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Ausgabe:

1922 Nr. 5

Spalte:

111

Autor/Hrsg.:

Nikolay, Wilhelm Otto

Titel/Untertitel:

Die Beteiligung der freien Stadt Frankfurt an der Stiftung des Bistums Limburg nach dem Manualakten des Syndikus Dr. Danz 1922

Rezensent:

Bornemann, Wilhelm

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Seite 1

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Iii Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 5. 112

intime Bekannte waren bisher gar nicht oder nicht vollftändig gedruckt.
Sie betreffen vorwiegend Schleiermachers damalige AuffalTung über
Liebe und Ehe, fowie fein Verhältnis zu Eleonore Grunow. Es i(l nur
zu loben, wenn der neue Herausgeber die Bedenken der früheren fallen
liillt. Das ganze Verhalten Schleiermachers zu E. Grunow wird dadurch
nur klarer. In der Erläuterung zu Brief 56 ift wohl ein Miß-
verfländnis untergelaufen. Es heißt im Text: „Meine Bekanntfchaft
mit Spener foll übrigens wohl zu t'herfetzungen helfen." Gemeint ift
Karl Spener, der Herauzgeber eines Kalenders mit Cberfetzungen
aus dem Englifchen. M. aber denkt an einen Plan Schleiermachers,
Philipp Jakob Spencrs Schriften zu überfetzen (in welche Sprache
denn?).

Trotz folcher Ausftellungen — die fchon bei Be-
fprechung des erften Bandes hervorgehobene einfeitige
Einftellung des Herausgebers zur Romantik und der
von ihr beeinflußten Haltung und Lebensauffaffung
Schleiermachers in diefer Zeit tritt auch in der Einleitung
zu diefem Bande hervor, wenn auch nicht in dem Maße,
wie früher — ift dem wertvollen Buch feinem Zwecke
gemäß ein großer und verftändnisvoller Leferkreis zu
wünfchen.

Zum Schluß fei noch die Frage aufgeworfen : Sind die Briefe v.
Brinckmann's an Schleiermacher noch erhalten? Die Briefe an Brinck-
mann find, wie M", berichtet, vollftändig in guten Abfchriften vorhanden
. Wenn jene nicht verloren gegangen, was kaum anzunehmen, lo
verdienten fie eine Veröffentlichung, weil keiner, nach den Antworten
Schleiermachers zu fchließen, fo auf die Schriften, Gedanken und Plane,
die ihn in dieler Zeit bewegten, eingegangen ift wie diefer Jugendfreund,
Dadurch würde auch Schleiermachers Leben eine neue Beleuchtung erfahren
.

Sterkrade. L. Vietor.

