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Ausgabe:

1923 Nr. 8

Spalte:

179

Autor/Hrsg.:

Doelle, Ferdinand

Titel/Untertitel:

Die Martinianische Reformbewegung in der sächsischen Franziskanerprovinz im 15. und 16. Jahrhundert 1923

Rezensent:

Lempp, Eduard

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179

Theologische Literaturzeitung 1923 Nr. 8.

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der ihm sicher zugänglich gewesenen Quellen und Erkundigungsmöglichkeiten
geschrieben hat" (S. 19). Aus
Jordan aber haben alle späteren Biographen direkt oder
indirekt geschöpft und was sie an Sondergut noch beibringen
, sind nur vereinzelte mehr oder weniger wertvolle
Notizen, die dem Lebensbild des Heiligen kaum
etwas Wesentliches hinzufügen, sein verschwommenes
Charakterbild kaum deutlicher zu machen vermögen. Das
wird durch eine äußerst sorgfältige, ins einzelne gehende
Vergleichung dargelegt. Höchst anschaulich ist dabei
der Nachweis, wie das Mirakulöse mit der Zeit immer
mehr in den Vordergrund tritt und sich auswächst. Der
Quellenuntersuchung schließen sich einige kurze, aber
wertvolle Abhandlungen an, zunächst über die Frage, ob
Dominikus der erste magister S. Palatii gewesen sei, was
verneint wird, dann über den literarischen Nachlaß des
Dominikus, der äußerst dürftig ist, endlich eine Untersuchung
über die Translation und Kanonisation des
Heiligen, die uns einen tiefen, freilich wenig erbaulichen
Blick in die Vorgänge gewährt. Endlich werden noch
3 Quellenstücke, die bisher teils gar nicht teils mangelhaft
ediert waren, zum Abdruck gebracht.

Stuttgart. Ed. Lempp.

D o e 11 e, P. Dr. Ferdinand: Die Martinlanlsche Reformbewegung
In der sächs. Franziskanerprovinz (Mittel- und Nordostdeutschland
) im 15. und 16. Jahrhundert. Münster i. W., Aschendorff
1921. (159 S.) 8°. Gz. 4,3.

Als „Festschrift zur Ankunft der ersten Franziskaner
in Deutschland" faßte hier D., was er in früheren
Studien verarbeitet hat, zusammen und erweiterte es,
indem er die Martinianische Reformbewegung in den einzelnen
Klöstern der sächsischen Provinz verfolgt. Man
bekommt einen deutlichen Eindruck, wie die sich immer
neu folgenden Bemühungen um eine Reform des Franziskanerordens
tastende Versuche waren, die aus dem
dunkeln Empfinden eines vorliegenden großen Bedürfnisses
entsprangen, aber meist um kleine Aeußerlich-
keiten sich drehten und eine wirkliche Erneuerung des
religiösen Lebens nicht herbeiführen konnten, so gut gemeint
auch die Anstrengungen der Fürsten, Städte und
Ordensoberen sein mochten. Das verhältnismäßig Interessanteste
aus der vorliegenden Schrift hatte übrigens
der Verfasser schon in seiner Studie über die Reformtätigkeit
des Provinzials Henning 1915 veröffentlicht.
Stuttgart. Ed. Lempp.

Smith, Preserved, Ph. D.: The Age of the Reformation. New
York, H. Holt and Company 1920. (XII, 861 S.) 8°.

Preserved Smith darf man wohl den besten Kenner
der Reformationsgeschichte im derzeitigen Amerika nennen
; seine zahlreichen Publikationen, teils Darstellungen,
teils unbekannte Texte haben ihn zweifellos qualifiziert,
den großen Wurf einer Reformationsgeschichte zu wagen
. Das vorliegende, umfangreiche Buch erscheint unter
den Bänden der American historical Series, die von dem
Professor der Geschichte an der Harvard University,
Charles H. Haskins, herausgegeben werden. Ob dieser
Rahmen die Stoffgruppierung beeinflußt hat, vermag
ich nicht festzustellen. Jedenfalls weicht dieselbe von
der gegenwärtig auf dem Kontinent üblichen stark ab.
Nach einer Einleitung, die unter dem Titel „The Old
and the New" eine Einführung in die Reformations-
periode durch Hinweis auf die wirtschaftliche Lage,
Kirche, Gesellschaft, Mystik, sogen. Vorreformatoren,
nationalkirchliche Tendenzen, Humanismus, bietet, wird
nämlich streng nach Ländern gruppiert und die Reformationsgeschichte
hier jeweilig bis zu einem Ruhepunkte
geführt, der jeweilig ganz verschieden datiert (z. B. in
Deutschland 1555 mit dem Augsburger Reichstag, in
England mit den Puritanern). Das hat Vorzüge, aber
wohl noch größere Nachteile. Man ist in der Lage, fortschreitend
die Entwicklung in einem Lande zu verfolgen,
ungestört durch die internationalen Verwicklungen, aber
ein Zeitbild der Gesamtlage erhält man nicht. Da es

