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Ausgabe: | 1922 Nr. 20 |
Spalte: | 425 |
Autor/Hrsg.: | Jones, Maurice |
Titel/Untertitel: | The Four Gospels. Their literary, history and their special characterists 1922 |
Rezensent: | Dibelius, Martin |
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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 20.
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befondcrs Harper's im Int.Crit.Com., an Text und Ideengehalt des Buches
Hofea verwendet, vgl. bes. Teil II, Kap. II und III. Dabei lagt er gewiß
manches, was beherzigenswert ift. Aber m. E. verfällt er mit
feinem Konfervatismus und feiner ftark fpiritualifierenden Exegefe in
den entgegengefetzten Fehler. So wenn er feine Hypothefe von der
inneren Einheit von Kap. 1—3 und von dem logifchen Fortfehritt der
religiöfen Idee da^n (aus den Tiefen der Sünde und göttlichen Strafe aufwärts
zum feiigen Genuß im Schauen des Gnadenantlitzes Gottes)
abfchließt mit dem Urteil: to think otherwise is almost sacrilegel
Die textkritifchen Noten am Schluß (S. 126—151) werden den
Problemen, die der ftark verderbte mass. Text ftellt, nicht ganz gerecht.
Jena. Staerk.
Jones, Maurice, D.D.: The Four Gospels. Their literary,
history and their special characteristics. (VI, 122 S.)
kl 8°. London, Society for Promoting Christian Knowledge
1921. 6 sh
Eine popularifierende Darftellung der Evangelien-
forfchung gemäßigt kritifchen Standpunktes. Die Zwei-
Quellentheorie wird zugrunde gelegt; die „rückläufige
Bewegung" der Kritik wird bejaht, doch werden Mt u. Lk
nach 70 angefetzt. Manches ift recht anfehaulich und
gut lesbar gefchildert; fo werden die ftiliftifchen wie die
fachlichen Veränderungen, die der Mk-Text bei Mt erfährt
, gut charakterifiert; auch werden die Gründe für
und wider die Tradition von der Abfaffung des vierten
Evangeliums durch den Zebedaiden mit Befonnenheit und
Unparteilichkeit erwogen. Wenn der Verf. fich, freilich
etwas zögernd, für die ,Echtheit' entfeheidet — allerdings
lediglich aus dem zweifelhaften Grund, weil er fonft auf
die Frage nach dem Autor keine Antwort weiß ■—, fo
fchränkt diefes Urteil doch feine Sachkritik am vierten
Evangelium keineswegs ein. Freilich verbaut er fich den
Weg zu mancher fruchtbaren Erkenntnis dadurch, daß
er das Problem der vor den Evangelien liegenden Tradition
nicht aufrollt. Er fleht noch völlig auf dem Standpunkt
der individualifierenden Evangelienkritik, und führt
gern auf perfönliche Erinnerungen, auf Einflüffe des Paulus
(bei Lk) oder Petrus (bei Mk) zurück, was Eigentümlichkeit
der alten oder weitergebildeten Tradition ift.
Und fo erklärt es fich, daß er zuftimmend ein Urteil
über Mk zitieren kann, das denn doch durchaus ein Fehlurteil
ift: das Mk.-Ev. enthalte „priceless first impressions
of the life of Christ."
Heidelberg. Martin Dibelius.
Leifegang, Hans: Pneuma Hagion. Der Urfprung der
fynopt. Evangelien aus der griech. Myftik. (Veröffentl.
d. Forfchungsinftituts f. vergl. Religionsgefch. a. d.
Univ. Leipzig Nr. 4). (VI, 150 S.) gr. 8°. Leipzig,
J. C. Hinrichs 1922. M. 96—.
Der Verfaffer meint erweifen zu können, daß alle
Stellen der synoptifchen Evangelien, in denen „vom Hl.
