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Ausgabe:

1922

Spalte:

136

Autor/Hrsg.:

Bauke, Hermann

Titel/Untertitel:

Die Probleme der Theologie Calvins 1922

Rezensent:

Hirsch, Emanuel

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Seite 1

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Luther hatte fich bekanntlich bei der Leipziger Disputation
am 5. Juli 1519 die Äußerung entfchlüpfen
laßen, unter den Artikeln des Johann Huß und der Böhmen
feien manche durchaus evangelifche und chriftliche, und
fich dadurch verdächtig gemacht, ein geheimer Gefinnungs-
genoffe der verhaßten Schismatiker und Ketzer zu fein.
Emfer, der der Disputation von Anfang bis zu Ende beigewohnt
hatte, führte in einem offenen Briefe vom 13.
Äuguft an Johann Zack, Administrator der katholifchen
Kirche zu Prag und Propft zu Leitmeritz, aus, daß die
Böhmen fich mit Unrecht auf Luther beriefen, Luther
habe jene Äußerung nicht als Sympathiekundgebung |
für die Böhmen gemeint, er habe fie vielmehr wegen ihres j
Abfalls vom päpftlichen Stuhle laut verdammt. Luther
witterte in diefem Briefe die hinterliftige Abficht Emfers, |
ihn zu nötigen, entweder, um den Verdacht, er fympa-
thifiere mit den Böhmen, zu zerftreuen, feine in Leipzig
eingenommene Pofition aufzugeben oder offen die Partei
der Böhmen zu ergreifen. Die proteftantifchen Kefor-
mationshiftoriker von Seckendorf bis zu Köftlin-Kawerau
und darüber hinaus haben Luther recht gegeben, Thurnhofer
aber meint, Emfer habe jede Heimtücke fern gelegen, er
habe .Luthern von dem fchweren Verdachte huffitifcher j
Anfchauungen reinigen' wollen. Dadurch, daß Emfers !
Epistola jetzt im Neudruck vorliegt, hat jedermann Gelegenheit
nachzuprüfen, ob Luther und dieproteftantifche Auffaf- 1
fung oder ob die Thurnhofers die richtige ift. Ich kann
mich des Eindrucks nicht erwehren, daß Emfer die heim-
tückifche Abficht gehabt hat, jenen Verdacht gegen Luther
gerade erft recht rege zu machen. Hat doch auch Tetzel
Luther zum Gefinnungsgenoffen des Huß und Wicht
geftempelt, Prierias die Vermutung geäußert, Luther werde
wohl nach Böhmen reifen und dort ein neues Schisma
anzetteln, und Eck in Leipzig Luthers Übereinftimmung
mit Huß und den Huffiten als Haupttrumpf verwendet.
Auch Emfers 2. Streitfchrift, die Entgegnung auf Luthers
Additio, fcheint mir diefer ganz richtig zu beurteilen, wenn
er fchreibt, Emfer habe zur Sache nichts als Schmähungen
beigebracht und die Befchuldigung, die er gegen jenen
erheben müffe, bestätigt.

Auf den Neudruck der beiden Emserfchen Streitfchriften hat
Th. alle nur erdenkliche Sorgfalt verwendet. Durch Rekognoszierung
der zahlreichen Zitate und Anfpielungen ift klargeltellt, wie Emfer als
I.atinift von Elautus, Terenz und Erasmus abhangig ift.

Zwickau i. S. O. Clemen.

Zwingliana. Mitteilungen zur Gefchichte Zwingiis und
der Reformation, herausg. vom Zwingliverein in Zürich.
1921. Zürich, Berichthaus.

Es ift merkwürdig, wie viel die kleinen Hefte für
die Biographie Zwingiis bieten. Bähler räumt auf mit
der Annahme, daß Urfula, die Gattin des Berner Schneiders
und Ratsherrn Lienhard Tremp, eine Schwefter Zwingiis
gewefen fei. Sie war eine Bafe, eine entferntere Verwandte
. Dagegen taucht in einer Chronik des Klofters
Planeregg 1646 die Nachricht von zwei Schwertern
Zwinglis auf, die dort Nonnen waren und von Zwingli
mit 23 Genoffinnen dem Klofter entführt wurden. W.
Köhler behandelt die Frage, ob Zwingli in Paris ftudiert
hat, und zeigt, daß die Nachrichten darüber nur von
Zwinglis Anhänglichkeit an die Parifer Scholaftiker zu
verftehen find. Dagegen ift die Nachricht Hofpinians
auffallend, daß Zwingli zwifchen Wien und Bafel in
Tübingen ftudiert habe. Der Streit Zwinglis und Emsers
wird neu beleuchtet. Zwei Werke aus Zwinglis Bibliothek
find nun feftgeftellt, ebenfo fein Autogramm zu einer
Frage der Berner Disputation im Keftnermufeum in
Hannover. Bezeichnend ift die von altgläubiger Seite
verbreitete Lüge von einem Diebftahl Zwinglis und die
von wohl lutherfreundlicher Seite in Bafel, daß bei
Zwinglis Leiche, als fie entkleidet wurde, ein goldenes
Kruzifix gefunden worden fei. Joh. Ficker bietet eine
eingehende Unterfuchung über die Bilder ökolampads

