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Ausgabe:

1922

Spalte:

157-158

Autor/Hrsg.:

Gut, Walter

Titel/Untertitel:

Vom seelischen Gleichgewicht und seinen Störungen 1922

Rezensent:

Weber, Wilhelm

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 7.

158

Jof. Ant. Endres, der fich durch mehrere gediegene
Arbeiten um die Erforfchung der mittelalterlichen
Philofophie verdient machte, war für die heutzutage be-
fonders verzwickte Aufgabe einer brauchbaren philofo-
phifchen Einleitung wiffenfchaftlich und pädagogifch
gleich gut gerüftet. In erfter Linie ift löblich, daß er
nicht, wie es fonft vielfach gefchieht, nur eine be-
fchränkte Auswahl von philofophifchen Disziplinen be-
rückfichtigt, fondern fich auf einen möglichft weiten Umfang
einftellt. So kommt die kulturelle Bedeutung des
philofophifchen Geiftes zu voller Anfchauung. Die durchgängige
Nachweifung der hiftorifchen Anfätze und Ent-
wickelungsphafen der Grundbegriffe gibt dem Werke
eine gewiffe vornehme Objektivität, die über Parteileiden-
fchaften hinaushebt. Wenn der Verf. felbft fich zur pe-
ripatetifchen Tradition bekennt, fo bedeutet diefes Bekenntnis
keine Mißachtung oder Ignorierung anderer
Standpunkte. Übrigens ift der mehrfach hervorgehobene
Neuariftoteliker Adolf Trendelenburg auch uns Prote-
ftanten ehrwürdig. Meifterhaft weiß Endres die Kerngedanken
auf prägnante Formeln zu bringen, wie er in
feinem gedrängten Stil geradezu an den Stagiriten erinnert
.

Unter den Literaturangaben vermiffe ich nur drei Stücke, die
dem philofophifchen Studium reichfte Anregung bieten: Leop. Schmidt,
Uie Ethik d. alten Griechen, Berl. 1881, Jul. Walter, Die Gefch. d.
Äfthetik i. Altertum ihrer begritfl. Entwickl. nach, Leipz. 1893, Rud
Hirzel, Themis, Dike und Verwandtes, ein Beirr, z. Gefch. der Rechts-
Idee bei d. Griechen, Leipzig 1907.

Auch der Bearbeiter der Gefchichtsphilofophie,
Franz Sawicki fucht die ganze Mannigfaltigkeit der
Probleme, Methoden und Ergebniffe zu umfpannen.* Neben
dem beften Erbgut der Vergangenheit find auch
die Reflexe der modernften Diskuflionen in feiner Dar-
ftellung vertreten: z. B. Religionsfoziologie, Gefchichts-
logik, Spengler. Befondere Anerkennung verdienen zwei
Eigenheiten. Einmal zeigt Sawicki eine erfreuliche Be-
reitfehaft, fogar experimentalpfychologifche Inftanzen zu
einein vertieften Verftändnis der Gefchichte zu verwerten
. Sodann hat er uns in dankenswerter Weife die
Bekanntfchaft mit den völkerpfychologifch intereffanten
gefchichtsphilofophifchen Anlchauungen hervorragender
flavifcher Denker vermittelt, die in den landläufigen
Kompendien nicht einmal genannt werden.

Königsberg i. Pr. Kowalewski.

Brie, Prof. Dr. Friedrich: Äfthetifche Weltanlchauung in

der Literatur des XIX. Jahrhunderts. (IV, 80 S.)

kl. 80. Feiburg i. Br., Jul. Boitze 1921. M. 14 —
Eine feine, geiftreiche Entwicklung der Idee einer
äfthetifchen Weltanfchauung in rein hiftorifchei Betrachtung
. Ihr Wefen befteht darin, daß der äfthetifche Wert
über alle anderen Werte erhoben und daß auch das
Weltprinzip analog der Funktion des Künftlers als frei
geftaltendes, in äfthetifcher Unfchuld formendes Spiel
gedeutet wird. Eine folche äfthetifche Weltanfchauung
vermochte fich in der antiken und mittelalterlichen Welt
a»s fehr verfchiedenen Gründen noch nicht zu entwickeln.
In der Renaiflänce kündigt fie fich an. Im 18. Jahrhundert
beginnt fie Geftalt zu gewinnen. Befonders wertvoll
und interefiant erfcheint mir die klare Scheidung zwifchen
äfthetifcher Weltanfchauung im Sinne der Romantik, die
>n der Regel metaphyfifch verankert ift und den Wert
der Moral und Erkenntnis nicht preisgibt, fondern aus
dem metaphyfifch-äfthetifchen Wert zu begreifen fucht
und äfthetifcher Weltanfchauung im Sinne des Senfu-
ahsmus, der nur das Schöne und den Sinnengenuß gelten
laffen will.

Fieiburg. B. G. Mehlis.

Gut, Dr. med. Walter: Vom feelifchen Gleichgewicht und
leinen Störungen. Vorträge, gehalten an den Zürcher
Frauenbildungskurfen Januar—Februar 1922. (163 S.)
kl 80. Zürich, Art. Jnftitut Orell Füßli 1921.

M. 30—; geb. M. 45 —

Das anfpruchslofe Büchlein wächft über eine trockene
ärztliche Belehrung oder Beratung weit hinaus. Ohne
weitfehweifig oder moralifierend zu werden, gibt der
Veriaffer in kurzen Ablchnitten eine Weltanlchauung
edelften ethifchen Jnhaltes, die fich doch frei hält von
jeder Einfeitigkeit und nicht auf irgend eine Tendenz
oder einen Jsmus' eingefchworen ift.

