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Ausgabe:

1922 Nr. 4

Spalte:

92

Autor/Hrsg.:

Elert, Werner

Titel/Untertitel:

Dogma, Ethos, Pathos 1922

Rezensent:

Piper, Otto A.

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gi Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 4. 92

der Religion. Er begeht aber den nicht ganz feltenen
Fehler, zu überfehen, daß man der Erkenntnisfeite der
Religion nur gerecht werden kann, wenn man ihre innige
Verflechtung mit der die ganze Breite des Geifteslebens
einnehmenden Art der Religion ins Auge faßt. Die falfche
Frageftellung führt F. dazu, in erfter Linie darauf zu ■
achten, ob der Erkenntnisbefitz der Religion fleh vor dem
logifchen Denken auch des irreligiöfen Menfchen bewei-
fen laffe.

Die Folge der einfeitig logifchen Frageftellung find gründlich verkehrte
Urteile wie S. 40: die rationale Selbftgewißheit müde als die i
ideale und einzig vollkommene Begründung der Religion gelten. Eben-
fowenig kann F. dem religiöfen Autoritätsprinzip gerecht werden, wenn
er bei ihm eine Stellvertretung im Denken annimmt. In Wahrheit
wirkt die reiigiöfe Autorität auf den ganzen Menfchen. F. s Urteil
vergewaltigt alle fchlichte Religion: „Darum beruht der Begriff der religiöfen
Autorität aut einem Mißverftändnis." (S. 50). Zu noch ungeheuerlicheren
Konfequenzen führt die logiziftifche Behandlung der Religion
S. 53: „Der Gott der Gefchichte fpricht nur durch den Mund der
vermittelnden Wiffenfchaft zu uns und ift damit religiös tot." Eben-
fowenig kann F. dem Begriff der Offenbarung gerecht werden, da er
auch hier mit der verkehrten Frageftellung operiert, ob der Inhalt der
Offenbarung dem irreligiöfen Menfchen bewiefen werden könne.

Mein zweites Bedenken gegen das fcharffinnige Buch
richtet fleh gegen die Art, in der die Zweiteilung der
Religion in natürliche und geiftige Religion durchgeführt
wird. An und für fleh ift diefe Zweiteilung gut. Die
natürliche Religion verabfolutiert egoiftifch-eudämo-
niftifche Lebenswerte. Aber in dem Abfchnitt über die
natürliche Religion wird vieles verworfen, was bleibenden
Wert hat und irgendwie auch in der Geiftesreligion feine
Stelle finden muß, z. B. der Vorfehungsglaube. Die Geiftesreligion
F.'s ift zu ariftokratifch; fie wird von einfamen
Denkern gepflegt. Ihr Inhalt liegt jenfeits alles Denk-
und Vorftellbaren. Das reine gotterfüllte Schauen und
die damit verbundene Seligkeit ift der einzige nennbare 1
Inhalt. Wer die Erlöfung veranltellt, flnkt fchon in den 1
Eudämonismus herab. „Sie ift eine heroifche Religion |
der Starken, keiner phyfifchen oder moralifchen Erlöfung
Bedürftigen." (S. 101.) Und doch heißt es gleich darauf:
„Die Erlöfung muß eo ipfo und ungefucht erfolgen." [
F.'s Geiftesreligion ift mehr dem Neupiatomismus, Taois- !
mus und Brahmanismus verwandt als dem Chriftentum. !
Bafel. J. Wendland.

