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Ausgabe:

1922 Nr. 6

Spalte:

139-140

Autor/Hrsg.:

Cohrs, Ferdinand (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Zeitschrift der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte. 25. Jahrg 1922

Rezensent:

Bossert, Gustav

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139

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 6.

140

und die großartigen Leiftungen Deutschlands auf diefem
Gebiet.

Archivrat Mehring macht in hohem Grad wahr-
fcheinlich, daß die im Teftament Fulrads 777 erwähnte
Zelle Gamundia in Schwäbifch Gmünd zu fuchen ift.
Raufe her gibt eine Ergänzung zu feiner wertvollen Ge-
fchichte der Prädikaturen in Württbg., indem er nachweift
, daß die drei älteften in Giengen, Riedlingen,
Saulgau alle von dem aus Riedlingen Stammenden Nürnberger
Stadtarzt Joh. Mesner 1415 ff. geftiftet find.
Stadtpfarrer Dr. Duncker fchildert die kirchlichen Zustände
der Reichsftadt Heilbronn vor der Reformation,
den ungemeinen Reichtum an kirchlichen AnStalten,
Kirchen, Klöftern, Vereinen, Prieftern und daneben einen
wahren Abgrund von priefterlicher Unfittlichkeit, Gewalttätigkeit
und Geiz, dem Geld das höchste Ziel war.
Wenn Prälat D. Kolb S. 187 mit Recht fagt: Auch die
Gefchichte einer Kirchenbibliothek ift ein Stück Kirchen-
gefchichte, fo gilt dies in hervorragender Weifevon der reichen
Bibliothek der evgl. Nikolauskirche in Jsny, deren
Wiegendrucke Prof. Dr. Leutze 1916 in den Württbg.
Vierteljahrsheften befchrieben hat, während er jetzt die
Drucke von 1501—1517 in fehr forgfältiger Bearbeitung
vorführt. Neben einander erfcheinen Scholastiker und
Humanisten, auch außerdeutfehe. Pfarrer Rentfchler
weift in gründlicher Unterfuchung aller einfchlagenden
Verhältniffe nach, daß als Schwarzwaldzuflucht des
Joh. Brenz nur das von Heerbrand genannte Hornberg
im Gutachtal, nicht das kleine Hornberg bei Calw in
Betracht kommt. Bezeichnend find die Urteile des
StrenglutherifchenHeilbronner Syndikus Stefan Feyerabend
in lateinifchen Diftichen des 1590 gedruckten Werkes
De Feierabetho (Feierabend = Tod) über Theologen und
Ketzer f. Zeit, darunter auch Zwingli, Calvin, Piacius,
welche Dr. M. v. Rauch mitteilte. Prälat D. Kolb behandelt
die Gefchichte der Konfiftorialbibliothek, die in
Schmerzlicher Weife ihre mangelhafte Verwaltung und
ihre fchließliche Beraubung durch Herzog Karl kund
gibt. Die neue Verfaffung der württb. Kirche hat mit
dem Recht der Fhnennung durch weltliche Patrone endgültig
aufgeräumt. Aus der Leidensgeschichte der Patro-
natspfarreien gibt Stadtpf. BofSert in Horb ein bezeichnendes
Bild in dem Auffatz „Haufen ob Verena als Ho-
henkarpifche Patronatspfarrei 1513—1663." Eine überaus
fchöne, wertvolle Arbeit bietet Pfarrer Fritz, der Ver-
faffer der großen Gefchichte der Liebestätigkeit der
evg. Gemeinden bis 1650, mit der Schilderung der Liebestätigkeit
des altwürttembejgifchen Pfarrhauses 1648—
1806 in ihren drei Perioden der Orthodoxie, des Pietismus
und der Aulklärung, die nicht nur kirchengefchichtlich,
fondern auch fozial zu bewerten find. Studiendirektor
Geig es befpricht die Anfiedlungspläne der Brüderge-
meine in Württemberg auf Grund von wertvollem Material
aus dem Archiv der Brüdergemeine. Wir lernen
die Wünfche von Seiten Zinzendorfs und der Seinigen
und der Separatisten und fpäter der Pietiften nach Gründung
eines Gemeindortes innerhalb des Herzogtums,
aber auch die Bedenken dagegen befonders von Seiten
Bengels und des damaligen Pietismus, aber auch das
Hindernis des Lofes gegenüber ziemlich gereiften Plänen
und die Erfüllung alter Wünfche in der durch den Lan-
desfürften Friedrich begünftigtem Gründung von Königsfeld
kennen, das nach kurzer Zeit an Baden fiel, wofür
jetzt Bad Boll ein Erfatz ift.

