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Ausgabe:

1922

Spalte:

503

Autor/Hrsg.:

Weber, Max

Titel/Untertitel:

Rede bei der von der Heidelberger Studentenschaft am 17. Juli 1920 veranstalteten Trauerfeier gehalten v. K. Jasper 1922

Rezensent:

Walther, Andreas

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503

Theologifche Lüeraturzeitung 1922 Nr. 23.

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vergleicht, da lieht er ganz einfeitig und die fremde Wirklichkeit ideali-
fierend auf der chrifUichen Seite nur Dunkel.' Es ift zweifellos ver-
dienftlich, daß die parteiifche Anwendung der Kunft der Einfühlung
und Nachemptindung in dem fo weit verbreiteteten Keyferlingfchen
Reifetagebuch einmal in fo nachdrücklicher Weife gegeißelt wird.
Andererfeits aber vermiffe ich in der vorliegenden Brofchüre eine
genügende Anerkennung der Förderung, die von dem Keyferlingfchen
Buche bei weifer kritifcher Benutzung für ein befferes Verftchen der
nichtchriftlichen Religionen und Kulturen ausgehen kann. Denn
Keyferling hat doch manches fehr fein beobachtet, oder fagen wir lieber
gefühlt, fo daß ich nicht anflehe, zu behaupten, daß die religions-
gefchichtliche Wiffenfchaft nicht wenig von ihm lernen kann.

Kiel. H. W. Schomerus.

Weber, Max: Rede bei der von der Heidelberger Studen-
tenfchaft am 17. Juli 1920 veranftalteten Trauerfeier gehalten
v. Prof. Dr. K. Jafpers. (27 S.) 8°. Tübingen,
J. C. B. Mohr, 1921.
Mit Max Weber wird fich jeder, der das von ihm
um ganze Stufen hinaufgerückte Niveau gegenwärtiger
Forfchungsweife halten will, intenfiv befchäftigen müffen,
nicht zum wenigften mit dem gefchloffenften feiner großartigen
Fragmente, den religions-foziologifchen Unter-
fuchungen, über die ich demnächft in diefer Zeitfchrift
berichten werde. Jafpers will nicht eigentlich von dem
Menfchen reden und gibt doch aus vertrautem Umgang
und inneren Wahlverwandtfchaften (vgl. Jafpers, Pfycho-
logie der Weltanschauungen, 1919) heraus das die Welt
angehende Bild des Menfchen, der nicht eigentlich Politiker
' war, infofern er die Macht nicht wollte und fich
bewußt war: ,ich mache Fehler'; nicht eigentlich gelehrter
', infofern er die fachwiffenfchaftlichen Begrenztheiten
fprengte und die Soziologie, der all fein Forfchen
fchließlich diente, trotz aller Bemühungen methodifcher
Befchränkung in der uferlofen Weite der Unterfuchung
des ganzen verwickelten Syftems kaufaler Beziehungen
der Menfchheitsgefchichte bearbeitete; nicht eigentlich
,Chrift', infofern er dem Übel nicht widerftehen zu wollen
und in Glaubensdogmen eine Zuflucht zu fuchen als des
Menfchen unwürdig erachtete; und doch auch, obwohl
er diefem Typ in der Tiefe am verwandteften war, nicht
eigentlich ,Stoiker', weil er die in ihm brennenden Feuer
nicht zu formaler Seelenruhe dämpfen konnte noch wollte.
Jafpers will auch nicht eigentlich fein wiffenfchaftliches
Werk würdigen und gibt doch den Schlüffel zu den
Pforten, die diefes Werk zunächft verfchließen: dem
Fragmentarifchen nämlich, das verftändlich gemacht wird
aus den ungeheuren Dimenfionen der Anlage und aus
der Intenfität, die in jedes Einzelne, das er gerade unter
den Händen hatte, das für ihn nicht anders darftellbare
Abfolute hineinlegte: ,Das Ganze war ihm im Endlichen,
fo daß das Endliche von einem unendlichen Gehalt zu
werden fchien.' Jafpers fucht vor allem eine Deutung
der ,philofophifchen Exiftenz' Max Webers, der ein ,Phi-
lofoph' nicht fein wollte, weil er ein fertiges, das heißt
immer auch erftarrtes, Syftem inftinktiv ablehnte, den
letzten Sinn des Dafeins nicht zu kennen erklärte und
darum keinen prophetifchen Glauben zu verkünden hatte,
der aber in feiner unendlich intenfiven inneren Bewegtheit
einzigartig ,das Schickfal der Zeit lebte', und fo in
befonderem Sinne Philofoph war .vielleicht als einziger
in unferer Zeit'; in diefem befonderen Sinne ,geiftiger
Gipfel der Zeit' Mitten aus produktivfter Arbeit an
einer Zufammenfaffung feiner Soziologie ift er abgerufen
worden. Was jetzt von diefer Zufammenfaffung vorliegt
(Grundriß der Sozialökonomik III: Wirtfchaft und
Gefellfchaft 1921/22) ift noch aneinandergereihten und
fragmentarifchen Charakters. Aber niemand wird fagen
wollen, ob einen Mann folcher Möglichkeiten fein Dämon
nicht noch, fobald ihm das univerfalhiftorifche Gefamt-
bild zu jener lubjektiven Reife gekommen wäre, die ihn
auch von andern Arbeiten dann leicht Abfchied nehmen
ließ, zum gefchloffenen Ganzen und felbft zur Miffion
der Wegweifung geführt haben würde.

