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Ausgabe:

1922 Nr. 4

Spalte:

86-87

Autor/Hrsg.:

Thomas, Hedwig

Titel/Untertitel:

Zur Würdigung der Psalmenvorlesung Luthers von 1513-1515 1922

Rezensent:

Köhler, Walther

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85 Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 4. 86

ungen die alleinige Verantwortung, wie auch die umfang- 1
reiche Einleitung von ihm flammt. Der Band enthält L
das, Opus metricum' des Kardinals Jacobus Gaietani Stefaneschi
, II. die vita Coeleftini V des Petrus de Alliaco, III.
die vita von Maffeus Vegius, IV. die Akten des Kanoni-
fationsprozeffes im Kodex zu Sulmona.

Das wichtigfte Quellenwerk ilt ohne Zweifel das ,opus
metricum'. Es zerfällt in drei Teile, von denen der erfte
die Wahl Cöleftins V, feinen kurzen Pontifikat und feine
Abdankung, der zweite die Wahl und Krönung Bonifaz'
VIII, der dritte die Heiligfprechung Cöleftins V fchildert.
Verfaßt ift es in den Jahren 1295 bis 1319. Den erften
Druck beforgte der Bollandift Papebroch im 4. Maibande
der Acta Sanctorum und diefer wurde von Muratori un- I
verändert im 3. Bande feiner Scriptores rerum Italicarum
übernommen. Der Papebroch'fche Text genügt aber fchon
wegen der fchmalen handfchriftlichen Grundlage, auf der
er beruht, heutigen Anfprüchen nicht mehr. Eine kritifche
Neuausgabe begegnet jedoch aus verfchiedenen Gründen,
die S. in der Einleitung fchildert, bedeutenden Schwierigkeiten
. Mir fcheint, daß der Herausgeber fie im Ganzen
glücklich überwunden und uns einen zuverläffigen Text
geliefert hat. Das ,opus metricum' ift nicht leicht ver-
ftändlich, und S. erwog den Gedanken, der ihm von fach-
verftändiger Seite nahegelegt wurde, eine Überfetzung
beizugeben. Er begnügte fich aber fchließlich doch
mit der Veröffentlichung fämtlicher Interlineargloffen und
der Beifügung fachlicher Anmerkungen. Das dürfte in
der Tat genügen.

Vielleicht liegt fogar fchon in der Anführung fämtlicher Gloffen
etwas zuviel des Guten. Erklärt doch eine Gloffe zu v. 73 (S. 21)
.penates' mit ,domos', zu v. 101 (S. 22) ,bis terni' mit ,sex' u. dergl.
mehr. Sehr dankenswert find auf alle Fälle die Sachanmerkungen,
die über Vorgänge und Perfönlichkeiten belehren. Das Werk Stefaneschis
ift eine Quelle erften Ranges.

Denn was er fchildert, hat er felbft als Zeitgenoffe
in hervorragender Stellung, zum guten Teil als Augenzeuge
und unmittelbar beteiligt, erlebt. Für einzelne Ab-
fchnitte benutzte er aber auch fchriftliche Vorlagen.

Die Cöleftinbiographie des berühmten Theologen und
Kirchenpolitikers Pierre d'Ailly, verfaßt etwa 1408 auf
Bitten der Cöleftiner des Parifer Klofters, ftellt in den
Stücken, worin fie über ihre Vorlagen hinausgeht, keinen
Fortfehritt dar — c. 9 z. B. handelt im Anfchluß an
Gewiffensbedenken des Einfiedlers und nachmaligenPapftes
,de diesrecione in nocturnis pollucionibus exemplo ipsius
adhibenda' mit kafuiftifchen Unterfcheidungen —, fodaß
das wenig günftige Urteil der Bollandiften hierüber durchaus
gerechtfertigt erfcheint. S. ftellt auch hier feine Ausgabe
auf eine breitere handfehriftliche Grundlage als die
Bollandiften. Ungedruckt war bisher die auf Anregung
Eugens IV von Maffeo Vegio i. J. 1445 verfaßte
Lebensbefchreibung, die in glattem Humaniftenlatein gehalten
ift und mit Anführungen aus der klaffifchen Literatur
und an Erinnerungen aus dem klaffifchen Altertum
nicht fpart.

Gemeinfam in beiden Biographien die Abwehr des Vorwurfs, daß
Cölcftin ex vilitate animi', ,per ignaviam vilitntemque animi' abgedankt
halie. Daß das auf Dante Inferno III, 59k geht, bemerkt S. felber. allerdings
errt S. 202, nicht fchon S. 173. Neu irt auch die Veröffentlichung
der Akten des Heiligfprechungsprozeffes aus einerHandfchnft zu Sulmona.
Die Handfchrift ift aber verftümmclt u. bietet von 322 Zeugenausfagen
nicht mehr ganz die Hälfte.

München. Hug° Koch.

