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Ausgabe:

1922 Nr. 1

Spalte:

364-366

Autor/Hrsg.:

Harnack, Adolf von

Titel/Untertitel:

Die Verklärungsgeschichte Jesu, der Bericht des Paulus (I. Kor. 15, 3 ff.) und die beiden Christusvisionen des Petrus 1922

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1922 Nr. 16/17.

364

Garniers widerlegt. Wittig fpricht dem Maran S. 54 die
philologiTche Akribie der Kritik Garniers ab und läßt
diefen Sieger bleiben, weil er die fchärfften Waffen hatte
und fie am gefchickteften führte, wegen feiner .gewiffen-
haften, eingehenden Kritika. S. V redet W. zwar wieder von
dem unverantwortlichen Philologeneigen finn', S. 60 wohl
in gleichem Sinn von ,fkrupelhaft philologifchen Gründen',
mit denen Garnier die Echtheit des Jefaias-Kommentars
beftritten habe. Warum geht er nicht daran, diefe Gründe
im einzelnen vorzuführen und zu prüfen? Es ift fchon
richtig, daß für Garnier der entfcheidende Grund zur
Beftreitung die Tatfache war, daß im Kommentar wiederholt
Stücke aus Eufeb's Jefaiakommentar wörtlich aufgenommen
worden find, und folcher Mißbrauch fremden
Eigentums einen Unfterblichen wie B. entehre. Sein
Eigenfinn — meinetwegen 1 — ließ fich nicht einmal durch
die Beobachtung, die gerade er machte, belehren, daß
es in anderen, echten Schriften des B. ebenfo liegt:
Garnier behauptete da entweder Interpolationen oder
ftritt auch hier die Echtheit ganz ab. Indeffen will
Garnier doch nicht zugeftehen, daß dies Vorurteil ihn
beftimme, und fo ftellt .er denn einen impofanten Katalog
von Dürftigkeitserfcheinungen zufammen, Fehlern des Ausdrucks
, des Stils, der Gedankenfolge, der Vor Heilungen
und Glaubenssätze, die bei B. unerhört feien, und fertigt "die
Refte bafilianifcher Redeweife, die er nicht leugnen kann,
als Nachahmung eines von B. abhängigen Geithes ab.
Diefe Kataloge gilt es durchzufehen; ich habe mich überzeugt
, daß das darin Behauptete entweder geradezu falfch
ift oder grob übertrieben oder, drittens, unberücksichtigt
läßt, daß auch B., vielmehr gerade er, über verfchiedene
Stilarten verfügt, z. B. die dem Garnier fo verhaßten
Adjektive auf ixoc, in feinen Homilien über altteftament-
liche Texte häufiger als in den Briefen verwendet. Erdrückend
gegenüber dem, was unbefangene Vergleichung,
was ftatiftifche Tabellen über den Wortvorrat als aus-
fchließlich im Kommentar vorkommend aufzeigen, ift an
Fülle und Bedeutung, was er mit den echten B.-Schriften
gemeinfam hat; die naive Benutzung älterer Schriftfteller
braucht man nicht einmal erft durch Hinweis auf alexan-
drinifchen Schulbetrieb zu rechtfertigen. Das Material,
das fich gegen Garnier aufbringen läßt, hat W. fich zum
größten Teil entgehen laffen; nur fein Totaleindruck ift
der richtige.

Eine Tür, um hier und da im Kommentar begegnende
fchlechthin unbafilianifche Formen oder Wendungen ein-
zulaffen, hält W. fich offen, indem er den Presbyter des
Basilius, der auf der Konferenz die Nachfchriften angefertigt
hatte, für die Publikation verantwortlich macht;
er habe aus den Einzelreden ein zufammenhängendes
Buch gefertigt, und Hör- und Schreibfehler feien bei einem
Schnellfchreiber ohnehin nie ausgefchloffen. Aber wenn
der Kommentar zu Jes. 6 eine große Dublette bringt, fo
ift die Erklärung, da habe B. fich in ,der nächften Bibel-
ftunde' eben wiederholt, gar zu bequem; es liegen hier
vielmehr zwei Entwürfe vor, von denen den einen fort-
zulaffen der pietätvolle Herausgeber diefes Werkes von B's
Hinterlaffenfchaft fich nicht entfchließen konnte; wenn
er ein wichtiges Textftück überfpringt, wie hinter Jes. 10,
fo hat er eben kein Manufkript darüber vorgefunden, und
die namentlich in Kap. 16 fühlbar werdende Knappheit der
Exegefe wird fchwerlich der Ermüdung des Konferenzredners
, eher dem Abbrechen des Bifchofs, den nun die
Flucht — nicht im Winter oder Sabbat (prooem. S. 1) — traf,
vor feiner letzten Arbeit fchuldzugeben fein. Gewiß klingen
mehrereAbfchnitte im Kommentar wie empörte Mahnungen
eines Bifchofs an gewiffenlofe oder unfähige Kollegen,
die .Führer der Völker' werden öfter und fpitzer als der
Text des Propheten es nahelegte, zu abfchreckender Schilderung
des Epifkopats in dem Kleinafien um 375 benutzt,
aber entweder hat B. hier früher von ihm gehaltene Reden
— was wahrlich nicht ohne Analogie wäre — verwertet,
oder bei der Niederfchrift ftieg der bitterfte Zorn feiner

