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Ausgabe:

1922 Nr. 3

Spalte:

59-60

Autor/Hrsg.:

Graff, Paul

Titel/Untertitel:

Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen in der evangelischen Kirche Deutschlands bis zum Eintritt der Aufklärung und des Rationalismus 1922

Rezensent:

Schian, Martin

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Seite 1

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59 Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 3. 60

Ausstattung der Bücher zu; vor allem verweilt er bei 2
im Band 32 eingeklebten Holzfchnittblättern, welche fich
als wertvolle Refte eines alten vor 1450 gedruckten Planetenbüchleins
erweifen, von denen ein Analogon nur
noch in der Berliner Bibliothek zu finden ift. Der Deutung
und Erklärung ift er mit großer Sachkenntnis und
eindringenden Fleiße obgelegen.

In einem Schlußabfchnitt wird uns noch manches Wiffenswerte
aus den älteften Manufkripten mitgeteilt. Ein codex aus Prag d. a.
1401 benützt das Reich der Tiere zu moralifchen Anwendungen auf
das chriftl. Leben; Band n enthält eigenartige Sprichwörterpredigten
aus dem 15. Jahrhundert; Band 13 bietet u. a. einen wohl fchon 1870
in den Sitzungsberichten der Miinchener Akademie veröffentlichten, aber
dennoch ganz unbekannt gebliebenen ,johannesfegen' ,eine Weiheformel
bei der Segnung des Johannesweins. Ein Verzeichnis der Drucker und
Druckorte des 15 und 16. Jahrhunderts und ein vollftändiges Bücherverzeichnis
mit 3 fächern Regifter ermöglichen die wiffenfchai'tliche Ausnützung
aufs befte. Die Planetenholzfchnitte famt etlichen andern Koft-
barkeiten find auch im Bilde feftgehalten, Die Abkürzung auf S. 4 ift
zu lefen: Joachim Ernessus Marggravius Brandenburgensis Die angeführten
Werke befanden fich alfo einft im Belitz des Markgrafen Joachim Ernft
von Ansbach.

Alfeld bei Hersbruck. Schornbaum.

Lehmann, Pfr. Ludwig: Bilder aus der Reformationsgefchicnte der

Mark Brandenburg. Zur 400jähr. Erinnerungsfeier an Luthers
reformat. Bekenntnis vor dem Reichstage zu Worms am 18. IV. 1521.
(157 S.) 8". M. 11 —; geb. M. 12—

Der Verfaffer hat die Aufgabe, die er fich geftellt hatte, ,die ge-
ficherten Forfchungsergebniffe auf dem Gebiet der brandenburgifchen
Reformationsgefchichte, ohne gelehrtes Beiwerk, kurz und ichlicht mitzuteilen
und in andeutenden Strichen ein Bild von dem bunten Durcheinander
der treibenden Kräfte zu entwerfen, die nach jahrzehntelangen
Schwankungen und Kämpfen fchließlich doch zum Siege des Evangeliums
in der Mark Brandenburg geführt haben', trefflich gelöft. Ein
einleitendes Kapitel handelt von den kirchlichen Zuftänden in der Mark
in der vorreformatorifchen Zeit, das Schlußkapitel von Johann Sigismunds
Übertritt zur reformierten Kirche. Der Inhalt des Büchleins gründet fich
auf die vollftändig herangezogene gedruckte Literatur, ftellenweife aber
auch auf eigene archivalifche Studien über den Kanzler Dr. Lampert
Diftelmeier, der feit 1551 über drei Jahrzehnte lang die brandenburgilche
Kirchenpolitik entfeheidend beeinflußt hat. Die wenigen Illuftrationen
find gut ausgewählt.
Zwickau i. S. O. Clemen.

