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Ausgabe:

1922 Nr. 20

Spalte:

438-439

Autor/Hrsg.:

Braun, Joseph

Titel/Untertitel:

Liturgisches Handlexikon 1922

Rezensent:

Smend, Julius

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 20.

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fchen Volks, feiner weitgehenden Kirchenfeindfchaft, feines
fittlichen Tiefftandes, feiner politifchen Hoffnungs-
lofigkeit. Aber gerade in der Furchtbarkeit diefer
Gegenwart glaubt er eine Stunde Gottes zu erleben: Die
Kirche in Deutfchland werde jetzt eine bewußte Kirche,
eine miffionierende Kirche, eine Kirche der Innerlichkeit,
eine Kirche der Jugend. Man freut fich diefer Zuverficht
eines Jüngeren, auch wenn man die erfreulichen Anzeichen
, auf die er mit Recht hinweift, minder hoch ein-
fchätzen muß als er. Beachtenswert ift, was K. über die
Theologie fagt. Zu den Dingen, die für die meiften von
uns klein geworden find, gehören auch fehr viele „theologifche
Klugheiten" (S. 15). Die Theologie mache zur Zeit
einen „akuten Konzentrationsprozeß" durch (S. 15); alles
drehe fich ihr um zwei Punkte: „die Majeftät Gottes und
die Armfeligkeit und Not der Menfchheit". Bei diefem
Urteil fpricht K.s eigene Stimmung ftark mit.

R. Seeberg hat ein Einzelproblem —Judentum und
Antifemitismus — in forgfältig unterscheidender Weife
behandelt. Das Judentum als „geiftige Tendenz" bedeutet
die Auflöfung des gefchichtlichen nationalen Lebens
der Völker durch Rationalismus und Materialismus und
durch die Zerftörung der objektiven Inhalte des geiftigen
Lebens. Diefes Judentum ilt für S. der Todfeind jeder
wirklichen Kultur und jedes geiftigen Fortfehritts. Aber
eben in diefem Sinn greift es weit über die Raffe hinaus.
Seine Art macht den Antifemitismus verftändlich. Aber
es gilt keinen Raffenkampf, fondern einen moralifchen
Kampf, deffen Ziel Wiederherftellung und Ausbreitung
des deutfehen Idealismus fein muß. Vor allem gilt es
nicht Kampf gegen die einzelnen Juden, fondern gegen
das Judentum als „Ferment der Dekompofition". Die
Kirche darf keinen Antifemitismus treiben (hat es auch
nie getan); doch ift es ihr Recht und Pflicht, zu gegebener
Zeit auch gegen die verderblichen Zeugniffe des Judentums
ihr Zeugnis abzugeben. Sofern der Antifemitismus
das Alte Teftament angreift, hat fie auch gegen
ihn zu kämpfen. Ich finde in dem fehr wertvollen Vortrag
faft alle Gedanken zur Sache, die mir wichtig fchei-
nen, und zwar in fo fein abwägender Form, daß ich die
Lefüng Antifemiten wie Philofemiten dringend empfehlen
möchte. Daß S. klar ausfpricht, daß auch „zahllofe Chatten
und Germanen" an der geiftigen Richtung des Judentums
beteiligt find, ift dankenswert: mir kommt dabei
freilich die fehr ernfte Frage, ob es unter diefen
Umftänden noch richtig ift, die ganze Richtung als die
„des Judentums" zu bezeichnen. Und ob nicht auch die
Kirche dem Antifemitismus eine Kritik, wie S. felbft fie
gibt, widmen follte?

In der deutfehen Revolution fieht Hartmann einen
„wenn auch noch fo fchwachen" Hinweis auf eine Kulturwende
. Die Kultur der Autorität wendet fich zur
Kultur einer neuen echten Freiheit; das Zeitalter des
Materialismus wird abgelöft und eine Zeit erneuter, ge-
fteigerter Geiftigkeit heraufgeführt; an die Stelle begrifflicher
Erkenntnis tritt die Einfühlung (Beifpiel: das jefus-
bild); an die Stelle der Kritik die Wandlung zu Verftändnis
und Liebe. Alles das klingt ganz gut; nur fleht es leider
mit den Tatfachen in kraffem Widerfpruch. Die
Freiheit war nie geringer als dort, wo das „neue" Deutfchland
in Erfcheinung tritt; der Materialismus niemals ftär-
ker; das Verftändnis des Anderen ift gerade bei den
Trägern des revolutionären Gedankens ganz minimal.
Man flaunt über den Dogmatismus, der die Zeit fo fieht,
wie er will, nicht wie fie ift. In dem Kapitel „Götzen
und Gott" liehen intereffante, wenn auch keineswegs
überall zutreffende Urteile über allerhand modernfte Er-
fcheinungen auf religiöfem Gebiet; hier findet man immerhin
mehr als revolutionsbegeifterte Wirklichkeitsfremdheit.
Gießen. M. Schian.

