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Ausgabe:

1922 Nr. 1

Spalte:

370-371

Autor/Hrsg.:

Funk, Franz Xaver von

Titel/Untertitel:

Lehrbuch der Kirchengeschichte. 7., stark verm. u. teilw. neubearb. Aufl. v. Karl Bihlmeyer 1922

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 16/17.

370

Wertvoll ift der Einblick in die Verhältnifie der dahinfterbenden
Univerfität Helmftedt, die dem Wettbewerb der neugegriindeten Univer-
fität Göttingen nicht gewachfen war, und in die fchriftftellerilche Tätigkeit
Velthufeus als ProfcITbr, der das Kind zweier Zeitalter war, in
Helmftedt das gemäßigte orthodoxe Luthertum vertrat, aber doch vom
Geift des Rationalismus nicht unberührt blieb. Die Arbeit Dettmers
verdient Beachtung, denn Tie gibt ein gutes Zeitbild.

D. Knoke weift nach, daß der Bekcnntnisftand der Univerfitäts-
ptediger in Göttingen der lutherifchc war, wenn auch 1844 der reformierte
Prediger Afchenbach in einem beftimmten Turnus als Vikar
kurze Zeit die vierte Predigt halten durfte. Aber Knoke hat nicht beachtet
, daß der dann berufene Univerfitätsprediger Ehrenfeucher aus der
linierten Kirche Badens kam.

D. Ph. Meyer bringt das Bruderfchaftsbuch der Kramerknechte
in Hannover mit einer lehrreichen Einleitung über die Bruderfchatten
der Meifter und Knechte-Gefellen.

Willkommen ift der Literaturbericht von DCohrs über die Schriften
zum Reformationsjubiläum 1917, die Kriegsliteratur etc. und von P.
Phil. Meyer über die Zukunftsaufgaben der evangel. Kirche in Niederfach
fen.

Der 24. Jahrgang bringt 27 lateinifche Briefe an Calov aus den
Jahren 1639—1680, die D. Dr. Wotfchke darbietet. Sic laffen einen
Blick in die Kämpfe Calovs mit den Socinianern, mit Calixt und feinen
Anhängern, in die Vermittlungsverfuche mit letzteren, in die Kämpfe
der Calviniften in Caffel und Marburg über die Prädeftination und das
Sektenwelen in Altona tun. Schon taucht der Gedanke einer Union
zwifchen Luthertum und Calvinismus auf, wie der einer Verbefferung
der Lutherbibel an einigen Stellen. Dr. Wolters behandelt die Frage:
Welches war der Ertrag der Reformation an kirchlichem Sinn und fitt-
lichem Leben im Erzbistum Bremen? auf Grund von Vifitationsproto-
kollen der 1580er Jahre, und kommt zu dem Ergebnis: Auf das Ganze
gefehen ift es ein erfieuliches Bild, das die Gemeinden bieten. Es ift
eine ganz anfehnliche Zahl von Kirchen, und doch lind der Klagen im
Grunde wenige. Natürlich kommen nur die Ausnahmen, die üblen
Seiten zur Darftellung, da die Protokolle nur die Rügen, keine Anerkennung
oder Lob enthalten. Tatfächlich hat kein Geiftlicher eine
Idealgemeinde, es ift überall Licht und Schatten. Die Abficht der Reformation
: Heiligung des Lebens ift nicht erreicht, aber diefem Ziel ift
man näher, als vor der Reformation.

