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Ausgabe:

1922 Nr. 8

Spalte:

174

Autor/Hrsg.:

Wiegand, Friedrich

Titel/Untertitel:

Siebenhundert Jahre Baltischer Kirchengeschichte 1922

Rezensent:

Benrath, Karl

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173

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 8.

174

Dante: Die Göttliche Komödie. Übertragen v. Richard
Zoozniann. Mit Kinführgn. u. Anm. v. Conftantin
Sauter. 3. u. 4. Aufl. Mit färb. Titelbild nach Giotto.
(X, 694 S.) 8°. Freiburg i. Br., Herder & Co. 1921.

M. 31—; geb. M. 38— u. Zufchläge.
Daß die 600. Wiederkehr von Dantes Todestag am
14. Sept. 1921 uns eine Flut von Dante-Literatur bringen
würde, war zu erwarten. Daß das verarmte Deutfchland
dabei nicht nur Erprobtes neudrucken und gut ausstatten
follte (Gildemeifters Überfetzung bei Cotta, Wittes im
akadem. Verlag, Philalethes bei Borngräber u. a.), fondern
wirklich eine Fülle von neuen Beiträgen zum Verftändnis
Dantes brachte, ift fchon erftaunlicher. Natürlich ift nicht
alles gleichwertig und manches gut gemeinte Werk herzlicher
Begeifterung tut vielleicht Schaden, infofern es den
befferen im Lichte fleht. An ,Erfatz' haben wir eigentlich
nun genug.

Die Dante-Gefellfchaft ift neubegründet. Sitz Weimar.
Protektor der Herzog Johann Georg zu Sachfen, k. H.,
Vorftand Dr. Hugo Daffner-Königsberg, zugleich Herausgeber
der Fortfetzung des Dante-Jahrbuchs, das
fchon 1920 einen 5. Band brachte mit Beiträgen der be-
kannteften um die Vertiefung in Dante verdienten Männer.
Der neue Band beklagt, noch ,kein erschöpfendes Referat
' über Miguel Asin Palacio, la escatologia musul-
manaen la divina comedia (Madrid 1920) bringen zu
können. Wir find darauf neugierig. Dafür berichtet Kampers
gelehrt und lehrreich über Dantes Beziehungen zur Gnosis
und Kabbala. Einzelheiten bringen u. a. Krebs (unent-
fchiedene Engel, Inf. III, 37) und Koer.en (Petrus Dami-
ani, Par. XXI); älteren Danteforfchern werden Gedenkblätter
gewidmet vom Herzog Johann Georg (dem König
Johann, der 1821 als Kronprinz zu Pavia den erften Dante
in die Hand bekam, auch mit Witte von Jugend auf bekannt
war) und Dafiher (Kohler). Ein Gutteil nehmen reichlich
wohlwollende Befprechungen ein, auf die ich im folgenden
öfter zurückkomme.

Unter den Biographien hat in Deutfchland die große
und innerlich verständnisvolle Sammelarbeit von Fr. X.
Kraus noch immer die Führung. Vieles fieht man inzwischen
befferund von romanifcüer Philologie und univerSaler Zeitbildung
haben Voßler und anfpruchslofer Kern neue Wege
zu Dante gewiefen. Daneben bemüht man Sich, den Unsterblichen
biographisch weiter unter die Sterblichen zu
bringen; So hat es Federn in feinem öfter aufgelegten Buch
mit Glück verbucht; fo verfucht es jetzt auch Jakubczyk.
Das handliche Buch hätte noch mehr Raum gewonnen,
wenn es, auch in der Gefchloffenheit der Sprache, in Dantes
Sinne mehr Stil hätte. Von Überfchwenglichkeiten geht
es unvermittelt zu argen Schulmeiftereien (S. 70. 94. 118.
'31); die Vita nuova ift zwar die ,Perle in der Liebesdichtung
aller Völker und Zeiten' (94),aber nach Besprechung
einzelner Sonette werden ,alle andern abgetan, da Sie über
den Durchfchnitt deffen, was man von einem einigermaßen
Poetifch begabten Anfänger mit Fug und Recht verlangen
kann, kaum merklich hinausragen' (96). Das ift fo wenig
dantesk, wie der .Freund der Stillen Mufen' (18). Spannungen
"egen auch zwifchen Text und Anmerkungen (Note 55)
ynd Titelbild (Note 72). Den Schluß des 7. Kapitels über
Dantebriefe kann ich eigentlich nur aus Ermüdung erklären
, ebenfo wie das Mißverständnis (S. 222) daß in
der Hölle ,das Bewußtfein herrfche, gerecht zu leiden'. Das
Ziemlich günftige Urteil Daffners teile ich aKo nicht.

