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Ausgabe:

1922 Nr. 4

Spalte:

82-83

Autor/Hrsg.:

Krüger, Gust.

Titel/Untertitel:

Die christliche Literatur von Augustinus bis Gregor d. Gr 1922

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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8i Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 4. 82

die pompeianifchen Infchriften: 'Sodoma, Gomorra' und
'Criflian , fondern das Hauptgewicht auf die Feftftellung
des geiftigen Gehalts, der übermenfchlichen religiöfen Art
der Perfönlichkeit Jelu legt und für das Wefentliche die
Unableitbarkeit des religiöfen Gehalts behauptet. Als
„Zeugnis" eines berühmten Kirchenhiftorikers hat die Skizze
bleibenden Wert. Ähnliches gilt von dem 1908 in Wernigerode
gehaltenen Vortrag über „Jefus und Paulus".
Die Unterfchiede fieht H. im wefentlichen darin, daß
Paulus einen Zufammenbruch erlebt hat, Jefus nicht —
fehr fein wird in diefem Zufammenhang ausgeführt, wie
Jefus in ganz andrem Sinne als Paulus ein Kämpfer war
— und daß Jefus eine inkommenfurabele Größe gewefen
ift, die Paulus als folche richtig erfaßt hat. Auch die

Gern hätten wir dem reichhaltigen Büchlein auch
noch ein Bild des verewigten Gelehrten beigegeben

gefehen

Leiden. H. Windifch.

Krüger, Prof. Guft.: Die chriftliche lateinifche Literatur von
Auguftinus bis Gregor d. Gr. (S.-Dr. aus: Schanz, Gefch.
d. röm. Literatur IV,2) (S. 260—650). gr. 8°. München,
C. H. Beck 1920. Einzeln nicht käuflich!
TL IV,2 d. Handbuchs. M. 54—; geb. M. 72—
An diefem Buch ift der größte Pehler, daß man es
nur im Verbände des 4. Teils von Martin Schanz' Ge-
fchlchte der römifchen Literatur beziehen kann, obwohl
die Befchäftigung mit der anderen Hällte niemanden ge-
Erlöfungslehre des Paulus entfpricht nach H. ganz dem j reuen wird, bisweilen fogar ihre Heranziehung nötig wird,

Bewußtfein Jefu und den Tatfachen - hier geht H
freilich an allen vorliegenden Problemen vorbei, wie er
denn ohne weiteres „das Chriftusbild der Synoptiker als
hiftorifch zuverläffig" würdigt und verwendet.

Die drei folgenden Auffätze „Jefus in feinem Fühlen
und Denken" ,J. in feinem Handeln" und ,.J. in feinem
Leiden" fchließen fich zu einem feinfinnigen, manches
Eigene bringenden Charakterbild Jefu zufammen.

Wem das Reizvollste in der „Kirchcngeschichte Deutfchlands" die
Schilderungen der Charaktere ift, wird es begrüßen, daß fich H. auch
an einer Befchreibung des Charakters Jefu, l'owie diefer fich aus den
vier Evangelien aufnehmen läßt, verbucht hat. Auch hier ift natürlich
jede Kritik der Überlieferung ausgefchloffen. Die wichtigften Züge, die
H. hervorhebt, find folgende. Jefus ift weltoffen ; aber der Grund feines
Wefens maafct die ftetige Gemeinfchaft mit dem Vater aus. Furcht
und Sorge kennt er nicht, wohl aber Mitleid und Zorn, Mitgefühl für
die Kränkung Anderer. Beim Handeln Jeiu achtet H. zunächft auf die
Motive, die ausgefchaltet find: neben dem profetifchen Antrieb, (der nach
H. nur bei der Verfuchung eine Rolle (pielt; aber vgl. dagegen O.
Holtzmann, War Jefus Ekftaliker?) allerlei menfehlich egoiftilche Motive
, wie Angft um das eigene Leben, perlonlicher Ehrgeiz, eigener"
Vorteil u. a. m. Pofitiv ift das Handeln ganz und gar auf den eigenen
Beruf eingeheilt; kraft feines Berufs und kraft feiner Verbindung mit
Gott ift er völlig unabhängig von Menfchen; er handelt nur um der
Sache willen. Er zieht an und wirkt Vertrauen; aber es kommt nie zu
voller Vertraulichkeit. Er achtet auf die Anftüße zum Handeln, die das
Leben ihm giebt; und führt felbft doch alles herbei. Hier macht H.
auf fcheinbare Antinomien aufmerkfam, die vor allem Job. zeichnet.
Ich würde die fremdartigen Züge, die die Evang. enthalten, (die frcilicli
z. T. mythifcher Art find) noch ftärker unterftreichen (vgl. meinen Artikel
über Mk. 6, 4$ in Nieuw Theol. Tijdfchr. 1920, 298 — 308), insbefon-
dere: daß Jefus bisweilen gerade den Notleidenden fich entzieht! Das
Leiden endlich findet H über die ganze Berufstätigkeit ausgebreitet;
es erfleht ihm aus der Unempfänglichkeit, Feindlchaft, aus der Unvoll-
kommenheit und Schwäche des Menfchen. Bis in die Baffion hinein
ift ihm das Leiden Anlloß zum Handeln und zum Helfen So verdient
die Zeichnung H 's neben den Charakterbildern, die Ninck und Weidel uns
gefchenkt haben, auch wenn fie nicht erfchöpfend ift, allfeitige Beachtung.

