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Ausgabe:

1922 Nr. 21

Spalte:

458

Autor/Hrsg.:

Lenckner, Fritz

Titel/Untertitel:

Das Recht am altwürttembergischen evangelischen Kirchengut 1922

Rezensent:

Sehling, Emil

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457

Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 21.

458

wegen der Militärdienftfrage zuineift ausgewandert (zu
S. 69); bei den holländifchen Mennoniten hätte vielleicht
erwähnt werden können, daß fie die Pfarrerin kennen.

Das Buch von Hylkema, dem Verfaffer des bekannten
zweibändigen Werkes „Reformateurs", gibt eine tief er-
fchütternde Leidensgefchichte, die man um fo mehr lefen
follte, als allerlei unkontrollierbare Gerüchte über die
Zuftände in der Ukraine (um die handelt es fich, die Gemeinden
in der Krim hatten wenig zu leiden, und die
Kolonien im Kaukafus flüchteten) umliefen. Punkt für
Punkt werden die Etappen, deren eine ganze Reihe find,
eine noch fchlimmer als die andere, vorgeführt. Diefe
ruffifchen Mennoniten flammen aus Holland, flüchteten
vor Karl V. nach Danzig und von dort, angelockt durch
Katharina II., nach der Ukraine; fie find gute Ruffen geworden
und haben z. B. als deutfche Gefangene Sonderbehandlung
vor den übrigen Ruffen abgelehnt. Die ihnen
ftaatlich zugeficherte Militärdienftfreiheit (an Stelle des
Waffendienftes trat Aufiforftungsarbeit von entfprechender
Dauer) ift von der zariftifchen Staatsgewalt nicht durchbrochen
worden; zahlreiche Mennoniten haben als Krankenpfleger
gedient. Nebenbei bemerkt lieft man S. 27 die
für die Frage der Kriegsfchuld fo wichtige Bemerkung,
daß zwei Tage vor der offiziellen Kriegserklärung die
Mobilifation für das ganze Zarenreich verkündigt wurde!
Der Forfldienft ift aber während des Krieges um der
mangelnden Lebensmittelzufuhr willen ein fehr fchwieriger
gewefen. Aber die eigentliche Leidenszeit begann erft
mit Ausbruch der Revolution, Soldatenräte kommandierten
die Mennoniten an die Front, und die Haßpolemik
gegen die „deutfchen'' Koloniften fetzte verftärkt ein,
deutfche Sprache wurde verboten und dergleichen, das
Land liquidiert, d. h. zum Spottpreis verfchleudert. Durch
die neue Organifation des „Allgemeinen taufgefinnten
Kongreß", eine Art mennonitifches Parlament, fliehte
man die Not nach Kräften zu lindern, aber die fürchter-
lichften Greueltaten der Bolfchewiften, für die zahlreiche
Belege geboten werden, konnten natürlich nicht gehindert
werden. Mit Genugtuung lieft man, daß die deutfche Be-
fetzung von April bis November 1918 „wie eine Befreiung
von unferen Gemeinden empfunden" wurde. Nach
dem Abzug der Deutfchen „befcnloffen viele von unferen
jüngeren Brüdern nach den Waffen zu greifen"; den Greueln
gegenüber ging es nicht anders. Man wird an die
lchlimmften Zeiten mittelalterlicher Ketzerverfolger oder
altchriftlicher Märtyrer erinnert angefichts der fchlichten
Worte: „das alte Jahr 1919 war fchrecklich gewefen, da
war faft kein Mut mehr, in das neue zu gehen". Wundervoll
dem gegenüber die helfende Liebe! Weit über die
Kreife der Glaubensgenoffen hinaus, „die Quäker find die
erften gewefen, die mit großer Güte den ruffifchen Taufgefinnten
geholfen haben."

Zürich. W. Köhler.

Baumgarten, Otto: Bismarcks Religion. (Die Klaffiker
der Religion, herausgegeb. von Guftav Pfannmüller,
16. Band) (153 S.) kl. 8°. Göttingen, Vandenhoeck
u. Ruprecht. 1922. Grundzahl 1,6; geb. 2,8

Der Verfaffer bietet dem Zweck der Sammlung ent-
fprechend Bismarck-Zitate, die er fo einteilt: L Aus Brieten
an die Braut und Gattin. IL Aus anderen Lebensäußerungen
. i.Zeugniffe perfönlicher Religiöfität, 2. Zeug-
niffe religiös beftimmter Sittlichkeit, 3. Urteile über Politik
und Chriftentnm. III. Bismarcks Reflexionen. 4. Letzte
Äußerungen. Eine Einleitung von 18 Seiten geht voran.