Göttingen. Andreas Walther.

Hartmann, Prof. Nicolai: Grundzüge einer Metaphynk der Erkenntnis
. (XII, 389 S.) gr. 8°. Berlin, Vereinig, vriff. Verleger 1921.
Eine der bemerkenswerteften Erfcheinungen in dem philofophifchen
Leben der Gegenwart ift die weitgreifende Umbildung, in welcher fich
zur Zeit der Neukantianismus befindet. Am deutlichften tritt dies in
der fogenannten Marburger Schule hervor. Die jüngfte Entwicklung,
in die ihr Führer und Mitbegründer, Natorp, eingetreten ift, die Annäherungen
, die teils an den Pofitivismus, teils an Hegel von jüngeren
Mitgliedern derfelben erftrebt werden, laffen bereits mit Deutlichkeit
erkennen, daß es fich hierbei nicht bloß um eine Fortbildung im Sinne
der Grundprinzipien des ,klaffifchen', des methodifchen Idealismus,
fondern um eine Revifion eben diefer Grundprinzipien felber handelt.
Diefe Revifion führt nun Nicolai Hartmann in dem vorliegenden Werk
(deften Anzeige fich infolge einer längeren Erkrankung des Ref. leider
verzögert hat) bis zum vollftändigen Bruch mit dem Neukantianismus
fort. Gleich im elften Satz der Einleitung fpricht der Verf., urfprünglich
von der Marburger Schule ausgegangen, jetzt Nachfolger Natorps in
Marburg, die Ablage an den Idealismus aus: ,Die nachftehenden Unter-
fuchungen gehen von der Auffaffung aus, daß Erkenntnis nicht ein
Erfchaffen, Erzeugen oder Hervorbringen des Gegenftandes ift, wie der
Idealismus alten und neuen Fahrwaffeis uns belehren will, fondern ein
Erfaffen von etwas, das auch vor aller Erkenntnis und unabhängig von
ihr vorhanden ift'. Bei aller Bedeutung, die dem Idealismus als dem
Verwalter eines überaus wertvollen philofophifchen Erbgutes zukommt,
muß doch mit der Abftreifung des idcaliftifchen Vorurteils nunmehr
Emft gemacht werden. Der Idealismus ift die gefchichtliche Hülle
eines größeren Kernes, der diefe nach langem Reifen fprengt. Die koper-
nikanifche Tat Kants ift wieder umzukehren. Diefe Thcfen, in ihrem
weiteften Sinne genommen, find gewiß nicht neu; zahlreiche .realiftifchc'
Strömungen der Philofophie der Gegenwart bewegen fich dem gleichen
Ziele zu. In der Tat berühren fich auch die Ausführungen des Verf.
vielfach und in bemerkenswerter Weife mit verwandten Unternehmungen.
Aber das Ziel liegt doch nicht in der Neubegründung eines wie immer
verftandenen ,Realismus', den der Verf. zur Bezeichnung feines Standpunktes
fogar ausdrücklich ablehnt. Seine Unterfuchung ift vielmehr
vor allem auf das Erkenntnisproblem gerichtet; von einer Phänomenologie
der Erkenntnis geht fie im erften Teil des Buches aus, diskutiert
fodann im zweiten Teil die Standpunkte und Löfungsverfuche des
Erkenntnisproblems, um im dritten Teil in einer ,kritifchen Ontologie'
den Gegeuftand der Erkenntnis, und fodann, im letzten Teil, die Erkenntnis
des Gegenftandes, d. h. die Erkenntnisaporien zu behandeln.
In diefem Rahmen erfcheint der Idealismus nur als einer der ftand-
punktlichen Löfungsverfuche des Erkenntnisproblems, und die Aus-
einanderfetzung mit ihm bleibt der größeren Aufgabe, dem Entwurf