Bilchoff, Diedrich: Die Religion der Freimaurer. Ein Weg

zum deutfehen Auibau. (104 S.) 8°. Gotha, F. A. j
Perthes 1922. M. 12 —

Der Verfaffer diefes Büchleins wirbt nicht fo lehr !
für den Freimaurer-Bund als für den echten Freimaurer-
Geift, deffen Herolde die großen deutfehen Freimaurer
vom Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts
Leffing, Herder, Goethe, Fichte ufw. waren, deren im all- j
gemeinen zu individualiftifches und kosmopolitifches Humanitätsideal
freilich nach der nationalen und (ozialen
Seite der Ergänzung bedarf. Vor allem liegt ihm daran
zu zeigen, daß diefer Geift ,der wahren Humanität und
bauenden Vaterlandsliebe' nicht lediglich moraliftifch, '
fondern mit dem Quell religiöfen Lebens getränkt und 1
ohne den Glauben an einen weltwaltenden göttlichen Willen
undenkbar ift. Gegenüber den pofitiven Religionen in
ihren verfchiedenen Erfcheinungsformen proklamiert er
dem freimaurerifchen Grundfatz gemäß weitgehende Duld-
famkeit, nur das Dogma von der angeborenen Schlechtigkeit
menfehlichen Wefens glaubt er entfehieden ablehnen zu
müffen. Der evangelifche Theologe wird urteilen, daß
das Problem der Sünde kaum in feiner ganzen Tiefe
erfaßt fei, auch nicht einräumen, daß alles, was in .pofitiver'
Religion über den .rationaliftifchen* Freimaurerglauben
hinausweift, lediglich für die leitungsbedürftige Maffe nütz- I
liches, autoritatives Dogma fei. Gleichwohl wird er den j
Verfaffer und Männer feinesgleichen als Bundesgenoffen bei
der Arbeit um Deutfchlands Erneuerung mit Freude |
begrüßen und fleh an feinem fchönen, tapferen Glauben j
ftärken. Möge B. recht behalten: ,Von uns Sklaven wird, I

wenn fleh das echte Deutfchtum in uns emporreckt, der
Welt das Freiheitsreich erkämpft werden', S. 96.
Iburg. W. Thimme.

Eiert, Lic. Dr. W.: Dogma, EthOS, Pathos. Dreierlei Chriftentum.
(36 S.) gr. 8°. Leipzig, Dörffling und Franke 1920. M. 3—
Verf. unterfcheidet drei Typen des Chriftentums: das dogmatifchc,
dem es auf Rechtgläubigkeit ankommt; das ethifche, das in der Befolgung
der Gebote Jefu befteht, und das pathetifche, bei dem Erlebnis und
Jntenfität des Affekts das Wefen des Chriftentums ausmachen. Jedes
empirifche Chriftentum komme dadurch zuftande, daß in ihm ein Element
über die beiden anderen überwiege. Grundlegend fei jedoch das
chriftliche Pathos: Reue und Vertrauen; denn trotz verfchieden
ftarker Intenfität fei es allein wefenhaft immer das gleiche, weil am
objektiv feftgefügten Evangelium orientiert. Erft von Pathos aus komme
es zu Dogma und Ethos. Aber des Verl. Vernich, Luthers Bedeutung
in feinem intenfiven religiöfen Affekt zu fehen und von hier aus die
Überlegenheit des Proteftantismus zu beweifen, zeigt das Ungenügen
diefer pfychologiftifchen Betrachtung. Nicht Leidenfchaftlichkeit und
nicht Konkretheit der religiöfen Erfahrung ift der Wertmcffer für eine
Religion, fondern die Form, unter der die Beziehungen zwifchen Menlch
und Gott vorgeftellt werden.

Göttingen. Piper.

BrorJ, Max: Heidentum, Chriftentum, Judentum. Ein Bekenntnisbuch.
In 2 Bänden. (319 u. 359 S.) 8°. München, Kurt Wolff.