Schian, Prof. D. Dr. Martin: Die Arbeit der evangelifchen

Kirche im Felde. (Die deutfehe ev. Kirche im Weltkriege
, 1. Bd.) (XII, 570S.) gr. 8". Berlin, C. S. Mittler
& Sohn 1921. M. 48.—; geb. M. 60—.

Das umfangreiche Werk ift eine mit ganz erftaun-
lichem Fleiß und großer Liebe gefchriebene Arbeit über
die evangelifche Feldfeelforge im Kriege. Der leichtfertige
Ankläger, der von dem Vertagen des deutfehen
Proteftantismus im Feld zu fprechen gewohnt ift, muß
verftummen, wenn er hier die ausgedehnte opferfreudige
Arbeit der deutfeh-evangelifchen Kirchen im Zufammen-
hang kennen lernt. Von der fich immer mehr vergrößernden
Organifation der Militärfeelforge an über die
praktifche Arbeit im Gottesdienft, Predigt, Abendmahl,
Beerdigung, Einzelfeelforge, Schriftenverbreitung ufw. über
die feelforgerifche Arbeit an den Verwundeten, an den
I lilfsdienftpflichtigen, an der Zivilbevölkerung der befetzten
Gebiete bis zur Marinefeelforge, der Arbeit an Kriegsgefangenen
und in Soldatenheimen wird jede, die kleinfte
und größte Betätigung der evangelifchen Kirche gewürdigt
. Als Nachfchlagewerk ift das Buch unerletzlich.
Von den äußerlichften Fragen nach der Dienftkleidung
und Verpflegung der Pfarrer bis zu den innerlichften
Problemen der PredigtgeHaltung und der Einzelfeelforge
bei Offizier und Mann, von all dem wird auf Grund genauen
Materials mit Quellenangabe berichtet. Vor allem find
es Darftellungen von Feldgeiftlichen aller Frontabfchnitte,
die dem Werk zu Grunde liegen. Auch der viel herumgeworfene
Kriegsteilnehmer erfährt dadurch viel ihm
bisher Unbekanntes.

Schian hat mit feinem Material alles geleiftet, was
möglich war. Uber eine Tatfache aber kann auch die
liebevolle Einfühlung nicht wegtäufchen: Schian war nicht
an der Front und feine Berichte find von Feldgeiftlichen,
deren geiftige Diflanz vom Frontfoldaten von allen Ein-
fichtigen felbft anerkannt wird. So ift dem ganzen Buch
die eigentlich drückende Not, unter der im Krieg der
Soldat mit der Waffe, foweit er evangelifcher Chrift oder
gar Theologe war, litt, nicht gefehen. Von allen Seiten
flößen auch Schian und feine Quellen auf diefe Frage,
bei der Unterfuchung über die religiöfe und fittliche
Haltung des Heeres im Kriege, bei der Frage nach dem
Inhalt der Predigt, bei dem Bericht über die Stellung
des Feldgeiftlichen zu dem fozialen Unterfchiede im Heere,
zu den Offizieren und öfters. Hier liegt auch der berechtigte
Kern der Phrafe vom Verfagen des deutfehen
Proteftantismus. Schian hat nicht gefehen, und es kann
das nicht ein Vorwurf fein, daß fich im erften Kriegsjahr
ein neuartiger evangelifch-chriftlicher Frömmigkeitstyp
im Heere bilden wollte, der fich von dem kirchlichen
Dogmatismus und dem ethifchen Patriotismus der meiften
Feldprediger deutlich abhob. Die eigentümliche Mifchung
aus Schickfalsglauben, Heroismus und Gnadenbewußt-
fein, befonders bei den jüngeren Kriegsteilnehmern war
eine Wirklichkeit, die von vielen, auch älteren Frontfoldaten
freudig geahnt wurde, der die alten Standes- und
Überzeugungsgegenfätze vernachläffigte und vielleicht
über die Krife, vor der auch Schian und nach ihm die
evangelifche Seelforge machtlos ftand, hätte hinweghelfen
können. In diefem Zufammenhang ift es wefent-
lich, daß Schian und feine Gewährsmänner von der auch
religiös befonderen Lage der Kriegsfreiwilligen nichts zu
berichten wiffen.

Bonn. Schmidt.

Braun, Prof. Jofeph, S.J.: Liturgifches Handlexikon. (344 S.)
kl 8°. Regensburg, Köfel u. Puftet 1922.

M- 35—; geb. M. 57.—
Dies knappe und zuverläffige Nachfchlagewerk, bisher
einzig in feiner Art, wird viel begehrt fein. Es berück-
fichtigt nicht nur alle neueften Beftimmungen der Päpfte
und der Congr. Ritt., fondern auch alles Bedeutfame hin-
fichtlich des griech. Ritus. Befonders wertvoll ift der
dreifache Anhang: bisher veröffentlichte handfchriftl.
liturg. Texte, Schriften der mittelalterl. Liturgiker, nach-