Stuttgart. G. Boffert.

Zeitrchrift der Gefellfchaft f. niederrächfilche Kirchengefchichte,

unt. Mitw. v. Geh. Konfift.-Rat D. Ph. Meyer u. Geh. Konfift.-
Rat Prof. D. C. Mirbt hrsgeg. v. Konfift.-Rat Superint. D. Ferd.
Cohrs. 25. Jg. (III, I36 s-) Sr- 8°- Braunfchweig, A. Limbach
1920. M. 15 —

Cohrs gibt dem 25. Jahrgang ein Geleitwort mit, das einen kurzen
Oberblick über die Gefchichte des Vereins und feine künftigen
Aufgaben gibt, jährend1 Wolters ein lehrreiches Verzeichnis der Auf-

fätze in den 24 Jahrgängen nach«den Gefichtspunkten der Landesge-
fchichte, einzelner Landfchaften und gefchloffener Gebiete, der Ortsge-
fchichte, religiöfer Vereinigungen, Lebensgefchichte bedeutender Männer
und Frauen, Kirchenordnungen und dgl„ Katechismusgelchichte, Urkunden
, Lieder, Briete, Bücherkunde, Familiengeichichte darbietet.
Nahezu die Hälfte des 25. Jahrganges befchäftigt ftch mit Ant. Corvi-
nus. Paftor Ph. Meyer unferfuchf die kirchliche Gemeindeverfaffung
in Calenberg-Göttingen nach den relormatorifchen Ordnungen des
Corvinus von 1542/43 und ihren mittelalterlichen Grundlagen und zwar
I. von Städten und Flecken 2. von den Landgemeinden Er zeigt z. B.
wie der Rat die kirchlichen Gemeindeintereffen in wichtigen kirchlichen
Angelegenheiten, fo in der Vermögungsverwaltung, bei Befetzung
von geiftlichen Amtern, in der Aufficht über die Tätigkeit der Geiflli-
chen, in der Armenpflege und Sittenzucht vertritt, und focht überall
Anknüpfung an mittelalterliche Verhältniffe nachzuweifen. Paftor Dr.
jur. et. phil. Apel teilt einen Brief von Corvinus, damals Pfarrer in
Witzenhaufen, an den Amtmann in Steinberg vom 16. Oktober 1537
mit, in dem er klagt, daß ihm in feiner Abwefenhett ein Judenknabe
aus Alsfeld, der an feinem väterlichen Glauben irregeworden und Corvinus
übergeben worden war, durch den älteren Bruder entführt worden
fei, und deffen Wiederbeifchaffung fördert. Sehr ftreng befiehlt Landgraf
Philipp am 21. Okt., der Knabe mülle fofort in feine Gewalt kommen
, natürlich um Corvinus wieder zugeführt zu werden. Sonft müffen
die Juden das Land räumen. Die Juden in des Knaben Heimat Alsfeld
müffen 100 Gulden Strafe bezahlen. Paftors Wolters ift es geglückt
, den vielgefuchten verfchollenen Dialog des Corvinus über feine
angebliche Gefangenfchaft und feinen Tod Hannover 1545 in der Rid-
dagshäufer Klofterbibliothek aufzufinden. Man fieht, wie von altgläubiger
Seite das Gerücht aufgebracht wurde, um Corvinus Schwierigkeiten
zu bereiten und die Herzogin und ihren Sohn Erich zu fcharfem
Vorgehen gegen den Reformator zu ermutigen. Leider ift die Korrektur
des lateinifchen Textes fehr mangelhaft. 19 Druckfehler auf 13
Seiten! S. 125 Z. 2 u. follte Hiere erklärt fein. Es handelt fich um
Jeremia 6, 15, 8, 12. Prof. D. O. Clemeii weift Georg Major als Ver-
faffer eines Schmähgedichtcrs auf Herzog Heinrich d. J. von Braunfchweig
von 1541 nach. Eine wertvolle Ergänzung zu Rud. Ruprechts
„Pietismus des 18. Jahrhunderts in den Hannoverfchen Stammlanden"
gibt Abt D. Knoke in einem Bericht über Lectiones asceticae an der
Univerfität Gottingen 1735 D's '737, nämlich Erbauungsftunden für
Studenten durch die Profefforen Crufius, Oporin und Heumanns. Dankenswert
find die Mitteilungen über Oporin und aus Mühlenbergs Biographie
über feine Eindrücke in den Lectiones asceticae. Beachtenswert
ift der Bericht Knokes über eine Äußerung Paul de Lagardes
ihm gegenüber, es wäre lehr wünfehenswert, daß für die Studenten
wieder collegia philobiblica eingerichtet würden. Eine große Arbeit
über die Kirchenglocken in der Stadt Braunfchweig beginnt Oberbaurat
Pfeifer. Er behandelt zuerft die Glockengießer und dann die Glocken
der Martinikirche. Mechtildis S. 84 kann kein Glockengießer fein,
das ift eine Frau. S. 105, Z. 10 ift zu lefen: GLORIA F.
Stuttgart. G. Boffert.