letzten 10 Jahre eben immer in ihm auf, wenn der Text
Anwendung auf die Gegenwart zu erfordern fchien: im
Geifte mag er auch die Genoffen von Dazimon manchmal
vor fich gefehen haben. Aber daß wir in dem Kommentar
nun gerade den Bafilius hörten, wie er gefprochen
hat, während feine fonftigen Schriften uns zeigten, wie er
zu fchreiben wußte, dünkt mich eine unglückliche Formulierung
Wittigs: find die zahllofen t. t. der Schulforache
6i]ntimxtov, vorjtkov, vorjööv uoi, xacjazrjQti, jrooötfytc,
iivrjofhjxt ufw. dem Meifter des Wortes — entfchlüpft,
der fogar für feine Briefe eine befondei e Prägnanz erfunden
hatte? Und wie mag fich W. den Hergang vorftellen,
wenn er S. 52 ein paar Zufätze des Kommentars zu dem
fonft buchffäblich abgefchriebenen Eusebius gütig erklärt,
man verliehe recht gut — wenn man fich nämlich in die
Atmosphäre von Dazimon verfetze, ,daß der vorgelefene
Eufebiustext folche Ergänzungen geradezu forderte'?
Alfo hat Bas. damals zwifchen freier Rede und Vorle-
fung von Abfchnitten feiner gelehrten Quellen abgewech-
felt? — Das Prooemium, das eine echt bafilianifch gei lt -
reichelnde Einleitung zu einem Prophetenkommentar ift,
hat W. graufam ins Zeitgefchichtliche verkettet; als abhängig
von den Fehlern der Mauriner-Kritik offenbart er
fich in der immer wiederholten Hervorhebung der Unvoll-
kommenheiten diefes Kommentars: kein wohlgefeiltes
Werk, Gedanken und Erklärungen unausgeglichen nebeneinander
, fremde Beftandteile flehen darin wie in einer Stoff-
fammlung — fogar S. 46: ,die ganze Unruhe jener Winterreife
im Pontus liegt noch in den Zeilen', — die Sprache
der mündlichen Konferenz, die eines kranken, müden und
doch raftlofen Mannes, der ungenügend vorbereitet, aus
dem Stegreife, folche Konferenzreden hält, und bei feiner
Befchreibung der Dämonen S. 50: ,Ich glaube ja auch nicht,
daß Basilius diefe Dinge veröffentlicht hätte'! Nein, wir
werden die Garnier'fchen Fehlurteile ganz beifeitelegen
müffen, um einem der wertvollften Werke des B. gerecht
zu werden — einem Werk, das alle großen Vorzüge der
kappadozifchen Fürften aufweift, deffen Mängel nur die
gemeinfamen der ganzen altchriftlichen Bibelauslegung
find. Spuren der fremden Hand, die nach Basilius' Tod
dies von ihm . unvollendet, unvollftändig zurückgelaffene.
Buch an die Öffentlichkeit brachte, find kaum vorhanden:
Tillemont, fcheint mir, hat über unfere Frage fchon das
Richtige — unbeeinflußt durch die fpäteren Mauriner —
herausempfunden.
Marburg. Ad. Jülich er.

Harnack, Adolf von: Die Verklärungsgefchichte Jelu, der

Bericht des Paulus (1. Kor. 15, 3 ff.) und die beiden
Chriftusvifionen des Petrus (Sitzungsberichte d. preuß.
Akademie d. Wiffenfchaften. Philof.-hift. Klaffe 1922,
7. S. 62 — 80) 40. Berlin, Vereinigung wiff. Verleger
in Komm. 1922. M. 4 —

Merkwürdig, daß die beiden großen Kirchenhiftoriker
Berlins gleichzeitig fich um ein neues, bis auf den Grund
ausfchöpfendes, kriuTcb.es Verftändnis von I Kor. 15,3 fr.
bemüht haben, ohne daß der eine vom anderen wußte
(vgl. S. 97—99 d. Ztfchr. über Holl); allerdings mit fehr
verfchiedenen Richtungspunkten und Ergebniffen.

v. Harnack fucht die Verklärungsgefchichte als einen
wirklichen gefchichtlichen Vorgang in der Zeit, wo Jefus
noch mit feinen Jüngern durch Galiläa wanderte, zu begreifen
; die Thefe, daß fie, urfprünglich Vifion des Auf-
erftandenen, erft gewaltfam in eine frühere Periode zurückdatiert
worden fei, verwirft er; zu dem Zweck ftellt er an
die Spitze eine Unterfuchung über die durch Paulus in
I Cor. 15 beglaubigten Erfcheinungen des auferftandenen
Jefus. Unter diefen hat die Verklärung von Mc. 9 (und
Parallelen) keinen Platz, andrerfeits zeigt fie ihm aüeEigen-
fchaften eines von Petrus aus treufter Erinnerung erzählten
Erlebniffes: fo rechnet er fie den heften Überlieferungen
unferer Evangelien zu, und findet fogar in ihr den
alleinigen Schlüffel zum Verftändnis der fonft unbegreif-