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Ausgabe:

1922 Nr. 21

Spalte:

462-463

Autor/Hrsg.:

Pfennigsdorf, Emil

Titel/Untertitel:

Wie lehren wir Evangelium? 1922

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 21.

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den eigenartigen Vorftellungsgehalt zurückgeht, der fich
mit ihnen mifcht. Zum anderen: Das religiöfe Grundgefühl
ift ein Erfühlen eines „ganz Anderen", fetzt alfo
eine Objektbezogenheit voraus. Damit kommt man aber
nach G. in Widerfpruch mit der Pfychologie, nach der
wir immer nur uns felbft fühlen. Auch hier bringe erft
die Vorftellung das religiös Wefentliche, eben das Ge-
richtetfein auf ein Objekt hinzu. Beide Einwände be-
ftänden zu recht, wenn Otto unter Gefühl eine Größe
der empirifchen Pfychologie, ein bloß mechanifches Ge-
fchehen der Seele verftehen würde. Otto hat aber immer
die Sinnhaftigkeit des religiöfen Erlebens im Auge, zu
der das pfychifche Gefchehen nur die reale Bafis abgibt.
Veranlaßt find die Einwände G.s freilich durch Otto felbft,
der durch eine pfychologifierende Terminologie den phäno-
menologifchen, finndeutenden Gehalt feiner Ausführungen
verdeckt. Die Kritik G.s kann recht wohl dazu dienen,
das eigentlich Bedeutfame der Ottofchen Leiftung heraus-
zuftellen und fie von dem letzten Reft des Fries'fchen
Pfychologismus, der zum minderten ihrer Terminologie
noch anklebt, zu reinigen.

Auch das religionsphilofophifche Problem des Ver-
hältniffes von Vorftellung und Gefühl kann die Abhandlung
klärend beeinfluffen. Wenn auch das einfeitige
Eintreten G.s für die Vorftellung von unferm evangelifchen
Standpunkt aus zu verwerfen ift, fo wird aus feinen Darlegungen
doch loviel deutlich, daß die Vorftellung, die
bei Otto recht in den Hintergrund tritt, doch auch eine
notwendige Ergänzung des religiöfeu Gefühls ift und
daß erft das vorftellungsmäßig geklärte und gedanklich
geläuterte Gefühl religiöfes Erleben im Vollfinn des
Wortes ift.

Heidelberg. Robert Winkler.

ethifch-politifch gehalten; weiter Blick und gerechte Abwägung
erfreuen. Nr. 2 geht nicht ganz kurz auch auf
die fyftematifche Theologie ein und bringt u. a. fehr lefens-
werte, wenn auch knappe Formulierungen über die große
idealiftifch-myftifche Welle der Gegenwart, über Spengler
und Steiner.Nr 3 war mir befondersintereffant, weil ich hier bei
aller Zuftimmung zum wefentlichen Ergebnis (Ablehnung
der Weltfriedensidee') doch oft anders formulieren würde
Darf man fagen, daß das Chriftentum den Krieg „als ein
Element der gottgewollten natürlichen Weltordnung" anfleht
(S. 58)? Oder: daß das Chriftentum das Ideal des
Weltfriedens als Chimäre verwirft (S. 63)? Nr. 4 ift be-
fonders gedankenreich; einem breiten Hörerkreis wird der
Vortrag etwas fchwer gewefen fein. Nr. 5 ift bei einem
Kurfus für Seelforger gehalten. Das jetzt wieder aktuelle
Problem der leiblichen Wunderheilung wird nur kurz
behandelt (S. 102f.): Sch. verwirft dabei alles Syftemati-
fieren ; er bejaht die Möglichkeit, daß ein Glaubensmenfch
auftritt, dem Gott in fchlechthin freier, unberechenbarer
Weife mit der Heilkraft feines Geiftes zur Verfügung
ftände. Der Ton fällt aber nicht auf diefe Möglichkeit,
fondern auf die Gabe des Geiftes Gottes, der im Glauben
das erneuerte innere Leben fchenkt und dadurch
pfychologifch auch auf das Leibesleben umbildend oder
heilend einwirkt. — Die äußere Form vertrüge manchmal
noch eine Feilung; der klar gefaßte reiche Gehalt
an tiefgreifenden Gedanken aus fehr verfchiedenen Lebensgebieten
macht die Sammlung zu einer feffelnden
und fruchtbringenden Lektüre.

Gießen. M. Schian.

Pfennigsdorf, Prof. D. E.: Wie lehren wir Evangelium?

Ein Methodenbuch auf pfychologifcher Grundlage für
die Praxis des Religionsunterrichts in Schule und

Meurer, Waldcmai: irtWUTenrohaft überhaupt möglich? (IX, 279 S.) Kirche. (XII, 287 S ) 8°. Leipzig, A. Deichertfche

8». Leipzig, F. Meiner 1920. Grundzahl 5,5; geb. 7.5 Verlagsbuchhandlung 1921. Grundzahl 6; geb. 7,5

Der Form nach enthalt das Buch ein weit ausgefponnenes Gelprach t-,__-i 7__r -i. ____A __t r j- r? ni

de. Vertaner, mit Gelehrten wie W. Wundt, E. Becher und anderen, .AT,Der Ve,r.f- Ej* .ZUerft/ Antwort auf die Präge: Was
die die Pofitionen von Richert, Liebert, Dilthey, Meffer, Fries u. a. ver- 1 lt Evangelium? Hieraul eine p 1 y ch01 Oglfche Grundtreten
. In dialogifcher Form verficht M. dielen gegenüber eine ver- j legung des Unterrichts, in der er einerfeits die (von
neinende Antwort auf die im Titel geftellte Frage. — Sachlich ift das j jnm für normal gehaltenen) Stufen der Erlebung des
Buch als Zeichen der Zeitftrömung zu betrachten, die als Reaktion gegen ; i.:vangei:ums von der empfangenen Lehre bis zur geübten
den Intel ektual smus und gegen eine fich felbft uberfchatzende Wiffen- I „ b , , r .. ,. rT P , . .