Paftor Graff fchildert zuerft den Kampf um den Katechismus von
Juftus Gesenius, welchen der Präfes des Slraßburger Kirchenkonvents
Dr. Johann Schmidt 1643 für Straßburg empfohlen hatte, den aber der
Kirchenkonvent ablehnte, und da er eine „Vizeerklärung des Katechismus
" durch den Straßburger Pfarrer Heuppel abfaffen ließ, welcher dann
auch Schmidt eine Vorrede beigab, da er wahrfcheinlich an Gesenius
als Synkretillcn irre geworden war. Wichtiger ift der Kampf um den
Plannoverfchen oder vielmehr Braunfchweigifchen Katechismus, den der
Straßburger Kirchenkonvent 1792 einzuführen befchloß. Gegen ihn
fehrieb D. Johann Michael Lobftein, gegen welchen mehrere, zum Teil
fehr farkaftifche anonyme Schriften erfchienen, während der Kirchenkonvent
feinen Befchluß verteidigte und das angegriffene Buch als Katechismus
der Chriftlichen Lehre einführte. Enlgangen ift Graff, daß
der Braunfchweigifche Katechismus auch in Württemberg feit 1792 eine
Rolle fpielte, wie Kolb in feiner wichtigen Gefchichte des Gottesdienftes |
in der evangelifchen Kirche Württembergs (1913) S. 165 zeigt. Einen
Blick in die Gefchichte einer Landgemeinde Bevern bei Bremervörde,
läßt Dr. Wolters tun. Drei niederdeutfehe Hochzeitsgedichte aus dem
18. Jahrh. teilt Dr. Deiter mit. Über die einklagende Literatur berichtet
Gohrs. G. Boffcrt-Stuttgart.

Zeitfchrift der GeJellTcliaft für nkderfächfifche Kirchengefchichte

unter Mitwirkung von Geh. Konf. Rat D. Ph. Meyer
in Hannover und Geh. Konf.Rat Prof. D. Mirbt in
Göttingen, herausgegeben von D. Ferd. Cohrs, Kon-
fiftorialrat und Superintendent der Graffchaft Hohn-
ftein in Ilfeld. 26. Jahrg. (III, 183 S.) Braunfchweig,
A. Leimbach 1921. M. 15 —

Prof. D. J. Meyer behandelt auf Grund der neueren
Forfchung die Entftehungsgefchichte der niederfächfifchen
Bistümer und weift die Fälfchungen der bifchöfiiehen
Politik nach. Urkunden über die Grenzen der Bistümer
aus karolingifcher Zeit gab es nicht, fondern nur Immunitätsurkunden
. Auszugehen ift von den Sitzen der
Miffionsbifchöfe, wie Hildegrim, Bifchof von Chalons, der
Bruder Liudgers von Münfter, auch ein folcher war. Die
Gründung von Bremen, Bardenwieck-Verden und Minden
fällt in die Zeit 787-792, Osnabrück, Münfter, Halber-
ftadt feit 803, Hildesheim und Paderborn, das jüngfte
Bistum, nach Karls Tod.

