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Ausgabe:

1922 Nr. 25

Spalte:

542-544

Autor/Hrsg.:

Bauer, Hans

Titel/Untertitel:

Historische Grammatik der hebräischen Sprache des Alten Testaments. I. Bd.: Einleitung. Schriftlehre. Laut- und Formenlehre 1922

Rezensent:

Duensing, Hugo

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 25.

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nicht wegen 3,23, die kjiayyeUai und die jtatEQsg nicht wegen
4,16I Daß Paulus Rom. 9, 4. 5 eine Reihe von gefchicht-
lichen Tatfachen aufzählt, die innerhalb ihres gefchicht-
lichen Rahmens unangreifbare Vorrechte darftellen, wird
auchB. nicht völlig leugnen. Daß man dem Paulus Wider-
fprüche auch gegen 3, 29 im Notfall zutrauen dürfte, be-
ftreite ich wiederum nicht. Aber follte Paulus die Frage
3, 29 wirklich nur für die Zeit nach Chriftus geftellt haben
und bewußt behaupten, daß bis 1 n. Chr. Gott nur Be-
fitz der Juden gewefen iftf Folgt etwas derartiges daraus
, daß er Fph. 2,12 die Heiden a&toi iv xä> xoOnm
nennt? Ift Gott in der Heidenwelt darum nicht, weil
die Heiden nichts von ihm fehen? Das nachfehleppende
„gepriefen in Ewigkeit" belaftet die Konjektur obendrein,
aber viel mehr bedeutet die Unmöglichkeit, daß Paulus
den Befitz des Meflias, der nach unfer aller Empfinden
die letzte Auszeichnung Israels gewefen ift, durch ein
„nach dem Fleifch" einfehränkt, den Befitz des viel
Größeren aber gleich darauf uneingefchränkt ftipu-
lieren foll.

Der Raum geftattet nur noch, zurEntfcheidung der
Hauptlrage, ob Barth den Paulus richtig verdreht, den Blick
auf feine Definitionen der religiöfen Grundbegriffe bei Paulus
zu lenken. Was ift Fleifch? „Unqualifizierte und endgültig
unqualifizierbare Weltlichkeit. Fleifch heißt beziehungs-
lofe Relativität, Nichtigkeit, Nonfens". Was ift Glaube?
Unter zahlreichen Definitionen z. B. „der Refpekt vor
dem göttlichen Inkognito . ., die Bejahung des göttlichen
Nein! in Chriftus" oder: „die Ehrfurcht, die fich diefes
Nein gefallen läßt, der Wille zum Hohlraum, das bewegte
Verharren in der Negation" oder: „daß der Menfch das
Nein Gottes, weil es das Nein Gottes ift, als Ja hört
und verfteht, das ift fein Glaube". (An das fortgefetzte
Spiel mit der Doppelbedeutung der störte: Treue und Glauben
gewöhnt man fich ja allmählig). Was ift der Erweis
der Gerechtigkeit Gottes in Chrifti Blut Rom. 3, 26?
„Wir find durch ihn in den Stand gefetzt, die Gefchichte
(„die früher gefchehenen Sünden") von Gott aus zu fehen,
im Lichte feiner alles aufhebenden Barmherzigkeit. Wir
wiffen durch ihn, was diefe Barmherzigkeit bedeutet:
das Ende und den neuen Anfang aller Dinge ... Er ift
gerecht und er erklärt gerecht, wo der Sprung ins Leere
gewagt wird". Aber bezeichnender noch als folche Definitionen
find die immer wiederkehrenden Hinweife auf
die Zeitlofigkeit der paulinifchen Begriffe: Adam keine
Geftalt der Gefchichte, das Gefetz nicht die einmalig für
Israel gegebene Offenbarung von Gottes Willen, die darum
für uns Heutige keinesfalls mehr fo wie für Paulus
ein Problem fchaffen kann, felbft Jefus wird zweifelhaft:
„Auferftehung als fremde Gefthichte neben den andern Ge-
fchichten wäre nicht Auferftehung, denn was follte dann
auferftehen? Vorausfetzung, die fich nicht bewährte und
erfüllte an allem Gegebenen, wäre nicht letzte Vorausfetzung
. Und das Paradox, das fich als ein befonderes
Gcfchehen an das gewohnte feelifche Gefchehen anfehlöffe,
wäre eben darum nicht Paradox". Oder anderswo:
„Immer und überall war Vergebung der Sünden, immer
und überall war über Menfchen das Wunder des Reichtums
göttlicher Güte . . ., immer und überall find Menfchen
an Gott krank gewefen und gefund geworden.
Durch Jefus aber haben wir die Augen bekommen, zu
fehen, daß es fo ift". Der Kultus des Paradoxen, des Ja
im Nein, des unanfchaulichen Anfchaulichen, ufw. mag dem
modernen RehVnonsphilofophen hoch angerechnet werden,
der für feine Zeit eine neue Sprache, allerdings eine den
Ungeweihten äußerft fchwer verständliche, erfindet, aber
dem Paulus ift er noch fremder als felbft Barths Gott
dem Menfchen. Paulus' Heilsgewißheit, feine Sicherheit,
PYieden mit Gott zu haben und in der von Gott ge-
fchenkten Gerechtigkeit den einigen Troft im Leben und
im Sterben zu hegen, mutet wie der gerade Gegenfatz
an gegen die vibrierende Aufgeregtheit der Barth'fchen
Konftruktionen, an denen fich Hirn und Herz gleich fehr