Mit größeren und geringeren Anfprüchen tritt die
ganz moderne Biographie von Konrad Falke auf. Er
Wl1} F. X. Kraus nicht erfetzen, dafür es wagen, ,einen
Geift von weltumspannender Größe in den denkbar weiteften
kolturhiftorifchen Rahmen hineinzustellen (wobei zeitgenöf-

'phe Theorien von Worringer, Meray, Spengler wertvolle
Hufe leisteten)' und zugleich ,mit den Mitteln moderner
1 Sychologie Dantes perfönliche Lebensprobleme aufhellen'
""d — ,aus Gefetzen heraus erklären' (Vorwort). In der

tat bewegt fich der allgemeine Teil (,Die Seele des

Abendlandes', S. 3—126) fehr Stark in Spenglerfchen
Bahnen. Als Hiftoriker bezweifle ich immer wieder, ob
diefe Schlagworte und großen Antithefen dem nicht fehr
gebildeten Lefer etwas anderes als den Raufch großer
Worte geben, während der gebild ete ihre Fragwürdigkeit nur
zu fehr durchfchaut. Der zweite Teil (.Dantes Schickfal'
S. 129—464) führt den als Dichter bekannten Veffaffer
in die eigene Welt und ift reich an feinfinnigen Bemerkungen
. Schon hier, vollends im dritten Hauptteil (,Die
göttliche Komödie', 467—680) wird wefentlich an 'der
Hand eigener, z. T. fehr gut gelungenerÜberfetzungen, ,dem
Kreife der Gebildeten das Schönfte wie das Charakteristische
aus des Dichters Sämtlichen Werken zur eigenen
Urteilsbildungindie Hand'gegeben. Das ift eine Wanderung
in einheitlicher Stimmung. Beachtenswert auch der kleine
Anhang über die neueften italienifchen Ausgaben (S. 705 fr).

Freilich ,das Schönfte' bleibt doch wohl immer das
Original und jede neue Beschäftigung mit all diefer Literatur
und jeder neue Vergleich mit dem Urtext lehrt
mich aufs neue die Unüberfetzbarkeit der letzten Schönheiten
. Sprache ift zu fehr der Mufik verwandt, als daß
man auf Lautfolge und Rhythmus verzichten könnte, ganz
zu fchweigen von der Stets individuellen Bildmäßigkeit und
PlaStik aller Sprachen. Was Soll aus unferer Kultur erft
werden, wenn, wie es jetzt im Werke ift, der Kampf
gegen die Fremdsprachen unter dem Beifall aller .Überbürdeten
' weiter betrieben wird.

Immerhin bleiben Überfetzunpn dankenswert und voll von Problemen
. Nach der betten Dante-Überfetzung bin ich fchon unzählige
Male gefragt worden; das ift eine von den unbeantwortbaren Fragen,
wie etwa welches Werk Goethes man für das bette halte. R. Borchardt
hat Sich über das Dantethema einmal fehr unfreundlich, aber geiftreich
in den Süddeutfchen Monatsheften, 5(1908) geäußert. Meines Krinnerns
kam dabei Zoozmanns L'berfetzung befonders fchlecht weg. Daffner,
der fie im Dante-Jahrbuch (119) zurückhaltend befpricht, gefleht (S. 146)
doch, daß ,der Meifterwurf, der Philalethes und Gildemeifter ein für
alle Mal entbehrlich machte, weder Pochhammer noch Zoozmann geglückt
' fei. Weil! Gott, das ift wahr. Zoozmann legt den größten Wert
auf peinliche Reime und befpricht diefe Sorgfalt eingehend; aber er
reimt nicht Dantefche Terzinen, fondern In einer eigentlich zufanimen-
hanglofen Hackebrettform, und er legt fich damit doch wie alle Reira-
überfetzer bei der ohnehin nicht einfachen Anfchmiegung an den fehr
gedrängten fremden Text trotzdem die fchwerften Feffeln an. Reime
find ein Teil der Sprache; fällt mit diefer auch noch der Terzinenbau,
fo kann man fich die Reime fparen. Ich kann mir nicht helfen, fo
reizvoll (zumal im neuen Gewandt) die Gildemeifterfche Überfetzung
ift, ich ziehe die aus tieffter Dantekenntnis flammende alte Überfetzung
von Karl Witte noch immer vor, und grade der Reimmangel macht
mir die auch fonft vielfach glückliche Verdeutfchung von Falke liebl Im
übrigen haben faft alle ihre Schönheiten und ihre Mängel. Pochhammer
und unter^den Neuern S. v. d. Trenck geben vielleicht Verrenkungen
in Dante, aber nicht Dante. Die Überfetzungsproben von Stefan
George haben ihre eigne gedrungene Schönheit; er darf es wagen,
auch den Reim flreng beizubehalten; und doch klingt das Ganze nicht.

Göttingen. Brandl.

Wiegand, D. Friedrich: Siebenhundert Jahre Baltifcher
Kirchengeichichte. (Beiträge zur Förderung christlicher
Theologie. (26. Bd. 2. Heft.) 67 S,) 8». Gütersloh,
C. Bertelsmann 1921. M. 8.80

Die Aufgabe, welche der Verf. fich (teilt, hat ihre besonderen
Schwierigkeiten: fie befriedigend zu löfen, bedurfte es
nicht allein einer genauen Beherrfchung des Gegenstandes,
fondern auch einer nicht geringen Kunft der Darstellung,
wenn bei der gebotenen Kürze auf der einen Seite die
Entwickelung in den maßgebenden Faktoren klar heraustreten
und auf der andern bei dem Lefer die Luft, von
den Einzelheiten nach Bedürfnis Kenntnis zu nehmen,
dauernd erhalten werden Sollte. In beiden Beziehungen
hat Wiegand den Anforderungen voll genügt; der Lefer
wird die auf der erforderlichen Quellenkenntnis aufgebaute,
in die Entwickelung der allgemeinen Gefchichte mit Sicherer
Hand eingefügte Darstellung dankbar entgegennehmen
und insbesondere fich über die Verfuche einer Gestaltung
des Herrnhutertums zur maßgebenden Kirchenform
in den jetzt fo genannten .Randftaaten' von kompetenter
Seite gern belehren laffen.
Königsberg. Benrath.