Eine fehr große, tiefgründige, bis in die kleinften
Unterfchiede der Handfchrift eingehende Arbeit bietet
Ge. Geifenhof in feinen Corviniana III—V, in denen er
in fcharfer Auseinanderfetzung mit Tfchackert, dem Biographen
des Corvinus, drei Fragen behandelt: Hat der
niederfächfifche Reformator M. Ant. Corvinus jemals auf
einer Univerfität ftudiert? 2. Was wiffen wir über Jahr,
Tag und Stunde feiner Geburt? 3. Warum hat er feinem
Namen den Beinamen Zythogallus hinzugefügt; woher
hat er diefen Beinamen genommen, und was bedeutet er?
Mit vollem Recht beftreitet Geifenhof, daß Corvinus je
auf einer Univerfität, auch nicht in Leipzig ftudiert habe,
wie Tfchackert aus feinem Gefpräch von der Beichte 1538
fchließen möchte, wo der Pfarrer zum Bürgermeifter fpricht:
Ihr habt vor etlichen Jahren, wie Ihr wiffet, mit mir in
Leipzig ftudiert. Geifenhof zeigt überzeugend, daß hier
Corvinus nicht fich felbft meint. Zur zweiten Frage ift
Geifenhof der Nachweis gelungen, daß der Jo. Montanus
Brunfuicenfis, der 1546 zu Hannover um 43 Grofchen
Joh. Schoners aftrologifches Werk De iudieiis nativita-
tum gekauft und in dasfelbe die Geburtstage Luthers
(falfch 22. Oktober, wofür S. 68 irrtümlich 22. Februar
fteht). Karls V., Burchard Mithobius, Ant. Corvinus,
Georg Scarabäus und Joh. Schoners einzeichnete, kein anderer
fein kann als Joh. Berchmann, der erft Konrektor
in Minden, dann Prediger an der Marienkirche dafelbft
und 1566—159S Propft in Ülzen war. Seine Angabe, daß
Corvinus am Samstag nach Matthiä 1501 um Mitternacht
geboren fei, verdient allen Glauben. Weniger glücklich
ift die Antwort auf die dritte Frage. Wichtig ift, daß
Zythogallus Bierhan heißt und nicht, wie Tfchackert will,
dasfelbe ift wie Bräuhan, Breihan, Broihan (oi für ei
auch bei Pierzog Heinrich Julius von Braunfchweig), aber
warum Corvinus fich diefe Beinamen gab, bis er in Marburg
Magifter wurde, ift nicht klar. Daß er fich auch
nach feiner Mutter nannte, wäre ganz ungewöhnlich und,
außer bei Priefterkindern, z.B. Rhegius, unerhört. Die Matrikeln
zeigen, daß viele fich nach dem Berufe des Vaters
nannten. Aber Geifenhof beftreitet, daß der Vater ein
Brauer war, und nimmt an, daß die Eltern früh in Warburg
ftarben, wo fie nur Beiwohner waren, und die Mutter
eine geborene Bierhan aus der Gegend von Arnsberg
war. Hier ift noch Raum für weitere Forfchung.

H. Pfeifer fetzt feine fehr gründliche Arbeit über
Braunfchweigs Glocken fort und behandelt die Glocken
von St. Magni. Unhaltbar ift die Deutung einer Infchrift
aus dem 15. Jahrhundert, die als Tag des Guffes den
elften Sonntag, Cantate, angebe. Das ift unmöglich. Viel
eher ift VX ftatt L zu nehmen und die Glocke aus dem
Jahr 1451. Wotfchke gibt aus dem Wittenberger Ordi-
niertenbuch in Fortfetzung von Buchwald die dortigen
ordinierten Niederfachfen von 1573 an. Literarifch.es be-
fprechen Ph. Meyer und Cohrs.

Stuttgart. G. Boffert.

Funk, Prof. Dr. F. H. v.: Lehrbuch der Kirchengefchichte.

7., ftark vermehrte u. teilw. neubearb. Aufl. von Prof
Dr.K.Bihlmeyer. (Wiffenfchaftl. HandbibL, i.Reihe:
Theolog. Lehrbücher Bd. XVI). (XXVII, 1080). gr. 8.
Paderborn, F. Schöningh 1921. M. 69—

Funks viel benutztes Lehrbuch (1886, 18902, 18983,
19024, 19065) wird feit der 6. Auflage (1911) von Bihl-
meyer herausgegeben. Diefe Auflage liegt mir nicht vor.
Ich kann nur feftftellen, daß es fich bei der neuen Ausgabe
um eine fehr erhebliche Erweiterung von über
200 Seiten — gegenüber der in meinem Befitz befindlichen
zweiten Auflage um über 400 — handelt. Allgemeine
Gefichtspunkte und innere Zufammenhänge, überhaupt
Reflexion und Werturteil" — fo heißt es im Vorwort
— „find ftärker zur Geltung gebracht, als es früher
der Fall war; denn wir gehen ohne Zweifel einem neuen
fynthetifchen Zeitalter der Gefchichtswiffenfchaft entgegen
oder flehen zum Teil fchon darin." . . .„ Strengwiffenfchaft-
liche Haltung mit Pietät gegen die Kirche zu vereinigen,
fchwebte dem Verfaffer als leuchtendes Ideal vor", und
„apologetifche Gefichtspunkte" werden als nicht „zur
Aufgabe des Kirchenlfiftorikers gehörig" bewußt ausge-