zermartern. Den Vorwurf, daß es auch diefem neuen
Religionsftifter nicht bloß an der Natürlichkeit der Rede,
fondern oft an der Klarheit des Gedankens, — nicht auch
an der Folgerichtigkeit trotz aller Radikalismen? — fehle,
will ich nicht erheben, weil ich nicht über Barths eigene
Theologie zu urteilen berufen bin. Aber, daß Barths
Verfuch, den Paulus mit Befchlag zu belegen für eine
Weltanfchauung, die fchon feinem naiven Schrift- (und dadurch
in gewiffem Sinn doch wieder Buchftaben-) glauben
ins Geficht fchlägt, der Hybris eines Pneumatikers ent-
fpringt und nicht aus nüchterner Wiffenfchaft, ift das
letzte Wort, das ich über einen Römerbrief Barths fagen
werde.

Marburg. Ad. Jülich er.

Bauer, Hans u. Pontus Leander: Hiltorifche Grammatik
der hebräifchen Sprache des Alten Teltamentes. 1. Bd.:
Einleitung. Schriftlehre. Laut- und Formenlehre.
Mit e. Beitrag (§§ 6—9) von Paul Kahle und einem
Anhang: Verbalparadigmen. (XVI, 7074-91*5.) Lex. 8°.
Halle a. S., M. Niemeyer 1922. geb. Gz. 33.

Diefe bedeutende Arbeit, von der nun endlich nach
mehr als dreijähriger Erfcheinungszeit wenigftens der
erfte, die Einleitung, die Schrift-, Laut- und Formenlehre
umfaffende Teil vorliegt, unterfcheidet fich von allen Vorgängerinnen
dadurch, daß fie die Grundfätze der vergleichenden
Sprachwiffenfchaft, wie fie in der Neuzeit be-
fonders auf dem Gebiet der indogermanifchen Sprachen
gehandhabt werden und anfangsweife in das Gebiet der
Semitiftik eingeführt find, auf die hebräifche Sprache anwendet
. Dieler .erfte Verfuch, die hebräifche Grammatik
überhaupt wiffenfchaftlich auszugestalten', fördert u. a.
die Entdeckung zu Tage, daß das Hebräifche eine Art
Mifchfprache mit einer älteren und einer jüngeren Schicht
ift. Die ältere Schicht, längft vor dem Eindringen der
Israeliten im Lande Kanaan heimifch, ift als mit der ältesten
Schicht in Babylon ungefähr gleichzeitig anzufetzen,
gehört mit dem dortigen Urakkadifchen aber auch fprach-
lich eng zufammen, infofern das Akkadifche und das
Hebräifche gegenüber den andern femitifchen Dialekten
auffällige Übereinstimmungen aufweifen, beruhend auf in
die Urzeit zurückreichender Sprachgemeinfchaft der Dialektträger
, die etwa im nördlichen Arabien anfaffig und
von dort nach Syrien einerfeits, nach Babylon andrerfeits
eingedrungen fein mögen. Die fyrifch-kanaanäifche Abzweigung
blieb zunächft fprachlich wefentlich intakt, nur
der Übergang von ä )> 5 trat ein — wohl infolge einer
Lautgewohnheit der vorfemitifchen Bevölkerung. Nun
wurde aber diefe ältere Sprache übei flutet von einer
fchubweifen Invasion der jüngeren femitifchen Gruppe,
zu deren Ausläufern die aramäifchen und füdfemitifchen
Dialekte zählen. Diefe Invafion, deren Träger zsurft die
Amoriter, fpäter die IJabiri waren, ließ eine Reihe Ein-
fchläge zurück, als deren bedeutendster die Einfuhrung und
dauernde Erhaltung eines langen a an Stellen, wo früher
der Übergang zu ö eingetreten fein würde, anzufehen ift.
So etwa in DjJ T(l) n|B jnbl». Als weitere Neuerungen der
jüngeren Invafion find anzufehen der Artikel, die Pluralendung
Im, der Gebrauch von qätal im perfektifchen,
von jiqtöl im präfentifchen Sinne, während die alte Funktion
fich unter dem Schutz des wa in Wajjiqtol, dem ja
wie der affyr.babylonifchen Imperfekt form pef-ktsche
Bedeutung eigen ift, erhalten hat, das innere Pafliv, der
Vokalwechfel im Qal der Verba "n"» von einem anzu-
fetzenden altkanaanäifchen ö zu ä, anlautendes h in der
3. Perfon des Pronomens und im Kaufativ gegenüber s im
Akkadifchen und Vokaldehnung in betonter Endfilbe.
Die Anfchauungen der Verfaffer geftatten eine verblüffend
einfache Einreihung von Wörtern und Formen in die ältere
oder jüngere Schicht; gehört, um auf den berührten Vokalwechfel
zurückzukommen, qäm zur letzteren, fo naqöm
zur erfteren. Indes kann, was bei diefer wonnig bequemen
| Sortierung ziemlich äußerlich erklärt wird, auch aus