sich um ein Buch und nicht um eine Vorlesung handelt,
sind diese Längsschnitte statt der Querschnitte, wie wir
sie mit Recht heute vorziehen, kein allzu großer Schaden.
Die praktische Ausnutzung des Buches ist dadurch, gut
amerikanisch, sehr erleichtert, daß kurze Stichworte an
den Rand gesetzt sind, häufig mit Jahreszahlen versehen;
man kann sich also sehr leicht zurechtfinden. Die
Einzelländer sind in der Reihenfolge geordnet :
Deutschland, Schweiz, Frankreich, Niederlande, England
, Schottland. Dann kommen nach einem allgemeinen
Kapitel über die Gegenreformation, in
j dem das Papsttum und der Jesuitenorden untergebracht
sind, Spanien, Portugal, Rußland und Türkei.
An diese politische Geschichte der Reformation, die
natürlich hin und wieder das Kulturelle streifen mußte,
wie etwa die Buchdruckerkunst oder den Humanismus,
schließt sich nun, gleichsam als zweiter Teil, die Kulturgeschichte
der Reformation, also die Darstellung der
Sozialverhältnisse, das Hochkommen des Kapitalismus,
Wissenschaft und Bildung, das Toleranzproblem u. dgl.
Endlich bildet den Schluß das Kapitel: The Reformation
interpreted d. h. die Auffassung der Reformation zu
verschiedenen Zeiten durch verschiedene Denker. Mir
scheint dieser kulturelle Teil das Wertvollste an dem
•großen Werke zu sein; denn ich wüßte nicht, wo in einer
im allgemeinen guten Uebersicht so bequem alle die verschiedenen
Fragen und ihre Lösungsversuche zusammengestellt
wären. Auf eigene Tiefenforschung kommt es
dabei Smith nicht an, wohl aber — darin liegt auch
etwas Amerikanisches — auf praktisch brauchbare Her-
aushebung wichtiger Einzelmomente. Ich nenne etwa
(S. 453 ff.) die guten Statistiken zur Bevölkerungsbewegung
und zum Einkommen, die Angabe von Bücher-
preisen, von Einkommen der Geistlichen und Aerzte, die
Preisliste der Medizinen, die Autorengehälter (Thomas
Murner bekam von Heinrich VIII. 500 Pfd. „for writing,
against Luther"), die Einkünfte der Künstler, die Wirkung
der Blutgesetze Heinrichs VIII. (72 000 Hinrichtungen
, durchschnittlich 2000 im Jahr!), Notizen über die
Kleidung (Catharina von Medici gilt als Erfinderin
des Korsetts, „atrority to be excused only by her own
urgent need of one", und the fashion of decollete drang
von der Halbwelt in die Gesellschaft ein), Nachrichten
über den Sport u. dgl. Sehr dankenswert etwa ist auch
die S. 574 gebotene Liste der Editiones principes der
griechischen Klassiker, und der Ueberblick über die Auffassung
der Reformation in den verschiedenen Zeitaltern
bietet sehr viel Neues über Stephans bekanntes Buch
hinaus. Auch hübsche Formulierungen gelingen Smith;
so wenn der sterbende Oekolampad, der nicht mehr
Licht haben wollte, als er gehabt hatte, mit dem sterbenden
Goethe konfrontiert wird; ob freilich Troeltsch
richtig mit den Worten charakterisiert ist: he has the
head of a skeptic with the heart of a Protestant?
(S. 734) Das protestantische Herz ist zweifellos richtig,
aber der Skeptiker kaum.

Das ganze Buch ist mit großer Sachkenntnis gearbeitet
; die als Beweis dafür an den Schluß gesetzte, mit
kurzen Schlagworten den Inhalt kennzeichnende gute
Literaturübersicht wäre nicht nötig gewesen, wenn sie
nicht um der z.T. wenig bekannten englisch-amerikanischen
Bücher willen willkommen wäre. Natürlich ist
die Darstellung nicht immer gleich gut, und auch Bedenken
regen sich. Ich notiere:

Das „Los von Rom" ist in der Refonnationsbewegung viel
stärker betont als das positive Moment. Auffallend und nicht glücklich
ist die Darstellung der Jahre 1520—25 unter dem Titel „the Revolution
", und beim Bauerntum vermißt man sehr die Eindringlichkeit,
wie auch über die Entwicklung Luthers ein wenig rasch hinweggeglitten
wird. Unglücklich ist die Doppelehe des Landgrafen S. 120 dargestellt
unter dem Gesichtspunkte „nothing was lost but honor", und
geradezu peinlich wirkt bei einem Forscher wie Smith die Unterstellung
der Lutherschrift „wider das Papsttum zu Rom, vom Teufel gestiftet"
unter eine partly-Wirkung des Alkohols, wenn auch mit dem Zusatz:
„thoug he never became intoxicated" (S. 123). Zwingli hat von
Luther schon Dez. 1518 gehört (kritische Ausgabe VII Nr. 59 (zu S. 151),
und seine Frau Anna Reinhard Meyer' zu nennen (S. 152) ist zum min-