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Ausgabe:

1922 Nr. 2

Spalte:

499

Autor/Hrsg.:

Claßen, Walther

Titel/Untertitel:

Das bürgerliche Mittelalter. Das Werden des deutschen Volkes. 6. Heft 1922

Rezensent:

Bauke, Hermann

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499

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 23.

Beitrag z. Verfaffungsgefchichte d. deutfch. Kirche im
Mittelalter. (Kirchenrechtliche Abhandlungen 95. Heft)
(XXII, 197 S.) gr. 8°. Stuttgart, F. Enke 1919,
Nottarp, Priv.-Doz. Dr. jur. et phil. Hermann: Die Bistumserrichtung
in Deutfchland im achten Jahrhundert. (Kirchen-
rechtl. Abhandlgn., 96. Heft). (VI, 259 S.) gr. 8°.
Ebenda, 1920.
Daß die Gefchichte des Kirchenrechts noch ein weites
Feld zu dankbarer literarifcher Betätigung bietet, ift eine
bedauerliche Tatfache. Um fo erfreulicher ift es, wenn
jüngere Gelehrte in Einzelforfchungen diefe Lücken auszufüllen
ftreben. Um fo erfreulicher, wenn dies in fo
vortrefflicher Weife, wie in den beiden (in den Stutz'fchen
Abhandlungen erfchienenen) Abhandlungen gefchieht.

Gefcher behandelt zum erften Male die Entwicklung
des Rechts des kölnifchen Dekanats und Archidiakonats
und liefert mit diefer in erfter Linie partikulariftifchen
(wenn man fo fagen darf) Arbeit zugleich einen wertvollen
Beitrag zur Gefchichte der kirchlichen Verfaffung
im Mittelalter überhaupt.

Nottarp behandelt einen zeitlich begrenzten Aus-
fchnitt der kirchlichen Rechtsgefchichte, die Errichtung
der deutfchen Bistümer im 8 Jahrh., ein Ausfchnitt, der
aber eine befondere Behandlung um fo mehr rechtfertigt,
als mit diefem Jahrhundert die zahlreichen Bistumserrichtungen
auf politifch-nationaler Grundlage unter den
Karolingen einfetzen.

Man kann den beiden Gelehrten für ihre gediegenen
Beiträge nur dankbar fein.
Erlangen. Sehling.

Claßen, Walther: Das bürgerliche Mittelalter. Das Werden des
deutfchen Volkes. 6. Heft. (noS.) 8°. Hamburg, Hanfeatifche
Verlagsanftalt 1921.
Der Verf. fetzt in diefem Heft eine Arbeit fort, die fchon früher
erfchienen; in einem 1. Bande hat er die Gefchichte des deutfchen Volkes
bis zum Interregnum erzählt. Es handelt fich um eine eigentümliche
Darftellungsart, in der gewiß ein gutes Stück dichterifcher Geftal-
tung mitfchafft. Es find einzelne Bilder, die der Vf. zeichnet. Sie follen
in ihrer Anfchaulichkeit dem Laien die deutfche Gefchichte vorführen.
Dabei ift vieles fehr gut gelungen und zeugt davon, daß der Verf. felbft
in den Dingen lebt und eigene Forfchung hinter fich hat. Doch wird
man leider fagen müffen, daß er gerade für diejenigen, an die er fich
wendet, oft zu viel vorausfetzt. Und vor allem werden die Gleichzeitigkeiten
und die inneren Zufammengehörigkeiten öfters nicht deutlich
genug; hier wird ein Maß von Mitarbeit gefordert, die der
Nichtfachmann nicht aufzubringen vermag. Doch das find einzelne
Kunftfehler, über die man nicht zu rechten braucht. Es bleibt die
Lebendigkeit und Wärme des Ganzen und es bleibt der fehr begrüßenswerte
Verfuch, der gefchichtlich fo völlig ungebildeten Allgemeinheit
etwas von gefchichtlicher Anfchauung und gefchichtlichem Verftändnis
beizubringen. (Der Druck ift fehr fehlerhaft.)

Halle/Saale. Hermann Bauke.

Rod he, Edv.: Studier i den svenska reformationstidens
liturgiska tradition .*) (IV, 166 S.) Uppsala Univerfitets
Arsskrift 1917. 4— Kr.

Meffe und Officium (horae canonicae), die Opferhandlungen
der Kirche, waren für die erfte, in kath.
Anfchauungen herangewachfene, evangel. Generation
eine ideelle und praktifche Einheit. Beiden im Rahmen
einer reich ausgeftatteten, in den Domkirchen centrali-
fierten Kultübung zu dienen, war fte ftreng gehalten:
,Nemo si quidem duobus dotninis servire potest. Chorus
autem totum regnat hominem' (Äbo um 1480). Beider
Zeit war um, fobald und foweit das Wefen des evangel.
Wort- und Gemeindegottesdienftes klar zu Erkenntnis
und Entfaltung kam.

In Schweden, wo nur die eine Kirche fich reformierte,
ift man ftufenweife in die neuen Ordnungen geglitten.
Wurde doch die lat. Meffe erft 1539, ihre Feier ohne
Kommunikanten erft 1562 verboten.

