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Ausgabe:

1922 Nr. 22

Spalte:

483

Autor/Hrsg.:

Koussidis, Aristipp

Titel/Untertitel:

‚Kehrt zurück zu Gott.‘ Ein Versuch, die Existenz Gottes und die Unsterblichkeit der Seele wissenschaftlich zu beweisen 1922

Rezensent:

Koch, Wilhelm

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483

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 22.

484

höheren menfchlichen Erlebens (Freiheitserlebnis). In ihrer Synthefe,
im Perfönlichkeitserlebnis, fucht fich die Spannung diefer Erlebnifle auszugleichen
, fucht ein höheres Ich im Menfchen die Grenzen des Profan-
ichs zu durchbrechen.

Auf den letztangeführten Erörterungen, die unverkennbar
die Züge der Religionstheorie Ritfchls, ergänzt
durch ein myftifches Element, tragen, ruht wohl der
Hauptakzent des ganzen Gedankenganges. Ihr Verdienft
befteht darin, die von der Theologie und Religionsphilo-
fophie, der Gegenwart auch fonft hervorgehobene Polarität
in der Sinnftruktur des religiöfen Erlebens (Heiler
, Rickert, vgl. auch meinen Auflatz: Das religiöfe
Urphänomen, PreußifcheJahrbücher: Auguftheft) in neue
Formulierung gebracht zu haben und zu deren weiterer
Durchleuchtung anzuregen.

Heidelberg. Robert Winkler.

Koussidis, Prof. Ariftipp, Generaldirektor a. D. des
griech. Polt- u. Telegraphenwefens: ,Kehrt zurück zu

Gott.' Ein Verfuch, die Exiftenz Gottes und die Un-
fterblichkeit der Seele wiffenfchaftlich zu beweifen.
(40 S.) gr. 8°. München, Müller & Fröhlich 1921.

Grundzahl 0,5.

Entfernung der Menfchheit von Gott ift dem Verf.
die tieffte Urfache des Kriegs u. des Elends nach dem
Krieg. Darum möchte er die Menfchen wieder zu Gott
zurückführen, indem er erftens gegenüber dem Vorwurf
des Atheismus u. Pantheismus, dem Theismus widerfpreche
die Wiffenfchaft, nachweift, daß weder Aftronomie und
Kosmogonie noch Mechanik und Energetik noch Phyfik
und Chemie noch Mathematik noch Biologie noch Geologie
und Paläontologie noch Deszendenzlehre u. Darwinismus
noch Wahrfcheinlichkeitslehre noch Philofophie
in notwendigem Widerfpruch zum Theismus flehen; indem
er fodann zweitens pofitive Gottesbeweife verfucht:
den kosmologifch-kinetifchen, den kosmologifch-energe-
tifchen, den tele dogifchen, den ontologifchen, den mora-
lifchen Gottesbeweis, den Gottesbeweis aus der Unfterb-
lichkeit der Seele, endlich den Beweis aus dem consensus
gentium. Der Verf. befitzt achtbare Kenntniffe und die
Gabe der volkstümlichen Darbietung. Nur ganz feiten
verrät die Sprache, daß er kein Deutfcher von Geburt
ift. Die erfte Hälfte der Brofchüre (die indes ein Inhaltsverzeichnis
haben follte) verdient volle Zuftimmung, die
zweite Hälfte nur mit der Einfchränkung, daß ihre an
fich meift richtigen Gedanken keine ftrengen ,Beweife' find.
Binsdorf (Württbg.) Wilhelm Koch.

Foerfter, Fr. W.: Chriftus und das menfchliche Leben.

4.—10. Taufend. (VII, 352 S.) 8°. München, E. Reinhardt
1922. Grundzahl 3.
Der er ift, wurde F., wie bekannt, unter der Arbeit
an feiner Jugendlehre, die, aus dem Kreis der ethifchen
Kultur angeregt, entgegen diefem geiftigen Ausgangspunkt
, nun felbft alles tut, um die — vorher in ihrer
einzigartigen feelenbildenden Bedeutung verkannten —
chriftlichen Lebenswerte an die Herzen der ihnen entfremdeten
Jugend (und Eltern- und Erzieherwelt) heranzubringen
. Auch feine Methode ift feitdem feft geworden
und auf viele Gebiete des Kulturlebens angewandt: eine
Beobachtung aus dem täglichen Leben, eine wirkliche
oder doch mögliche Gefchichte zu Anfang, und dann
die Anwendung aufs Seelenleben des Einzelnen, verbunden
mit dem Hinweis, daß ohne Einfließen höherer
Kräfte der klar gefühlte Mangel nicht könne geftillt j
werden.