Im erften Kapitel wird gezeigt, wie fich körperliche Störungen
und Defekte, z. B. Kriippelhaftigkeit, Kurzfichtigkeit im Seelenleben,
in der Charakterbildung und in der Reaktion auf die Umwelt geltend
machen, zu leelifchen ,Erfatzbildungen' führen, und welche diefer Er-
fatzbildungen geeignet find, dem Träger des körperlichen Gebrechens
doch zu einer harmonifchen Entwicklung und Betätigung feiner Per-
fönlichkeit zu verhelfen. Im zweiten Kapitel befpricht der Verf. die
durch ,nervöfe' Veranlagung bedingten Störungen des feelifchen Gleichgewichtes
und weift mit befonderem Nachdruck auf die große Bedeutung
des Gemütslebens, den Einfluß aller Gefühlsregungen hin. Ein
weiterer Abfchnitt ift Störungen im feelifchen Entwicklungsgang gewidmet
. Hier können tragifche Konflikte enlftehen aus der Unfähigkeit,
fich von der kindlichen Einftellung zum Leben, die einfach bisher nur
gut — böfe kennt, emporzuarbeiten zu dem weiter gegliederten Weltbild
des Erwachfenen, das nicht immer nur Bewunderung oder Verdammung
kennen foll. In fehr feinfinniger Weife werden daraus abgeleitet
die Konflikte zwifchen Vätern und Söhnen, zwifchen Sache
nnd Perfönlichkeit, das Hängenbleiben an einer Durchgangsperiode des
Lebens, die fchlielllich zur Enttäufchung, Verbitterung, Weltflucht oder
zu verlliegenem Fanatismus führen kann; hier finden fich fehr treffende
Bemerkungen auch über Kindererziehung.

Viele Störungen des feelifchen Gleichgewichtes find überindividuell
bedingt und ein Ausdruck der Zerriffenheit und Zwiefpältigkeit
des Geiftes der Zeit felbft. Hier finden fich Bemerkungen über Maffen-
pfychologie und vor allem ein kurzer Überblick über die Geiftesge-
fchichte und das Gemütsieben der Kulturmenfchheit feit dem Untergang
der Antike. Immer wieder ift es der weltgefchichtlich wirkfame Gegen-
fatz zwifchen verftandes- und gefühlsmäßigem Erfaffen der Welt, der
in der Seele des Einzelnen mächtigen Widerhall oder Störungen hervorruft
. Was der Verf. hier zur Pfychologie und Löfung der Frauenfrage
fagt, ift vortrefflich. — Endlich faßt er in einem Schlußkapitel
noch einmal zufammen, wie er fich die Wege zu einer harmonifchen
Entwicklung einer feelifch gefunden Perfönlichkeit denkt und
welche Mittel uns die Beften unferes Volkes dazu an die Hand gaben.
Chemnitz. Weber.

Das Marienbüchlein. 60 Meifterwerke der Malerei mit einleitenden
Vcr.en von Jofeph von Eichendorff. (64 S.) kl. 8°. Stuttgart,
J. Hoffmann. M. 5.50; geb. M, 7 —

60 hübfehe Marienbilder, klein, aber auf vorzüglichem Papier
wiedergegeben, voran ein Ged cht von Eichendorff .Maria mit dem
Kinde': und das fchmucke ,Marienbüchlein' ift fertig. Kopfzerbrechen über
die Ordnung oder irgendetwas dergleichen hat fich der Verleger oder,
wer fonft es ihm zufammenftellte, wenig gemacht. Der leitende Ge-
fichtspunkt war offenfichtlieh der, aus der Unmenge von Marenbildern
60 auszuwählen, die man lür die anziehendften hielt, fie in keineswegs
ängftlich gewahrten zeitlichen Gruppen vorzuführen und lo eins jener
kleinen Kunlibüchlein zu machen, die zugleich fchön und in beftimm-
ter Richtung fromm find und die auf einen Maffenabfatz rechnen
dürfen. Es find 45 Meifter vertreten: 23 Italiener, Ii Deutfche, 8 Niederländer
, 1 Spanier, 1 Engländer, 1 Franzoie; zeitlich genommen gehören
27 der Renaiffanceperiode an, 12 dem Barock, 6 dem 19. Jahrhundert.
Berlin. Georg Stuhlfauth.

Rembrandt-Bibel. 4 Bände mit 270 Abb. Gewählt und

eingel. v. E. W. Bredt. Altes Teftament, 2 Bde.

(XVI, 179 S.) Pappbd. je M. 15 —
— Dasfelbe. Neues Teftament, 2 Bände. (143 S.) gr. 8°.

je M. 12—. (Bildererfchatz z. Weltliteratur,Bd. IV—VII.)

München, Hugo Schmidt 1921.
Rembrandt der Einzige, Unvergleichliche in fo vielem
ift unvergleichlich auch darin, daß er alle großen Meifter
der Kunftgefchichte um Haupteslänge überragt als Bibel-
geftalter. Diefe Tatfache erhält dadurch noch ihre befondere
Beleuchtung, 1. daß es wohl zum Selbftverftänd-
lichen feiner Zeit und feines Volkes gehörte, die Bibel
zu lefen, aber nicht, fie künftlerifch auszubeuten, wie es
Rembrandt getan, von dem mehr als 200 Gemälde und
Radierungen zu biblifchen Gefchichten und Geftalten
und, trotz aller Verlufte, über ein halbes Taufend Zeichnungen
diefer Art erhalten find, 2. daß die Rembrandt-
Bibel im fpezififchen Sinne die Bilderbibel der nordifch-
germanifchen Seele ift. Sie in handlichfter Form und
zu erfchwinglichem Preife, dabei in gediegenfter Aus-
ftattung herausgebracht zu haben ift das Verdienft vorliegenden
Werkes.