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Ausgabe:

1922 Nr. 3

Spalte:

63

Autor/Hrsg.:

Goedeckemeyer, Albert

Titel/Untertitel:

Kants Lebensanschauungen in ihren Grundzügen 1922

Rezensent:

Jordan, Bruno

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63

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 3.

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learning. Die vorliegende Vorlefung ift laut Vorbemerkung vor diefer
Geieilfchaft at University College am Sonntag den 1. Mai 1921-23. Nifan
5681 gehalten worden. Die erde Stiftungsvorlefung von 1917 hielt Ii'rael
Zangwill über Chol'en Peoples. Jede der bisherigen Vorlelüngen ift eingeführt
durch Geleitwort einer im öffentlichen Leben flehenden ange-
fehenen Perfönlichkeit.

Göttingen. E. Hirfch.

Goedeckemeyer, Prof. Albert: Kants LebensanTchauungen
in ihren Grundzügen. (Kant-Studien, Nr. 54.) (IV, 92 S.)
gr. 89. Berlin, Reuther & Reichard 1921.

M. 10.—

Der Verfaffer diefer verdienftvollen Darftellung der
ethifchen Grundgedanken Kants geht von der Überzeugung
aus, daß die theoretifchen Untersuchungen für Kant
im Dienste einer Lebensphilofophiegeftanden haben. Sie alle
zielten auf die Beantwortung der Frage nach der Lebensführung
hin. Er gewinnt ein Bild diefer Lebensphilofophie,
indem er zunächst allgemein die Beftimmung des Men-
fchen im Sinne Kants unterfucht, dann die befonderen
fittlichen Aufgaben, eigene Vollkommenheit und fremde
Glückfeligkeit darfteilt, weiterhin die Realifierbarkeit und
endlich die Realifierung der Weltbeften erforfcht. Er
gelangt zu der Überzeugung, daß Kants Lebensphilofophie
teleologifch fundiert ift und aus dem Wefen des Menfchen
feine Beftimmung ableite. Die Aufgabe des Menfchen
findet er in der Tugend, nicht in der reinen Sittlichkeit
(ein .Formalismus' der Kantichen Ethik wird ausdrücklich
abgelehnt). Tugend aber fei fittlich Gefinnung im Kampf
mit den Neigungen und fetze Streben und Glückfeligkeit
voraus. Diei'es Streben fei nach Kants Meinung zu bezähmen
, nicht etwaa uszurotten. Im Begriff der Weltbeften
als der auf Sittlichkeit gegründeten und in rechtem Maße
mit ihr verbundenen Glückfeigkeit der Menfchheit habe
Kant den Endzweck des menfchlichen Strebens gefunden,
auf den alle Pflichten in letzter Linie hinzielen. Abgefehen
davon, daß in der gefamten Darfteilung zu wenig deutlich
gemacht wird, daß es fich auch in Kants Ethik um Geltungsbedeutungen
, um Willensgeltung, um Rechtsgründe
ufw., nicht um pfychologifch zu interpretierende Fakta
handelt, halte ich die Unterfuchung deshalb für verdienft-
lich, weil fie mir mit vollem Recht die Behauptung Kants,
das höchfte Gut liege in der Verbindung von Tugend
und Glückfeligkeit, ftärker- als üblich (diefer Satz wird
meift als fehr unbequem empfunden und deshalb oft ver-
nachläfligt) berückfichtigt zu haben fcheint. Freilich ift
die eigentliche Problematik auch hier nur geftreift.
Bremen. Bruno Jordan.

Obenauer, Karl Juftus: Goethe in feinem Verhältnis zur
Religion. (231 S.) 8° Jena, E. Diederichs 1921.

M. 28 — ; geb. M. 38 —
.Goethes Selbftzeugniffe zur Religion hat J. Vogel
in einem nützlichen Büchlein (zuletzt unter dem Titel
,Gott, Gemüt und Welt', Leipzig, Teubner 4. Aufl. 1911)
gefammelt und in einigen großen Rubriken gefchichtlich
angeordnet; eine entwicklungsgefchichtliche Darftellung
des Gegenftandes ift öfters verfucht worden (u. a. von
Filtfch 1894); die letzte, bequeme, aber nicht eben tief
dringende Zufammenfaffung bot Seil in feiner .Religion
der Klaffiker' (2. Aufl. I910. Weitere Literatur bei Schiele,
Die Religion, Bd. II, Sp. iSOOff). Obenauer will keines
von beiden geben und dringt doch über feine Vorgänger
weit hinaus, indem er auch bedeutfame Stellen heranzieht
und deutet, die fich zunächft nicht auf religiöfe Dinge
i. e. S. beziehen, und indem er vor allem in den inner-
ften Kern des religiöfen Erlebens bei Goethe einzudringen
und feine Ausftrahlungen weithin zu verfolgen fucht. Die
etwas breiten und nicht feiten formlofen Vorträge ent-
fpringen doch einer unmittelbaren Berührung mit Goethe
und find auf forgfältige Quellenftudien begründet. Er
will nicht den Apoll des 18. und nicht den Olympier
des 19. Jahrhunderts, fondern den geiftigen Menfchen
Goethe darfteilen, mit dem wir heut leben können und