Im wefentlichen hat Baumgarten den lutherifchen
Typ der Bismarckfchen Religiöfität u. E. richtig erkannt:
„Die Religion als Wirklichkeit, als die in Gott ruhende
Kraft, unendliche Verantwortlichkeit auf fich zu nehmen."
(S. 5). Er fleht auch, wie uns fcheint, verftändnisvoller
als in feinen bisherigen Veröffentlichungen der eigentümlichen
Verbindung von „Glaube an eine göttliche Weltordnung
im chriftlichen Sinn und an die Zukunft des

Vaterlandes" (S. 12) bei Bismarck gegenüber. Das gilt
auch in bezug auf das Verhältnis von Politik und Chri-
ftentum: „Ständig hat B. im Gehorfam gegen feine verantwortliche
Aufgabe den Kampf gegen die fentimentale
Privatmoral feines edlen Monarchen zu führen, der in der
Politik ein privatrechtliches Gefchäft mit dem Moralkodex
in der Hand fah. Jeden Sieg in der preußifch-deutfehen
Frage hat er dem vermeintlich idealeren Sinn des Königs
abgerungen." (S. 14). Das find Gedanken, über die meint
eine verhängnisvolle Unklarheit herrfcht. In derfelben
Richtung läßt fich die bekannte Antwort an Andrae Roman
(S. 8 bzw. 99) noch fttärker auswerten.*)

Im einzelnen ift zu lagen, daß die Auswahl der Bismarck-Worte
den Kenner zeigt, wenn auch natürlich das eine oder andere wichtige
Wort von diefem oder jenem vermißt werden kann. Gewundert haben
wir uns, daß nicht der feit 1915 bekannte volle Wortlaut des Werbe
briefes mit feinen für Bismarcks Religion und Sittlichkeit fehr wichtigen
Sätzen abgedruckt ift. Zu beanftanden ift auch, daß der Brief-
wechfel des Generals v, Gerlach mit dem Bundesgefandten O. v. B.,
Berlin 1893, als Quelle benutzt ift, ftatt der authentifchen, von H. Kohl
herausgegebenen Briefe beider.

Bei der Berührung von Bismarcks Stellung zur Inneren Miffion
(S. 9 bzw. 152 f.) vermiffen wir ein erklärendes Wort. Ohne ein fol-
ches reimt fich Bismarcks fchroffe Ablehnung der Inneren Miffion
fchwerlich mit der „chriftlich motivierten Sozialreform" (S. 117) zu-
fammen. Letztere fo wie überhaupt Bismarcks Innere Politik kommt
bei Baumgarten etwas zu fchlecht weg.

Im ganzen erfüllt das Büchlein aber feinen Zweck.
Es führt in Bismarcks innerftes Wefen, in feine eigenartig
reiche Perfönlichkeit gut ein. Gerade unferer Zeit
kann eine eindringende Befchäftigung mit feinem Werk,
Worten und Wefen gar nicht genug empfohlen werden.
Potsdam. C. Schweitzer.

Lenckner, Rechtsanw. Fritz: Das Recht am altwürttem-
bergifchen evangelifchen Kirchengut. (V, 68 S.) 8°. Stuttgart
, W. Kohlhammer 1919.
Vermögensrechtliche Fragen des Kirchenrechts haben
fehr oft ihren Urfprung in der Frage, wer der Eigentümer
dem Kirchengute fei. Diefe Frage ift für die proteftan-
tifche Kirche in Folge der Vorgänge bei der Reformation
und in Folge der Verbindung mit dem Staate mit ihren
Nebenerfcheinungen von jeher ebenfo intereffant, wie
fchwierig gewefen. Auch in Württemberg ift dies der
Fall. Der Verf. verfucht in durchaus fachgemäßer und
hiftorifch gründlich fundierter Weife eine Löfung.
Erlangen. E. Sehling.

M eurer, Prof. D.D. Chriftian: Bayerifches Kirchenvermögensrecht
. III. Bd.: Die Rechtsfähigkeit u. Baulaft auf dem
Gebiet der Kirche in Bayern. (XVI, 740 S.) gr.8°. Stuttgart
, F. Enke 1919.
Mit diefem dritten Bande von über 700 Seiten hat
das gewaltige Werk, das Lebenswerk des höchft verdienten
Gelehrten feinen Abfchluß gefunden. Ohne mich
auf Einzelheiten einzulaffen, will ich nur ganz im Allgemeinen
feftftellen, daß auch diefer Band die ganzen Vorzüge
der früheren Bände befitzt. Er ftellt befonders
eingehend die Baupflicht dar.

Es ift natürlich mißlich, in Zeiten, wie den unfrigen,
Materien zu hehandeln, die fo enge Verbindung zu Grundlagen
haben, die wie das Verhältnis von Staat und Kirche
der Umwälzung und Neugeftaltung ausgefetzt find. Und
vieles, was das Werk bringt, ift daher bereits überholt.
Das Meifte hat aber feine Geltung noch nicht verloren.
Unter allen Umftänden aber behält das große Werk eine
bleibende hiftorifche Bedeutung zugleich als Unterlage
für Weiterbildungen.

Das ,Bayerifche Kirchenvermögensrecht' Meurer's ift
und bleibt ein Ruhmes-Denkmal deutfeher Gelehrfamkeit,
für deffen Vollendung die Kirchenrechtswiffenfchaft dem
Verfaffer zu ewiger Dankbarkeit verpflichtet ift.

Erlangen. E. Sehling.

*) Vgl. des Referenten: Bismarcks äußere Politik u. fein Ghri
ftentum. Preuß. Jahrb. 1922. Märzheft.