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Ausgabe:

1922

Spalte:

178-180

Autor/Hrsg.:

Kunze, Johannes

Titel/Untertitel:

Symbolik. Konfessions- und Sektenkunde 1922

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Clement XIV: Le Bref ,Dominus ac Redemptor' portant
suppression de la Compagnie de Jesus. Avec une
introduction et ,des notes par J. de Recalde. (133 S.)
kl. 8°. Paris, ,Editions et Libraire' 1920. Fr. 3 —
Ecrits des Cures de Paris contre la politique et la morale
des Jesuites (1858—1659) avec une etude sur La
Querelle du Laxisme par J. de Recalde. (403 S.)
kl. 8°. Paris, .Editions et Libraire 1921. Frs. 7 —
Die vier Schriften find eine wirkliche Bereicherung
des kirchengefchichtlichen Schrifttums. Der Verfaffer
bekennt fich als .Katholiken von ganzer Seele'. (Meffage
etc. 8.) Um fo gewichtiger find feine Anklagen gegen
den Jefuitenorden, die, und das ift das Wertvolle der
Schriften, durch Beweife aus zeitgenöffifchen Quellen und
aus Werken anerkannter Fachleute geftützt werden. Ein
befonderes Verdienft liegt in dem Nachweife, daß die
5 franzöf. .Provinzen' des Jefuitenordens, unter Führung
des allmächtigen Beichtvaters Ludwigs XIV, des Jefuiten
La Chaise, den Gallikanismus forderten und bereit
waren, gegen den Willen des Ordensgenerals fich
von Rom zu trennen, d. h. ein Schisma herbeizuführen.
Nur ein ausdrücklicher Befehl Ludwigs XIV, der fchließ-
lich felbft einfah, es fei unklug, fo weit zu gehen, hinderte
fie am äußerften Schritt (Meffage etc. 27-96).

Bei diefen höchft lehrreichen Feftftellungen beruft fich Recalde
fortlaufend auf den ftreng katholifchen Kanoniften Bouix, der in feinem
viel zu wenig gekannten Tractatus de Papa (Paris 186 ), 2 Vol.) die
regaliftifchen und gallikanifchen Treibereien der franzöfifchen Jefuiten,
unter Quellenangabe (hauptfächlich Briefe des Ordensgenerals und des
Ordensgeneralfekretärs) beleuchtet. Bezeichnend ift, daß der Ordensgeneral
Gonzalez befonders eine Anklage der Jefuitengegner zu der
feinen zu machen fcheint: der Eifer der Jefuiten für den apoftolifchen
Stuhl richte fich nach ihrem Vorteile (Bouix 2, 65). Die übele Charakterzeichnung
, die Fenelon von La Chaise in feinem freimütigen Briefe
an Ludwig XIV entwirft, findet in den Recaldefchen Mitteilungen ihre
Beftätigung (Meffage, 45). Recalde kommt in feinen Darlegungen über
La Chaise und feinen Gallikanismus zu den gleichen Ergebniffen wie
Michaud in feinem umfangreichen Werke: Louis XIV et Innocent XI
(Paris 1882/83, 4 Vol., 4, 371 ff.).

Gründlich räumt Ricalde auf mit der an und für
fich fchon lächerlichen, aber von den Jefuiten verbreiteten
Fabel, ,das heiligfte Herz Jefu', habe durch Vermittlung
der hyfterifchen Nonne Maria Margareta Alacoque
eine Botfchaft an Ludwig XIV gefandt, in der
ihm ftändiger Sieg feiner Waffen verfprochen wird, wenn
er feine Fahnen mit dem Bilde des .heiligften Herzens'
fchmücke. In diefer Botfchaft d' oütre tombe werden der
Maitreffen-König ,fehr geliebter Sohn', der Jefuit La
Chaife .großer Diener Gottes' und der Jefuitenorden ,fehr
heilige Gefellfchaft' genannt (Meffage 8—25; 107—120).

Und das zur felben Zeit, als das bezeichnende Wort Ludwigs
XIV umlief: an der franzöf. Geiftlichkeit und an den Jefuiten habe es
nicht gelegen, daß er fich nicht den Turban aufgefetzt habe; und als
nie franzöfifchen Jefuiten die Trennung vom Papft betrieben! I biigens
muß erwähnt werden, daß ein Jefuit des 20. Jahrb.., der Jefuiten-Kar-
dinal Billot, endlich den Wahrheilsmut gefunden hat, von der ,Him-
ntelsbotfchaft' abzurücken (Meffage 15 ff.).

Die Schrift Le Bref etc. bringt eine gute Überfetzung
des in fchwerfälligem Kuriallatein gefchriebenen Aufhe-
hungsbreves Klemens XIV. Der Schwerpunkt liegt aber
darin, daß fie fcharf ins Gericht geht mit den jefuitifchen
Verfluchen (fie find innerhalb der kathol. Welt leider von
Erfolg gewefen), das Breve als belanglofes Schriftftück
«nes halb geifteskranken Papftes hinzuftellen. R. weift
nach, was übrigens vor ihm auch ich fchon nachgerieten
habe (,i4Jahre Jefuit'2, 355—385), daß KlemensXIV
e'ne eigentliche Verurteilung, unter Angabe fehr triftiger
Gründe (Händige Störung des Friedens) ausgefpro-
chen hat.

