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Ausgabe:

1923 Nr. 9

Spalte:

199-201

Autor/Hrsg.:

Treitel, Ludwig

Titel/Untertitel:

Gesamte Theologie und Philosophie Philos von Alexandria 1923

Rezensent:

Leisegang, Hans

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199

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 9.

200

mit dem Verlauf der kirchlichen Abendmahlsfeiern,
woraus wieder auf Verwandtschaft der zu Grunde
liegenden Gedanken geschlossen werden kann. Die
sog. Einsetzungsworte erscheinen nicht als ,konse-
krierend', sondern als bekennend, das Christus-Erlebnis
bekennend; auch die Epiklese will ursprünglich keine
Veränderung der Abendmahlsstoffe bewirken, sondern
einfach die Gegenwart des Herrn herbeiführen, deren
Bürgschaft darin liegt, daß Brot und Wein die SvvccfUig
seines Leibes und Blutes bekommen. In den hellenistischen
Jesusmahlen mit dem Gepräge der Danksagung
scheint das Aufsagen der Einsetzungsworte überhaupt
nicht üblich gewesen zu sein. Zum Schluß werden die
Ergebnisse zusammengefaßt und religionspsychologisch
vertieft. Es liegt in der Natur der Sache und in der Beschaffenheit
der Quellen, daß vielfach mit Vermutungen
und tastenden Einfühlungen gearbeitet wird. Aber es ist
reizvoll, den Gängen F.s zu folgen, auch wo Zweifel
aufsteigen. Auch nebenbei fallen beachtenswerte Bemerkungen
z. B. S. 19 über nQO/.ad-7]iihx] ri)g dydnrjg, worin
nur Mangel an Stilgefühl ,eine Verbeugung vor der „vorgesetzten
Behörde" finden' konnte.

Die ,Möglichkeit, daß im Sinne jener Zeiten zu jeder Stunde und
bei jeder Zusammenkunft das Brotbrechen stattfinden konnte' (S. 14)
klingt auch in dem erwähnten Abendmahlsbrief Cyprians (ep. 63) nach.
In c. 15f. sagt er nämlich, daß einige den Weinduft am Morgen
scheuen und darum morgens nur mit Wasser das Opfer feiern, da sie
ja bei der Abendmahlzeit einen Mischkelch darbrächten (.tarnen cum
ad cenandum venimus, mixtum calicem offerimus'). Cyprian hält dem
entgegen: sed cum cenamus, ad convivium nostrum plebem convocare
non possumus, ut sacramenti veritatem fraternitate omni praesente
celebremus. Der Bischof könnte also au sich wohl auch nach seinem
Abendessen das Opfer des Mischkelches darbringen, aber da ist eben
das Volk nicht bei ihm versammelt! Weniger leuchtet der Versuch ein,
den lehrhaften Teil bei Justin (Apol. 1,67) ins Gebiet des .Ungottes-
dienstlichen', Geschäftsmäßigen abzuschieben. Das ftiyptt iyytopsl zeigt
doch wohl nur, daß die Auswahl der Lesestücke im freiem Ermessen
des Versammlungsleiters stand.

München. Hugo Koch.

Treitel, Dr. Ludwig: Gesamte Theologie und Philosophie

Philos von Alexandria. Berlin: C. A. Schwetschke u. Sohn 1923.
(152 S.) gr. 8°

Der Verfasser dieses Werkes ist zweifellos mit dem
jetzt etwa achtzigjährigen Leopold Treitel, von dem aus
früheren Jahren eine Anzahl von Arbeiten über Philons
Verhältnis zum palästinensischen Judentum vorliegen,
identisch, obwohl auf dem Umschlag nicht Leopold,
sondern Ludwig Treitel steht. Wer das Buch mit der
nach der Formulierung des Titels wohl berechtigten Erwartung
in die Hand nimmt, hier eine Darstellung philo-
nischer Theologie und Philosophie zu finden, in der die
so weit zerstreuten und so zahlreichen Einzelforschungen
der letzten Jahrzehnte auf diesem Gebiete zu einem Gesamtbild
vereinigt werden, wird eine große Enttäuschung
erleben. Der Verfasser hat offenbar die Fühlung mit der
Wissenschaft der Gegenwart völlig verloren. Er legt im
wesentlichen den veralteten Abschnitt über Philon in
Zellers Philosophie der Griechen zu Grunde, der ihm
vor allem dazu dient, an der Hand des reichen Anmerkungsmaterials
die Stellen aus Philon zu finden, die er
zum Beleg seiner Behauptungen braucht. Zur Unkenntnis
der neueren Philonforschung gesellt sich die der griechischen
Philosophie, des Textes der Werke Philons, eine
peinlich berührende Tendenz in den reichlich gefällten
Urteilen und eine Mißachtung der primitivsten Ansprüche,
die an philologische Exaktheit zu stellen sind. Für jeden
dieser Punkte hier zur Begründung nur wenige Beispiele,
da eine Entwirrung aller Unrichtigkeiten und Mißverständnisse
unmöglich ist.