Nikolay, Prof. D. Dr. Wilhelm Otto: Die Beteiligung der freien
Stadt Frankfurt an der Stiftung des Bistums Limburg nach dem
Manualakten des Syndikus Dr. Danz. (57 S.) gr. 8". Frankfurt
a. M.. Carolus-Druckerei 1921. M 10 —
Diefe Abhandlung, zu Ehren der Frankfurter Generalverfammlung
der Katholiken Deutfchlands und zum Lobe der Stadt Frankfurt ge-
fchrieben, fchildert auf Grund bisher nicht benutzten handfchriftlichen
Materials eine Kpifode (1818—1828) aus der deutfchen Kirchenpolitik
der Reftaurationszeit vor hundert Jahren. Das gezeichnete Bild,
deffen Richtigkeit ich im Einzelnen nicht nachprüfen kann, ift freilich
für die damaligen Verhältniffc in Staat und Kirche charakteriftifch und
intereffant, aber im Ganzen unerfreulich und eigentlich für alle Beteiligten
wenig ehrenvoll. Proteftantifche Bundesfurften. die fich einbilden
, die Verhältniffe der katholilchen Kirche nach ihrem Willen ordnen
zu können (S. 6 ff. 9. 40 ff); deutiche Diplomaten, die in geheimen
Abkommen dasjenige feftlcgcn, was fie öffentlich ableugnen
(S. 7 ff); ein Papft, der grundfätzlich dasjenige für unannehmbar erklärt
, was er tatl'ächlich nachher, wenn auch unter Vorbehalten, anerkennt
(S. 6. 32); ein proteftantifcher Unterhändler, dem es „ein peinliches
Gefühl ift fich vor Perfonen frei zu äußern, die nach den Grund-
fät/.en der katholilchen Kirche den Verhandlungen zu Frankfurt nicht
beiftimmen konnten" (S. 14), der aber trotzdem ohne Angabe von
Gründen für ein Bistum eintritt, „das zwar Gehl koftet und nichts einbringt
, aber notwendig (?) ift (S. 14 f), und der nach Abfchluß des
Vertrags über bedeutfame Fragen erft um eine , kanoniftifche Belehrung"
bittet (S 52). überhaupt über wichtige Dinge völlig im Dunkeln ge-
laffen wird (S. n); eine Statiftik, die auf dem Papier 6000 Katholiken
für Frankfurt angiebt, während man ganz gut weiß daß es tatfächlich
nur 2565 Katholiken find; ein proteftantifcher Bundesftaat, der um
diefer 2565 Katholiken willen einen jährlichen Beitrag von 5000 Gulden
für ein katholifches Bistum und 2000 für einen Domherrn zahlt und
dem neuernannten Bifchof 400 Brabanter Thaler, den 4 Mitgliedern des
bifcböflichen Vicariats 4 goldene Schnupftabakdofen fchenki (S. 33);
katholifche Priefter, die um Domherrn zu werden, kurzerhand einen nur
rafch ihnen vorgelelenen, für fie nicht unbedenklichen Revers unter-
fchreiben (S. 42 f); verbündete Obrigkeiten, von denen die ftärkere
bei dielen) ganzen Handel die andre über das Ohr zu hauen fucht
(17. 25. 35 ffi, — wahrlich für ein unbefangenes Gemüt eine fchwer-
verdauliche Speife. — Im Schlußabfchnitt behauptet der Verfaffer, der
Kurfürftcntag von 1446 fei in Frankfurt zufammengetreten, ,,um die
Freiheiten der katholilchen Kirche zu verteidigen," und flicht für den
Katholikentag eine fchlechterdings nicht zur Sache gehörige Verherrlichung
des Papfttums ein. (S. 54 f). Peinliche Genauigkeit der
ftaatlichen Regierungen bei der Vorbereitung einer Bifchofswahl er-
fcheint ihm pedantifch und lächerlich. (S 31.)
Frankfurt a. M. VV. Bornemann.

Bofle, Baftor Georg von: Ein Kampf um Glauben und
Volkstum. Das Streben während meines 25jähr. Amts-
leben.s als deutfch-luther. Geiftlicher in Amerika. (259 S.
und 5 Bilder.) 8°. Stuttgart, Chr. Belfer 1920.

M. 6 —

Es könnte fcheinen, als ob diefe 1914-zum Druck
beftimmte Befchreibung eines ausland-deutfchen Pfarrer-
Lebens voll Erfolg und Fanulienftolz, voll lutherifchem
und deutfehem Hochgefühl fich heute erübrige. Aber
fie läßt deutlich die Grenzen unferes deutfchen Pfarrer-
tums in Amerika erkennen: wenig Fähigkeit, auf ameri-
kanifches Wefen pfychologifch richtig einzugehen und
daher Einflußlofigkeit auf das amerikanifche Volkstum.

Diefe Verftändnislofigkeit zeigt fich zunächft auf dogmatifchem
Boden. Eine feltfame Unbegabtheit, fich mit dem Calvinismus in feiner
verfchiedenen .Sektenausprägung zu vertragen (z. B. S. 149 [),
Aber das wird begreiflich bei dem Bekenntnis diefes Pfarrers „Ich
glaube feft an die Lehren unterer teuren lutherüchen Kirche, weil fie
fich decken mit dem, was die heilige Schrift tagt." (S. 114.) Seine
erfte Gemeinde verpflichte! ihn, „Gottes Wort Alten und Neuen Tefta-
ments rein und lauter zu verkündigen nach dem Bekenntnis unterer
ev.-luth. Kirche, wie folches in dem Korkordienbuch von 1580 enthalten
ift." (S. 45). So Hellte fich das deutfehe Luthertum in Amerika
immer auf das papierne Dogma. Und das Leben Amerikas flutete an
ihm vorbei.