Graft, Paftor Paul: Gefchichte der Auflöfung der alten
gottesdienftlichen Formen in der evangelifchen Kirche
Deutichlands bis zum Eintritt der Aufklärung und des
Rationalismus. (VIII 473 S.) gr. 8°. Göttingen, Vanden-
hoeck 6k Ruprecht 1921. M. 75.—; geb. M. 87.—
Diefes Buch ift mit Spannung erwartet worden.
Spitta, der es im MS kannte, erließ, um die dem Druck
entgegenftehenden Hinderniffe zu befeitigen, in der Mo-
natsfehrift für Gottesdienft ufw. einen empfehlenden Aufruf
, der die Vorausbeftellung von 500 Stücken zur Folge
hatte. Wer irgend für Gefchichte des Gottesdienft.es in-
tereffiert ift, wird feine Erwartungen voll befriedigt finden.
Das Werk ift eine unendlich reichhaltige Sammlung von
Nachrichten über die Entwicklung des Gottesdienftes
zwifchen der Reformation und dem Anfang des 18. Jahrhunderts
. Dabei ift keine gottesdienftliche Einzelheit, ja
keine Kleinigkeit vergeffen. G. berückfichtigt nicht etwa
nur die liturgifche Geftaltung, fondern aucli daf Gotteshaus
, das Kirchenjahr, die Perikopen, die kirchlichen Geräte
, die Kirchenbeleuchtung, die Amtstracht der Geift-
lichen, die Kafualien, das Kirchenlied u. v. a. Bei jedem
Thema werden alle, auch die äußerlichften Umftände forg-
lich beachtet. Die Mitteilungen ruhen auf der Verarbeitung
eines ganz ungeheueren Quellenmaterials, deffen
Auffindung und Aufzählung an fich eine höchft dankenswerte
Leiftung ift (nur wünfehte ich die oft beliebte Abkürzung
von Büchertiteln vermieden zu fehen). Bis in
kleine orrsgefchichtliche Studien hinein reicht die Literaturkenntnis
des Verfaffers; daß er in der Ausfchöpfung
folch'er Einzelarbeiten nicht vollftändig fein konnte, ver-
fteht fich von felbft. Ich möchte nur auf die Zufammen-
ftellung der für das liturgifche Studium in Betracht kommenden
Schriften des genannten Zeitraums aufmerkfam
machen (S. 66 ff), die für die Darftellung der damaligen

Anfchauungen vom Wefen des Gottesdienftes benutzt
find; ebenfo auf die nach Ländern geordnete Überficht
über die zu Rate gezogenen Agenden, Kirchenordnungen
ufw. (S. 24 fr). Die Fülle des Materials ift überfichtlich
geordnet, zudem durch genaues Inhaltsverzeichnis und
Sachregifter bequem zugänglich gemacht. Aber noch
mehr: der Verf. hat nicht bloß zufammengetragen, fondern
die Daten auch durchlichtet. Den Grundgedanken feiner
Darfteilung gibt der Titel: Gefchichte der Auflöfung
der alten gottesdienftlichen Formen. Diefe Wendung
will richtig verftanden werden. Man denkt dabei zunächft
an Auflöfung der reformatorifchen Formen. In der Tat:
Die Gefchichte des lutherifchen Gottesdienftes ift eine
Gefchichte des Verfalls (S. 15). Aber er felber
war für fich fchon ein Schritt auf diefem Weg. Er
mußte verfallen, weil er felbft ein zerfallender, abbröckelnder
Torfo war, keine aus einer eigenen Anfchau-
ung fich entfaltende Neufchöpfung. Der Verfall geht daher
einfach feinen Weg weiter, wenngleich in verfchie-
denem Zeitmaß. Gr. hebt unter den Faktoren, die die
Entwicklung beftimmten, mehrfach ftark das Eindringen
des .Rationalismus' hervor.