Grifar, Prof. Hartmann S. J.: Luther zu Worms und die

jüngften dreijahrhundertfefte der Reformation. fLuÜher-
Studien, Hrsgeg. v. Prof. Hartmann Grifar S. J.) (VII,
89 S.) gr.8°. Freiburg, Herder & Co. 1921. M. 14 —
Luthers Kampf bilder. Von II artmann Grifar S. J. und
Franz Heege S. J. L Pafftonal Chrifti und Antichnfti.
Eröffnung des Bilderkampfes (1521) mit 5 Abbildungen
. (Luther-Studien, Hrsgeg. v. Prof. Hartmann
Grifar S. J.) (XIII, 68 S.) gr. 8°. Freiburg, Herder
& Co. 1921. M. 14-

Diefe „Lutherftudien" „wollen als Ergänzungen und
Erläuterungen" zu Grifars Lutherwerk betrachtet fein.
.Sie follen in der Hauptfache Gegenwartsfragen behandeln
. Dem katholifchen und proteftantifchen Lefer foll
eine klare Antwort auf die Frage erteilt werden, ob
Luther der geiftige Führer im Labyrinth der Zweifel
fein kann. Doch follen auch hiftorifche Unterfuchungen
aus dem Gebiet der Gefchichte Luthers vorgelegt
werden.

Beide Hefte fuchen dem Programm gerecht zu werden
. Das erfte Heft befaßt fich ausdrücklich mit Gegenwartsfragen
: Es fehlt allerdings nicht an hiftorifchen Erörterungen
u. a. über Luther in Worms. Eine Reihe
von Erzählungen und Berichten wird als legendär zurück-
gewiefen; keineswegs immer zum erften Mal. Auch die
proteftantifche Forfchung hatte fchon den Kampf mit
den Wormfer Legenden aufgenommen. Immerhin war
es nicht überflüffig, noch einmal gegen fie aufzutreten.
In der Jubiläumsliteratur diefes Jahres tauchten reichlich
viel Legenden wieder auf. Grifar war berechtigt, dies
zu rügen. Es ift aber offenbar ein Verhängnis aller Jubiläumsliteratur
, daß fie die vorangegangene hiftorifche
Forfchung nicht ausnützt. Kein Einfichtiger wird darum
aus der Jubiläumsliteratur fich ein Urteil über den Stand
der Forfchung bilden wollen. Grifar nimmt die hiftorifchen
Entgleifungen mancher Feftfchriften doch wohl
ernfter, als nötig wäre. Was er aber über die Säkularfeiern
ausführt, muß mit großer Vorficht aufgenommen
werden. An den Feiern felbft hat er nicht teilgenommen
. Seine Quellen find — abgefehen von der Feftli-
teratur — Zeitungsberichte u. dergl., alfo Quellen oft
recht zweifelhaften Wertes. Und ob die Ausfchnitte,
mit denen er gearbeitet hat, vollftändig waren, darf
immerhin gefragt werden. Ich maße mir heute noch
kein abfchließendes Urteil über die hinter uns liegenden
F'eiern an, die ich z. T. felbft miterlebt habe. Daß fie
trotz „Grifar" keine „Schaufteilung des Abfalles von
Luther" waren, kann ich freilich jetzt fchon bezeugen.
Weder für die Erfurter, noch für die Wormfer noch für
die Eifenacher Feier braucht ein folches Urteil überhaupt
erwogen zu werden. Und wenn Grifar über alle Fleiern
und Reden fo unterrichtet war, wie über die Eifenacher
Feier und meine dort gehaltene Feftrede, fo war er ungewöhnlich
fchlecht unterrichtet. Deffen wird er vermutlich
felbft inne werden, wenn er die gedruckte Rede
lefen wird. Daß hier und dort Entgleifungen vorgekommen
find, mag zugeftanden werden. Sie aber ernfthaft
für die Urteilsbildung zu verwerten, follte doch ein Hi-
ftoriker fich nicht verfucht fühlen. Mit Grifars Darftellung
der „jüngften drei Jahrhundertfefte der Reformation" ift
die Gefchichte diefer Fefte nicht gefchrieben worden.

Das 2. Heft eröffnet eine Reihe von vier Heften
über Luthers Kampfbilder. Die Abficht, Luther in feinen
Kampfbildern zu würdigen, ift gut. Das Thema ift noch
nicht erfchöpft. Das erfte Heft der Reihe, das fich mit
dem Paffional Chrifti und Antichrifti befaßt, weckt aber
die Frage, ob diefe Flefte wirklich den wiffenfehaftlichen
Gewinn bringen, den man erwarten möchte. Ich kann
nicht finden, daß wir weiter geführt wären, als Kawerau
uns in der Weimarer Lutherausgabe geführt hat.
Denn der Verfuch, das Paffional auf Luther felbft zurückzuführen
, ift mißglückt. Ein „vielleicht", „wohl ficher"
ufw. kann den Beweis nicht erfttzen. Auch Beziehungen
zwifchen Gedanken Luthers und dem Paffional begründen
noch keineswegs Grifars Annahme vom Anteil
Luthers an der Herausgabe des Paffionals. Wenn nicht
beffere Beobachtungen gemacht werden als die hier
vorgelegten, wird es nicht gelingen, Luther zum „Autor"
des Paffionals zu machen.
Tübingen. _ Scheel.

Thomas, Lic. theol. Hedwig: Zur Würdigung der Pfälmenvorlelung
Luthers von 1513—1515. (X, 51 S.) Lex. 8". Weimar, H. Bühlau
Nachf. 1920. M. 7_