Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1922 Nr. 23

Spalte:

493-495

Autor/Hrsg.:

Laqueur, Richard

Titel/Untertitel:

Der jüdische Historiker Flavius Josephus 1922

Rezensent:

Staerk, Willy

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

493

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 23.

494

öffentlichung mehrere Bearbeitungen erfahren. Jaftrow
überfetzte einen größeren Teil des Gefetzbuches im Journal
of the American Oriental society 41, 1 ff., aber in fo
fchlechter Weife, daß er fich durch diefe feine letzte Arbeit
nicht viele Freunde erworben haben wird. Beffer
find die Bearbeitungen von Scheil, Recueil des lois assy-
riennes und Tallqvist, An Assyrian law-code in den
Verhandlungen der finnifchen Akademie 1921. Nun be-
fchert uns Ehelolf eine neue Überfetzung, die durch
Beitrage Zimmerns und Landsbergers noch bereichert
ift und allen billigen Anfprüchen entfpricht. Daß
man auch hier noch in Einzelheiten anderer Anficht fein
kann, zeigen die wertvollen „Quellenkritifchen Unterfu-
chungen zu den affyrifchen Gefetzen" Kofchakers (in
den Mitteilungen der Vorderafiatifchen Gelellfchaft 1921,3),
der auch bereits zu Ehelolfs Buche eine rechtsgefchicht-
liche Einleitung beigefteuert hatte. Nicht recht einzu-
fehen ift der Grund, warum E. nur Nr. 1 überfetzt hat;
denn dem Rechtshiftoriker bieten auch die anderen Nummern
noch reiches Material. Daher fei hier der Wunfeh
ausgefprochen, daß diefe Arbeit gelegentlich doch noch
nachgeholt werden möge.

In § 9 wird: ki bilri doch wohl „wie ein Loch" bedeuten; vgl.
dazu das philofophifche Zwiegefpräch: Das Weib in ein Brunnen, ein
Loch, ein Graben. Der Schluß des § foll wohl befagen, daß man die
Unterlippe des Schuldigen durch die Öffnung (?) der Axt hindurchziehen
(i-sa-a]d-i/it-tiu) und abfehneiden foll. — In § 12 bedeutet:
e/ilcit nicht „fich ergeben", fondern, wie Thureau-Dangin nachge-
wiefen hat „paffieren". — § 14. Für astammu, allammu vgl. jetzt noch

Schroetter, Keilfchr. aus Affur hifior. Inhalts Nr. 34, 18. _ § 15.

a-i-la bedeutet wohl nicht den „Miffctätcr", fondern einfach „Mann";
vgl. aialu = 7.ikarn. — Zu § 16 vgl. Kofc h aker a. a. O. 32. — §. 23.
*» plgi=p'ha'=*pigat bedeutet „plötzlich". — § 24. Die Überfetzung
„genächtigt" erfcheint mir noch unficher. — § 25. Was bedeutet „die
Götter paffieren laffen?" — § 29. Die Bedeutung „wegnehmen" für
pägu feheint auch durch andere Stellen gefichert zu fein. — § 32 ift
am Anfang der 2. Zeile wohl nur: ü zu ergänzen. — § 46 ift der
Schluß jetzt von Kofchakcr a.a.O. 49 ergänzt worden.

Berlin. Bruno Meißner.

Laqueur, Prof. Richard: Der jüdifche Hiftoriker Flavius
Jofephus. Ein biograph. Verfuch auf neuer quellen-
krit. Grundlage. (VIII, 280) gr. 8°. Gießen, v. Münchow
i. Komm. 1920.
Ref. bedauert es fehr, daß diefe fcharffinnigen und
für dieJofephus-Forfchung ohne Frage tief einfehneidenden
Unterfuchungen durch fein Verfchulden arg verfpätet
hier zur Anzeige gelangen. Er bedauert das umfomehr,
als der Vf. mit ihnen, wie fchon vor faft 10 Jahren mit
feinem Werke über Polybios (Leipzig 1913, vgl. auch den
Auffatz Scipio Africanus und die Eroberung von Neu-
Karthago. Hermes 1921,131 ff.) um die Anerkennung einer
neuen hiftorifchen Methode ringt, die eigentlich fchon
längft neben der traditionellen der Quellenkritik hätte zur
Anwendung kommen muffen, wo immer das Ziel der
gefchichtlichen Forfchung nicht die rein formal-litera-
rifche Analyfe eines alten Hiftorikers bleiben follte,
fondern darüber hinaus das pfychologifche Verftändnis
feiner Perfönlichkeit und feiner Arbeitsweife angeftrebt
wurde.