einer Metaphyfik der Erkenntnis, untergeordnet. Denn das ift der
Ilauptlatz, den der Verf. allfeitig zu entwickeln unternimmt, daß den
eigentlichen Kernpunkt des Erkenntnisproblems etwas Mctaphyfifches
ausmacht. Die Phänomenologie des Erkennens erweift, daß die Trans-
cendenz des Erkenntnisgegenftandes zum Phänomen der Erkenntnis
felber gehört und eben diefes weder von dem Pfychologismus noch von
dem Logismus erfaßt werden kann. Es liegt in der Tatfache, daß
fich in aller Erkenntnis ein Subjekt und ein Objekt der Erkenntnis
gegenüberftehen und zwar in einem Verhältnis kategorifcher Spannung.
Alle philofophifchen Standpunkte müffen diefen Sachverhalt, das Ergebnis
einer rein phänomenologifeben Wefensanalyfe, anerkennen. Aber die
Grundtypen der möglichen Löfungsverfuche, die entweder das Objekt
dem Subjekt überordnen (Realismus) oder das Subjekt dem Objekt
überordnen (Idealismus), oder Subjekt und Objekt beide einem dritten
unterordnen (Monismus) find darin fehlerhaft, daß fie zugleich ein
Maximum von metaphyfifchen Annahmen fetzen, welche zwar die nächften,
die natürlichen Erkenntnisaporieen zu löfen fcheinen, aber unvermeidlich
zu weiteren künftlichen und unlöslichen Aporicen führen. Daher fucht
der Verf. in feiner ,kritifchen Ontologie' eine Theorie zu entwickeln,
die diesfeits von den Gegenfätzen des Realismus, Idealismus und Monismus
fleht, aber doch die berechtigten Motive von ihnen aufnimmt,
indem fie fich zugleich auf das Minimum von Metaphyfik befchränkt,
das der Problembcftand allein erfordert. Der hierbei leitende Gefichts-
punkt ift, daß Subjekt und Objekt beide mit dem gleichen Anfpruch
auftreten, etwas Seiendes zm fein, fodaß in dem Sein überhaupt die
gemeinfame Sphäre zu finden ift, in der fich Subjekt und Objekt gegen-
übeiftehen. Auch das Bewußtfein ift ein Seiendes und in die gefamte
Sphäre des Seienden'eingebettet; Erkenntnis ein Modus des Seins und
die Erkenntnisbeziehung eine reale .Seinsbeziehung. Es ift hier nicht
möglich, die weitere fehr febarffinnige und durchaus fcbftftändigc,
an fruchtbaren Gedanken reiche Durchführung diefer Theorie auch nur
anzudeuten. Ebenfalls müffen die mannigfachen Fragen, die fich fofort
erheben (z. B. welche Förderung etwa das vom Verf. nicht explirit
behandelte geifteswiffenfchaftlich-hiftorifche oder das religiöfe Erkennen
durch feine Metaphyfik der Erkenntnis erhält und ob die befonderen,
von diefer felbft zugeftandenen Schwierigkeiten und Unlüsbarkeiten
nicht noch einer anderen Behandlung zugänglich find) hier unerörtert
bleiben. Aber wer auch wie der Ref. der Meinung ift, daß die Theorie
des Verf. noch wefentlichcr Ergänzung und Fortführung nach verfchie-
dener Richtung hin bedürftig und fähig ift, wird uneingefchränkt anerkennen
, daß fein Werk eine hervorragende wiffenchaftliche Leißling
darfteilt, die in ihrer Tendenz und mit allen felbftverftändlichen Ein-
fehränkungen innerhalb der idealiftifchen Bewegung der Gegenwart einen
ähnlichen Wendepunkt bezeichnet, wie einft die Metaphyfik des Fichte-
fchülers Herbart. Nur daß die gefamte wiffenfehaftliche Haltung des