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Ausgabe:

1922 Nr. 24

Spalte:

531

Autor/Hrsg.:

Feldkeller, Paul

Titel/Untertitel:

Ethik für Deutsche 1922

Rezensent:

Stephan, Horst

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 24.

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Faktoren). Im allgemeinen ftellt B. fich auf den Boden
des kritifchen Idealismus, aber mit ftarker Wendung zu
idealiftifch-religiöfer Metaphyfik; Rickert und Windelband
, Simmel und Troeltfch werden befonders gern herangezogen
, gelegentlich aber auch Modernfte wie Spengler
und Th. Leffing; überhaupt ift das Büchlein voll von
Gegenwarts-Beziehungen. Man fpürt es, daß B. am
liebften ein volles Syftem der Gefchichtsphilofophie ge-
fchrieben, d. h. zur Wiffenfchaftslehre eine Prinzipienlehre
und Metaphyfik der Gefchichte, fowie eine ,Gefamt-
darftellung des Gefchichtsverlaufs in großen Zügen hinzugefügt
hätte. Aber es ift gut, daß er fich befcheiden
mußte. Seine .Einführung' zeigt ja deutlich die gewaltigen
Schwierigkeiten, mit denen jede Gefchichtsphilofophie
heute ringen muß, — zeigt auch, daß er wenigstens
vorläufig kaum die Kraft befeffen hätte, fie zu
meiftern. — Daß man die Verteilung des Tons und des
fparfam zugemeffenen Raumes zuweilen aus fachlichen
oder pädagogifchen Gründen anders wünfcht, ift bei
folchen Büchern felbftverftändlich; am liebften würde
ich den hiftorifchen Teil zugunsten des fyftematifchen
verkürzt oder erklärend in diefen hineingearbeitet fehen.
Allein das Buch wird in feiner Anfpruchslofigkeit trotz
mancher Unsicherheit der Linienführung den Anfängern
gute Dienste leisten.

Halle a. S. Stephan.

Feldkeller, Paul: Ethik für Deutfche. (61 S.) 8°. Gotha,
F. A. Perthes 1921.

,Für Deutfche' — weshalb? Weil nur Deutfche folchen
Appell an das innerste Gewiffen hören. Denn gegenüber
der flachen Begrifflichkeit des Westens und dem Chaos
des Oftens kennt nur Deutfchland den ,plaftifchen Rationalismus
', der die Vernunft überbegrifflich faßt und
den Geift nicht mit untergeordneten feelifchen Punktionen
verwechfelt (45). Aber auch nicht die Maffe der Deut-
fchen ift gemeint; F. will eine ,Führerethik', d. h. eine
Ethik für folche, die die Fülle unferes Seins ausfchöpfen
und dabei fogar das Leben verkaufen können zugunften der
Verwirklichung des Geistes (58f); eine ,Ethik des geistigen
Stoßtrupps', eine Vorbereitung für ,die Diktatur der
Guten'. Damit ift eine durchaus nicht rationaliftilche,
fondern streng idealiftifche Haltung gefordert. Aber fie
wird bis zur Leugnung einer pofitiven fyftematifchen
Ethik weitergeführt; jeder Begriff des Guten ift entweder
zu weit oder zu eng; wir können höchstens fagen,
was das Gute nicht ift; ,Gott wie das Gute liegen jen-
feits aller Namen und Prädikate' (35 f.). ,Tue, was' du
willst, nur erfülle das Gebot deiner Seele!' Erft im konkreten
Fall des Plandelns verbindet die sittliche Energie
fich mit der Energie des Denkens zu inhaltlicher Klärung.
Hier tritt eine fchroffe Scheidung zwifchen dem konkreten
Handeln und dem fittlichen Sehnen felbft hervor; das
eigentliche fittliche Tun ift Ausdruck einer jenfeitigen
Gefamtrichtung; es ift irdifch gefprochen zwecklos, anti-
utilitarifch und antieudämoniftifch, trägt feinen Wert nur
in fich felbft, kann eben deshalb niemals Sache der
Mafien, fondern nur der berufenen Märtyrer fein. — So
möchte F. den Stahl des Fichtefchen Denkens, verbunden
mit einem hochmodernen, an Nietzfche gebildeten Ein-
fchlag, in die Adern unferes Volkes gießen, das an Vergnügen
und Gefchäftigkeit feine Seele zu verlierenodroht
und än dem älteren Kompromiß-Idealismus oder dem
üblichen Kompromiß - Christentum nicht genefen kann.
Man möchte ihm viele, viele Lefer wünfehen — vor allem
aber ihm felbft wünfehen, daß er formal die Verfluchung
moderner Geiftreichelei und inhaltlich die des ariftokra-
tifchen Dualismus überwindet; vielleicht gelänge es ihm
am besten, wenn er über Nietzfche und Pichte vollends
zurückgriffe auf die Tiefen Luthers und des Evangeliums
felber, die er nur teilweife erreicht.

Halle a. S. H. Stephan.

