d. h. nach dem „Gewinn für das
Verständnis der Religion". Das Resultat ist in beiden
Fällen ein negatives. Die Religionsphilosophie des Als-
Ob wird in ihren beiden Ausgestaltungen der wirklichen
Religion nicht gerecht, und zwar wegen ihres Charakters
als Als-Ob-Philosophie darum nicht, weil sie als solche
nur mit einer Gottes i d e e operiert und diese ihr überdem
lediglich als Fiktion oder als Hypothese in Betracht
kommt. Die wirkliche Religion dagegen steht auf eigenartiger
Erfahrung der Gotteswirklichkeit. Jene Religionsphilosophie
gibt darum nicht eine Theorie der wirklichen
Religion, sondern ist Theorie eines Ersatzes für
diese. Dadurch allein gelingt es dieser Religionsphilosophie
, um die von der wirklichen Religion streng und
unerbittlich gestellte Wahrheitsfrage herum zu kommen,
eine Frage überdem, der gegenüber auch ihre erkenntnistheoretischen
Erwägungen versagen.

Voraussetzung der Scholzschen Darlegungen ist seine Fassung
des grundlegenden Wirklichkeitserlebnisses der Religion; die Auseinandersetzung
damit gehört aber nicht in eine Anzeige grade dieser
Monographie. Zur Auseinandersetzung über die besondere Gedankenführung
dieser Monographie genüge der Hinweis darauf, daß die Gegen-
üherstellung der Religionstheorie des Als-Ob mit der lebendigen Religion
nur dann so ohne weiteres überzeugend wirkt, wenn die einfache
Aufweisung des Besonderen der religiösen Erfahrung wirklich dazu
ausreicht, die von der religiösen Unmittelbarkeit abweichende philosophische
Deutung der Religion allein dieser Abweichung wegen für
erledigt zu erklären. Aehnliche Spannungen bestehen aber doch auch
zwischen der unreflektierten und der systematisch durchdachten Religion
, und sie beweisen doch ganz sicher nicht so ohne weiteres gegen
letztere.

Herrnhut. Th. Steinmann.

Haering d. Ae., Prof. Th.: Von ewigen Dingen. Betrachtungen
Stuttgart: Strecker und Schröder 1923. (93 S.) 8" Gz. 1,2; geb 2,2'
Der Inhalt des Büchleins zerfällt in die vier Abschnitte
: „Glauben", „das Buch", „Er", „Wir". Der die
vier Stücke einende Grundgedanke ist: Glauben' kann
man nur an eine überweltliche Wirklichkeit die in dieser
Welt sich offenbart; ,das Buch' ist das wichtigste Zeugnis
solcher Offenbarung; sein alles beherrschender Mittelpunkt
ist ,Er'; wie ,Wir' uns dazu stellen, ist die entscheidende
Frage" (Vorwort). Dem Leser der H.'schen
Glaubenslehre sind die hier entwickelten Gesichtspunkte
vertraut. Auch hier das eindringende Verständnis
für Religion im Allgemeinen, Christentum im Besonderen
, die feinsinnige Gedankenführung, die schlichte
Herzlichkeit des Vortrages. Aber auch hier, wie mir
scheint, ein Unvermögen, zur letzten theologischen Problemstellung
vorzudringen. Wie es zum Glauben kommt
wird m. E. durchaus zutreffend geschildert, nämlich so'
daß die Wirklichkeit trotz all ihrer Rätsel, insbesondere
die Person Christi trotz des auch sie umhüllenden Ge-