Es ift befonders bemerkenswert, daß er die Anfänge diefes Rationalismus
fehr frühe anfetzt: für die Kirchbaukunft um 1700 (Sturm),
für die Anfchauung vom Prediger als Lehrer noch früher (N. Haas) ;
um die gleiche Zeit findet er fchon die rationaliftifche Verbefferungs-
fucht bei den gottesdienftlichen Formeln (S. 301). Die gewöhnlich als
Unart des Rationalismus bezeichnete Manier einer befonderen Anrede
an dieVornehmen bei Beichte ufw. weift er gar fchon 1636 nach! M. a. W.
bereits die lutheifche Orthodoxie des 17. Jahrh.s zeigt .rationaliftifche Züge'.

Auch die Rolle, die der Pietismus in diefer Entwicklung
gefpielt hat, wird genau verfolgt. Sehr mit
Recht ftellt Gr. als Ergebnis heraus, daß man von einer
einheitlichen Stellung des Pietismus zu den öffentlichen
Gottesdienften nicht reden könne; .Pietismus und Pie-
tiftenerweifenfichhiereben aisreine Sammelbegriffe(S. 81ff.)
Befonders bemerkenswert find die Ausführungen über
die Verfchiedenheit der Stellung Speners und Franckes.

Von Einzelheiten fei die Feftftellung erwähnt, daß die Wahl eines
wechfelnden. nach der Predigt fich richtenden Piedigtlieds anftelle eines
feften, dem Tagesgedanken entfprechenden Lieds eine im Lauf des
17. Jahrhunderts aufkommende Neuerung war (S. 135). Die Mitteilungen
über die Rangordnung beim Abendmahl (S. 200 ff), lind fehr bezeichnend
; fchon 1614 gebietet eine mährifche KO den vortritt des Adels!
— Je weniger Gefchichtlich.es wir über die evangelifche Beerdigung
haben, um fo mehr find Gr.s Mitteilungen zu begrüßen. Eine Spezial-
darftellung diefes Themas für das 16. Jahrhundert aus der Feder von
Hugo Grün (Gießener Differlation), die in der Beibringung von Einzel-
ftoff noch erheblich weiter geht, konnte leider noch nicht gedruckt
werden. — Für die Frage der gottesdienftlichen Lefungen bieten jetzt
die Studien von G. Ad. Benrath, die Gr. noch nicht kannte, für Preußen
wertvolle Ergänzungen. — Daß die Sitte des Wefterhemds bei der
Taufe faft verfchwunden fei (S. 305), ift etwas viel getagt; Refte davon
finden fich doch noch vielfach.

Aber wer anfängt, auf Einzelheiten einzugehen, läuft
Gefahr, ins Uferlofe zu geraten. Überall reizt das Buch
zu näherer .Erwägung. Ich fehe feinen großen Wert
nicht bloß darin, daß es unfere Kenntnis des gottesdienftlichen
Lebens diefes Zeitraums überall vertieft, erweitert
, bereichert, vielfach berichtigt, fondern auch darin
, daß es nun wieder zu intimeren Einzelftudien die Wege
zeigt. Somit bringt es eine ungemeine Belebung des
liturgifcheu Studiums. Des gefchichtlichen Studiums!
Jawohl! Aber ohne die Gefchichte werden wir unfer
gottesdienftliches Leben niemals verftehen. Klagt jemand
über Hiftorizismus? So wäre Gr.s Buch zu fchade für
ihn. Wir danken dem Verfaffer herzlich für diefe reife
Frucht langer Mühe. Mäge er Zeit und Kraft zur geplanten
Fortfetzung finden I

Gießen. M. S chi an.

Mahrholz, Dr Werner: Der deutfehe Pietismus. E ine Auswahl
v. Zeugniffen, Urkunden und Bekenntniffen aus
dem 17. 18. u. I9.jahrhdt. (456 S.) 8°. Berlin, Furche-
Verlag 1921. M. 32.—; geb. M. 40.—
Nicht für wiffenfchaftliche oder Unterrichtszwecke,

fondern als eine Art gefchichtliches Erbauungsbuch will