Denn daraus ergab fich die verftändnislofe Stellung
zum amerikanifchen Sittenleben. Schon der puritanifche
Sonntag wird peinlich nur als Heuchelei empfunden,
ebenfo die ganze Antialkoholbewegung (S. 87, 150, 156,
202, 218). Niemand konnte von den Deutfchen verlangen
, daß fie fich in die reklamehafte Prohibitionsbegei-
fterung hineinziehen ließen. Aber mußten fie fich gegen
Prohibition ftellen? Dem Deutfchtum entftand daraus

I fchwerer Schaden. Und nun das wegwerfende Urteil
über die Heilsarmee: „etwas Widerliches und Abflößendes
". (S. 99.) So urteilt man nicht auf amerikanifchem
Boden über eine bedeutfame fittliche Rettungsarbeit.
Was würde v. B fagen, wenn man fo, wie er über Booth
(S. 214 f), über Vater Bodelfchwingh redete.

Endlich das ganz unzutreffende Urteil über Sozialismus in den
U. S. A., der nach einzelnen religionsentlremdeten Perfonen als chri-
ftentumfeindlich hingeftellt wird |S. 102, 203 fi. Ich beftreite diefe
Behauptung, daß Chriftentum und Sozialismus in Amerika Gegenfiitzc
find, aus eigener Erfahrung, obwohl ich nicht 25 Jahre in Amerika
war. Raymund Robins, mit dem ich an einer Y.-M.-C.-A.-Konferenz
zufammen war, ift chriftlicher Sozialift durch und durch. Vielmehr

j Icheint mir, dali diefe Stellung des deutichcn Luthertunis zur Arbeiter-

I frage und dem Sozialismus verhängnisvoll für die Erhaltung des Deutfch-

1 lunis in Amerika war: im Sozialismus hätte das Deutfchtum feinen be-

' ften Bundesgenolfen gefunden.

Ganz unbedingt pflichten wir Pfarrer v. Boffe bei
in feinen leidenlchaftlichen Bemühungen um Beibehaltung

der deutfchen Sjorache. Darum geht ja der verzweifelte
Kampf, von deffen gutem Ausgang er fo feft überzeugt

I war. Uns fcheint, daß der Krieg in Amerika auch gegen
die deutfehe Sprache entfehieden hat. Und deutfehe

j Sprache konnte fich doch mit evangelifcher Freiheit und
fozialem Fortfchritt einigen.

Darum ift an dem Buch nur eins verheißungsvoll,
der Nachtrag. Er erzählt von der abfeheulichen
Rache, die das Yankeewefen am Deutfchtum in Amerika

I von 1914 bis heute nahm. Es bedürfte keines anderen
Beweifes, daß wir auf Amerika falfch eingeftellt waren,
als «liefe Reihe elender Lügen und Vergewaltigungen.

! Nur zu wenig wiffen wir davon in der Heimat, wie
Deutfehamerikaner an uns geglaubt haben, an unfere

j Unfchuld, und wie fie litten. Wir hören immer noch

I aus den U. S. A. nur die dreifte Forderung: „Tut Buße!
Fühlt Euch endlich fchuldig!" Diefer infamen Wahr-
heitsunterdrückung gegenüber gilt es, daß die Deutfehamerikaner
uns helfen, die Kriegsfchuldfrage
in der Welt aufzurollen. Möchten recht viele Deutfch-

I amerikaner uns folche Berichte über den Krieg fchrei-

I ben, wie Pfarrer v. Boffe in feinem Nachwort. Daraus
wird Wahrheit und Befreiung kommen, und es ift Dienft
guten lutherifchen Glaubens für Gott und am Volk.
Breslau. K. Bornhaufen.

Conybeare, PYederick C, Honorary Fellow Univorsity
College, Oxford: Russian Dissenters. (Harvard theolo-
gical studies X.) (X, 370 S.) gr. 8°. Cambridge,
Harvard Univ. Press 1921. $4_