wollen; ihn fucht er unmittelbar in den poetifchen und
wiffenfchaftlichen Schriften auf, aus deren Pulle er durchweg
fchöpft. Hier und da ift der Verf. freilich nicht
ganz der Gefahr entgangen, Belegftellen lofe aneinanderzureihen
und da er ihre Herkunft nicht genau bezeichnet
, kann fie auch der Lefer nicht im Zufammenhange
nachprüfen. Manches dichterifcheWortift eben nur aus der
Rolle des Sprechers im Drama oder aus dem lyrifchen
Augenblickserlebnis heraus in feiner befonderen Porm
zu verftehen und nicht immer ift Ob. (z. B. in feinen
Erläuterungen der Fauftftellen) diefen Bedingungen" der
Ausdrucksweife des Dichters gang gerecht geworden.
Dennoch hat er in allem Wefentlichen ins Schwarze getroffen
und Goethes'inniges Verhältnis zu der Gott-Natur, de -
ren Wirken er bis in die .Urphänomene' hinein verfolgte, ins
hellfte Licht gerückt. Vielfach berührt er fich dabei
mit den Schriften von Michel*), wird aber dem eigentlch
Proteftantifchen in Goethe beffer gerecht als diefer und
als viele .moderne' Betrachter.

Auf eine allgemeine Einleitung folgt ein kurzer Abfchnitt über
den Jungen Goethe', in dem die Keime des fpäteren aufgedeckt werden;
mit Recht betont Ob.; wie G. die unzweifelhaft vorhandenen .okkulten
Anlagen' in fich bewußt niedergehallen hat. Als Grundlage für alles
Weiiere behandelt der 2. Abfchnitt ,Gott und Natur' (dabei: Goethes
Verhältnis zu Spinoza. Plalo, Darwin, das Problem der ,Ideen'). Der
Pluralismus, bei dem G. anlangt, erinnert immer wieder an W. Sterns
Perlonalismus, worauf an anderer Stelle eingegangen werden foll. 3.
Abfchnitt: .Unfterblichkeit' (mit einer kühnen Deutung des ,üümonifchen');
4: Chriftus und Chriftentum. (Sehr feine Bemerkungen über das fchein-
bar fchwankende Verhältnis Goethes zur Perlon und zur Gottheit Jefus
die Gründe für G.'s abweifendes Verhältnis zum kirchlichen Chriftentum
werden in der Enge der kirchlichen Kreile und in ihrem verneinenden
Verhältnis zur Natur und zur Kunft nachgewiefen. G.'s eigenftes
Chriftentum ift ein durch die Idee vervollkommnetes Menfchentum, das
alle Gebrechen fühnt und die reinfte, aktive Barmherzigkeit übt. Bedeutfame
Bemerkungen zum Schluß des ,Fault'), 5. .Urreligion', d. h.
das Urphänomen des religiöfen Lebens. (Zu Goethes ,Lichtreligion'
wäre die ausgezeichnete Studie von Sarauw, ,Goethes Augen' Kopenhagen
i9l9(-=»Det. Kgs. Danske Videnfkaberncs Selskab. Hiftorisk-Iilo-
logifke Meddeleller II 3) zu vergleichen. Wichtige Ausführungen über
G.'s Schicklaisbegriff) 6: Der Menfch. (Über den Wahrheitsgehalt der
Aftrologie: 224). Auch hier geht G. allenthalben auf Verhöhnung der
Gegenfätze aus, die aber (gleich Schillers Idee der fchönen Seele 1| ein
fernes Ziel, eine Aufgabe, und nicht etwa einen im Zeitalter des ,Klafli-
cismns' fchon erreichten oder erreichbaren Zuftand bedeutet.

Ob. verfpricht eine ausführlichere, durch Belegftellen
geficherte Darftellung des Gegenftandes; wir dürfen ihr
mit gefpannten Erwartungen entgegenfehen; aber fchon
die vorliegende Arbeit, die fich als erfter Wurf gibt und
und als folcher gewertet werden will, kann der Forfchung
reichfte Anregung geben.

Hamburg. R. Petfeh.

Hegel, Georg Wilh. Pi-iedr.: Phänomenologie des Geiftes,

hrsg. v. Georg Lasson. Durchgefehen u. verm. 2. Aufl.
(Der Philofoph. Bibliothek Bd. 114) (CXIX, 541 S.)
kl. 8°. Leipzig, Felix Meiner 1921. M. 36—; geb.

M. 46— Gefch.-Bd. M. 60 —
Hegel, Georg Wilh. Fried.: Grundlinien der Philofophie d.
Rechts. 2. Aufl. (Bd. 124) (XCIII, 380 S.) 1921.
M- 3°—; ffeb. M. 39— Gefchenkbd. M. 50 —
Hegel, Georg Wilh. Pt-iedr.: Die Vernunft in der Gefchichte.
Einleitung in die Philofophie der Weltgefchichte. 2.,
verm. Aufl. (Bd. 171a) (X, 276 S.) 1921. M. 17.50;

geb. M. 2450

Der treue Verwalter des Hegeifchen Schrifttums,
Georg Laffbn, hat die fchöne Genugtuung erlebt, in diefem
Jahre drei feiner Ausgaben zum zweiten Male herausbringen
zu können. Es verfteht fich, daß er die Gelegenheit
benutzt hat, um fo viel als möglich an ihnen zu
beffern.

Die Phänomenologie hat ein Sach- u. Perfonenregifter
erhalten. Der Text ift von Hörenden Druckfehlern befreit
und ftreng nach dem Wortlaut der Erftausgabe von

*) E. Michel, Der Weg zum Mythos 1919; Derf., Weltanfchau-
ung und Naturdeutung. Vorlefungen über Goethes Naturanfchauung.
Jena 1920. Beides bei E. Diederichs in Jena.