Geilte als eines (fic) das Leben und die Lehre Jefu
tragenden Faktors die Rede ift, gar nicht zum urfprüng-
lichen, auf paläftinenfifchem Boden erwachfenen Evangelium
vonjefus gehörten", fondern aus dem helleniftifchen
Chriftentum flammen und auf die griechifche Myftik zurückzuführen
find (S. 5). Er unterfucht zueilt die Ge-
burtsgefchichten. Da in Lk 1 der Geilt nicht nach
volkstümlich femitifcher Vorftellung als Perfon gedacht
fei, fondern als Kraft der Weisfagung und zugleich der
übernatürlichen Befruchtung, fo fei Lk von helleniftifchen
jc vtviia-AnCchauungen abhängig. Wichtig und wertvoll
ift hier der ausführliche Nachweis, daß „in der Vorftellungs-
welt der Griechen ein fefter gedanklicher Zufammenhang
beftand zwifchen der Verleihung des jcvev/ia 7CQo<pifiixov
und der übernatürlichen Empfängnis eines Weibes durch
dasfelbe jcvtvfia, eine Empfängnis, die zur Geburt eines
Gottesfohnes führt" (S. 32). Für die Gefchichte der Myftik
, auch der chriftlichen, find folche Zufammenhänge
zwifchen den Vorftellungen von Infpiration und von
fexuellen Vorgängen von großer Bedeutung; ob es freilich
richtig ift, die helleniftifchen Vorftellungen diefer
Art alle aus innergriechifcher Entwicklung abzuleiten,
bezweifle ich ftark. Der fpringende Punkt der Argumentation
ift aber die Frage, ob in Lk 1 wirklich ein Zufammenhang
zwifchen dem Geilt als nvtviia nQorpnxixöv
und als Kraft der Befruchtung vorliegt. Es ift in E. nicht
der Fall. Was in Lk 1, von V. 34—37 abgefehen, vom
Geilt gefagt wird, geht wohl nicht über altteftamentlich-
jüdifche Anfchauung hinaus; ferner wird weder Maria
als pneumatilche Prophetin vorgeftellt (felbft wenn V. 46fr.
in ihren Mund gehört), noch Jefus, der wunderbar Erzeugte
, als Prophet, wie es nach den Analogien fein
müßte. Vor allem aber find die Verfe 34—37 (bzw. 35),
die das Motiv der wunderbaren Zeugung enthalten, wahr-
Icheinlich eine Einfügung in die Vorlage, fodaß der von
L. behauptete Zufammenhang gar nicht befteht. M. E.
(lammt das Motiv der übernatürlichen Zeugung bei Lk
wie bei Mt aus einer fehr viel primitiveren Sphäre als
es die helleniftifche Myftik ift, und es fcheint mir fehr
künftlich, zumal Mt J, 18—21 aus grob mißverftandener
und femitifchem Volksglauben angepaßter griechifcher
Pneuma-Spekulation zu erklären (S. 69L).
Im zweiten Stück behauptet L., daß die Geift- und die Feuertaufe
Mt 3, 11 = Lk 3, 16 gleichbedeutend feien, und daß fich auch
darin die griechifche Pneuma-Anfchauung zeige. Auch hier ift wertvoll
der Nachweis der Vorftellung vom Feuercharakter des nvtvfia in
der helleniftifchen Myftik. Für Mt 3, 11, Lk 3, 16 ift freilich damit
nichts bewiefen. Es müßte doch vorher die Frage beantwortet werden,
woher Mt und Lk die Vorftellung von der Feuertaufe haben, und warum
diefe Mk i, 8 nicht genannt ift. Stammt die Vorftellung bei Mt
und Lk aus der Spruchquelle, fo dürfte zweifelhaft fein, daß fie im
Sinne helleniftil'cher Myftik zu verliehen ift und nicht vielmehr als Taufe
mit dem Gerichtsfeuer, was im übrigen durch den Zufammenhang der
von der Spruchquelle gebotenen Täuferpredigt als das Gebotene er-
fcheint. Jedenfalls ift L.'s Einwand gegen diefe Interpretation nicht
richtig: Der Sinn der Taufe fei der, neue Gläubige zu fehaffen (S. 73);
denn das ift doch ficher nicht der eigentliche Sinn der Handlung, vielmehr
gehört zum Sinn der Taufe gerade auch das, was L. ablehnt, daß
fie nämlich eine Vernichtung, ein Sterben bewirkt (vgl. Mk 10,38!'.;
Lk 12, 50 ctc). Wie alt diefe Vorftellung von der Taufe ift, ift eine
andere Frage, von deren Beantwortung die Entfcheidung über den Sinn
der Feuertaufe letztlich mit abhängig ift; die Antwort ift aber nicht
durch den Nachweis des Zufammenhangs von nvevna und nvg im
Griechentum gegeben.