F. disponiert feine 133 Abfchnitte: A. Chriftus und I
die menfchliche Seele: 1. Die unfterbliche Seele. 2. Der
Wille zum Leben. 3. Gott. 4. Der Gottesfohn. 5. Chriftus
und die moderne Seele. B. Chriftus und das menfchliche
Leben: 1. Das Diesfeits und dasjenfeits. 2. Chriftus
und der Klaffenkampf. 3. Sinn und Anwendung der
Bergpredigt. 4. Chriftus und Caelar. 5. Frauenwürde
und Frauenbildung. 6. Selbfterkenntnis. ,Plato erzählt

von der jenfeitigen Heimat der Seele, Schopenhauer
fchildert die Selbftzerfleifchung der untern Welt: Das
Alte Teftament bringt beide Welten zufammen . . .:
Gottes Forderung an die Seele waltet riefengroß über
allen Wirren der Leidenfchaft; der Abfall der Seele von
diefer Forderung wird ebenfo riefengroß empfunden —
das alles hebt uns aus der Vielheit heraus und Hellt uns
vor die großen Grundentfcheidungen des Lebens' (80).
In Staat und Gefellfchaft ift das Alte Teftament dem
Neuen noch nicht genügend untergeordnet; ,all das, was man
,Aufrechterhaltung der Ordnung' nennt, ift noch zu wenig
vom Geift Chrifti gefegnet und nicht gründlich von roher
Nichtachtung derMenfchenwürde befreit'(265). ,Chriften-
tum ift Widerftand gegen das Böfe durch Vollbringen
des Guten. Chriftentum ift die nach innen
gewendete Tatkraft, ift eigenfte tieffte Bekehrung und
erft dadurch Bekehrung der andern! . . . Und ift es ein
Widerfpruch, wenn ich fage, daß gerade derjenige, der in
der Nachfolge Chrifti fteht, eben darum auch allein in
der Lage ift, die äußeren Mittel des Widerftandes ohne
Roheit und Härte in Anwendung zu bringen? Gilt nicht
auch hier das Wort, das alles erleuchtet: „Alles ift euer
— ihr aber feid Chrifti"?' ,Ehe die Produktionsmittel ver-
gefellfchaftet werden können, müffen die lebendigen
Menfchen vergefellfchaftet werden, müffen fie ihrer Selbft-
fucht und ihrem Eigenfinn den erften Anfang greifbarer
Verftändigung und Genoffenfchaft abringen, diefes ift die
Entwicklung des Sozialismus vom Abstrakten zum
Konkreten und ift die einzige Rettung aus der Auflöfung
aller Dinge durch den Geift des Krieges' (230). „Meinen
Frieden gebe ich Euch", fagt der Retter und will die
kindifche Aufregung der verletzten Eitelkeit und der gereizten
Befitzwut in den Einzelnen, in den Klaffen, in
den Völkern befchwören — das entfeffelte Triebleben
aber will den Krieg und haßt darum die himmlifche und
die irdifche Weisheit der Worte: Mt. 16, 25' (Schluß-
fatz 347).

Nicht zu Lob oder Tadel, nur als dürftiger Verfuch
einer Kennzeichnung flehen diefe wenigen Proben da,
zur Ergänzung der Überfchriften, die dem F.-Kenner
deutlich fprechen. Das Buch ift in feiner Art ein Zeugnis
. Zum erften Male handelt hier F. expressis verbis
von dem, was, ebenfo vorfätzlich, vorher stets nur den
Hintergrund feiner Darlegungen gebildet hatte. Auch
diesmal will er der entfremdeten Jugend und denen, die
in gleichem Mangel ftehn, Wegleiter zu Glaubensakt und
Glaubensinhalt hin werden, Propädeut, nicht mehr.

Als folcher geht er bewußt von unten her: aus dem
Gefühl des Entbehrenden werden die chriftlichen Inhalte
wiederzugewinnen gefucht. Der Weg ift, fovveit ihn ein
ganz anders geartetes Temperament nachgehen kann,
der Pascals. Ausgeprägt miffionarifch, wendet fich F.
an den Einzelnen als folchen. Er tut ihm die ganze quälende
Arbeit der Selbftfchau noch einmal vor, um ihn
feiner Täufchungen los und ledig _zu machen. Er gibt
heilende Gedankengänge, helfende Übungen an die Hand,
um obzusiegen, und er läßt ihn ahnen, daß in „der
Kirche" eine Summe von bewahrtem Heil- und Heils-
wiffen aufgefpeichert fei, das die hier mühfam erreichten
Erkenntniffe fchmerz- und fleckenlos in fich berge.

Der Katholik möchte die Konturen feiner Kirche
vom Schleier der Sehnfucht ungebührlich verhüllt finden.
Von Luther aus gehört, dem leider kein Zugang zu F.s
fonft fo vielerlei Anregungen verarbeitendem und verknüpfendem
Geifte vergönnt ift, mutet das eine Lied der
verirrten und heimwehkranken Seele, die es nach den
uralten Hallen ewiger Weisheit verlangt, feltfam abendmüde
an. Es ift fpätantik empfunden, wie aus dem allgemeinen
Verfall in Dumpf- und Rohheit noch einzelne
Seelen follen herübergerettet werden; fpätantik auch die
Form: Diatribe all die mannigfachen, oft gefundenen, faft
öfter gefliehten ad-hoc-Einkleidungen der Gedanken (als
folche der - kurzen - Greifenzeit des zu fich erwachen-