fehaltkS In eingehenden Auseinander. | Tat_ Und »^«/dtS die Lebensbeziehung der indlVldu-

fetzungen mit anderen erkenntnistheoretifchen Standpunkten, auf die hier
leider nicht im einzelnen eingegangen werden kann, kommt M. zu dem
Refultat: 1. Wiftenfchalt ift nicht fo unabhängig von Gefühlseinflüffen
und perfönlichen Erlebniflen, wie fie es fein müßte, wenn fie ihre Objektivität
beweifen will. 2. Sie beruht auf Einfichten, die nicht weiter
abzuleiten find. Das Selbftbewußtfein und die Empfindungen find gegebene
Daten, über die man nicht hinauskommt. M. verlangt, die
VVitfenfchaft müßte gleichfam aus fich oder über fich hinaustreten, um
von einem jenfeits der Witlenfchalt gelegenen Standort aus ihre eigene
Objektivität zu begründen. Da dies nicht möglich ift, „drängt fich die
Einficht auf: Wiffenfchaft ift unmöglich" (S. 261) —. Trotz vieler inter-
effanter Einzelauseinanderfetznngcn bleibt das Buch im Ganzen unbefriedigend
, weil es mit einer reinen Negation und ungelöften Frage
fchließt. Zuerft werden überlpannte Anforderungen an die Objektivität
einer fich felbft und alle als wahr auftretenden Behauptungen des Lebens
tragenden WilTenfchal'tlichkeit geftellt (S. 16), und dann nur negativ gezeigt
, daß diefe nicht erfüllt werden können. Zur Ergänzung müßte ein
zweites Buch gefchrieben werden, das pofitiv zeigt: Alle Wiffenfchaft
ift in das Ganze des Lebens einzuordnen; fie lebt mehr oder weniger
von nichtwitfenfchaftlichen Elementen. Es müßte dann gezeigt werden,
welche pofitive Bedeutung die Wiffenfchaft für die Klärung der Tatfache
des Lebens hat, und wie fich Rationales und Irrationales zu einander
verhalten. Die erden Anfänge diefer Selbftbefinnung find in M.s Buch
zu begrüßen.

Bafel. • Johannes Wendland.

Schaeder, Prof. D. Erich: Öffentliches Leben und Glaube.

Reden u. Auffätze. (108 S.) 8°. Leipzig, A.Deichert
1922. Grundzahl 2

Der Titel deckt mit nicht ganz gleichem Recht 5 Reden
: 1. eine Reichsgründungsfeierrede (Reich und Volk),
2. eine Rektoratsrede (Univerfität und Volk) und 3 Vorträge
: 4. Chriftentum und Weltfriede, 5. Schleiermacher
als religiöfer Wegweifer für die Gegenwart, 6. Die Heilkraft
des Glaubens für Leib und Seele. Nr. 1 ift

eilen Frömmigkeit zur chriftl. Gemeinde befchreibt. Er
rückt hierauf den religiöfen Unterricht in das Licht der
Kindheits- und Jugendpfychologie, um fodann den
grundfätzlichen Aufbau des Lehrverfahrens unter
Ablehnung der Herbart-Zillerfchen Formalftufen aus der
Eigenart des Evangelium-Stoffes zu entwickeln. Der
2. Hauptteil bietet die fpeziellen Methoden für bibl.
Gefchichte, Spruch und Gleichnis, Pfalm u. Kirchenlied,
Katechismus, Kirchengefchichte u. Weltanfchauungsfragen.

Das Buch hat feine unbeftreitbaren Vorzüge. Daß der
Verf. die weitverzweigte Literatur genau kennt, ift felbft-
verftändlich. Er hat auch von der neuen Jugendpfychologie
deutlich fpürbaren Gewinn gezogen. Gegen die un-
pfychologifche, fpeziell unjugendliche, rationelle Stoffbebehandlung
der alten „Katechetik" bedeutet das Buch
einen großen Fortfehritt, den man an der Behandlung
des Katechismus mit Befriedigung feftftellt. Auch inhaltlich
zeigt z. B. die Erörterung der Weltanfchauungsfragen
viel Gutes; man merkt, daß Pf. fich hier auf feinem Lieblingsgebiet
bewegt. Vor allem aber ift der methodifche
Leitgedanke richtig, daß nämlich die Art der Behandlung
nicht von außen an den Stoff heranzubringen fei
(die 5 Formalftufen), fondern aus dem Gegenftand er-
wachfen müffe. Mit Recht ftellt der Vf. deshalb auch
das Kapitel ,Was ift Evangelium?' an den Anfang.

Hier beginnt deshalb aber auch gleich mein Widerfpruch
. Das Evangelium ift immer noch viel zu fehr
/Lehre' von .Heilstatfachen', ftatt Brunnquell perfön-
licher Kräfte: „Das Evangelium tritt als Lehre ... an den
Lernenden heran" (65). „Ift die biblifche Gefchichte
Heilsbotfchaft, fo kommt alles darauf an, daß das Kind