An letzerem fehlte es bisher in der Jofephusforfchung
in erheblichem Maße. L. hat fich alfo fchon allein
dadurch verdient gemacht, daß er auf die noch faft nicht
in Angriff genommene höhere Aufgabe hingewiefen hat,
den jüdifchen Hiftoriker und feine Werke aus dem
Ganzen feiner inneren Entwicklung heraus verliehen zu
lernen. Ref. ift aber auch der Überzeugung, daß L. das
innere Recht und die weittragende Bedeutung feiner
neuen Methode gegenüber der noch herrfchenden Betrachtungsweife
, die in Jofephus nicht viel mehr als eine
mechanische Abfchreibemafchine fieht (vgl. S. 218 und
fchon S. 132), eindrucksvoll und im Prinzip mit
Erfolg zur Darfteilung gebracht hat. Beide Momente
fichern f. M. n. L.'s Unterfuchungen bleibenden Wert
für die gefchichtliche Arbeit an der problematifchen Perfönlichkeit
des Hiftorikers Jofephus. Ohne ernfte Aus-

einanderfetzung mit feinem Forfchungsprinzip und den
damit erzielten Ergebniffen betr. des Verhältniffes von
Bellum, Archaeologie und Vita wird in Zukunft diefes
Sondergebiet der helleniftifch-jüdifchen Literatur nicht
gepflegt werden können. Dabei wird fich dann zeigen,
in welchem Maße die von L. gewonnenen Ergebniffe
einer Einfchränkung bedürfen. Daß Abftriche gemacht
werden müffen, ift wohl nicht nur im Hinblick auf die
Einftellung des fog. testimonium Flavianum Arch. 18,
63 f. in die politifch-fchriftftellerifche Metamorphofe des
Jofephus (S. 274 ff.) felbftverftändlich. Hier dürfte L.
die Grenze zwifchen künftlerifcher Einfühlung in den
Charakter feines Helden und reiner Phantafiebildung
überfchritten haben.