Zum Charakter Spinozas. Vom Verfairer des Spinoza Redivivus.
(143 S.) Halle, Weltphilofophifcher Verlag 1919. M. 10.—

Ein begeifterter Verehrer des Menfchen und des l'hilofophen
Spinoza bringt hier wertvolles Material über die Lebensbcfchreibungen
von Lucas und Colercus, über das Nachlaß-Inventar, die Moniklofflche
Lebensbefchreibung und kritifche Bemerkungen dazu. Das Buch
bildet ein Glied in einer Kette von Spinoza-Publikationen (Ethik,
Staat und Philofophie; Spinoza und Descartes ufw.).

Berlin. Artur Buchenau.

Kants opus poftumum dargeft. u. beurteilt von Erich Adickes.

(Kant-Studien, Ergänzgs.-Heft Nr. 50) (XX, 855 S.)

gr. 8°. Berlin, Reuther & Reichard 1920. M. 50 —
Seit Kuno Fifcher die Behauptung aufgeflellt hat,
Kants opus poftumum fei gänzlich senil und daher für
das Gefamtwerk wertlos, ift der Streit darüber nicht zur
Ruhe gekommen. In Kraufe ift Kant ein leidenlchaftli-
cher Anhänger entftanden und R. Reicke hat fich ein
zweifellofes Verdienft dadurch erworben, daß er in den
Jahrgängen 1882/84 einen bedeutenden Teil des nachge-
laffenen opus veröffentlicht hat. Adickes hat fich nun
die Aufgabe geftellt, die Bahn freizumachen für eine
wirklich allen philologifchen Anfprüchen Genüge leiftende
vollftändige Ausgabe des Opus poftumum. Eine ungeheuer
mühfelige Arbeit ift von dem fcharffinnigen und
immens fleißigen Kant-Forfcher geleiftet worden, und
man kann lagen, daß er fein Ziel erreicht hat. Abge-
fehen von dem I. Konvolut, wo der Einfluß der Alters-
befchwerden unverkennbar ift, flammen Plan und Hauptgedanken
des Op. polt, aus einer Zeit, wo von Senili-
tätseinflüffen noch gar nicht die Rede fein kann. Wie
man daher auch felbft zu den Kantifchen Gedanken