1. Unkenntnis der Philonforschung: Der Verfasser bezeichnet
es im Vorwort als ein „wissenschaftliches Bedürfnis" Philons
Auffassung des Prophetentums zu untersuchen und schreibt S. 25: „J.
Freudenthal ... wies auf diesen Teil philonischer Theologie als besonders
lohnendes Kapitel hin, das noch der Bearbeitung harre, ein Grund
mehr, im folgenden an diese Aufgabe heranzutreten." Daß es hierüber
seit 1919 ein dickes Buch gibt, das von I. Heinemann in einem
50 Seiten langen Aufsatz „Philons Lehre vom Heiligen Geist und der

intuitiven Erkenntnis" in der Monatsschr. f. d. Wiss. d. Judentums
64. Jahrgang 1920 besprochen wurde, so daß es auch der nur in jüdischer
Wissenschaft arbeitende Gelehrte kennen konnte, weiß der Verfasser
nicht. Bousset's Werk über den jüdisch-christlichen Schulbetrieb
in Alexandria und Rom wird mit denselben Gründen abgefertigt, die
sich in einer Anmerkung des dritten Bandes der Philon-Uebersetzung
finden, gelesen hat er es wohl ebensowenig wie die anderen Arbeiten
Bousset's über Philon im „Kyrios Christos", in der „Religion des
Judentums im neutestamentlichen Zeitalter" und in seinen „Hauptproblemen
der Gnosis". Er schreibt über De Providentia, ohne Wcnd-
lands grundlegende Arbeit hierüber auch nur zu nennen. Das wichtige
Buch von Windisch über die Frömmigkeit Philons kennt er nicht. Eine
Verwertung des unübersehbaren Materials zu einzelnen Stellen, wie es vor
allem in den philologischen Untersuchungen eines Reitzenstein, E. Norden
u. a. m. steckt, darf man nicht erwarten.

2. Unkenntnis der griechischen Philosophie: S. 4
behauptet er, die Philosophie der Griechen kenne „wohl den Begriff
Gottes, aber (der) Ursprung des Gottesgedankens wird nicht untersucht
". Gerade diese Untersuchung war ein Lieblingsthema der Sophisten
und wurde den Philosophen immer wieder zur Erörterung vorgelegt
. Das orphische Motiv «nütz« <rf/t<« bezeichnet er (S. 45) als neupythagoreisch
. Der /epor/>«Vr?j? ist „der in die Mysterien eingeweihte
Priester" (S. 4). Der Zusammenhang der Therapeuten mit neupythagoreischen
Sekten wird abgestritten. Ich möchte bei dieser Gelegenheit
auf eine Stelle in De vita contemplativa hinweisen, die der Richtigstellung
bedarf. Dort heißt es § 89 von den Therapeuten : petii rag
evyag tig xd iavxmy Ixamog aeiiiiia nyayugovai, ndXtv xtjv avyrjtxtj
(piXoootpiay i/itnoQSVBopisvoc xai y t mg y r] ao v r e g = Nach dem Gebet
geht ein jeder in seine Einzelzelle, um sich wiederum dem gewohnten
Studium der Philosophie zu widmen und — Ackerbau zu treiben! Das
yEWQyrpoviEg ist sicher falsch. Wie sollen die Mönche in ihrer Zelle
den Acker bestellen. Das Ganze ist vielmehr eine Darstellung des
Lebens eines pythagoreischen Klosters, statt yetogyt'jnoyxig ist zu lesen
yewpiexg^ooyxtg, das ist die avvr]txxjg tpiXoooipia. Die christlichen Abschreiber
aber haben das nicht verstanden, vielleicht hat Philon hier
seine Vorlage selbst geändert, als er die Schilderung auf Juden
übertrug.