Wie fichs beim Officium verhielt, unterfucht erft-

*) Studien zur liturgifchen Tradition der fchwcdifchen Reformationszeit
.

malig R. Den Hauptfchlag empfing es von der ökono-
mifchen Seite her, durch die Reduktion des überflüssigen
Kirchenvermögens'' (Västeräs 1527): die zur Aufrechterhaltung
der guten alten Sitten' dort zugeftandenen Mittel
reichlich zu bemeflen, fehen wir, dem drängenden und
felbft bedrängten Fiskus gegenüber, für das Kultleben
ihrer Domkirchen fich wehrende Bifchöfe bemüht, bis
1571 mit den Prälaturkapiteln die eng damit verbundene
Chorpriefter-Inftitution verfchwunden ift.

Zwifchen den Zeilen der kirchenregimentlichen
Regelungen des GDs-Lebens findet R. das Gleiche: fo
wird 1535 die Frage der Feft-Translationen noch in der
alten Breite behandelt; Olaus Petri muß, wie bei Meffe
und Kirchenjahr, auch beim volkstümlichen Stundendienft
zurückftecken (Schwed. Meffe 1531); Gg. Normann
(Articul. Ordinantiae 1540) kann die Litanei nicht ab-
fchaffen, nur aus der (verkümmernden) Nocturn in die
Meffe verfetzen. Beide möchten am liebften frei umbilden,
wie in Deutfchland, aber ,in Schweden ift man konfer-
vativer, aber damit auch machtlofer. Die einzige liturg.
Umbildung, die die Kirchenordnung kennt, ift Ausfchluß
oder Verftümmelung. Dies ift gerade keine fehr ftarke
Pofition' (S. 26).

Laurentius Petri dagegen bewahrte, was er konnte
und noch vorfand: das Officium an Sonn- und Fefttagen
und die Feftvigilie. Anftelle der Chorpriefter traten
Schüler, die Singftunden blieben um ihrer Mufik und
ihrer, foweit die Gemeinde nicht daran teilnahm, lateinifchen
Sprache willen, als Bildungsmittel der künftigen Pfarrer,
gefchätzt. Predigt und Katechefe engten den Gefang
ein. Dabei gab es, anders als in Dänemark, weder ein
umfaffendes Kirchenbuch noch genügende Sammlungen
überfetzter Hymnen für die ordnungsgemäßen GDe in
der Mutterfprache.

Woraus fang und betete dann Priefter und Chor?
Mit diefer Frage bewährt R. feine aus Indicien gewonnene
Anfchauung an einer Reihe meift unvollftändiger, liturgie-
gefchichtlich noch nicht gewürdigter Kirchenbücher
(Notenhandfchriften). Schon durch ihre Lücken laffen
fie manche Frage unbeantwortet. Es kommt hinzu, daß
weder in kath. Zeit eine Uniformität durchgeführt war,
noch gar in den in fich gefchloffenen evang. Bistümern.
Im einzelnen ift ftets zu entfcheiden: haben wir ein
liturgifches Privatunternehmen vor uns oder eine Arbeit
kirchlicher Obrigkeit (auch Zwifchenftufen find denkbar);
ift's ein Dorf-, Domkirchen-, Stiftsritual, -hymnar, -lektio-
nar? Soll Untergehendes gerettet, Beftehendes codificiert,
gar Verfunkenes ausgegraben werden? Die Repriftination
unter Johann III. hat offenbar fchlummerndes liturgifches
Leben geweckt, Hoffnungen auf mehr angefacht und
doch zugleich als Warnung Gegenkräfte aufgerufen.

Der hohe methodifche Reiz der Unterfuchung liegt
in dem engen Ineinander des liturgie- und kirchen-
gefchientliehen Elements, die wechfelfeitig für einander
fruchtbar gemacht werden. Darin fpiegelt fich der Gang
der fchwedifchen Kirche in die neuen Verhältniffe hinein,
der, nach mancher Wendung und Windung, unter dem
katholifierenden Johann III. durch das gute Lutheraner-
Werk des auf organifche Weiterentwicklung bedachten
Laurentius Petri 1571 eine erftmalige, für fpäter beftim-
mende, gerade Ausrichtung empfing. R., der die Andeutungen
feiner Kirchenordnungen und Handfchriften
fo zum Leben und Klingen bringt, erhofft von neuen
Funden noch wichtige Einfichten; mit behutfam-fefter
Hand hat er gleichfam eine Kirchenwand abgeklopft,
und wir dürfen uns fchon jetzt mit ihm des, wenn auch
lückenhaften, fo doch bunten und lebensvollen Bildes
freuen, das er uns bloßlegt.

Fahrenbach (Baden). Peter Katz.

Preuß, D. Dr. Hans: Luther, Calvin, Loyola. (Lebensideale der
Menfchkeit. 4. Heft.) (59 S.) 16«. Leipzig, Deichcrtfche Ver-
lagsbuchhdl. 1922. Gz. 1; geb. 1.75.

Der Verf. will im Rahmen einer Sammlung in ganz kurzer Cha-