M. 60.—: geb. M. 80.—
Zur Theologie hat diefes Bekenntnisbuch eines Juden natürlich
kein Verhältnis. Immerhin polemifiert es z. B. gegen die bei uns
übliche Deutung des Hohenliedes und gibt eine eigene Rekonftruktion
diefes Buchs; auch werden Troeltfchs und Cornills Auffaffungcn
des Prophetismus bekämpft. Aber die Gefamthaltung ift die feuilleto-
niftifcher Effays. Br. arbeitet mit Begriffen, die auch wir brauchen,
gibt ihnen aber ganz anderen Inhalt; er befchäftigt lieh mit Problemen,
die auch unfere Probleme find, faßt fie aber in einer Weife an, die
ein gegenleitigcs Sichverftehen lehr fchwer macht. Um der religiöfen
Frage willen ift das Buch gefchrieben (IL163); Heidentum (Dieffeitig-
keit), Chriftentum (Diesfeitsverneinung) und Judentum find feine Themata
. Grundlegend für Br.s Beftimmung diefer Größen ift feine Ent-
fcheidung von unabwendbarem (edlem) und abwendbarem (unedlem)
Unglück. Das Chriftentum betrachtet jedes Unglück als notwendig, als
edel; das Judentum weift beiden Arten je ihre Stelle an und gibt fo
fowohl dem Reich der Freiheit (gegenüber dem unedlen Unglück) wie
denn der Demut (gegenüber dem edlen Unglück) fein Recht. Daraus
folgt, daß das Judentum die aus Heidentum und Chriftentum folgende
Konfequenz, das Irdifche fich felbft zu überlaffen, nicht mitmacht, fondern
(als das Dritte, über Diesfeits-Ja und Diesfeits-Nein Stehende) in der
Differenzierung die rechte Haltung zum Diesfeits einnimmt Im Zu-
fammenhang diefer Gedankengänge linden fich ausführliche Auseinandcr-
fetzungen mit der chriftlichen Gnadenlehre, wobei aber das Wefen der
evangelifchen Anfchauung auch nicht von Ferne verftanden ift. B. erklärt
die .Gnade' gerade für ein jüdifches Religionselement; er denkt
dabei die Gnade als göttlichen Bciftand zur Erfüllung der Gebote. Die
Wege, die zum Beweis diefes Satzes führen, find mühfam; das ,du follft lieben'
Dt 6,5 wird dabei in eine troftvolle Verheißung ,du wirft' umgedeutet.
Was weiter über Judentum und Liebe, Judentum und Nationalismus und
über zahllofe andere Gegenftünde gefagt ift, das ift ganz gewiß geiftreich,
aber es ruht durchweg auf fo eigentümlichem Mißverftehen des Chriftentums
und fo befonderer Deutung des Judentums, daß es keine Überzeugungskraft
entfalten kann. Der .jüdifche Gedanke' fei. heut den
Völkern nicht bekannt, das größte Hindernis für fein Erkanntwerdcn
find die Juden felbft, in ihrer heutigen Figur. Ein intereffanter Vernich
der Apologie des Judentums' Aber ein gewaltfamer.

Gießen. M. Schi an.

Rurreil, Erich: Wer und was bin ich? Weltanschauung, Gottesbegriff
Chriftentum, Volkstum in Philofophic, Glaube. Religion, Gefchichte.
Eine neue deutfehe Theologie. (VIII, 187 S.) kl. 8°. Freiburg,
[. Boitze 1921. M. 7.—

Die Abficht des Verf.s ift durch die Schlußworte gekennzeichnet:
,ein einiges deutfehes Volk in einem ihm eigenen echten deutfehen
Glauben an fich felbft und feine Aufgabe im deutfehen Chriftentum'. Den Weg
zu diefem Ziel will er bahnen helfen, indem er durch erkenntnistheore-
tifche Erörterungen den Widerfinn pofitivrdogmatifcher Religionen, auch
des Chriftentums, infofern es eine folche fein will, dartut. Chriftus ift
ihm nicht Stifter einer pofitiven Religion, fondern .lediglich der Träger
des fich ganz wiedergefunden habenden menfchlich-göülichen Geiftes'.
Auf diefem Chriftus kann das ,reine' Chriftentum neu gebaut werden,
das zugleich dem germanifch-vülkifchen Gottempfinden entfpricht. Ein
.Lehrftuhl für freie Gotteswiffenfchaft' foll diefes reine Chriftentum herausarbeiten
. Man fieht: trotz einiger Worte über chriftlich-deutfehe Myftik
(S. 81) unverfälfehtefter Intellektualismus in rationaliftifchcr Geftaltung.
Die erkenntnistheoretifchen Darlegungen aber geben zu großen Fragezeichen
Anlaß; fie find von wirklich wiffenfehaftlichem Denken weit
entfernt. Auch fprachliche Anftöße find häufig (,um Jefu' S. 68; wiederholt
findet fich die fchauderhafte Bildung: größtmöglich!!.'). Nein, fo
kommen wir nicht weiter.

Gießen. M. Schian.