auf Medaillen Strampfers und Afpers und Rundbildern
aus der Zeit 1555 ff. und kommt zu dem Schluß, daß die
Vorlage wohl von Holbein aus dem Todesjahr Ökolampads
flammt. F. Vetter berichtet über ein Bild L. Kranachs
,der buhlende Alte und das junge Mädchen', aus dem
Klofter S. Georgen in Stein am Rhein, auf deffen Rückfeite
2 Gegner Luthers das Bild auf Luthers 1 leirat mit
Katharina von Bora gedeutet haben. Sie zeigen fich
mit den Ereigniffen ziemlich gut bekannt und find wohl
in Wittenberg zu fuchen. P. Wernle zeigt, daß die Artikel
der drei Bünde nicht in das Jahr 1521, fondern 1526 gehören
. Sonft würde, wie auch der Verfaffer der Bündner
Reformationsgefchichte Camenifch anerkennt, die ganze
Schweizer Ref.-Gefchichte auf den Kopf gefiel lt. Das
Wiedertäuferkonzil in Teufen Weihnachten 1528 beleuchtet
W. Köhler. Einen Nachtrag zu Heinr. Brennwalds, des
Propftes von Embrach, Biographie gibt R. Hoppeler.
Einen warmen Nachruf widmet W. Köhler G. Finfler,
dem um die neue Ausgabe von Zwinglis Werken hochverdienten
Profeffor, deffen Tod befonders für die von
ihm vorbereitete Ausgabe von Bullingers Briefen ein
fchwerer Verluft ift.

Stuttgart. G. Boffert.

Bauke. Hermann: Die Probleme der Theologie Calvins.

(VIII, 108 S.) gr. 8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1922.

M. 30 —

B. hat die ganze deutfehe und ausländifche Literatur
zur Theologie Calvins forgfältig durchgearbeitet und
glaubt den Grund des Auseinanderfahrens der Meinungen
darin zu finden, daß man ftets auf den Inhalt ftatt auf
die Formgeftaltung geachtet hat, in der Calvins theo-
logifche Eigentümlichkeit erfaßt werden müffe. Diefe
Formgeftaltung zerlegt er in drei Momente: die diaiek-
tifche Methode der Begriffsbearbeitung, den Zug zur
Totalität, der nicht durch Auswahl oder Ausgleich, fondern
durch Verknüpfung die Einheit des Syftems her-
ftellt (B. nennt das merkwürdigerweife die complexio
oppositorum), und endlich das bibliziftifche Prinzip. B.
fucht dann an den einzelnen Gegenftänden der Inftitutio
zu zeigen, wie die Frageftellung unter dem formalen Ge-
fichtspunkt über den bisherigen Zuftand der Forfchung
hinausführen könnte.

Drücke ich B.s Grundgedanken auf meine Weife
aus, fo ergibt fich mir der Satz: Calvin hat die Lokalmethode
der melanchthonifchen Dogmatik nur auf wiffen-
fchaftlich-formale Weife, nicht durch Geftaltung des Ganzen
aus einem inhaltlichen Prinzip überwunden. Nach
Abftreifung des wiffenfehaftlichen Gewandes bleiben auch
bei ihm nebeneinander flehende einzelne Lehrftücke übrig.
Als Antithefe gegen das Verfahren, irgend ein Lehrftück
herauszugreifen und als den Einheitspunkt der Calvinifchen
Theologie zu proklamieren, will ich mir diefen Satz gern
gefallen laffen. Als letzten Schlüffel zum Calvinverftänd-
nis vermag ich ihn jedoch kaum anzuerkennen. Die
Ganzheit und Gefchloffenheit der calvinifchen Theologie
beruht auf einem fachlichen Moment. In jedem großen
Syftem ift der Formzufammenhang nur Ausdruck einer
durchgehenden Einheit der Grundanfchauung. Ich glaube
auch nicht, daß B. den erhofften Beifall der reformierten
und franzöfifchen Calvinforfcher finden wird.

Vielleicht würde B. überzeugender denken, wenn er im 3. Kap.
ftatt bei jedem einzelnen fachlichen Funkt Andeutungen zu geben,
wie es etwa gemacht werden konnte, ein einziges Lehrftück herausgegriffen
und an ihm durch wirkliche Ausführung mit der Tat die Fruchtbarkeit
feiner Gefichtspunkte bewiefen hätte. Auch wäre es vielleicht
möglich gewefen, die formale Eigenart des calvinifchen Denkens feiner
und konkreter herauszuarbeiten, als es in jenen drei Gefichts-
punkten tut.

Das alles verhindert nicht die Anerkennung, daß B.
mit großem Fleiß einer unendlich mühfamen Arbeit fich
unterzogen und der Calvin forfchung eine ernfter Prüfung
werte Anregung gegeben hat.
Göttingen. E. Hirfch.