3. Unkenntnis der Werke Philons: Abgesehen von der
dem Kenner sofort auffallenden Technik, zum Beleg einer Lehre Philons
eine ganz unwesentliche Stelle heranzuziehen, während oft die Partien
fehlen, an denen am ausführlichsten über die betreffende Frage gehandelt
wird, lassen die Uebersetzungen einzelner Sätze, die der Verfasser
bringt, daran zweifeln, ob ihnen der griechische Text zu Grunde
lag oder sie seiner Phantasie entspringen, so z. B. S. 36 De confus.
ling. § 78: „Der Himmel ist das eigentliche Vaterland der Seele, in
das sie zurückkehrt aus der Fremde, was (sie!) ihr die Erde ist" = na-
rptrf« iiiy xov ovgaycoy yiogoy sv o> no'kixtiovxai, ^ivrv de
xov negiyxioy eV <ü nagtgxtjaav youtCovaat (seil, ai yvyai).
Der Sinn ist: Für ihr Vaterland halten die Seelen den himmlischen
Ort, in dem sie Bürgerrechte genießen, für die Fremde aber den
irdischen, in dem sie nur na g 01 x ix at, d.h. rechtlose Ansiedler,
sind. Der Verfasser kennt wahrscheinlich einfach den Unterschied
zwischen no'kixrg und nagoixitxig nicht, auf dem der Satz aufgebaut
ist. So urteilt er über Philons Begriff der Prophetie S. 27: „Hier aber
einen Zusammenhang mit griechischer Mantik erkennen zu wollen, wie
es bei P. Wendland in seinem Buche Hellenistisch römische Kultur
c. VIII (steht aber leider in c. IX), „Philo", geschieht..., ist mir unbegreiflich
." Bei dem, was er sich unter griechischer Mantik vorstellt,
ist es allerdings nicht zu begreifen. Wenn er aber nur einmal eine der
vielen Stellen bei Philon gelesen hätte, wie die folgende De somniis
1 200: „Steigt nun hernieder, all ihr rechten Geister der Weisheit, begattet
mich (öxtvexi), laßt euren Samen fließen (oniigexe), und
wenn ihr eine tiefgründige Seele seht mit fruchtbarem Acker, jungfräulich
, so geht nicht vorüber, ruft sie zum Umgang und Geschlechtsverkehr
mit euch auf, gebt ihr die Weihe (xeXeioiaaxe) und macht sie
schwanger (eyxviioya (cnegyaaaa&i)", dann würde er doch wohl
einige Bedenken getragen haben, diese Vorstellungen mit dem heiligen
Geiste der Propheten Israels oder mit jüdischer Mystik zu identifizieren
. Vielleicht aber sagt er auch hier, das „sind Sprachbilder,
nichts weiter" (S. 21).

4. Tendenz. Ein Beispiel genügt. S. 20: „Die geschichtliche
Fortwirkung aber, die diese Lehre — die Lehre vom Logos — erfahren,
lehrt zur Genüge, wie bedenklich es ist, solche Lehre überhaupt
in die Welt zu setzen; nicht juridisch, aber geschichtlich
trägt er (Philon) die Verantwortung für die Weiterentwicklung
dieser Lehre". Armer Philon, der du die Logoslehre zum Schaden der
Menschheit „in die Welt setztest", die schon ein halbes Jahrtausend
vor dir und von da an ununterbrochen die Köpfe der edelsten Weisen
Griechenlands erfüllte! Andere erbauliche Ergüsse ähnlichen Gehalts
S. 119ff.

5. Philologie. S. 6 Anmerkung heißt es: „Ich bemerke hier
gleich, daß ich durchgehendes (sie!), wie nach dem Oesetze
philologischer Wissenschaft, nach der kritischen Ausgabe
von Cohn-Wcndland zitiere und nur bei Büchern, die noch nicht in
dieser Ausgabe vorliegen, mich der Richter'schen bzw. der Mangey'schen