Bei der Untcrfuchung der Taufe Jefu *geht L. von zwei apokryphen
Fragmenten aus, die er, wie meid üblich, dem Hebräerevangelium
zufchreibt, deren Zufammcngehörigkeit aber fraglich ift (vgl,
A. Schmidtke, Neue Fragmente und Unterf. z. d. judenchriftl. Evglien
1911). Ihre Kombination muß bei L. das Recht erweifen, in dem fons
omnis Spiritus saneti, der bei der Taufe auf Jefus herabkommt, die
Mutter Jefu zu fehen. Sie ift das weibliche Glied einer Göttertrias,
was dadurch erwiefen wird, daß in der jungen gnoftifchen Legende des
„Berichtes von dem Religionsftreit im Perlerland" die mit Hera und
Urania identifizierte Maria als 7r»y// erfcheint. Diefe Göttertrias ift
älter als die Evangelien; auf ihrem Hintergrund muß alfo die Taufgc-
fchichte verftanden werden. Wenn in ihnen der Hl. Geift als Taube
in Jefus eingeht, fo ift freilich der alte Mythos in Verwirrung geraten
und „der Hl. Geift als Mutter Jefu mit dem pneumatifchen Jefus in eins
verfchmolzen" (S. 91). Von diefer Kombination kann ich mir nichts
zu eigen machen und halte fchon den Ausgangspunkt für methodifch
verfehlt.
Von der Sünde gegen den Hl. Geift redete nach L. Mt 12,31
urfprünglich nicht, fondern von der Läfterung des „Namens". Mt 12, 32
ift eine helleniftifche Bildung, aus der der Geift in das ältere Wort eingedrungen
ift, um dort den „Namen" zu verdrängen. Entfprechend hieß
einft Mt 12,28: „Wenn ich aber durch Gottes Namen die Dämonen
austreibe . . ." Damit ift ein guter Zufammenhang in dem ganzen Ab-
fchnitt Mt 12, 22ff. hergeftellt. L.'s Argumentation erfolgt wefentlich
auf Grund des Zufammenhangs, bzw. des proftulierten Zufammenhanges,
und verkennt den Sammelcharakter der Logientradition, fodaß die
Korrekturen Ls. nur als Einfälle gewertet werden können.
In Mt 10, 20 = Mk 13, 11 ='Lk 12, 12 find nach L. Erleb-
niffe des helleniftifchen Chriftentums, nämlich das Zungenreden,
in die evangelifche Überlieferung eingetragen. L.'s Erörterung der
Gloffolalie enthält hier manches Wertvolle, wenn ich auch feine kritifche
Scheidung im Pfingftbericht der act nur für verfehlt halten kann. Daß
Mk 13,11 parr. von Gloffolie und myftifcher Ekflafe die Rede fei, halte
ich für eine petitio prineipii.
In der erften Seligpreifung Mt 5, 3 = Lk 6,20 bietet nach
L. Mt mit feinem ol moiynl xOt nvevßaxi das Urfprüngliche, weil hier in
ganz unhelleniftifcher Weife vom Geift die Rede fei. Lk habe denn auch
korrigiert und aus dem Wort eine Seligpreifung der Armut im Sinn
der helleniftifchen (kynifchen) Popularphilofophie daraus gemacht und
in dem gleichen Sinne den Makarismen die Wehcrufe hinzugefügt.
Das Judentum habe folche Antithefen von Makarismen und Weherufen