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Ausgabe:

1922 Nr. 25

Spalte:

557-558

Autor/Hrsg.:

Hunzinger, August Wilhelm

Titel/Untertitel:

Lebensgeist. Letzte Predigten 1922

Rezensent:

Bussmann, E. W.

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Seite 1

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557 Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 25. 558

Natur, das Chriftentum durchaus und wefenhaft gegründet
in .Gefchichte', eine ,Erfchließung ewiger Offenbarung',
wurzelnd in Heilstatfachen übernatürlicher Art und Vermittlung
. Das Chriftentum rechnet mit der Idee bzw.
der Wirklichkeit eines durchgreifenden Bruches in dem
Leben der Welt, eines ,Falls', Abfalls vom Schöpfer
und eines Eingreifens eben diefes, des überweltlichen
Gottes und feines Erlöfungswillens. Der Altprote-
ftantismus (Luther, nicht Calvin) war oder ift das Chriftentum
in neuer Selbftgeltendmachung, der Neuprote-
ftantismus das Wiederaufleben der Antike; der Gegenlatz
von Reformation und Renaiffance (Humanismus) ift
und bleibt unausgleichbar. Natürlich find Kompromifle ver-
lucht, Vermittlungen aller Art. Wie der Katholizismus
ift der Neuproteftantismus in der Sache ein Synkretismus
. Auch der Neuproteftantismus, nicht anders als der
Katholizismus, hat chriftlichen Einfchuß neben ftärkerem
Zurückgleiten auf die Antike (Natur, Vernunft). G. erwägt
die mancherlei methodifchen Verfuche, den Neuproteftantismus
zu begreifen und zu bewerten, die Tragweite
der ,religionsgefchichtlichen', der ,idiographifchen',
der ,typiftifchen' Beleuchtung, um immer wieder zu zeigen,
daß der Neuproteftantismus ein Zwitter ift, voll Unklarheit
über fich felbft und feine Unfähigkeit dem Chriftentum
gerecht zu werden.

G. polemifiert durchaus nicht gehäffig, nicht .ketzerrichterlich
'. So mag man leine Ausführungen auf fich
wirken laffen. Sie find Ausdruck einer Stimmung, die
jetzt nach dem Kriege weite Kreife zu durchdringen bebeginnt
, jener .Untergan gs ftimmung', die durch Spengler
.modern' geworden. Dem Rationalismus, Antifuprana-
turalismus, Antidualismus, Optimismus des „Neuproteftantismus
" will G. entgegenwirken. Letztlich will er der
efchatologifchen Stimmung des Urchriftentums
wieder Raum fchaffen, nicht im phantaftifchen, fekten-
haften Sinne, londern in dem genuinen Sinne der Empfindung
für die Heillofigkeit, Todbeftimmtheit der ,Welt' und
der Hoffnung auf .rettende' Gottestat, die .andere
Welt', den al<ov fiiXXcov.

Ich bin weithin in Übereinftimmung mit der Ablehnung
der Kulturfeligkeit, die vor dem Krieg zu unheimlicher
Höhe geftiegen war. Aber ich kann mich
doch nicht einfach neben G. Hellen. Die konkrete Ausfüllung
feiner Intuition von dem, was über alle Vernunft
geht und doch Wirklichkeit ift, kann man in den voraus-
gefchickten Auffätzen relativ kennen lernen, im Buche
ielbft nicht. Aber nur eine Erörterung des konkreten
Inhalts der Ideen von Gott, Welt, Sünde, Erlöfung, Ewigkeit
wird helfen und Früchte fchaffen. Wir Theologen
haben als Theologen endlich zu leiften, was uns obliegt
. Auch G. verliert fich vielzufehr in .neuproteftan-
tifcher'Art, will fagen in bloßer Gefchichtsphilofophie.
Es wird Zeit, daß wir Theologen das Evangelium nicht
mehr bloß preifen und feiern, fondern durcharbeiten,
d. h. die Prolegomena der Wiffenfchaft von ihm oder zu
einer Glaubensweltanfchauung bei Seite Hellen und in
das Haus, die Prob lerne, die das Evangelium felbft in fich
birgt, eintreten. Der ,Altproteftantismus' ift es nicht, um
den es geht, fondern das Evangelium, das auch ihm
überlegen ift. Daß der Neuproteftantismus allerhand herausgearbeitet
hat, was zu einer befferen, tieferen Erfaffung
des Evangeliums, nämlich feines Inhalts, helfen kann
und wird, läßt fich nicht leugnen. G.'s Buch ift da vielfach
verftändnislos. Und fo intereffant und geiftvoll es
zum Teil ift, bringt es doch kaum vorwärts, weil es
nur methodologifch ift.

Halle a. S. F. Kattenbufch.

Hunzinger, Prof. D. Dr. A. W.: Lebensgeift. Letzte
Predigten, gehalten in der Zeit vom 1. Advent 1919
bis 12. Sept. 1920. (101 S.) 8°. Altona, J. Härder
1921.