Es folgt ein kurzer Vortrag über „Den fittlichen
P'ortfchritt der Menfchheit und des Chriftentums" (1916),
der das Neue zu bezeichnen fucht, das Jefus für die fex-
uelle Erziehung gebracht hat, (wobei aber die Vorarbeit,
die Judentum und Stoa geleiftet haben, ignoriert wird),
weiter ein Vortrag über „das Chriftentum und das irdifche
Gut" (1892), abgedruckt aus den „Gottesdienftlichen Vorträgen
" (Tüb., Mohr) und eine Bibelftunde über „Alles in
Chnftus" (1912/13). Den Schluß der Sammlung macht
ein Auffatz über „Die Entftehung des Chriftustypus in
der abendländifchen Kunft" (wiederabgedruckt aus einer
1880 erfchienenen Vortragsiammlung hrsg. von Frommel u.
Pfaff). Alle, die einmal H.'s feines Kolleg über Gefchichte
der chriftlichen Kunft gehört haben, werden fich freuen,
daß auch diefer Auffatz allgemein zugänglich gemacht
ift. Charakteriftifch ift für ihn die Ablehnung heidnifcher
Vorbilder für die verfchiedenen Chriftustypen der antiken
Kunft.

Abgefehen von H.'s Vortrag über die Trennung von
Kirche und Staat, der kürzlich gefondert neu gedruckt
worden ift ift mir nur eine Rede H.'s bekannt, die auch
noch Aufnahme in vorliegende Sammlung verdient hätte,
der auf dem 23. Kongreß für innere Miffion 1905 zu
Leipzig gehaltene Vortrag über „Die innere Miffion in
'hier nationalen Bedeutung für Deutfchland".

weil bei der Schwierigkeit, die Grenzen zwifchen der
chriftlichen und der nichtkirchlichen Literatur zu ziehen,
Schriftfteller, die auch Kirchenmänner waren und eigentlich
dies in erfter Linie (Paulinus, Ennodius, Avitus) nur einmal
und dann in der erften Hälfte zur Behandlung gelangt
find.

Eine gründlichere und umfaffendere Darftellung
diefes Abfchnittes der chriftlichen Literatur des Altertums
wird es auf lange hin nicht geben: in dem Reichtum wie
in der Zuverläffigkeit des mitgeteilten Stoffes, im Allgemeinen
auch in den Werturteilen und der Anleitung zur
gefchichtlichen Würdigung der Zufammenhänge leiftet
sie Ausgezeichnetes, und Bardenhewer wird es fchwer
fallen, in den bevorftehenden Bänden feiner Gefchichte
der altkirchlichen Literatur Krügers Arbeit zu überbieten
.

Daß auch Krüger wie Bardenhewer nicht eigentlich
Gefchichte der Literatur fchreibt, fondern Gefchichte der
Schriftfteller, daß die einzelnen Äbfchnitte fich mehr wie
Riefenartikel eines Lexikons lefen, jeder in fich vollkommen,
und nicht als unauslösbare Glieder einer Kette, ift nicht
Krügers Schuld; er trägt darin dem Charakter desSchanz'-
fchen Werkes Rechnung. Bisweilen geht allerdings der
Eifer des Sammlers um Vollftändigkeit zu weit: gehört
hierher wirklich wie in Schönemanns ,Bibliothek' die Aufzählung
aller — nicht etwa blos der deutfehen und modernen
— Überfetzungen eines Buchs von Auguftin oder
Benedictus? Und mußte die Lifte der 12 kleineren Schriftfteller
Spaniens um 550 in § 1255 gerade nach alpha-
betifchem Schema erfolgen, fo daß die 4 Brüder Elpidius,
Juftinianus, Juftus und Nebridius voneinander getrennt
werden? Wobei dem Homer doch auch einmal ein Ein-
fchlafen zugeftoßen ift, indem er wiederholt S. 629 und
630 von Brüdern Ifidors von Sevilla redet, während es
fich um Männer handelt, die 60 bis 80 Jahre vor Ifidor
tätig waren. Sonft herrfcht in dem Buch eine faft minutiöfe
Akkurateffe, die es fogar kenntlich macht, wenn fie bei einem
(modernen) Verfaffer den Vornamen auf eigene Fauft
hinzufügt; Schreibfehler wie Calamea ft. Calama S. 645,1
und Pontitianus ft. Ponticianus (Deminutiv von Ponticus)
S. 403,13 find fo feiten, wie die Fortlaffung des „von" vor
Dzialowski auf S. 650. — Erwünfcht wäre die Durchzählung
der Zeiler. am Rande — eine Seite führt bis zu
64 Zeilen: bei Vor- und Rückverweifungen hätte das dem
Lefer viel Mühe erfpart. So wird z. B. jetzt S. 591 Anm. 1
Seebass S. 519 zitiert, Anm. 3 (und öfter) Traube
S. 29: erft S. 593 erfährt man, die Titel von mehreren
Abhandlungen Traube's, 593 die von Seebass; ehe der
noch nicht eingeweihte Lefer diefe Quelle gefunden hat,
vergeht Zeit, und da, wo mehrere Werke deffelben Autors
zur Auswahl flehen, bleiben immer noch Zweifel; durch
Notierung der Zeile, die den Auffchluß bringt, hätte fich
diefer Mangel beheben laffen. Angaben wie die S. 595,26
,bei Plenkers, Unterfuchungen (f. p. 593 Text,) p. 44', die
lediglich ein Rätfei aufgeben, wären dann bei der Korrektur
verfchwunden.

An einer einzigen Stelle ift Kr. bei veralteten Annahmen
flehen geblieben, in der Papftchronologie. Aus-

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