Ein tadelnswertes Oberteilen ift, daß R. die .Denkwürdigkeiten'
Q« Jefuiten Cordara, die Döllinger aus dem Nachlalle des päpftl. Archivars
Auguftin Theiner fchon i. J. 1882 veröffentlicht hat (Beiträge
Ul f- w< 3.3—74) nicht erwähnt. Cordaras Zeugnis, daß die Aufhebung
fejnes Ordens gerechtes Strafgericht Gottes gewefen fei, ift um fo gewichtiger
, als er amtlicher Gefchichtsfchreiber des Ordens war, an ihm
m't Liebe hing und die Aulhebung mit erlebt hat. Auch Charakter
und Perfönlichkeit Klemens XIV treten durch Cordara in fehr günfti-
Ses Licht, während fonft die Jeiuiten diefen Papft fchmählich verleumden.

Die Lettres sur le Confessorat du P. Le Tellier enthalten
, mit lehrreicher Introduktion, die leider in Vergef-
fenheit geratenen Briefe des Abbe Margon an den Jefuiten
Tournemine über feinen Ordensbruder Le Tellier,
den Nachfolger La Chaise's bei Ludwig XIV.

Mit Recht nennt R. die Briefe un document revelateur, denn fie
offenbaren die ganze Verfchlagenheit deffen, was man Jefuitismus'
nennt. Margon wurde vom Jefuiten Le Tellier als Werkzeug für feine
Pläne ausgebildet und benutzt, dann bei Seite geworfen. Die Lettres
find alfo gewiß ein Racheakt, aber ein beweiskräftiger. Als Anhang
ift ein .Document assassin' beigegeben, worin Margon nachweift, daß
Le Tellier die .Oratorianer' (eine Gründung des hl. Philipp Neri) in
Frankreich vernichten wollte, weil fie den Einfluß der Jefuiten beeinträchtigten
(Lettres, 263—279 und 281—293h

Die Ecrits des Cures de Paris aus den Jahren
1658/59 legen, wiederum mit beachtenswerter Introduction
(1—63), die Stellungnahme der Parifer Pfarrer dar,
denen fich viele aus anderen Städten anfchloffen, gegen
die politifchen Umtriebe und moraltheologifchen Ungeheuerlichkeiten
der Jefuiten. Die Ecrits erinnern ftark
an Pascals Provinciales, und es fcheint wahrfcheinlich,
daß der große Jefuitengegner wirklich feine Hand dabei
im Spiele gehabt hat. Die Hauptfache ift, daß die
Ecrits Wahrheiten bieten mit den Beweifen für fie. Der
Wunfeh ift gerechtfertigt, daß die Schriften Recaldes
bald in guter deutfeher Überfetzung erfcheinen.
Berlin-Lichterfelde. Graf Hoensbroech.

Kunze, Prof. D. Dr. Johannes: Symbolik. Konfeffions- und
Sektenkunde. Ev.-Theol. Bibliothek, Herausgegeb v
Prof. Lic. B. Beß). (VIII, 256 S.) 8». Leipzig, Quelle
u. Meyer 1922. geb. M. 36 —

Plitt, Prof. D. Guftav: Grundriß der Symbolik. 7. vermehrte
Auflage von Prof. D. Dr. Victor Schultze. (VI,
185 S.) 8°. Leipzig, A. Deichert 1921.

M- 3°—: geb. M. 38 —
Da die Werke von Kattenbufch und Loofs unvoll-
ftändig geblieben find, ift eine Symbolik eins der drin-
gendften gegenwärtigen Bedürfniffe der evangelifchen
Theologie. Der kleine Leitfaden von Plitt-Schultze,
deffen 7. Aufl. eben erfchienen ift, hat zwar feinen Anhang
wiederum vermehrt. Es fehlt von wichtigeren
Sekten nunmehr allein die Chriftian Science. Aber er
kann doch angefichts feines Charakters als knappe Ma-
terialfammlung nur als Notbehelf gelten, nicht als Löfung
der der Symbolik geftellten wiffenfehaftlichen Aufgabe.
Mit um fo größerer Spannung fah ich dem Lehrbuch
von Kunze entgegen, — freilich nur, um eine Enttäu-
fchung zu erfahren.

Aus den .Greifswalder Reformgedanken zum theo-
logifchen Studium' S. 62f. wird deutlich, daß K. die
Symbolik als Zweig der Apologetik in die fyftematifche
Theologie einrechnet und die ,hiftorifierende Konfeffions-
kunde' für einen Irrweg hält. Demgemäß ift er zur
älteren Geftalt der Disziplin zurückgelenkt und hat
feine Symbolik als einen die einzelnen loci gegenüber-
ftellenden Vergleich der katholifchen und evangelifchen
Lehre geftaltet. Dabei glaubt er die orthodoxe und
die römifche Kirche als Katholizismus, die lutherifche
und reformierte als Proteftantismus zufammenfaffen zu
können, alfo im wefentlichen mit der Gegenüberftellung
zweier Typen auszukommen. Die beftimmten Ausfagen
werden dabei aus der römifchen und der lutherifchen
Lehre genommen, die orthodoxe und die reformierte
Lehre erfcheinen je als gelegentlich abweichende Spielart
. In einem zweiten Hauptteil folgen die Sekten aller
Kirchen in langer Reihe nach. Die Ausführung K.'s zeigt,
daß fich nach diefer Methode eine Symbolik nicht gehalten
läßt. Denn 1) die von A. Ritfehl errungene Einficht
, daß die Kirchen als Lebensgeftalten, nicht bloß
als Lehrbegriffe erfaßt fein wollen, ift unverlierbar. K.
felbft kann fich ihr nicht entziehen. Er geht beim
Katholizismus ftändig von der Lehre zu den Vorftellun-
gen der Volksfrömmigkeit und den Auswirkungen ins