Es ift das Vermächtnis eines feiner Gemeinde und

der deutfchen evangelifchen Chriftenheit zu früh entriffenen
bedeutenden Predigers. Die ftark apologetifche Art diefes
Verkündigers des Evangeliums hat viele in der Großftadt
angezogen. Er predigt nicht nur aus den Zeitumftänden
und den Bedürfniffen der Gegenwart heraus, fondern auch
in neuen Zungen, denn er geht in der Form der Predigt
neue Wege. Manche feiner Predigten verlaffen ganz die
gewohnte Form und find mehr Vorträge, oder vielmehr
religiöfe Feuilletons und Essays, die nur für eine geiftig
fehr hochftehende Zuhörerfchaft wirkfam werden konnten,
dort aber gewiß auch nachhaltigen Eindruck gemacht
haben. Die Weinachtspredigt redet zum Beifpiel mit
keinembefonderen Wort von der Festtatfache felbft, fondern
deutet im Anfchluß an das Wort: ,Das Volk, das im
Finftern wandelt, fiehet ein großes Licht' eine Gefchichte
von der Heimkehr eines verlorenen Kindes auf die zu
Gott fich wieder zurückfindende Menfchheit. Die Gefchichte
felbft wird zunächft ausführlich erzählt und dann
angewandt. Die Predigt über die PVeiheit erzählt in ausführlicher
Weife, wie der Verfaffer ausging, die Freiheit
zu fuchen, und malt dabei in ftarken Farben. Die folgende
Predigt vom Gebet ift ebenfo in Erzählungsform angelegt,
auch die vom Feigenbaum und andere. Jede einzelne
feffelt und lieft fich fchön, wenn auch der Verfaffer vor
manchem Ausdruck nicht zurückfchreckt, der mir zur
fonftigen Höhenlage und dem dichterifchen Schwung
feiner Predigten nicht ftimmen will.

Dazu rechne ich S. 4: ins Gras beißen. S. 79: fich koloffal getroffen
fühlen. S. 78: einen noch fo ungeheuren Skandal machen und
S. 90 das plattdeutfche Wort: Geft für Hefe. Druckfehler linden fich
S. 63: Reines Herzens, guten Willens S, 77 Z. 11 v. u.: die es gibt.
Auch der Ausdruck: ,Unterftehung' im Gegenfatz zu ,Auferftchung'
S. 87 f erfcheint mir geflieht für Untergang oder ähnl.

Einige der Predigten find wohl nicht fo gehalten,
fondern nur Skizzen, wie z. B. die Paffionspredigt. —
Schade, daß das Büchlein, das jeder Prediger mit reicher
Anregung lefen wird, durch ein fo gelchmacklofes Titelblatt
verunziert ift. Ploffentlich wird es bei einer neuen
Auflage verfchwinden.

Ahlden/Aller. E. W. Bussmann.

Hahn, Prof. D. Traugott: Dienet dem Herrn mit Freuden.

17 Predigten. (96 S.) 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann
1921. Gz. 1,2.

Diefe Predigten des als Märtyrer des evangelifchen
Glaubens durch die Bolfchewiken erfchoffenen Profeffors
der Dorpaler Univerfität find ein herrliches Zeugnis feiner
Glaubenskraft und feelforgerlichen Treue, die er der Gemeinde
, der er in fo fchweren Zeiten ein Führer gewefen
ift, wie feinen Mitgefangenen gewidmet hat. Alle Predigten
haben ein ftark feelforgerliches Gepräge. Es find
vorzugsweife Gegenftände des chriftlichen Lebens, die
behandelt werden: Menfchenfurcht und Gottesfurcht;
Chriftenhaß; Genüglamkeit; Geduld; Wie erkenne ich, was
Gottes Wille ift? Wahrhaftigkeit; Sündenvergebung; Ein
reines Herz. Schön ift auch die Predigt über 1. Kor. 13,
wie die erfte: Ein Vermächtnis über Joh. 9, 1—5 als Neujahrspredigt
, die nicht mehr gefprochen worden ift, aber
fich im Tafchenbuch des Verewigten fand, alfo wohl
angefichts des Todes geichrieben wurde. Auch die letzten
vier Predigten erinnern an diefe Zeit: Rettung aus Not,
eine Bußtagspredigt überjer. 5, 3, Zukunftshoffnung über
Hebr. 13, 14, Bereitfchaft für die Ewigkeit Luk. 12,
35—46 und Seligkeit über Off. Joh. 14, 13.

Die Behandlung der Themata ift nicht rein ethifch oder
moralifierend, fondern gibt auch ftets eine Stärkung des
Glaubens. Manche find wohl nur Skizzen, einige find
ganz ausgeführt, aber es findet fich kein Wort zu viel,
keine Phrafe oder falfche Rhetorik. Schöne Klarheit und
Nüchternheit und dabei doch Innerlichkeit und Gründlichkeit
zeigen fich in jeder Predigt. Die Schriftauslegung
ift eingehend, und immer fucht der Prediger feinen Zuhörern
zu zeigen, wie die Forderung erfüllt werden muß
und erfüllt werden kann.