Der Ausgangspunkt der vorliegenden' Arbeit ift eine von anderen
Forfcbern fchon früher gemachte, aber nicht in ihren praktifchen
Folgerungen erfaßte Beobachtung an der Vita, vgl. Schürer GJV4 1,
S. 87 und befonders fcharf formuliert bei Feiten NtZG I, 612. Deren
Kernftück nämlich befchäitigt fich garnicht mit vorbereitenden Kriegsmaßnahmen
desjofephus inGaliläa und fleht zu den wenigen biographifchenDaten
in keiner inneren Beziehung. Von hier aus kommt L. zunächft zu dem
Ergebnis: in dem Kernftück fteckt ein alter Rechenfehaftsbericht des
J. über feine politifche Tätigkeit in Galilaea vor Ausbruch des großen
Krieges und ohne eine Spur des Bcwußtfeins, damals fchon am Vorabend
diefes furchtbaren Ringens um Judas Schickfal geftanden zu
haben. Er ift das ältefte Zeugnis fchriftftellcrifcher Tätigkeit des J.
und von unvergleichlichem hiftorifchen Wert. Dies der Inhalt von
Kap. II-IV (S. 6—128). Der 2. Hauptteil von L.'s Buch, Kap. V
(S. 128—221) ift dem Nachweis gewidmet, daß sich das zwifchen
Vita und den Parallelberichten im Bellum beftehende Verhältnis
politifch-tendenziöfer Umgeftaltung der älteren Darfteilung genau fo
deutlich am Verhältnis der einfehlägigen Stücke der fpäteren Archaeologie
zur Einleitung des jüngeren Bellum aufzeigen läßt. Das wird
in eingehender Kritik an den Stoffen von Arch. XIV—Bell. 16, i. ff.
! vorgeführt. War das Verhältnis von Bellum zum alten Rechenfchafts-
I beriebt der Vita durch Jofephus' zielbewußte Einftellung auf römifche
j Gunft und römifche Orientpolitik beftimmt, fo das von Archaeologie zum
! Bellum durch den Wandel feiner politifchen Gefinnung nach Titus' Tode
j und durch feine, dadurch bedingten fchriftftellerifch-verlegerifchen Ziele
Hier führt die Überzeugung des fich zur jüdifch-nationalen Vergangenheit
zurückfindenden Renegaten und das gefchäftliche Intereffe, das ihn
an feinen Gönner Epaphroditus bindet (S. 259 f.), die Feder. Schließlich
I hat den Schinnen, Viclgewandten aber doch fein Schickfal ereilt in
Geftalt der nach Agrippa's II. Tode (y 100) erfchienenen Kriegsgefchichte
feines alten Gegners Julius von Liberias, der J. als Schriftfteller lächerlich
machte und als jüdifchen Hiftoriker par exccllence aufs fchwerfte kompromittierte
. Gegen dielen gefährlichen Gefchäftsgegncr und vor allem
Mitwiffer um J.'s fchwere Schuld am Ausbruch des großen Krieges in
Galilaea (darum geht der Streit in der Hauptfache, nicht um formal-
aefthetifchc Fragen, wie L. anzunehmen feheint S. 32 ff.) öffnet er darum
in der Apologie Contra Ap. I, 8 ff (§ 46 ff.) und der fog. Vita (d. h.
dem Schlußabfchnitt der Neilausgabe der Archaeologie v. J. 100) alle
Schleufen feines Zornes.

In einem zufammenfaffenden Schlußkapitel ,der Werdegang des
Jofephus' (S. 245 ff.) vereinigt L. die Ergebniffe feiner fcharffinnigen
Kritik an der literarifchen Hinterlaffenfchaft des J. in einer glänzend
gefchriebenen pfychologifchen Studie über den Apoftaten, deffen Charakterbild
nun noch unerfreulicher erfcheint, als nach der bisherigen Forfchung
— felbft wenn man von der vermeintlichen letzten Schwenkung
I des gefchäftstüchtigen Hiftorikers zum auffteigenden Stern der Chriften
ganz abliebt.

Das Wort haben nun die zünftigen Jofephusforfcher.
L. hat ihnen die Aufgabe der Widerlegung zur Rettung
der eigenen Pofition, jener von L. m. E. mit Recht als
ganz unzureichend gekennzeichneten Methode der Kritik
von außen her, der Auflöfung in Quellenauszüge und
Zitate, nicht leicht gemacht. Denn will man die an Thuky-
1 dides, Polybius, Nenophon und Demosthenes aufgezeigten
j Parallellen zur fchriftftellerifchen Art des Jofephus nicht
gelten laffen, fo bleibt noch das m. E. ausgezeichnet
gewäTilte Beifpiel aus der mittelalterlichen Chroniftik.
Die in 5 verfchiedenen P'affungen erhaltene Weltchronik
des Ekkehard von Aura in ihrem Verhältnis zu der von
ihm benutzten Chronik des PYutolf von Michelsberg ift
j in der Tat geeignet, Verftändnis dafür zu erzwingen,
,' daß alte Gefchichtsfchreiber nicht Schreibautomaten find,
j fondern Menfchen mit ihrem Widerfpruch, und daß
alte hiftorifche Texte nicht blos mit Kritik von außen
her bewältigt werden können, fondern daß Kritik von
innen heraus, aus der Pfyche des Verfaffers und den
1 notwendigen Wandlungen, die er politifch durchgemacht