Mahnke, Dietrich: Ewigkeit und Gegenwart. Eine fichtifche Zufammen-
fchau. (Beiträge zur Philofophie des deutfehen Idealismus. Folge
der Beihefte 10.) Erfurt, Keyferfche Bchh. 1922.
Schön und klar wird im erften Teil diefer Schritt gezeigt, daß
der Fichte der Freiheitskriege, der das deutfche Nationalgetühl weckt
und Kriegsbegeifterung entflammt, den früheren, für Völkerfriede und
Humanitätsideal fehwärmenden Fichte keineswegs verleugnet, daß er
der bahnbrechende und vorbildliche Vertreter nicht eines unpraktifchen,
fondern tatenfrohen, weltumgefSaltendcn Idealismus ist, der den Weg weiß,
wie natürlich völkifches Empfinden erhöht werden kann und foll zum
Streben nach Ausprägung der Volksperfönlichkeit, die in eigenartiger
Weife die Menfchheitsidee verkörpert. Teil 2 macht eindringlich und
mit ßarkem Optimismus die Anwendnung auf die Gegenwart und legt
dar, daß allein wiedererwachender Idealismus das wahre Deutfchland
— ob auch in äußerer Einheit, Wohlhabenkeit und Macht, ßeht dahin —
aufrichten kann und wird. Schriften, Reden und Predigten in diefem
Geiß, freilich womöglich mit noch etwas mehr Fichtifcher Wucht, tun
uns heute not.

Iburg. W. Thimme.

Ilenkrahe, Prof. Dr. G: Unterfuchungen über das Endliche
und das Unendliche mit Ausblicken auf die philolophifche
Apologetik. 3. Heft: Briefwechfel zwifchen Prof. Dr.
Sawicki-Pelplin und Prof. Dr. Ifenkrahe-Trier üb.
eine Unendlichkeitsfrage, die für den apologet. Entropiebeweis
grundlegend ift. (XI, 245 S.) 8°. Bonn,
A. Marcus u. E. Weber 1920. Gz. 2,5.

Der wiffenfehaftliche Briefwechfel zwifchen dem
katholifch-gläubigen Mathematikprofeffor in Trier,
Dr. Ifenkrahe (f 12. 8. 1921) und dem katholifchen Apo-
logetik-Profeffor am Priefterfeminar der Diözefe Kulm
(jetzt Polnifch-Weftpreußen), Dr. Sawicki, umfpannt die
Zeit vom 15. 6. 1914 bis zum 26. 4. 1918 und zählt
69 Briefe, die hier mit beiderfeitiger Zuftimmung wörtlich
veröffentlicht find. Die Veranlaffung diefes Briefwechfels
war eine Bemerkung in Sawickis Apologetikwerk ,Die
Wahrheit des Chriftentums' (1911, H913), daß der Gottesbeweis
aus der Entropie des Weltalls ,dem Zweifel gegenüber
immer noch in guter Pofition' fei und aufrechterhalten
werden könne. Als einer der Zweifler war C. Ifenkrahe
(,Energie, Entropie, Weltanfang, Weltende', Trier 1910)
mit Namen genannt. Eine Folge diefes Briefwechfels
war, daß Sawicki den entropologifchen Gottesbeweis in
der dritten Auflage feines Buchs ,Die Wahrheit des
Chriftentums' (1918) fallen ließ. Der Mathematiker fiegte
alfo über den Theologen. Wie es bei diefem Problem
auch nicht anders fein konnte, trotz der großen Mühe,
die Sawicki dem Problem gewidmet hat. Aber fchließlich
mußte er fich für nicht zuftändig erklären, und die
Befcheidenheit, mit der er den ganzen Briefwechfel führte,
ehrt nicht bloß ihn, fondern gibt auch eine Lehre allen
Theologen, die aus dem Bereich der Naturwiffenfchaft
einen Beweis für das Dafein des perfönlichen Gottes
führen wollen: nur Sachkenntnis bewahrt vor Niederlagen,
Dilettanten werden gefangen. Wie Sawicki erging es
auch den kathol. Philofophie-IVofefforen am Priefterfeminar
zu Fulda, Dr. C. Gutberiet und Dr. Hartmann, mit denen
fich Ifenkrahe im Anhang diefes vorliegenden Werks noch
auseinanderfetzt. Kritifche Auseinanderfetzung mit der
landläufigen katholifchen Apologetik durchzieht überhaupt
alle größeren Werke, die Ifenkrahe feit der bereits genannten
Studie zur Entropie (1910) veröffentlicht hat.
Sie feien hier aufgezählt, damit den Lefern der TLZ.
das Bild diefes charaktervollen Wahrheitsfuchers bekannter
werde: Neapolitanifche Blutwunder, kritifch erörtert (1912);
Das Endliche und das Unendliche (1915; das zur Be-
fprechung vorliegende Heft bzw. Buch ift, wie die zwei
dazugehörigen Hefte bzw. Bücher, eine F'ortfetzung jenes
Werks von 1915); Uber die Grundlegung eines bündigen
kosmologifchen Gottesbeweiles (1915; eine Vorftudie hierzu
war fchon 1909 erfchienen); Experimentaltheologie
(1919). Daneben war Ifenkrahe noch fruchtbarer mathe-
matifcher Schriftfteller. Seine kampfreichen und dornenvollen
Auseinanderfetzungen mit den Theologen feines
Glaubens find nicht ohne alle Wirkung gewefen.
Binsdorf (Württbg.) Wilhelm Koch.